Protocol of the Session on May 10, 2000

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort Bürgermeister Dr. Scherf.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat ja den Anschein, als ob Herr Dr. Kuhn gegen mich als einen, der sich da verirrt hat,

(Abg. F o c k e [CDU]: Er hat etwas ge- gen Sie!)

in der großen Sorge demokratischer und europäischer Parteinahme kämpft. Die Wahrheit ist völlig anders: Wir sind uns einschließlich der rotgrünen Länderkollegen, einschließlich übrigens auch der zuständigen grünen Europakollegen in den Ländern, auf einer gemeinsamen Linie einig. Ich mache das im Augenblick, weil ich nun routinemäßig Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz bin und die Aufgabe habe, diesen Konsens gegenüber der Bundesregierung, den Europäern und meinetwegen dann auch gegenüber Herrn Dr. Kuhn zu behaupten und durchzusetzen.

Jetzt der nächste Schritt: Wir sind uns auch einig mit der rotgrünen Bundesregierung. Der Verhandlungsführer dieser rotgrünen Bundesregierung, Christoph Zöpel, verhandelt schrittweise, Satz für Satz, Position für Position, Verhandlung für Verhandlung in der Regierungskonferenz in Abstimmung mit den Ländern.

Nun kommt das Dritte: Ich bin ja ein paar Mal im Gegensatz zu Herrn Dr. Kuhn wirklich in Brüssel ge

wesen und habe mit den Kommissionsmitgliedern geredet, er liest das alles nur aus der Zeitung.

(Unruhe — Abg. Frau L i n n e r t [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Die immer mit der per- sönlichen Denunziation! Wie nett!)

Wir sind uns auch einig mit dem Präsidenten der Kommission, Herrn Prodi, der sagt — —.

(Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen)

Ja, hören Sie doch einmal, was für eine absurde Position die zehn Abgeordneten der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft gegen das übrige öffentliche gesellschaftliche Leben, oder wie soll man es definieren, haben! Es ist schon absurd zu glauben, Sie könnten das alles übersehen!

Herr Prodi hat uns gesagt, ihr habt Recht, wir müssen die allgemeine Formel der Subsidiarität, die wir in Europa bisher gehabt haben, konkretisieren, sonst werden wir immer wieder erleben, dass diese Generalklausel nicht konkretisiert ist. Das ist die Quelle, aus der Haider seine Zustimmung holt! Wenn er dagegen arbeiten will, dann muss er zu einer schrittweisen Konkretisierung kommen. Er hat uns eingeladen, mit ihm gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten. Wir verhandeln im Augenblick wieder einen nächsten Termin in den nächsten Tagen, weil er einen ganzen Tag allein mit den deutschen Ministerpräsidenten deswegen verhandeln will. Wir wollen die positiven Erfahrungen des deutschen Föderalismus — leider ein bisschen kritisiert von Herrn Dr. Kuhn — als Exportschlager in Europa, zur Balance zwischen Zentrale und Dezentrale, als friedenstiftendes Konzept den anderen vermitteln.

Wir haben viele gute Unterstützer. Wenn Sie einmal nach Katalonien gehen, auch zu Ihren alten Freunden dort, dann werden Sie wissen, dass diese alten katalonischen Freunde, die ich übrigens auch sehr schätze, auf uns schauen, weil sie sagen, mit den Madrilenen haben wir große Schwierigkeiten. Wir wollen gern in eine schrittweise konkretisierte Selbständigkeit, genauso übrigens die Basken, Schotten,

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Was wollen Sie denn?)

die Leute in Wales. Wir haben jede Menge Verbündete in Europa! Wenn wir es klug machen, bekommen wir bei der auch von den Ministerpräsidenten der Länder gewollten Integration und Reform der Institutionen, über die wir Augenblick beratschlagen, in dieser Richtung eine Konkretisierung hin. Herr Herzog hat den Auftrag, an einem Grundgesetzkatalog für Europa zu arbeiten, auch da haben wir wieder Zugänge, das zu konkretisieren.

Ich rate auch all denen, die auf die Osterweiterung schauen: Passt auf, dass sich die EU vor der Osterweiterung qualifiziert, und zwar nicht, wie offenbar Herr Dr. Kuhn will, dadurch, dass das alles in Zukunft weiter nach Brüssel läuft, sondern dadurch, dass wir klar festgeschrieben für jedermann über die Kompetenzen in diesem reformierten und dann schrittweise erweiterten Europa — also integrative Entwicklung ja, Erweiterung ja —, bitte sehr eine differenzierte, anspruchsvolle Balance zwischen den Zentralisten, die sehen sich übrigens genauso, und den Dezentralisten verwirklichen.

Ich habe überlegt, warum macht ein Grüner eine solche Politik, wie Hermann Kuhn sie vorträgt. Ich habe von den Grünen immer gelernt, sie waren die Bewegung, die lokale Initiativen stützte, sie waren diejenigen, die vor Ort arbeiten wollten, die vor Ort ihre Legitimation hatten. Warum kommt jemand in völliger Abkehr von der Gründungsphilosophie plötzlich auf die Idee und sagt, alles Quatsch, das Heil Europas liegt allein und ausschließlich in der Zentrale?

(Abg. S c h r a m m [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Ich halte das für eine verzweiflungsvolle Oppositionspolitik in der Bremischen Bürgerschaft, aber nicht für eine konstruktive Europapolitik und nicht für eine konstruktive Beratung.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wir reden ja miteinander, wir reden ja konkret miteinander, und wir wollen natürlich vorankommen.

Jetzt noch einmal zu diesem Vorwurf, ich hätte das mit Hitler und mit Ulbricht verglichen! Das stimmt nicht. Ich habe gesagt, wir Deutschen, nicht die in Brüssel, wir Deutschen kommen aus der historischen Erfahrung von Zentralstaaten, und das stimmt! Das Grundgesetz ist die aufgeschriebene Antwort, verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Antwort auf die Katastrophe des nationalsozialistischen Zentralstaates. Wenn Sie nacharbeiten, was nach der deutschen Einigung als Antwort auf die Katastrophe des DDR-Zentralstaates gefunden worden ist, dann ist das die mit großem Konsens, ich jedenfalls habe das so erlebt und erlebe das bis heute, mit großem Konsens gefundene föderale Struktur.

Wir wollen wirklich den Leuten, die uns begleiten und sagen, wie kommt ihr damit klar, sagen, wir haben gelernt, wir Deutschen haben gelernt, wohin es führt, wenn man alles auf eine zentrale Macht setzt. Darum ist dieser deutsche Föderalismus nicht ein Diktat der Alliierten, sondern eine mit großer Zustimmung der Bevölkerung getragene Balance als Antwort auf solche gefährlichen zentralistischen Tendenzen. Es ist meine feste Überzeugung, es hat nichts

mit SPD, nichts mit CDU, nichts mit großer Koalition zu tun, das hat etwas mit dem verfassungspolitischen Konsens der Bundesrepublik zu tun. Das sage ich, ob Ihnen das passt oder nicht, allen, die sagen, Gefahren vor zentralistischen Machtapparaten kennen wir nicht, Hauptsache, die Sache funktioniert. Genau da an dieser Ecke muss man allen, die uns begleiten und die positive Erfahrung aus der Bundesrepublik vielleicht anderswo schrittweise einführen wollen, klar sagen, es geht nur in der Balance.

Jetzt sagt Hermann Kuhn, die wollen ja nur für die Landesregierung etwas herausholen; wenn sie für die Parlamente etwas herausholen wollen, dann wäre ich ja wieder dabei. Eben haben Sie gesagt, die denken gar nicht an Länderparlamente. Es geht um die Dezentralisierung. Natürlich kämpfen wir auch um Länderkompetenzen, das ist doch ganz klar. Also, wie man sich so blind machen kann, das ist mir völlig rätselhaft. Wir kämpfen, dass der Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes, der nicht von irgendwo herkommt, sondern der die konkrete Antwort auf totalitäre vorangegangene Erfahrung ist, dass dieser Katalog und die Praxis, die natürlich auch im Interesse von Länderparlamentskompetenzen hochgehalten werden muss, modifiziert, aber bitte sehr auf der europäischen Ebene durchgesetzt wird, und dies natürlich auch in Ihrem Sinne. Wir Ministerpräsidenten kämpfen doch nicht für unsere Mitarbeiter oder unsere Administration, sondern wir kämpfen für die Struktur, wir kämpfen für die dezentrale Struktur, wir kämpfen für die Kompetenzen der Länder.

Was Sie machen, Herr Kuhn, ist, dass Sie an Ihrem eigenen Stuhl sägen!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das ist doch gut, dass das noch einmal auf diesen Punkt kommt, weil das in der Tat der Kernpunkt ist. Wer glaubt, er könne die europäische Integration machen und auch so, wie ich sie für notwendig halte, weiterführen, ohne sich selbst zu ändern und ohne ein bisschen seinen Stuhl niedriger zu machen oder ihn kleiner zu machen, etwas abzugeben, der irrt eben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das können Sie nicht beides gleichzeitig machen, das ist die Debatte gewesen, die die Europa-Skeptiker und die, die gezögert haben, immer geführt haben. Sie haben gesagt, ja, seid ihr denn verrückt, ihr gebt das ja weg, eure eigenen Chancen, eure eigenen Möglichkeiten gebt ihr doch weg woandershin, ihr nehmt euch doch die Existenzgrundlage. Das war

die Diskussion von Europa-Skeptikern von Anfang an. Das ist so, aber es geht doch nicht anders, und zwar deswegen nicht, weil wir irgendwie nicht patriotisch wären oder sonst etwas, sondern weil bestimmte Dinge nicht mehr hier im Rahmen eines einzelnen Landes zu klären sind!

(Abg. D r. S c h u s t e r [SPD]: Das ist nichts weiter als ein mechanistisches Den- ken!)

Mechanistisches Denken! Ich meine, wir müssen jetzt die einzelnen Politiken durchdiskutieren. Herr Scherf hat ja Recht, es muss eine Balance geben, selbstverständlich, auf solche Allgemeinplätze kann ich mich gern verständigen, und Sie werden mich nicht darauf bringen, dass ich sage, ich trete dafür ein, dass wir mehr Europa machen, Sie dafür weniger. Auf der Ebene läuft das nicht! Wir diskutieren konkret, was steht zur Debatte, was wollen die Länder behalten beziehungsweise wieder zurückbekommen, und da sage ich konkret und gerade an den Fällen, die Herr Neumeyer genannt hat, das will ich nicht, weil ich es nicht für adäquat und angemessen und nicht gut für die Menschen hier im Land halte. Sie müssen schon sagen, meinen Sie mit den Ländern das, was die SPD-Kollegen angedeutet haben oder meinen Sie das, was Herr Neumeyer will!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Was wollen Sie denn eigentlich mit den Ländern erreichen? Das habe ich nach wie vor nicht ganz verstanden. Ich rate Ihnen ganz generell, Herr Bürgermeister, versuchen Sie doch einmal, ein bisschen weniger über die Grünen zu reden, sondern über die Sache!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das ist immer schlecht, wenn Sie in Ihrer Funktion sich hier als Schulmeister aufführen. Was ich gar nicht richtig finde, ist, dass Sie hier Äußerungen zitieren offensichtlich aus einem Gespräch mit Herrn Prodi, die er weder dementieren noch bestätigen kann, dass Herr Prodi nun gesagt haben soll, diejenigen, die Europa weiter aufbauen wollen, die Europa-Romantiker oder die Leute, die irgendwie das romantisch sehen, seien Schuld an Haider. Ich meine, das ist schon ziemlich schwer wiegend, und Sie sollten sich hüten, hier in der Debatte Dinge zu behaupten, was Herr Prodi gesagt hat, was Sie so jedenfalls öffentlich noch nicht nachweisen können! Das ist wirklich ein ziemliches Ding.

Ich habe jedenfalls aus der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht gelernt, dass die Europa-Skepsis es verhindert hat, dass hier rechtsradikale Strömungen mit Europa ihr Geschäft haben machen können, sondern im Gegenteil, ich habe gelernt, dass Leute wie

Kohl und Helmut Schmidt, die keinen Zweifel daran gelassen haben, dass es weitergehen wird in Europa, es verhindert haben, dass solche Stimmungen hier in breitem Maße Raum gegriffen haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Da waren wir uns eigentlich einig. Ich bitte Sie ganz herzlich, wir können uns gern in der Sache darüber streiten, was wir hier wirklich als Reservat der Länder haben wollen, was nicht, da sind wir unterschiedlicher Auffassung, und die Art und Weise, wie Sie das eingefädelt haben, halte ich für überzogen und in manchen Begleitäußerungen für schädlich, und ich glaube auch, dass es keinen Erfolg haben wird entgegen Ihrer Meinung konkret in den Verhandlungen bei der Konferenz, aber hören Sie auf damit, eine politische Auffassung womöglich direkt oder indirekt verantwortlich zu machen für Dinge, die zum Beispiel jetzt in dem Erfolg der HaiderPartei liegen! Das ist einfach eine Sache, die unmöglich geht. Ich will da nicht mit einer Retourkutsche reagieren, ich sage Ihnen nur, lassen Sie das bitte, und bringen Sie da nicht Leute mit in die Diskussion, die sich hier nicht selbst wehren und das nicht richtig stellen können!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Aussprache geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kenntnis.

Europa-Förderung im Lande Bremen

Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 22. Februar 2000 (Drucksache 15/218)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 11. April 2000