Protocol of the Session on June 8, 2000

und ich nehme hier die Gelegenheit wahr, dies zu tun und mich vor allen Dingen zu bedanken. Erstens bedanke ich mich bei den Patientinnen und Patienten, für die nach zum Teil jahrzehntelangen Aufenthalten in geschlossenen Kliniken — ich habe da gearbeitet, ich weiß, wovon ich rede — der Weg hinaus aus der Klinik eine Anstrengung und einen Mut bedeutet hat, welche die, die diese Situation nicht kennen, glaube ich, gar nicht nachvollziehen können. Diesen Patienten, die es geschafft haben, sich von den geschlossenen Abteilungen und der Überversorgung zu lösen, gilt der Dank der CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens gilt der Dank auch den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, für die die Psychiatriereform ein Loslassen von bisherigen Arbeitsabläufen gewesen ist. Sie mussten loslassen, meine Damen und Herren, ohne dass damals überhaupt klar war, welche neuen Arbeitsinhalte, welche neuen Aufgaben denn auf die Mitarbeiter zukommen. Ich denke, wer so etwas macht und auch kraftvoll und kreativ mitbegleitet, vor solch einer Leistung können wir uns alle nur verbeugen, und dazu nutze ich heute die Gelegenheit.

(Beifall bei der CDU)

Danke sage ich den vielen Menschen, die die ambulanten Hilfs- und Beratungsangebote aufgebaut haben und sich einer wirklich sehr schwierigen Arbeit verschrieben haben und diese jeden Tag auch wieder mit großer Kraft antreten und erfüllen.

Danke sage ich vor allem hier auch allen Fraktionen im Haus, die über die langen Jahre den Weg der Gleichstellung der psychisch Kranken mit den somatisch Kranken so positiv begleitet haben. Darum geht es in der Reform der Psychiatrie seit vielen Jahren, meine Damen und Herren: Psychisch Kranke sollen genauso gut und genauso qualifiziert diagnostiziert und therapiert werden wie Menschen mit körperlichen Erkrankungen.

Diese Gleichstellung war leider keine Selbstverständlichkeit, meine Vorrednerinnen haben schon an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert. In dieser Zeit waren psychisch Kranke und geistig Behinderte, ich zitiere, „gleichgeschaltet“, und sie sind gemeinsam „als lebensunwert“ bezeichnet worden. Die schrecklichen Folgen kennen wir. Ich will sie hier nicht wiederholen, ich will sie aber trotzdem wieder in unser Gedächtnis rufen.

Ende der sechziger Jahre, meine Damen und Herren, hat sich auf Bundesebene damals eine Kommission gegründet, die so genannte Psychatrie-Enquete. Sie haben die Gleichstellung nicht nur gefordert, sondern auch Wege bezeichnet und aufgezeichnet, wie man denn auch zu dieser Gleichstellung kommen könnte. Heute können wir mit großer Freude und auch mit Stolz feststellen: In Bremen und Bremerhaven sind diese Ziele bei Weitem erfüllt, sogar übererfüllt, wobei nicht zu verleugnen ist, dass noch Vieles zu verbessern ist und wir noch nicht am Ende dieses Weges sind, aber riesige Schritte sind gemacht worden, und man darf sich auch einmal über das Erreichte freuen. Das tun wir hiermit!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Bremen und Bremerhaven beteiligen sich seit 1981 am Bundesmodellprogramm Psychiatrie. Mit der finanziellen Hilfe des Bundes, den bremischen Eigenmitteln und dem reformerischen Willen aller Beteiligten konnte die Entwicklung der psychiatrischen Versorgung entscheidend vorangebracht werden. Das heißt ganz konkret, meine Damen und Herren, Aufnahmestopp für die Klinik Blankenburg, das war damals eine Langzeitpsychiatrie im oldenburgischen Nirgendwo mit über 600 Betten vor den Toren der Stadt Oldenburg.

Das hieß ganz konkret Verlegungsstopp für psychisch Kranke und mehrfach Behinderte in Altenund Pflegeheime, die damals in Oyten mit Hunderten von Betten mit den psychisch und geistig Behinderten aus Bremen belegt worden sind. Auch daran müssten wir erinnern, und deshalb kann ich diese Zusammenarbeit mit Niedersachsen eigentlich nur mit großem Erschrecken sehen, die Frau Hoch wie

der eingebracht hat. Wir sind froh, dass wir unsere Kranken nicht nach Niedersachsen abschieben, sondern dass wir uns hier unserer Verantwortung stellen, und das werden wir auch weiterhin tun.

(Beifall bei der CDU)

Analog zu diesem Prozess wurden die Sozialpsychiatrischen Dienste in den Stadtteilen aufgebaut, Wohngemeinschaften, betreutes Wohnen für einzelne Personen organisiert, den Menschen Tagesstätten für psychisch Kranke angeboten, ein Kriseninterventionsdienst eingerichtet, getrennte Beratungsund Betreuungsangebote für psychisch Kranke sowie für geistig Behinderte und mehrfach Behinderte aufgebaut. Meine Damen und Herren, ich könnte die Liste unendlich fortführen, soviel Zeit haben wir nicht. Ich bedanke mich, dass das alles gelingen konnte!

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen uns natürlich trotzdem auf dem bisher schon Erreichten nicht ausruhen. Das wäre auch schrecklich in einem solchen Prozess, der immer Veränderungen unterworfen ist. Psychisch Kranke sowie auch die geistig Behinderten brauchen weiterhin unsere Unterstützung und unsere Hilfe, und dies selbstverständlich auch bei knapper Haushaltslage. Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Diesem Auftrag stellt sich die große Koalition, und Sie, meine Damen und Herren, können der Antwort des Senats auch entnehmen, dass alle Beteiligten mit großer Kompetenz und in multidisziplinären Teams sowie auch mit den finanziellen Möglichkeiten weiter daran arbeiten.

Trotz der engen Haushaltssituation unter dem real bestehenden Sparzwang in Bremen und Bremerhaven wird unsere große Koalition weitere 20 Millionen DM für den nächsten Schritt in die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung im Land Bremen zur Verfügung stellen, und darauf sind wir stolz.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Im Rahmen der Kapitaldienstfinanzierungen, die Bündnis 90/Die Grünen ja weiterhin vehement ablehnen, werden die Mittel für die Regionalisierung der Psychiatrie zur Verfügung gestellt und die Arbeit im stationären, halbstationären und ambulanten Bereich weiterentwickelt; eine immense Leistung in dieser Zeit, die deutlich macht, dass diese Koalition ihre Aufgaben nicht vernachlässigt, und die Aufgabe heißt, für die Menschen mit psychischen Erkrankungen muss ein Leben in Würde gesichert sein und gesichert bleiben, und das garantieren wir.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, jetzt noch Ihre Ablehnung gegenüber den Kapitaldienstfinanzierungen ad acta legen,

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Darauf können Sie lange warten!)

dann können Sie sich gemeinsam mit uns an dieser tollen Arbeit freuen. — Ich bedanke mich!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster hat das Wort Staatsrat Dr. Hoppensack.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch bei diesem Tagesordnungspunkt sieht man, dass es einen breiten Konsens gibt und allenfalls im Detail einige Unterschiede sichtbar werden. Der Tagesordnungspunkt mit dem Titel „Regionalisierung der Psychiatrie“ ist ja etwas verkürzt beschrieben. Die letzten Debattenbeiträge haben auch deutlich gemacht, dass es einen großen Zusammenhang gibt: Psychiatriereform. Die Fragestellung war ja auch nicht nur auf die stationäre Psychiatrie und die Regionalisierung gerichtet, sondern hat das ganze Feld der sozialpsychiatrischen Versorgung berührt, und wir haben darauf eine Antwort gegeben.

Die Antwort zeigt, und auch Ihre Debattenbeiträge machen das deutlich, dass Bremen einen hohen Standard in der Versorgung hat. Wir hätten einen guten Ruf zu verlieren, wenn es anders wäre, und man kann wirklich auch mit Stolz sagen, es ist nach wie vor so, wenn es um Entwicklung in der Psychiatrie geht, schaut die Republik weiterhin auf Bremen und insbesondere auch auf unsere Einrichtungen im Krankenhaus Bremen-Ost, weil dort zu besichtigen ist, wie fortschrittliche Psychiatriepolitik aussieht.

Was den Debattenpunkt von der Bezeichnung her berührt, nämlich Regionalisierung der stationären Psychiatrie, ist das ein Vorhaben, das ich seit Anfang der neunziger Jahre begleitet habe. Ich muss an dieser Stelle, wo es um den Dank geht, auch einmal der früheren Senatorin Irmgard Gaertner herzlich danken.

(Beifall bei der SPD)

Sie hat uns in der Behörde an diesem Projekt, nicht nur, was die Ideen, sondern auch, was die Machbarkeit anging, auf Trab gehalten und gesagt, hier geht es um einen qualitativen Sprung nach vorn, um den wir uns kümmern müssen, auch wenn es viele Probleme in den bremischen Krankenhäusern gibt, nicht zuletzt auch in den psychiatrischen, die einen hohen finanziellen Aufwand erfordern. Sie hat uns in Gang gesetzt.

Die frühere Senatorin Christine Wischer hat das fortgesetzt in den schwierigen Vereinbarungen mit den Krankenkassen. Auch denen sei herzlich gedankt, dass sie einverstanden waren, dass wir uns dies geleistet haben. Das Land leistet sich hier im investiven Bereich ja nicht Unerhebliches. Ein Vorhaben, das knapp 20 Millionen DM umfasst, ist kein Pappenstiel, insbesondere in der heutigen Szenerie. Dass es hier dann letztlich doch mit den Krankenkassen ein Einvernehmen gab und auch mit den vielen Skeptikern in diesem Haus, das muss man sagen, das ist eine Sache, über die man sich freuen kann.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen danke ich Ihnen auch dafür ganz besonders.

Sie haben deutlich gemacht, worum es bei der Regionalisierung der Psychiatrie geht. Es ist, wenn man genau hinschaut, ein Stück Kulturrevolution, weil es sich ja nicht auf Technisches beschränkt, wie es vordergründig scheint, nämlich dass man das, was bisher an zentraler Stelle überwiegend getan wird, ein Stück dezentraler macht, sondern der eigentliche Witz der Geschichte besteht darin, dass sich um diese Dezentralisierung herum ein neues Netz von versorgenden Instanzen aufmacht. Das sind nicht nur die Profis, sondern auch die Selbsthilfegruppen, die sich in einem neuen Verbund finden sollen. Das ist noch eine wichtige Aufbauarbeit, die wir jetzt leisten müssen.

Zu den Fragen von Frau Hoch will ich nicht schweigen. Sie hat gesagt, die eigentliche Geschichte sei ja noch ungelöst, das sei die Darlegung der Ergebnisqualität. Das ist allerdings, wie ich sage, die Jahrhundertfrage, zumindest eine, die dieses Jahrzehnt umfassen wird, und zwar nicht nur in der Psychiatrie, da ist sie übrigens besonders schwierig zu beantworten, sondern in der gesamten gesundheitlichen Versorgung. Sie sind ja auch eine Profifrau, wenn Sie nicht hier im Parlament sitzen.

(Heiterkeit)

Eine Profifrau der gesundheitlichen Versorgung, meine ich! Sie wissen aus Ihrer früheren Praxis, wie schwer es allein in den chirurgischen Fächern ist, Ergebnisqualität unter Beweis zu stellen und systematisch zu sichern, geschweige denn in anderen Bereichen, zum Beispiel der inneren Medizin oder der Psychiatrie. Das ist eine wichtige Aufgabe, an der heftig gearbeitet werden muss.

Zu all dem, was Sie zur Regionalisierung gesagt haben, und der Vernetzung, die dann noch aussteht, habe ich eben gesagt, dass das tatsächlich noch vor uns liegt und gerade in Ihrer Heimatstadt Bremerhaven ein dickes Problem ist.

Übrigens bedurfte es nicht weiterer Initiativen des Landes, dass sich der Fortschritt dort auch stärker zeigt, sondern das hing auch an den regionalen, örtlichen Instanzen, dass diese ein wenig mit der Bewegung haben auf sich warten lassen. Es hat übrigens niemanden gehindert, zum Beispiel in Bremerhaven zu einer Vernetzung zu kommen zwischen Klinik und Sozialpsychiatrischem Dienst, das Land hat jedenfalls nicht gehindert. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, unsere bremische Praxis vorgeführt und gesagt, macht das doch auch so. Bremerhaven hat da gezögert, und ich hoffe, dass da in Zukunft etwas mehr Bewegung entsteht.

Das ist übrigens, und damit will ich das abschließen, ein wesentlicher Punkt, den wir etwas solider haben wollen durch den externen Gutachter, den wir dort gebeten haben — übrigens einvernehmlich mit Bremerhaven —, eine Reihe von Streitpunkten zwischen Land und Stadt zu klären, aber insbesondere auch Entwicklungslinien für die Stadt stärker zu akzentuieren. Herr Dr. Leidinger hat sein Gutachten im Grunde genommen fertig. Es wird in diesem Monat noch vorgelegt, und dann wird in Bremerhaven eine heftige Debatte darüber entstehen, in welchen Bereichen Entwicklung nötig ist. Zumindest auch im Bereich des öffentlichen Gesundheitsdienstes werden sich da schwierige Anforderungen ergeben, bei denen Bremerhaven in erster Linie gefordert ist. Wir als Land werden da stützen müssen, aber die eigentliche Entwicklung muss Bremerhaven selbst machen.

Last, but not least kann man sagen: ein hoher Entwicklungsstand in einigen Bereichen! Entwicklungsbedarfe sind erkannt, zum Beispiel wurde in Bremerhaven durch dieses Gutachten die Realisierung ein ganzes Stück näher gebracht, so dass man eigentlich hoffnungsvoll sein kann, dass sich auch etwas tut. — Danke!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hoch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dass wir hier einen großen Schritt getan haben und dass wir darauf stolz sein können, das wissen wir auch, aber ich denke, wir dürfen uns hier nicht ausruhen, um zu sagen, wir sind hier Vorreiter, lasst die anderen erst einmal an uns herankommen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Da wir schon so weit sind, denke ich, können wir hier weiter unsere Vorreiterrolle behalten oder das gelbe Trikot anbehalten. Für uns ist im ambulanten ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Bereich nicht genügend Berücksichtigung gewesen. Ich denke, gerade nach der neuen Gesundheitsreform wird sich hier noch vieles tun. Es gibt zum Beispiel Projekte, die auch im ambulanten Pflegedienst inzwischen psychiatrische Behandlung anbieten. Weiterhin denke ich auch, dass Möglichkeiten gegeben werden müssen, dass auch außerhalb von stationären Einrichtungen wie Krankenhäusern Häuser geschaffen werden müssen, in denen stationäre Betten errichtet werden können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Letztes möchte ich noch sagen: Wir hätten es uns gewünscht, dass Sie diese 20 Millionen DM eben nicht über die Kapitaldienstfinanzierung aufnehmen, sondern diese Wertigkeit auch im Haushalt berücksichtigen. Das wäre das richtige Signal auch nach außen gewesen. — Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Abg. Frau D r e y e r [CDU]: Das hätten wir auch gern aus dem Ökofonds genom- men!)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 15/299, auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kenntnis.