Protocol of the Session on May 11, 2000

Das gilt für alle!

Ich finde, dies darf weder von Schülern noch von Lehrern toleriert werden, denn das gibt es auch, dass Lehrer ihre Schüler beleidigen. Ich glaube, ich habe jetzt genug gesagt. — Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächster erhält das Wort Herr Senator Lemke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte mit dem Satz beginnen, jede Gesellschaft hat die Schülerinnen und Schüler, die sie verdient.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich sehe und höre, was Herr Rohmeyer hier auch vorgetragen hat — in weiten Teilen konnte ich ihm zustimmen, wenn er zum Beispiel sagt, wie es mit dem Einfluss der Medien in unserer Gesellschaft ist —, so weiß ich aber nicht, ob es der richtige Adressat ist, an den Bildungssenator zu appellieren, dafür zu sorgen, dass keine gewalttätigen Filme mehr gesendet werden. Ich glaube, 77 Fernsehprogramme kann man mittlerweile relativ leicht zu Hause empfangen.

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Nur wenn man eine D-Box hat!)

Wenn man eine D-Box hat, kann man 77 Programme bekommen. Das ist so schlecht nicht. Glücklicherweise gibt es da auch Kultur- und Dokumentarfilme und nicht nur Fußball, um auch diesem Einwurf zu begegnen.

Dies ist der falsche Platz, das zu diskutieren. Ich teile völlig Ihre Auffassung, dass die Entwicklung von Gewalt auch darin liegt, dass wir in den Medien immer schlimmere Formen der Auseinandersetzung zwischen Menschen, zwischen Menschen und Sachen erleben. Das ist eine ganz ausgesprochen ungute Entwicklung. Ich stelle mich an Ihre Seite, dies zu bekämpfen, aber ob wir das vom Bremer Parlament aus erledigen können, stelle ich einmal ganz sicher in Frage.

Ich möchte Ihnen in zwei, drei begleitenden Punkten und dann auch in einigen Forderungen sagen, wie ich zu diesem Thema stehe. Ich glaube, dass wir unser Bewusstsein etwas dafür schärfen müssen, welche Rolle die handelnden Personen haben.

Ich fange einmal bei den Lehrerinnen und Lehrern an, weil sie einen besonders wichtigen Stellenwert haben! Ich selbst, das wissen Sie, habe vier Kinder und merke jedes Mal, wenn ein Kind wieder in die erste Klasse kommt, dass ich zu Hause in wichtigen Fragen nichts mehr zu sagen habe, weil der Lehrer oder die Lehrerin das absolute Vorbild ist. Diese Vorbildfunktion, meine Damen und Herren, ist möglicherweise in den letzten Jahren oder Jahrzehnten scheinbar ein wenig verloren gegangen. Ich wünsche mir, dass sich mehr Lehrer darüber im Klaren sind, welche wichtige Rolle sie im Leben der Schülerinnen und Schüler haben. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den ich in der Zukunft meiner bildungspolitischen Arbeit beachten werde, um diesen Vorbildcharakter unserer Lehrerinnen und Lehrer wieder etwas zu schärfen. Sie sind ein ganz wichtiger Punkt der erzieherischen Arbeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Zweitens, und das habe ich in diesem Haus schon einmal gesagt, aber angesichts dieser Debatte wiederhole ich es: Erziehung fängt nicht erst in der Schu

le an, sondern Erziehung muss zu Hause in der Familie ihr Fundament finden.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wenn wir den Kindern in der Familie das nicht mitgeben zusätzlich zu der Liebe und der Zuneigung — auch das muss ein Kind zu Hause erfahren an allererster Stelle, sonst kann es überhaupt kein Vertrauen, keine Mitmenschlichkeit in die Schule bringen, diese beiden Punkte sind für mich ganz wichtig —, erschwert es meines Erachtens die Arbeit der Lehrerschaft, wenn sie mit einem Mal feststellt, dass das Kind, das ihnen anvertraut wird, unheimliche Defizite mit sich bringt, wenn es in die Grundschule kommt und sich dann anschließend so entwickelt, wie es zum Teil hier, allerdings, meine ich, in etwas dramatischer Form, geschildert worden ist.

Ich sage das deshalb, weil ich das Problem der Gewalt weder verharmlosen noch dramatisieren möchte, wie Ihnen das in der Vorlage auch deutlich gemacht worden ist, wobei ich einmal von den Störungen absehe. Es ist nicht sehr geschickt, das miteinander zu verknüpfen, weil es Störungen des Unterrichts gibt, seit es die Schule gibt. Da kann ich Ihnen Texte aus der Literatur vorzeigen

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Pla- ton! Platon!)

oder auch ein paar eigene Erlebnisse. Da bin ich offen und ehrlich genug, da gibt es genügend Beispiele. Das, meine Damen und Herren, sollten wir nicht als Anlass für eine Parlamentsdebatte nutzen.

Etwas anderes, und da gebe ich Herrn Rohmeyer Recht, ist, wie wir den Problemen der Gewalt begegnen, gegen Sachen, Vandalismus, Graffiti beziehe ich mit ein, das ist zum Teil unerträglich, in welcher Form hier die Schüler sich austoben und unsere Lehrerinnen und Lehrer das auch zulassen.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen, es gibt Schulen in Bremen, da frage ich den Schulleiter — hier ist schon eine Schule genannt worden, jetzt will ich auch einmal sehr positiv die Reiherstraße nennen —: „Sagen Sie einmal, ich komme in Ihre Schule, ich sehe nicht ein einziges Graffito, ich sehe keinen Vandalismus. Wie schaffen Sie das?“ Da sagt er: „Moment einmal, wir erleben jeden Tag Formen von Vandalismus, aber jeden Tag gehe ich hin, nehme mir die Schüler und sage, dieser Vandalismus wird jetzt von uns gemeinsam beseitigt. Deshalb erleben Sie, wenn Sie morgens in die Schule kommen, keine Spuren von Vandalismus.“

Ich glaube, dieser pädagogische Ansatz ist richtig. Da, wo die Lehrer resignieren und nicht mehr

hinschauen, erleben wir eine Eskalation von Gewalt gegen Sachen und gegen Personen. Ich fordere die Lehrerschaft auf, und meine Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, die mich bei meinen Schulbesuchen begleiten, wissen das, dass ich sehr großen Wert darauf lege, immer wieder einzuschreiten, sich einzumischen, nicht wegzusehen, wenn verbal oder mit physischer Gewalt der vermeintlich Schwächere attackiert wird. Die Entwicklung unserer Schüler nimmt Schaden durch derartige Formen von Gewalt, sei es verbaler oder physischer Art.

Ich finde, wir müssen alle, Elternhäuser wie Lehrerschaft, darauf hinweisen, dass wir es nicht dulden, dass es weiter eskaliert, sondern dass wir alle Formen, die Sie in unserer Vorlage nachlesen können, weiter verstärkt in Angriff nehmen. Aber bitte, das sei auch gesagt, nicht immer nur mit dem Finger zeigen auf den Staat, sondern Erziehung und Bildung fangen zu Hause an!

(Beifall bei der SPD)

Jetzt zu einem Punkt von Ihnen, Herr Zachau, auf den ich auch antworten muss! Ich glaube, an den Schulen stand in den letzten Jahrzehnten, so ist mein Eindruck, häufig zu sehr im Vordergrund, dass Schule Spaß bringen muss. Ich glaube, es war ein falscher Ansatz zu glauben, dass Schule immer Spaß bringen muss.

(Beifall bei der CDU)

Meine Meinung von Schule ist, Schule muss auch damit verbunden sein zu lernen, dass Lernen mit Mühe verbunden ist,

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

dass es auch nicht nur immer Fun, Sensation, Kribbeln, Thriller sein muss, sondern dass es auch mit Fleiß und Verantwortung zu tun haben muss, um zu einer Identifizierung mit der Schule zu kommen. Diese fehlt mir an unseren Schulen. Ich sehe es in anderen Ländern viel stärker, dass man stolz ist auf seine Schule, dass man sich freut auf seine Schule. Das sind die Punkte, die mir zur Debatte jetzt eben noch eingefallen sind nach der Vorlage.

Jetzt zu meinen Forderungen! Das Erste ist, Herr Bürger, wir brauchen mehr junge Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen,

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

weil sie viel besser in der Lage sind, das, was ich eben beschrieben habe, umzusetzen. Das kann man nicht mit achtundfünfzig- oder zweiundsechzigjährigen Lehrern machen, die lebenslang einen tollen Job gemacht haben, aber jetzt nicht mehr in der Lage

sind, diesen Entwicklungen, Tendenzen und Kraftprotzen auf dem Schulhof zu begegnen, wenn sie sie eben erwischen mit einem Joint. Dann sehen sie eben weg, aber sie dürfen nicht wegsehen, sie sollen hingehen und ihnen den Joint aus dem Mund nehmen und sie zum Schulpsychologischen Dienst schicken.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Zweitens: Unterricht muss wesentlich zukunftsorientierter gestaltet werden! Wir müssen daran arbeiten, das habe ich gestern gesagt, dass die Naturwissenschaften deutlich anders unterrichtet werden, als unsere Lehrerinnen und Lehrer das vor 30 Jahren gelernt haben. Da bin ich der Meinung, auch hier besteht ein dringender Handlungsbedarf.

Ein anderer Punkt ist, wie wir eigentlich mit unseren Schülerinnen und Schülern und auch unseren Lehrerinnen und Lehrern umgehen! Ich sage Ihnen, der bauliche Zustand unserer Schulen, darüber ist oft diskutiert, geschrieben und berichtet worden, ist furchtbar.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

In der Tat, wenn ich mich in solchen Räumen befinde, dann entwickle ich mich auch in meinem eigenen Verhalten entsprechend. Es ist viel leichter, in einem Neubau Ordnung, Sauberkeit und eben keine Graffiti zu haben als in einer Schule, die vor Graffiti nur so strotzt, in der es keine Rolle spielt, ob da noch ein Klobecken aus reinem Frust abgetreten wird. Das gehört auch dazu, dass wir verpflichtet sind, unseren Schülerinnen und Schülern räumlich eine Anerkennung zu geben, die sich dann natürlich auch so darstellt, wie es heute zu mir ein Bremer Schulpsychologe in der Vorbereitung auf diese Sitzung gesagt hat, wir müssen auch den Schülerinnen und Schülern Respekt erweisen in diesem Zusammenhang. Wir dürfen nicht die Schülerinnen und Schüler als eine Last ansehen, der wir ausgesetzt sind, wenn wir in den Unterricht gehen. Wir müssen zu einem anderen Dialog in der Schule kommen.

Ein Punkt ist aber auch deutlich geworden in der Beantwortung: Die Institutionen müssen unbedingt auch weiterhin so wie bisher angefangen miteinander, gemeinsam und nicht ausgrenzend arbeiten. Ich lobe ausdrücklich die Polizei, die sehr vertrauensvoll mit Schulen zusammenarbeitet. Ich finde, das ist eine sehr positive Entwicklung in den letzten Jahren,

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

nicht nur mit dem KOB auf dem Schulhof, sondern sehr vertrauensvoll auch in Zusammenarbeit mit dem Schulpsychologischen Dienst.

Der letzte Punkt ist ein sehr wesentlicher! Ich bin der Auffassung, wir müssen in diesem Bereich unbedingt das Schulgesetz ändern.

(Abg. B ü r g e r [CDU]: Richtig!)

Die Konsequenzen, die ein Schüler nach einer Verfehlung zu erwarten hat, dauern mir viel zu lange.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Eine pädagogische Konsequenz muss immer zeitnah erfolgen. Es kann nicht angehen, dass ein Schüler die erste Verfehlung begeht, die zweite und die vierzehnte mittlerweile, ohne dass die Schulkonferenz zu einer Konsequenz gekommen ist!

Hier müssen die Schülerinnen und Schüler ganz deutlich spüren, dass es Grenzen gibt, auch wenn sie diese zu Hause vielleicht nicht erlernt haben. Diese Grenzen muss die Schule setzen, und der Schüler muss auch die entsprechenden Konsequenzen durch das Schulgesetz spüren. Hier habe ich Probleme bei der Umsetzung des Schulgesetzes. Wir arbeiten in der Deputation an einer Veränderung. Ich denke, das trifft auch genau das Thema.

(Beifall bei der CDU — Glocke)