Protocol of the Session on September 29, 2021

Nächster Redner ist Herr Kollege Tobias Reiß für die CSU-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Mannes, es ist nichts anderes zu erwarten gewesen, als dass Sie diese Gelegenheit zu einem Rundumschlag nutzen gegenüber allen Fraktionen hier im Haus.

(Zurufe von der AfD)

Sie wissen selbst am besten, dass nicht Sie die Demokratie schützen müssen, sondern wir die Demokratie vor Ihnen!

(Lebhafter Beifall – Unruhe bei der AfD)

Sie schaden dem Ansehen Bayerns. Sie schaden dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Wir müssen die Menschen, wir müssen die Demokratie vor Ihnen schützen.

(Unruhe bei der AfD)

Ja, auch in einem Bundestagswahlkampf – und da sind wir uns sicher alle hier im Haus einig – kämpfen wir. Wir wollen die Demokratie schützen, und wir kämpfen auch für die Glaubwürdigkeit der Demokratie. Da haben vor allem wir, die gewählten Vertreterinnen und Vertreter, eine hohe Verantwortung, dass die Menschen ihr Wahlrecht frei von Einfluss ausüben können.

(Unruhe)

Diesem Anspruch müssen und wollen wir genügen. Im Hinblick auf diesen Anspruch war dieser Tweet vom Sonntag, Herr Kollege Aiwanger, ein Fehler. Sie haben das eingeräumt, Sie haben sich dafür entschuldigt. Wir müssen uns schon der Tatsache bewusst sein, dass jemand, der sein Amt vom Vertrauen der Wählerinnen und Wähler ableitet, eine hohe Sensibilität im Umgang mit den Grundsätzen

des Wahlrechts braucht. Deshalb war es sicher richtig, dass der Ministerpräsident seinen Vize aufgefordert hat, das deutlich zu machen und sich zu entschuldigen. Das ist heute passiert. Der Bundeswahlleiter prüft den Vorgang. Er ist dafür zuständig. An dieser Stelle sehen wir keinen weiteren Anspruch.

Herr Kollege von Brunn, Sie meinen nun, ein bisschen mehr Stärke zu verkörpern, und stellen hier einen Antrag, den es, so glaube ich, in dieser Form im Bayerischen Landtag noch nie gegeben hat. Ihre Fraktion meint, per Dringlichkeitsantrag den Ministerpräsidenten auffordern zu müssen, einen Minister zu entlassen. Wir sehen das als nicht geeignet an. Wir werden diesen Antrag ablehnen, ebenso wie den Antrag der AfD.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Reiß. – Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt Herr Vizepräsident Thomas Gehring.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein Satz zur Überschrift des AfD-Antrages – um das klarzustellen –: Rügen spricht im Bayerischen Landtag die Präsidentin oder der jeweils präsidierende Vizepräsident aus; und sie rügen das jeweilige Verhalten hier im Landtag und nicht das Verhalten außerhalb des Landtags. Wir kämen in den Wald, wenn wir das Verhalten außerhalb des Landtags auch noch rügen müssten. Bei den Rügen im Bayerischen Landtag ist die AfD einsamer Spitzenreiter.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CSU, den FREIEN WÄHLERN, der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute Vormittag schon über das Thema geredet, dass der Möchtegern-Bundestagsabgeordnete Aiwanger getwittert hat. Es ist tatsächlich so, dass vielen Leuten gar nicht bekannt ist, dass diese Exit-PollsErgebnisse, also diese Umfrageergebnisse, diese Prognosen, schon am Nachmittag einer relativ kleinen Zahl von Politikerinnen und Politikern zur Verfügung gestellt werden. Diese Praxis ist nicht verwunderlich, weil vermutlich mancher nicht interviewfähig wäre, wenn er von diesen Ergebnissen nicht schon vorher etwas erfahren hätte und erst um 18 Uhr die Prognose sieht.

Es ist logisch, dass diese Ergebnisse intern bleiben müssen. Das ist eigentlich jedem klar. Es ist auch allen klar, dass das nur geht, wenn sich alle daran halten, sonst kann man diese Praxis vergessen. Wenn es vor zwei Jahren ein Volontär war und diesmal ein stellvertretender Ministerpräsident ist, dann ist das bedenklich, und zwar für den stellvertretenden Ministerpräsidenten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist rechtlich klar geregelt, und zwar in § 32 Absatz 2 des Bundeswahlgesetzes. Man könnte dort hineinschauen, wenn man sich in den Bundestagswahlkampf begibt.

Gegen dieses Gesetz hat Hubert Aiwanger offensichtlich verstoßen. Das ist eine Ordnungswidrigkeit. Wir gehen davon aus, dass der Bundeswahlleiter dem nachgeht, wie er schon angekündigt hat, und Hubert Aiwangers Verhalten entsprechend ahndet.

Dieser hat sich heute Vormittag oder Mittag relativ wortkarg entschuldigt und gesagt: Kehren wir zur Sachpolitik zurück.

(Zuruf von den FREIEN WÄHLERN)

Ich fände es gut, wenn er als Wirtschaftsminister mit der Sachpolitik endlich mal anfängt, weil wir in den letzten zwei Jahren vor allem einen schwadronierenden Aiwanger erlebt haben und weniger einen Wirtschaftsminister, der seiner Aufgabe nachgeht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daher rühren von Anfang an die Akzeptanzprobleme dieses Wirtschaftsministers bei der bayerischen Industrie. Wir sind immerhin ein führender Industriestandort in Europa.

Ich darf noch an die Beschaffungspolitik während der Corona-Pandemie erinnern. Es ist klar, dass Fehler passieren, aber wenn in diesem Hause nachgefragt wird, gehört es sich nicht, dass wie damals mit Aggressivität in Pressemitteilungen reagiert wird; sondern richtigerweise stellt man sich als Minister hier hin, geht auf die Kritik des Parlaments ein, geht transparent mit diesen Vorwürfen um, räumt die Vorwürfe aus dem Weg und tut nicht so, als ob man selber in der Opposition wäre.

Wenn wir uns die Corona-Politik anschauen, dann muss man sagen, dass der Wirtschaftsminister und Vizekanzler Aiwanger für die Corona-Politik dieser Staatsregierung nicht hilfreich war, die übrigens von der Mehrheit der demokratischen Parteien in diesem Landtag immer unterstützt worden ist.

(Zuruf)

Es geht nicht an, im Kabinett Dingen zuzustimmen, aber draußen dann anders zu reden und anders zu schwadronieren. Wenn der Wirtschaftsminister Aiwanger im November letzten Jahres den Gastwirten die Öffnung verspricht, diese aber erst im Mai kommt, dann trägt das nicht zum Vertrauen der Menschen in die Politik und in die Handlungsfähigkeit dieser Staatsregierung bei.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielleicht noch das Beispiel Technologiepolitik: Wenn man hört, was der Kollege und Wirtschaftsminister Aiwanger zum Thema Wasserstoff sagt, muss man sagen: Das geht wirklich auf keine Kuhhaut! Mit regionaler Wirtschaft und Energiepolitik hat das nichts zu tun.

Es gibt viele Gründe zu sagen: Herr Aiwanger, kehren Sie zur Sachpolitik zurück! Ich zweifle daran, dass sich das ändern wird. Er wird weiterhin schwadronieren und Dinge sagen, für die er nicht richtig in Haftung genommen werden kann. Dann werden die Leute wieder sagen: Ja mei, der Hubert Aiwanger kommt halt vom Land, und da sind die Leute halt so. Ich als jemand, der selber vom Land kommt, muss sagen: Nein, so sind die Leute auf dem Land nicht!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Leute auf dem Land reden eher zu wenig als zu viel; nicht, wie Herr Aiwanger es tut.

Nachdem es der FREIEN-WÄHLER-Fraktion nicht gelingt, ihren Leithammel wieder einzufangen, um ihn wieder einzunorden, und nachdem die heutige Entschuldigung auf Druck des Ministerpräsidenten relativ dünn war, rate ich dieser Staatsregierung: Wechseln Sie den Staatsminister aus. Ich glaube, diese Staatsregierung kann dann die nächsten zwei Jahre besser arbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Gehring. – Für die Fraktion der FREIEN WÄHLER spricht Herr Kollege Dr. Fabian Mehring.

Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren, insofern, als die gleiche Debatte wohl im Hinblick auf das zu diesem Zeitpunkt größere Medieninteresse heute Mittag schon einmal stattgefunden hat, besteht ein gutes Stück weit die Gefahr, dass die Argumente ausgetauscht sind und dass – frei nach Karl Valentin gesprochen – schon alles gesagt ist, nur noch nicht von jedem. Ich will mich deshalb darauf beschränken, meinerseits nur noch eine dreifache Einordnung namens der FREIE-WÄHLER-Regierungsfraktion – wenn Sie so wollen, eine persönliche, eine rechtliche und eine politische Bewertung – mitsamt den entsprechenden Schlussfolgerungen für das Vorgehen in den nächsten Tagen und auch für die demokratische Kultur im Haus, die ich heute Mittag schon angemahnt habe, vorzunehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst zur persönlichen Bewertung. Dazu ist das zu sagen, was ich heute Mittag schon einmal zum Ausdruck gebracht habe: Unsere FREIE-WÄHLER-Regierungsfraktion ist davon überzeugt, dass Staatsminister Hubert Aiwanger am Wahlsonntag wohl mit einigem Adrenalin im Blut vor dem Ende der Schließung der Wahllokale bei einer für unser Land und seine Menschen sehr bedeutsamen Wahl jenseits einer rechtlichen Beurteilung einen Fehler im Hinblick auf die politische Kultur gemacht hat. Deshalb war es richtig, folgerichtig und wichtig, sich dafür heute persönlich zu entschuldigen.

Das ist im Übrigen nicht auf Druck des Herrn Ministerpräsidenten geschehen, sondern war bereits gestern Abend mit unserer Fraktion so vereinbart. Ich finde, dass das Aussprechen einer solchen Entschuldigung und auch das Annehmen einer solchen Entschuldigung unter Demokratinnen und Demokraten ein integraler Bestandteil einer Fehlerkultur in einer parlamentarischen Demokratie zu sein hat. Ich sage dafür ein weiteres Mal: Dafür gebührt dem Staatsminister kein Hohn. Dafür gebührt dem Staatsminister kein Populismus. Dafür gebührt dem Staatsminister genau eines, nämlich der Respekt aller Demokratinnen und Demokraten.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN sowie Abgeordneten der CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf meine persönliche Bewertung der Ereignisse um eine rechtliche Einordnung ergänzen. Mir ist wichtig, dem voranzustellen, dass ich ein großer und überzeugter Anhänger des Prinzips der Gewaltenteilung auch in einem solchen Fall bin. Deshalb meine ich: Wir sind durchaus wohl beraten, Herr Kollege von Brunn, die rechtliche Einordnung des Bundeswahlleiters nicht im Sinne von Vorverurteilungen vorwegzunehmen.

Es gibt Institutionen und Instanzen, die eine Bewertung vornehmen werden. Hubert Aiwanger hat das sogar selbst bereits veranlasst, um Entsprechendes zu beschleunigen. Ich erlaube mir schon, darauf hinzuweisen, dass wir uns nicht im rechtsfreien Raum befinden, sondern dass es – darauf, Herr Kollege von Brunn, habe ich heute Mittag schon einmal hingewiesen – einen entsprechenden Präzedenzfall und auch eine rechtliche Kommentierung dazu gibt. Ich darf sie zitieren. Es wird Bezug genommen auf einen Fall von 2009, der mir vergleichbar erscheint – Zitat –: So wurden bei der Bundestagswahl 2009 am Wahlnachmittag über Twitter angebliche Trends und Zwischenergebnisse von Wahlnachbefragungen verbreitet. Da es sich bei diesen Angaben jedoch ersichtlich nicht um stimmige Ergebnisse handelte, die nach kurzer Zeit zurückgezogen wurden, sind sie im Wahlprüfungsverfahren nicht beanstandet worden; denn § 32 Absatz 2 verbietet nur Trendmeldungen und Zwischenergebnisse, die auf tatsächlichen Wahlnachbefragungen beruhen.

Die Forschungsgruppe Wahlen hat zwischenzeitlich – auch öffentlich einsehbar – bestätigt, dass das in diesem Fall nicht der Fall war. Das will heißen: Wir überlassen die rechtliche Beurteilung selbstredend dem Bundeswahlleiter. Aber es ist schon mal zur Kenntnis zu nehmen von allen, die heute anders gesprochen haben, dass die sehr berechtigte Frage im Raum steht, ob wir überhaupt über eine Ordnungswidrigkeit sprechen. Deshalb bitte ich um entsprechende Zurückhaltung und Fairness in Hinblick auf die rechtliche Bewertung.

Nach der persönlichen und der rechtlichen Bewertung komme ich nun zur politischen: Ich bin ehrlicherweise über die ein oder andere Einlassung am allermeisten verwundert. Eines ist doch klar: Ein Tweet auf dem Twitter-Account von Hubert Aiwanger, der dort einige Minuten online gewesen ist, der hat eines ganz sicher nicht, wenngleich er ein großes Ärgernis sein mag, aber er hat ganz sicher nicht den Ausgang der Wahlen zum Deutschen Bundestag determiniert. Ich rate im Hinblick auf die politische Bewertung dazu – bei aller Berechtigung, ich sage es noch einmal ausdrücklich, bei aller Berechtigung von Kritik, bei aller Notwendigkeit einer Entschuldigung –, die Kirche ein gutes Stück weit im Dorf zu lassen. Wer da von Wahlmanipulationen spricht, der hat schon eine sehr bemerkenswerte Sichtweise auf die Wirkung des Twitter-Accounts von Hubert Aiwanger, die ich in dieser Weise spontan nicht zu teilen bereit wäre.

Ich darf zusammenfassen: Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es war eine Entschuldigung nötig; denn es ist ein Fehler gemacht worden, ein Fehler im Hinblick auf die politische Kultur. Diese Entschuldigung ist erfolgt. Im Sinne der rechtlichen Bewertung ist unklar, ob überhaupt auch nur eine Ordnungswidrigkeit im Raum steht. Politisch ist ganz sicher nicht die Bundestagswahl dadurch manipuliert worden. Trotzdem war Hubert Aiwanger heute so charakterstark, sich an dieses Rednerpult vor das Hohe Haus zu stellen und die entsprechende Entschuldigung vorzunehmen.

(Widerspruch)

Da können Sie höhnisch lachen. Aber ich sage es noch einmal ganz deutlich: Ich glaube, wir brauchen in einer parlamentarischen Demokratie auch eine Fehlerkultur, wenn diese Demokratie unter Demokraten funktionieren soll. Auch müssen wir zu dem Bekenntnis kommen, dass Spitzenpolitiker keine Maschinen sind, sondern auch nur Menschen, die Fehler machen. Der Anspruch muss sein, dass man diese Fehler erkennt und sich für diese Fehler entschuldigt. Genau das ist heute passiert. Der Anspruch muss aber auch sein, dass eine solche Entschuldigung dann zur Kenntnis genommen und angenommen wird. Dies nicht zu tun, ist ebenso unredlich und undemokratisch, wie im Vorhinein einen Fehler zu machen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Genauso unredlich ist es – darauf will ich Sie noch hinweisen, weil ich das heute Nachmittag schon den Medien entnommen habe –, die Genese der Art und Weise von Entschuldigung zu betreiben und diese medial zu analysieren. Das ist durchschaubar. Wir sollten unter Demokraten ehrlich miteinander umgehen: Hätte Hubert Aiwanger heute Morgen fünf Minuten ausgeführt, dann hätten sie gesagt: Oh, da muss sich einer rechtfertigen. Sie hätten dann jeden Satz, den er gesagt hat, fein seziert und versucht, ihm daraus einen Strick zu drehen. Wenn er sich kurz und knapp entschuldigt – wie Sie sich das alle gewünscht haben –, dann kommentieren Sie anschließend, dass das zu kurz war. Ganz ehrlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, das entspricht keinem demokratischen Umgang miteinander. Es war eine Entschuldigung gewünscht. Die Entschuldigung ist erfolgt.