Protocol of the Session on June 8, 2000

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Günthner?

Nein! Danke schön!

Gleichwohl beklagen sich die Bürger überwiegend, dass sie im täglichen Erleben negativ geprägt werden, was Ausländer zum Teil verursachen. Gerade diejenigen Gäste, die kein Dauerbleiberecht im rechtlichen Sinne haben, die Asylverfahrensdauer

gäste sind, sind es oft, die den Unmut der Bevölkerung hervorrufen, und ich sage das prophylaktisch, die auf dem Wege sind, mindestens innerlichen Zorn zu entwickeln, leider dann unter Umständen nicht gegen die Verursacher, sondern die Ausländer schlechthin als Pauschalverurteilung. Genau da muss jetzt entgegengewirkt werden. Meine Damen und Herren, nun möchte ich kurz auf die Antwort des Senats eingehen. Erstens: Sie lässt in der Kürze und in Verbindung mit der Mitteilung vom Dezember letzten Jahres nichts an Deutlichkeit über. Zweitens: Der EG 19 sei noch einmal auf diesem Wege für die akribisch geleistete Arbeit gedankt.

(Beifall bei der CDU)

Drittens: Definitiv stehen hier 531 Menschen in Rede, die allesamt die Republik in Richtung Türkei verlassen müssen. Dabei, es tut mir Leid, Herr Kollege Kleen, kann nicht nach Kids und erwachsenen Türken, wie Sie sagen, unterschieden werden. Dazu hat Herr Schuller, der Ihnen ja allen bekannt ist, einen Kommentar geschrieben,

(Abg. E n g e l m a n n [SPD]: Der ist auch wichtig!)

den ich Ihnen hier sicherlich mit Genehmigung des Präsidenten einmal vortragen darf.

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Den ganzen Kommentar?)

„Der Asylmissbrauch von 531 Türken bewegt die Gemüter. In der Debatte kommen seltsame Argumente auf, beispielsweise: ein Großteil der 531 zu Unrecht in Bremen lebenden Personen seien Kinder, also Schuldlose. Viele der Jugendlichen würden von ihren Eltern unzureichend betreut, also sei es nicht verwunderlich, dass ein Teil von ihnen kriminell werde. Zugleich wird beklagt, viele der Eltern dürften keiner ordentlichen Arbeit nachgehen. Zuweilen lohnt es sich nachzudenken. Erstens: Niemand hat je behauptet, dass Kinder deshalb Betrüger seien, weil sie sich mit falschen Angaben nach Deutschland eingeschlichen hätten. Vielmehr trifft diese Schuld die Eltern. Sie hatten behauptet, kurdische Libanesen zu sein, obwohl sie aus der Türkei stammen. Sie haben sich an ihren Kindern schuldig gemacht und nicht jene, die jetzt über die Abschiebung zu entscheiden haben. Zweitens: Eltern, die aufgrund ihres Status nicht arbeiten dürfen, sollten doch eigentlich genügend Zeit haben, sich um ihre Kinder zu kümmern.

(Beifall bei der CDU)

Drittens: Sollten sie damit überfordert sein oder ihre Zeit teilweise mit illegalen Tätigkeiten verbrin

gen, müssen die Kinder doch lange noch nicht selbst kriminell werden. Sonst müsste man ja die völlig unsinnige Gleichung aufmachen: Sind Eltern arbeitslos, werden die Kinder kriminell. Diesen Unsinn kann angesichts von rund vier Millionen Arbeitslosen niemand ernsthaft behaupten.“ Soweit das Zitat!

(Beifall bei der CDU)

Wenn ich zur Kenntnis nehmen muss, das diese Personen durch zeitaufwendige Verwaltungsverfahren zur Herstellung der Ausreisepflicht hier weitere zwei, drei oder sogar vier Jahre verweilen können und weiterhin widerrechtlich Geld bekommen, abgesehen von anderen bestimmten Quellen, die weiter sprudeln, dann treibt es mich in der Tat heftig um. Es darf nicht angehen, dass unser Rechtsstaat sich selbst überholt und dadurch Rechtsbrechern weiter Bleiberecht einräumt, abgesehen von den Kosten, die durch zusätzliches Abwicklungspersonal entstehen. Aus meiner Sicht ist es ein Skandal, dass Rechtsbrecher von dieser Qualität nicht unverzüglich ausgewiesen werden können.

Bereits 1992 wurde in diesem Hause über die Beschleunigung von Asylverfahren debattiert. Damals war man nicht nur der Zeit voraus, nein, dieses Thema ist nach wie vor aktuell. Ich halte es für nicht hinnehmbar, dass nach wie vor zwar 95 Prozent der Asylbewerber abgelehnt werden, diese dann aber durch Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren sieben, acht und neun Jahre oder länger im Status des Asylbewerbers leben. Wenn sie dann Glück haben, hilft ihnen eine Altfallregelung, ins Dauerbleiberecht zu kommen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident!

Aber besonders ein Personenkreis, der sich nicht nur durch Asylmissbrauch bereichert, sondern darüber hinaus noch Straftaten in der in der Antwort aufgeführten Güte und Intensität begeht, der gehört sofort ausgewiesen und nicht erst nach weiteren völlig überflüssigen, langwierigen Rechtsverfahren.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist in der Tat interessant, dass bei dieser schwierigen Frage und bei der Behandlung einer Großen Anfrage anscheinend zwei Abgeordnete der Fraktionen der SPD und der Grünen hier im Mittelpunkt dieser Rede stehen. Ich werde versuchen, etwas ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

mehr zur Sache zu sprechen, als dies mein Vorgänger getan hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD — Abg. F o c k e [CDU]: Das ist ja etwas ganz Neues! — Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Ach, der Herr Focke!)

Es sei auch Herrn Focke zugestanden, dass es in der Tat bei diesem Thema relativ schwer ist zu differenzieren und dass diejenigen, die versuchen, bei diesem Thema zu polarisieren, einfacher in die Öffentlichkeit durchdringen als die, die sich bemühen, in dieser Frage tatsächlich zu differenzieren. Das ist so!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich werde dennoch versuchen, die schwierigen Hintergründe dieses Falles etwas zu beleuchten und auch anschließend noch in die Zukunft hier in Bremen zu blicken. Es ist in der Tat richtig: Vereinfachungen gehören zu unserem politischen Tagesgeschäft. Wer schon einmal versucht hat, einen einzigen Tag ohne Vereinfachungen auszukommen, weiß vielleicht, wovon ich spreche. Ich werde trotzdem versuchen, Ihnen klarzumachen, dass die Differenzierung nach einzelnen Fällen, wie sie sich jetzt in diesem Fall darstellt, der einzige Weg ist, um in dieser Geschichte der Wahrheit wenigstens einigermaßen näher zu kommen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Zunächst muss zwischen den beiden Aspekten der ausländerrechtlichen beziehungsweise asylrechtlichen Dimension und der sozialen Realität in dieser Stadt unterschieden werden. Das ist eine ganz wichtige Differenzierung. Man muss sie auseinander halten.

Auf der ausländerrechtlichen Seite und damit zu Beginn zeichnet sich ab, dass der Versuch, über 500 Personen mit ganz unterschiedlichen Biographien und mit unterschiedlichen rechtlichen Ausgangslagen über einen Kamm zu scheren, bereits heute gescheitert ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Der Innensenator und auch Herr Herderhorst heute in dieser Rede versuchen das weiter, aber ich werde Ihnen gleich ein Beispiel bringen, wie die Bremer Gerichte sozusagen mit dieser Position, alles über einen Kamm zu scheren, umgehen. Das liegt auch daran, dass die Geschichte dieser Gruppe, eine ethnisch und sprachlich arabische Minderheit in die

ser Region, die zwischen dem Libanon, arabischen Ländern, der Türkei in der Geschichte lange hin und her gewandert ist, viel zu komplex ist und dass diese Geschichte sozusagen sich auch heute in den unterschiedlichen Fällen der Familien hier in Bremen widerspiegelt. Es stellt sich heraus, und zwar gerade nach der gerichtlichen Überprüfung der Einzelheiten, und darauf kommt es an, dass in der Tat viele dieser Familien lange im Libanon gelebt haben.

Es gibt eine andere Gruppe, die zumindest zeitweise in Beirut gelebt hat, die aber zwischen verschiedenen Staaten hin und her gewandert ist, und völlig klar, das ist zumindest mir aus meiner Kenntnis klar, es gibt auch einige, die aus der Türkei kommen und möglicherweise auf diesen Zug, sich als libanesische Staatsbürger auszugeben, nur aufgesprungen sind. Auch diese Fälle scheint es zu geben.

Ich habe Ihnen ganz druckfrisch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 2. Juni mitgebracht, das sich mit einem solchen Fall aus dieser Gruppe befasst hat, und ich möchte gern mit Genehmigung des Präsidenten aus diesem Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 2. Juni, also Anfang dieser Woche, zitieren. Man beschäftigt sich dort auch mit der Art und Weise, wie die Ausländerbehörde und der Senator für Inneres mit diesen Fällen umgehen, und das Gericht wird in einer Weise, wie ich es vom Verwaltungsgericht Bremen bisher noch nie gehört habe, deutlich auch in der Formulierung.

Das Verwaltungsgericht sagt: „Die Ausländerbehörde begnügt sich zur Darlegung des ihrer Ansicht nach gegebenen besonderen öffentlichen Interesses an der Ausweisung der Antragsteller mit pauschalen und formelhaften Floskeln. Die Interessenabwägungen habe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung und Abschiebungsandrohung ergeben.“ Es sagt weiter: „Eine konkrete Gefahrenlage im Einzelfall, die die sofortige Ausreise der Antragsteller schon vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens aus spezialpräventiven Gründen erforderlich machen könnte, wird mit dieser Wendung ebensowenig bezeichnet wie ein auf generalpräventiven Erwägungen gestütztes besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung.“ Das ist eine Watschen für die Ausländerbehörde und für den Innensenator, wie sie das Verwaltungsgericht Bremen bisher noch selten erteilt hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Abg. B o r t t s c h e l l e r [CDU]: Na, Jun- ge!)

Sie sehen, dass die grüne Position ausschließlich mit rechtsstaatlichen Mitteln und ausschließlich im Einzelfall, und jetzt benutze ich gern einmal einen Begriff der großen Koalition, völlig alternativlos ist.

Es gibt keine Alternative zur Einzelfallentscheidung in jedem einzelnen Fall, und wir haben hier Fälle, die fallen so, so oder so aus. Das ist die Realität der Gerichte im Moment in Bremen, mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Aber es soll auf gar keinen Fall auch eine andere Dimension dieses Themas hier in Bremen verschwiegen werden. Auch das gehört zu diesem Thema unbedingt dazu. Es gehört auch dazu, die soziale Problematik, dazu komme ich jetzt im zweiten Teil, dieser Gruppe in Bremen anzusprechen, um überhaupt in der Lage zu sein, glaubwürdig Politik im Migrationsbereich, glaubwürdig Politik in Bezug auf Flüchtlinge zu machen.

Ich möchte, was mir ansonsten nicht nachgesagt wird, dass ich an den Lippen des jetzigen Bundespräsidenten hänge, aber gern den Bundespräsidenten Rau aus seiner Berliner Rede vom 12. Mai zitieren und mich seinen Worten anschließen. Der Bundespräsident sagt: „Erfolgreich können wir nur dann handeln, wenn wir zwei Haltungen überwinden, die zu weit verbreitet sind“, wie wir sehen, auch in Bremen. „Wir müssen Unsicherheit und Angst überwinden, die manchmal zu Fremdenfeindschaft, zu Hass und Gewalt führt.“ Er fügt hinzu, und ich schließe mich dem ausdrücklich an: „Wir müssen eine falsch verstandene Ausländerfreundlichkeit überwinden, die so tut, als gebe es überhaupt keine Probleme und Konflikte, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen leben.“

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Der Bundespräsident fährt fort in seiner Berliner Rede: „Das Zusammenleben ist auch schwierig, und es ist anstrengend. Wer das leugnet oder nicht wahrhaben will, bleibt mit seinen Appellen zu mehr Toleranz, Freundlichkeit und Aufnahmebereitschaft unglaubwürdig. Es hilft nichts, vor Problemen die Augen zu verschließen oder allein schon ihre Beschreibung als Ausländerfeindlichkeit hinzustellen.“ Auch dem möchte ich mich an dieser Stelle anschließen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD — Abg. T e i s e r [CDU]: Das hat aber alles nichts mit dem Fall zu tun!)

Diese Zitate führen uns zu einer Bestandsaufnahme der Integrationsbemühungen in Sachen kurdische Libanesen in Bremen. Ich teile eine Haltung nicht, wie sie in einem Kommentar der „taz“ zum Ausdruck kommt, in dem zu dem Phänomen von kriminellen ausländischen Jugendlichen steht, ich darf

zitieren: „Verantwortlich für ihre Taten sind nicht sie, sondern ist die fehlgeschlagene Integration und Sozialpolitik deutscher Politiker.“

(Widerspruch bei der CDU)

Ich teile diese Ansicht nicht, hören Sie doch zu! Sie hören gar nicht zu, Sie sind so voreingenommen! Ich teile diese Ansicht ausdrücklich nicht.

(Abg. B o r t t s c h e l l e r [CDU]: Jetzt kommt der Hardliner durch!)

Wer Ausländer oder Migranten, wer Flüchtlinge genauso ernst nimmt wie Einheimische und wer sich gerade nicht rassistisch verhält, der kann sie nicht völlig von der Verantwortung für das, was sie tun, freisprechen und quasi ausschließlich die Verantwortung beim Fehlverhalten staatlicher Stellen und von Integrationsbemühungen sehen, sondern er muss auch, wenn er sie ernst nimmt, an ihre Verantwortung appellieren, für ihre eigenen Taten geradezustehen.

Das gilt auch, wenn natürlich staatliche Vorgaben, wie zum Beispiel das Arbeitsverbot von Flüchtlingen, einen wesentlichen Teil mit zu den Problemen beitragen und somit der Staat natürlich auch eine Verantwortung hat in diesem Bereich, und zwar keine kleine. An diesem Punkt gerade des Arbeitsverbotes ist ja auch Rotgrün auf dem guten Wege, inzwischen in Berlin eine Lösung zu finden.