Protocol of the Session on March 23, 2000

Er sagt: „Meine These hierzu ist, es geht in den Debatten gar nicht um die ehrenamtlichen und realen bürgerschaftlich Engagierten, sondern es geht um die Wirkung, die von einem Diskurs um sie ausgehen soll. Die Verbände propagieren Ehrenamtlichkeit, um ihre Bürgernähe zu demonstrieren und also

ihre strukturelle Überlegenheit gegenüber den neuen Marktanbietern zu demonstrieren. Sie wollen mehr Förderung, also mehr Geld, aber nicht, um freiwilliges Engagement zu fördern, sondern um Marktanteile zu sichern und zu vermehren.“

(Glocke)

Darf ich den letzten Satz noch, denn der ist etwas länger?

Ja!

„Die Politik“, und jetzt geht es um uns, „propagiert bürgerschaftliches Engagement als Begleitmusik zu ihrer Privatisierungs- und Deregulierungspolitik. Nicht die paar tausend Menschen, die durch Modellprogramme, politische Reden und öffentliche Ehrungen womöglich zusätzlich geworben werden könnten, sind Adressaten des politischen Interesses, sondern die Millionen, die davon überzeugt werden müssen, dass private Vorsorge gerecht, dass Sozialabbau notwendig ist, dass Anspruchsdenken schädlich ist und Lohnabbau Arbeitsplätze sichert. Nur deshalb macht sich der Staat gegenwärtig zum Spitzenverband des bürgerschaftlichen Engagements.“ Dass etwas daran ist, das konnte man auch an der Debatte hier heute bemerken. Ich finde nicht, dass Herr Blandow damit total Recht hat, aber es liegt an uns allen, auch an der Art und Weise, wie wir die Debatte darüber führen, ob er Recht bekommt und man damit den Ehrenamtlichkeits- und Freiwilligendiskurs in ein parteipolitisches Gezerre zieht und ihm damit einen schlimmen Bärendienst erweist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Steinberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In einer Beziehung gebe ich Frau Linnert völlig Recht: Die ältere Generation braucht keine Sonntagsreden. Das kann ich nachvollziehen. Da habe ich die gleiche Meinung, aber in vielen anderen Dingen nicht. Seniorenarbeit heißt nicht Arbeit nur miteinander, Seniorenarbeit heißt auch, miteinander zu reden und zu handeln, und noch eines möchte ich hinzufügen: Die ältere Generation hat nach dem zweiten Weltkrieg mit anderen zusammen die Menschenrechte in Deutschland formuliert. Sie sind heute so alt, dass Sie davon noch profitieren. Aber das eine muss klargestellt werden: Diese Generation hat in diesem Fall viel für dieses Land getan!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Sie haben vorhin, Frau Linnert, von der Seniorenvertretung mit der Halbtagskraft gesprochen. Sie haben es auf eine gewisse politische Linie geführt. Das ist nicht richtig. Im Altenplan steht genau diese Position ausgeschrieben. Deswegen bitte ich Sie, in dieser Beziehung keinen parteipolitischen Touch hineinzubringen, sondern es da zu lassen, wo es ist, in der sachlichen, normalen Schrift! Da ist die Senatorin gefordert, dafür zu sorgen, dass diese Position entsprechend dann auch ausgewiesen wird. (Beifall bei der CDU)

Dann möchte ich noch eine Anmerkung machen zu dem Kollegen Pietrzok. Herr Pietrzok, um eines bitte ich: Das Wort „verlottert“ für eine Generation bitte ich hier in diesem Hause doch nicht noch einmal zu gebrauchen!

(Beifall bei der CDU — Abg. T i t t - m a n n [DVU]: Richtig!)

Ich verstehe ja, dass man formulieren muss und dass man manchmal auch Schwierigkeiten hat im Formulieren,

(Widerspruch bei der SPD)

aber dieses Wort halte ich absolut für unwürdig!

(Beifall bei der CDU — Glocke)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pietrzok?

Bitte, Herr Pietrzok!

Herr Steinberg, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich das Wort nicht in der Weise gebraucht habe, dass damit Senioren direkt assoziiert werden sollen?

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß nicht, über welche Generation Sie sonst gesprochen haben. Das tut mir Leid, dass ich das so formulieren muss.

(Beifall bei der CDU — Abg. P i e t r z o k [SPD]: Also nicht?)

Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich zu Frau Linnert noch einmal kommen. Sie sprachen von Scheinheiligkeit. Wissen Sie, das Würdigen von älteren Menschen hat wirklich nichts mit scheinheilig zu tun! Ich habe noch niemals etwas mit Scheinhei

ligkeit zu tun gehabt und werde es auch in Zukunft in einer Diskussion mit älteren Menschen niemals tun! Darauf können Sie Gift nehmen!

(Beifall bei der CDU)

Jetzt möchte ich noch einmal eine Bemerkung über etwas machen, was ich hier doch durchaus für wichtig halte. Zu dem, was Sie vorhin gesagt haben, glaube ich, werden Sie genau das Gegenteil erleben, wie wir Arbeit für Senioren gemacht haben, das heißt die große Koalition. Ich gehe sogar ein bisschen weiter zurück.

Vor zehn bis zwölf Jahren wurden unter anderem folgende Themen in dieser Bremischen Bürgerschaft diskutiert: erstens: „Weiterbildung älterer Menschen“, zweitens: „Lebenssituationen älterer Menschen in Bremen“, drittens: „Suizidgefährdung älterer Menschen“, viertens: „Einrichtung eines Studienschwerpunktes Seniorensport“, fünftens: „Modellprogramm Seniorenbüros“, sechstens: „Gewalt gegen alte Menschen in Familien“, siebtens: „medizinische und soziale Rehabilitation im Alter“, achtens: „Ehrenamt und Freiwilligenarbeit im Lande Bremen“, das heißt sechsmal Themen über die neue Seniorenpolitik und zweimal überwiegend Themen über Gesundheitsprobleme älterer Menschen. Zu den neuen seniorenpolitischen Themen ergriff überwiegend die CDU die Initiative, zu den gesundheitspolitischen Themen war es die SPD. Ich habe aber keine Initiative der Grünen erlebt. Es tut mir Leid, dass ich das so sagen muss!

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, in einem Debattenbeitrag zum Thema medizinische und soziale Rehabilitation erklärte die Abgeordnete Frau Hammerström am 28. August 1996 sinngemäß unter anderem, dass der Anteil der älteren Abgeordneten nicht ihrem Anteil in der Gesellschaft entspricht. Das kann ich voll unterstützen, was Frau Hammerström damals gesagt hat.

(Abg. Frau H a m m e r s t r ö m [SPD]: Da war ich auch noch jünger!)

Ich habe mir daher erlaubt, einmal ein bisschen Statistik zu betreiben und einmal Zahlen darzulegen, wie das hier eigentlich aussieht im Hause. Ich nehme einmal die Legislaturperiode 1959 bis 1963. Mit Beginn der damaligen Legislaturperiode gab es hier im Parlament 22 Abgeordnete, die älter als 60 Jahre waren, Zugänge in der Periode waren neun, so dass zuletzt 31 Abgeordnete mit mehr als 60 Jahren tätig waren. Der Bevölkerungsanteil im Alter über 60 Jahre betrug 17 Prozent.

Jetzt komme ich zur Legislaturperiode 1999 bis 2003. Abgeordnete in einem Alter über 60 Jahre wa

ren in dieser Legislaturperiode zunächst nur drei, alle von der CDU, SPD null, Grüne auch null. Als Zugänge bis zum Ende der Periode kommen voraussichtlich hinzu: CDU sieben, SPD vier, Bündnis 90/ Die Grünen null. Das macht zusammen elf Zugänge. Insgesamt haben wir dann in dieser Legislaturperiode 14 Abgeordnete, die älter als 60 sind.

(Abg. F o c k e [CDU]: Woher kommen die denn?)

In Prozenten bedeutet das für die SPD vier Abgeordnete von 47, das sind knapp zehn Prozent, CDU zehn Abgeordnete von 42, das macht, man höre und staune, 24 Prozent,

(Beifall bei der CDU)

Bündnis 90/Die Grünen null Abgeordnete von zehn, da verbleibt nun einmal null. Der Bevölkerungsanteil im Alter über 60 Jahre beträgt 24 Prozent. Nun wissen Sie, wo das Spiegelbild der Gesellschaft ist. Wir haben unseren Beitrag geleistet, und ich fordere auch die anderen auf, das wenigstens annähernd zu realisieren.

(Beifall bei der CDU)

Interessant ist, dass der Anteil der Wahlberechtigten bei der älteren Bevölkerungsgruppe jetzt 35 Prozent beträgt. Ich möchte aber eines nicht vergessen. Sie haben ja heute auch Zeitung gelesen, ich brauche das nur inhaltlich zu sagen, und ich komme darauf zurück, was wir hier gestern formuliert haben, das gehört einfach in diese Debatte hinein. Wir haben von Fußfesseln gesprochen. Ich bitte darum, Sie alle haben das wohl in der Zeitung gelesen, wie groß dieses Ding ist, die meisten Menschen haben unter Fußfesseln etwas verstanden, was man im Mittelalter benutzt hat, aber ich finde, dass diese Formulierungen nicht so gebraucht werden dürfen!

Es handelt sich um so ein kleines Ding, das im Absatz eines Schuhs eingebaut werden kann. Es dient dazu, Menschenleben zu erhalten und Menschen nicht in Probleme kommen zu lassen. Das muss im Vordergrund stehen! Ich bitte auch darum, dass zukünftig das in dieser Richtung schnellstmöglich korrigiert wird und dass wir solche Themen nicht mehr in solcher Form öffentlich anfassen, denn Sie haben gemerkt, was das heißt, dass sie in diesen Stätten, wo sie angewendet worden sind zum Wohle dieser Menschen, nun zurückgezogen worden sind! Ich hoffe, dass nichts passiert, und ich glaube, das tun Sie wohl alle zusammen.

(Beifall bei der CDU)

Nun komme ich zum Jahr 2030, das kann ich nicht ausklammern. Laut Modellrechnung der Bevölke

rungsentwicklung beträgt der Anteil der über 60 Jahre alten Menschen im Jahr 2030 zirka 35 Prozent. Zu der Prozentzahl der Wahlberechtigten möchte ich keine Angaben machen. Ich überlasse das Ihrer Phantasie, ob da eine vier oder eine andere Zahl vorn steht.

In diesem Zusammenhang möchte ich die Aussagen von zwei Personen zitieren dürfen. Die erste Person ist Heidi Schüller. Sie sprach 1972 bei den Olympischen Spielen den Eid für die aktiven Sportler, 30 Jahre später forderte sie als Ärztin sinngemäß unter anderem, dass ältere Menschen ab einem bestimmten Alter nicht mehr wählen sollen oder dürfen. Ich finde, das ist eine Diskriminierung. Auch wir Deutschen haben Vergangenheit.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, der ehemalige Präsident der Bundesärztekammer sprach sogar von einem sozial verträglichen Ableben. Derartige Äußerungen halte ich für sehr gefährlich, weil sie einen Nährboden schaffen und für Spekulationen sämtliche Türen und Tore öffnen. Das kann und darf es nicht sein! Hier wird der Generationsfrieden erheblich gestört, wenn solche Diskussionen geführt werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, in meinem ersten Redebeitrag sprach ich bereits Integrationsprobleme älterer Menschen an. Konkret bedeutet das für mich und für die Seniorenpolitiker, dass wir uns verstärkt für eine Stellenwertverbesserung der Älteren einsetzen müssen. Hierzu gehören auch die Menschen, die weder behindert noch krank sind, eben nur älter sind und in völlig normalen Wohnverhältnissen leben. Meine Damen und Herren, es handelt sich um über 80 Prozent unserer Mitmenschen.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage immer zu diesen Menschen, Herr Pietrzok wird das bestätigen — wir hatten gestern ja die ASB gehabt, leider war von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen keine Abgeordnete oder kein Abgeordneter anwesend, aber das muss ich nicht bewerten, das müssen andere tun —, jedenfalls habe ich gestern Folgendes zu den Senioren gesagt: Sagt nicht immer gleich und zu oft danke schön, sagt auch den Mitmenschen einmal eure Meinung! Sagt auch denen die Meinung, die in der Öffentlichkeit über Abwertung der Alten, Altenplage und anderes reden! Ja, mit Selbstbewusstsein auftreten, dann kann vieles erreicht werden! Das habe ich ihnen empfohlen.