Herr Präsident, wenn man auf der Liste steht, muss man also auch hier reden, oder wie verstehe ich das jetzt für das nächste Mal? Ich hätte Frau Hoch gern den Vortritt gelassen, wir verständigen uns da immer. Es ist aber auch nicht das Thema!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bereits 1971 hat die Weltgesundheitsorganisation mit dem Programm „Gesundheit für alle“ das Ziel definiert, den Alkoholkonsum weltweit um 25 Prozent zu senken. 1992 wurde diese Forderung im europäischen Aktionsplan Alkohol erneuert, und 1997 hat die Gesundheitsministerkonferenz einen einstimmigen Beschluss zum Aktionsplan Alkohol gefällt. Die SPDFraktion hatte dies seinerzeit zum Anlass genommen, eine Große Anfrage zu stellen, um das Thema „Gesundheitsgefahr durch Alkoholmissbrauch“ in diesem Hause zu debattieren.
Damals wurde uns vorgeworfen, dass wir die Debatte unter dem Stichwort Aktionsplan Alkohol führten. Die Opposition empfand dies seinerzeit als er_______
heiternd, und wie Sie in dem Protokoll auch nachlesen können, war die Debatte für einige auch etwas erheiternd. Der Koalitionskollege von der CDU warf uns seinerzeit vor, dass wir keinen eigenen Antrag zu diesem Thema eingebracht hätten. Die Kollegen, die damals dabei waren, können sich erinnern, die CDU hatte den Ansatz, die Alkoholabhängigen unter den Rathausarkaden zu vertreiben, wir hatten einen gesundheitspolitischen Ansatz. Deshalb ist damals kein eigener Antrag zustande gekommen. Umso mehr bin ich froh, dass wir es jetzt geschafft haben, mit allen Fraktionen einen Antrag vor allen Dingen unter dem Stichwort Aktionsplan Alkohol hier einzubringen.
Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass in den 18 Monaten, von der letzten Debatte bis heute, etwas mehr passiert wäre, vielleicht macht unsere gemeinsame Initiative einigen ja jetzt Mut, dieses Thema etwas mehr nach vorn zu bringen.
In der Zwischenzeit hat auch die rotgrüne Bundesregierung dem Thema Alkohol einen, ich glaube, ihr angemessenen Stellenwert beigemessen, so dass auch auf Bundesgesetzebene das eine oder andere in Bewegung gebracht und zum Positiven gewendet werden kann. Die Antwort auf unsere Große Anfrage liegt Ihnen schriftlich vor, Frau Kollegin Sauer hat schon auf einiges hingewiesen, daher möchte ich mich jetzt eigentlich nur auf die Forderungen des Aktionsplans Alkohol, den wir ja heute mit diesem Antrag aller drei Fraktionen unterstützt haben, beschränken.
Erstens: Der Alkoholverbrauch soll insgesamt gesenkt werden, um somit auch negative Folgewirkungen zu reduzieren. Daher brauchen wir die Initiierung von Programmen, Maßnahmen und Projekten in Familie, Schule, Arbeitsplatz und Freizeitvereinen. Die Prävalenz des schädlichen Alkoholkonsums ist zu verringern. Die Förderung der so genannten Punktnüchternheit steht für uns als Sozialdemokraten ganz oben an. Ich komme gleich zu der Punktnüchternheit! Es ist, glaube ich, nicht das Ziel, eine absolut alkoholfreie Gesellschaft herstellen zu wollen, sondern in bestimmten Verhaltensweisen oder an bestimmten Orten, nämlich die so genannte Punktnüchternheit.
Für alle im Selbsthilfebereich Tätigen ist das eigentlich ein Stichwort, das jeder kennt. Die Gesellschaft suggeriert nämlich durch indirektes oder direktes Verhalten, zu jeder sich bietenden Gelegenheit alkoholhaltige Getränke zu konsumieren. Durch Werbung geschieht dies teils aggressiv und offensiv. Um diesem Trend entgegenzuwirken, ist ein breiter gesellschaftlicher Konsens erforderlich, der nämlich alkoholfreie Zeiten, alkoholfreie Orte und Personengruppen bestimmt und ihre Einhaltung durch soziales Verhalten regelt.
Punktnüchternheit in diesem Sinne, ich habe schon eben darauf hingewiesen, bedeutet Alkoholfreiheit am ungeeigneten Ort, beispielsweise am Arbeitsplatz, in der Schule, zur ungeeigneten Zeit, beispielsweise beim Führen von Pkw, für bestimmte Personengruppen, nämlich Schwangere oder bewusst abstinent lebende Menschen, und in bestimmten Situationen, beispielsweise bei Sportveranstaltungen, die durch Alkoholkonsum Gewalttätigkeiten fördern könnten.
Ich schließe mich der Forderung der Guttempler uneingeschränkt an. Sie fordern eine Imagekampagne für die Punktnüchternheit. Weitere Forderungen des Aktionsplans Alkohol, und ich weise noch einmal darauf hin, den wir hier einstimmig mit diesem Antrag heute gefordert haben, sind null Promille im Straßenverkehr. Alkoholunfälle haben erfreulicherweise abgenommen. Das hat auch etwas mit der 0,5-Promille-Grenze zu tun. Ich denke, viel Leid in dieser Welt könnte verhindert werden, wenn wir es schafften, 0,0 Promille beim Führen von Pkw, was in anderen Ländern teilweise längst gang und gäbe ist, auch hier einzuführen.
Im Sinne der Punktnüchternheit sollte sich die Gesellschaft einig sein, dass eine Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkohol eben kein Kavaliersdelikt ist, sondern ein Verbrechen an Leib und Leben.
Weitere Forderungen, die wir hier heute nur anskizzieren können, die wir aber sicherlich in der Deputation und auch nach dem Bericht des Senats noch weiter vertiefen werden, die Kollegin Sauer ist darauf eingegangen, dass uns dieses Thema sicherlich noch eine Weile beschäftigen wird, sind die Verbesserung der Kontrolle zur Einhaltung bestehender Gesetze zum Jugendschutz und zur Verkehrssicherheit, Intensivierung der Suchtforschung, eine Imagekampagne zur Aufwertung alkoholfreier Lebensweisen und Lebensbereiche. Ich nenne nur die Stichworte Kindheit, Schwangerschaft, Verkehr und Arbeitswelt, die ich schon angeführt habe. Nicht nur der Senat ist aufgefordert, dem Thema Alkohol einen breiten Rahmen einzuräumen. Ich freue mich, dass die rotgrüne Bundesregierung jetzt auch hier beispielsweise dem Thema Werbungsverbot bei bestimmten Sportveranstaltungen oder Ähnlichem einen breiteren Raum einräumen wird.
Vor kurzem noch belächelt, werden Warnhinweise auf Schnapsflaschen analog zu Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln bald zum Alltag gehören. Nur ein paar Stimmen dazu, ich darf zitieren den Geschäftsführer der deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren: „Unsere Gesellschaft fordert seit Jah
ren Warnhinweise. Alkohol ist ein Rauschmittel, dessen Konsum gefährliche Folgen haben kann.“ Oder der Vorstandsvorsitzenden der AOK in Bayern: „Maßvoller Genuss ist nicht das Thema, sondern Alkoholmissbrauch. Er zerstört die Gesundheit. Warnhinweise auf Schnapsflaschen sind deshalb wichtig.“
Zum Schluss noch die weiteren Ziele des Aktionsplans Alkohol: Einschränkung der Alkoholwerbung, das sagte ich bereits, Konsumreduzierung über die Preis- und Steuerregulierung, Ausbau der Suchtforschung, Aus-, Weiter- und Fortbildung der niedergelassenen Ärzte und Krankenhausärzte, auch hier kann noch viel getan werden, Stärkung der Gesundheitsdienste.
Das Fazit, lassen Sie mich das ganz kurz zusammenfassen! Die Vorschläge, die bereits vor eineinhalb Jahren auf dem Tisch lagen, müssen nun, Frau Senatorin, endlich umgesetzt werden. Eine Verhaltensänderung in der Gesellschaft ist nur sehr langsam zu verwirklichen. Da aber Wirkungen erst nach langer Zeit spürbar werden, nimmt die Schulung von und die Zusammenarbeit mit Multiplikatoren einen hohen Stellenwert ein. Als Multiplikatoren, ich glaube, diese Diskussion hatten wir gestern im Bildungsbereich auch, wirken vor allem Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, das Personal im Gesundheitswesen, Mitarbeiter in der offenen und verbandlichen Jugendarbeit, wichtiger aber ist immer noch die Vorbildfunktion der Eltern!
Die SPD-Fraktion erwartet vom Senat eine zügige Vorlage unserer Forderungen bis Ende März, wie die Ziele und Forderungen des Aktionsplans Alkohol in Bremerhaven und Bremen umgesetzt werden können. Wir werden ein waches Auge darauf haben, Frau Senatorin, dass nicht erst wieder 18 Monate ins Land gehen, dass wir hier einen Schritt weiterkommen. — Ich danke Ihnen!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Suchtkrankheiten sind eines der größten sozialen und medizinischen Probleme unserer Zeit, und ich rede hier bewusst von Suchtkrankheiten, weil der Alkoholmissbrauch nicht isoliert betrachtet werden kann, denn ein Großteil der Alkoholkranken ist mehrfach abhängig. Deshalb ist es auch sinnvoll, dass in Bremen und Bremerhaven dieser Zusammenhang in den Suchtkrankenplänen benannt wird.
Ich möchte, meine Damen und Herren, in meinen Ausführungen nicht noch einmal die Zahlen wiederholen, die in der Antwort des Senats genannt werden. Die Zahlen sind uns bekannt, sie sind nachlesbar, und die Dunkelziffer ist überaus hoch.
Meine Redezeit möchte ich dazu nutzen, um zu diesem Thema erstens auf die Zielsetzungen von Bündnis 90/Die Grünen hinzuweisen und zweitens, das ist mir besonders wichtig, die betroffenen Gruppen in den Vordergrund zu stellen, das sind nicht nur die Suchtabhängigen, meine Damen und Herren, das sind genauso ihre Frauen, ihre Ehemänner, ihre Familien, Jugendliche und Kinder.
Von Suchtstoffen abhängig zu sein ist eine ernst zu nehmende Erkrankung. Fast ebenso wie die Betroffenen leiden die Familien, der Freundeskreis, das ganze soziale Umfeld unter den Begleiterscheinungen. Wir wissen, dass besonders die Kinder unter den Folgen des Alkoholkonsums in den Familien leiden, Kinder, die in den entscheidenden Jahren ihrer eigenen Entwicklung sind. Der Schritt als Jugendlicher zu legalen und illegalen Drogen ist dann sicherlich nicht mehr weit. Deshalb muss in die Suchttherapie die ganze Familie einbezogen werden.
Wir haben hier in der letzten Sitzung in der Bürgerschaft über häusliche Gewalt debattiert, meine Damen und Herren. In vielen Fällen, in denen es zur Gewaltanwendung an Frauen und Kindern kommt, ist dies unter Alkoholeinfluss geschehen. Die aggressionshemmende Wirkung von Alkohol spielt hier eine wesentliche Rolle. Viele Kinder und Jugendliche erleben diesen Umgang als Normalität. In Familien, in denen Eltern Alkohol konsumieren, trinken später auch fast 95 Prozent der Kinder.
Es gibt jedoch in Bremen und Bremerhaven zurzeit kein Projekt, das sich speziell um Kinder und Jugendliche mit ihren Alkoholproblemen kümmert. Viele mit Suchtmittelgebrauch auffällig gewordene Jugendliche benötigen nicht eine Langzeittherapie im herkömmlichen Sinn. Hier fehlen eindeutig kurzfristige Unterbringungsmöglichkeiten sowie eine Vernetzung mit dem bestehenden Suchthilfesystem.
Die fehlende Kooperation und die mangelnde Vernetzung wird in beiden Suchthilfeplänen in Bremen sowie auch in Bremerhaven kritisiert. Eine langfristige Planung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für erforderliche Aktivitäten und ein Ausbau der Hilfeleistungen sind nicht möglich. Warum nicht? Weil die Finanzierung von Selbsthilfegruppen und Institutionen nur immer kurzfristig oder projektbezogen erfolgt! Hier werden ständig Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter bei ihrer verdammt schweren Arbeit noch persönlich mit ihrer beruflichen Existenz belastet. In Bremerhaven ist die Stelle des Suchtkoordinators nur noch zu einem Drittel besetzt. Dazu kommt, dass der Mitarbeiter in absehbarer Zeit in Rente gehen wird. Das sind keine guten Voraussetzungen für eine langfristige Planung.
Doch auch Positives muss hier an dieser Stelle genannt werden, meine Damen und Herren. Zurzeit ist die Zusammenarbeit zwischen den ambulanten und stationären Einrichtungen in Bremerhaven gut. Das Projekt des Case-Managers, gefördert durch das Bundesgesundheitsministerium, hat dies bewirkt. Hier wird ein individuelles Hilfsangebot für Abhängige, die sonst durch Angebote nicht erreichbar sind, erarbeitet. Im stationären Bereich hat dieses Projekt eine häufige Wiederaufnahme von Abhängigen vermieden, doch das Projekt wird Ende 2000 auslaufen. Das heißt, dass in Bremerhaven wahrscheinlich 2001 der zu beklagende Urzustand wieder hergestellt wird. Es muss endlich aufhören, meine Damen und Herren, dass nur projektbezogen gedacht wird.
Eine rechtzeitige Evaluation und eine Übernahme von positiven Ergebnissen müssen vorangetrieben werden. Projekte für eine Behandlung und eine Prävention dürfen keine Eintagsfliegen sein. 1990 wurde im Suchthilfeplan unseres Bundeslandes festgeschrieben, dass der Schwerpunkt der bremischen Suchtprävention in der Stadtteilarbeit liegt, und zwar hier in der Verbindung von Schule und außerschulischen Institutionen.
In der Mitteilung des Senats vom 7. Juli 1998 wird diese Aussage weiterhin bestärkt. Es wird gesagt, dass die im Bereich der medizinischen Basisversorgung liegenden Chancen zur Verbesserung der Suchtkrankenhilfe genutzt werden müssen. Das heißt, dass regionale Verbundsysteme geschaffen werden müssen, in denen niedergelassene Ärzte, Allgemeinkrankenhäuser und die Suchtkrankenhilfe zusammenarbeiten. Außerdem sollten Selbsthilfegruppen stärker in die psychosoziale Unterstützung und Stabilisierung von Suchtkranken einbezogen werden. Diese Zielsetzungen unterstützen wir vom Bündnis 90/Die Grünen ausdrücklich.
Wenn ich mir die Zeitpunkte dieser Zielsetzungen, 1990 und noch einmal 1998, ansehe, muss ich zu dem Schluss kommen, dass es hier wohl gravierende Umsetzungsprobleme gibt, meine Damen und Herren. Wenn einerseits die Arbeit der Selbsthilfegruppen als wichtig angesehen wird, und das stimmt, das ist richtig, ist es nicht zu verstehen, wenn ihnen der finanzielle Teppich unter den Füßen weggezo
gen wird. Ein grundlegender Mangel in der Suchtkrankenhilfe in der Bundesrepublik sowie in Bremen und Bremerhaven besteht darin, dass die Hilfe einen Teil der Kranken überhaupt nicht erreicht, und zwar einen großen Teil. Das sind besonders die chronisch Kranken. Diese chronisch Kranken werden auch zu Recht die vergessene Mehrheit genannt.
Im Frühjahr vor zwei Jahren hat es hier von der senatorischen Dienststelle eine Fachtagung zu diesem Thema gegeben. Darin wurde thematisiert, dass 85 Prozent der Abhängigen von den herkömmlichen Komm-Angeboten in der Suchthilfe nicht erreicht werden. Das heißt, dass die Versorgungsstruktur vor allem diejenigen aufnimmt, die schon Krankheitseinsicht und ausreichende Stabilität haben, denn nur die kommen. Für die anderen, die am schwersten betroffen sind, gibt es kaum Angebote. Das sind hier in Bremen und Bremerhaven die vielen Menschen, die in desolaten Wohnverhältnissen leben, isoliert und anonym, immer mit dem Versuch, gesellschaftlich nicht aufzufallen. Sie trinken in den eigenen vier Wänden.
Wenn wir davon ausgehen, dass 75 Prozent von ihnen einmal im Jahr in niedergelassenen Krankenhäusern behandelt werden und andere 25 Prozent bei Ärzten, jedoch nur wegen Folgeerscheinungen, dann ist es wichtig festzustellen, dass auch die Weiterbildung im ärztlichen und medizinischen Bereich dringend erforderlich ist.
Es ist jedoch völlig sinnlos, eine körperliche Entgiftung ohne eine weitergehende Behandlung und Begleitung durchzuführen. Aufsuchende Arbeit, wie sie im Bereich der illegalen Drogen stattfindet, muss auch hier geleistet werden. Dazu gehört eine breite soziale Unterstützungs- und Beratungstätigkeit. Ich nenne hier nur die Stichpunkte: die Berufs-, die Arbeitssituation, die Wohnungssituation, nicht zu vergessen die Schuldenangelegenheiten. Die Zusammenarbeit der Multiplikatoren, Betriebe, Schulen, Vereine und Verbände ist eine große Chance für die Suchtbewältigung in einem Stadtteil.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einige Anmerkungen zur Umsetzung des Alkoholplans machen! Es wurden hier in Bremen mehrere Veranstaltungen zum Thema Alkohol durchgeführt, weiterhin eine Fachtagung mit der Überschrift „Frauen trinken anders“. Diese Tagung fand überaus breiten Zuspruch, sogar über Bremen hinaus.
Alles sehr lobenswert und wichtig! Doch die Konsequenz daraus, dass frauenspezifische Behandlungsanteile aufgebaut worden sind, ist nicht gezogen worden, denn für die Betreuung von Frauen, die auch oftmals Kinder haben, fehlen in Bremen
Ein stetige Veränderung der Wahrnehmung des Alkoholmissbrauchs ist nicht allein durch Kampagnen zu erreichen, meine Damen und Herren.