Protocol of the Session on February 12, 2021

(Beifall bei der SPD)

Das geht rechtlich nicht, und das haben Sie auch wiederholt vereitelt. – Ja, wir können dazu Dringlichkeitsanträge stellen, aber egal, wie sie beschieden werden, es gibt für die Staatsregierung keine rechtliche Bindung.

Allerdings sind Sie verpflichtet, dem Landtag die Verordnung rechtzeitig vorzulegen. Dies hat Verfassungsrang. Ich stelle fest: Der Verordnungsentwurf, über den wir heute beraten, erreichte das Parlament um 11:57 Uhr. Wir als Landtag, der sich

mit diesen Ausführungen beschäftigen soll, hatten bei Fristende um 12:00 Uhr gerade einmal drei Minuten Zeit, um uns mit dem Verordnungsentwurf zu befassen.

(Beifall bei der SPD)

Es geht dabei auch nicht nur lapidar um eine Verordnung, sondern es geht um Regelungen, die den Menschen in Bayern in den nächsten Wochen Verhaltensverpflichtungen auferlegen, die bußgeldbewehrt sind, was bedeutet, dass bei einem Verstoß nicht unerhebliches Geld zu bezahlen ist. In dieser Verordnung werden auch Schicksale geregelt und vorbestimmt. Der Landtag hat jedoch gerade einmal drei Minuten Zeit, um darüberzuschauen. Ihn einmal darüberschauen zu lassen, wird dieser Sache auch nicht gerecht.

Diese Art der Parlamentsbeteiligung, die Sie uns hier präsentieren, ist nicht einmal ein Feigenblatt, sondern sie entblößt Ihre ignorante Haltung dazu – Beliebigkeit und tatsächliche Ignoranz.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, dadurch werden Sie den von Ihnen gerühmten Rechten des Parlaments auch nicht gerecht. Ich empfinde das gleichsam als ein Treten mit Füßen nach denselben.

Letzten Dienstag hatten wir in der Aktuellen Stunde Erwartungen für ausgewogene und tragfähige Corona-Strategien formuliert. Diesen Erwartungen sind Sie leider nur in kleinen Teilen gerecht geworden; denn das, was Sie heute als Perspektive modelliert haben, ist – schonend gesagt – ein Perspektivchen. Wenn man darüber hinaus die Reaktionen des Einzelhandels, der Kultur und weiterer vergessener Teile der Gesellschaft hört und liest, muss man sagen: Herr Ministerpräsident, das ist ein Perspektivdesaster.

(Beifall bei der SPD – Zuruf)

Offensichtlich feiern Sie jedes Glühwürmchen, jedes Irrlicht als tatsächliches Licht am Ende des Tunnels. Ich sage Ihnen hingegen, wir brauchen einen Pfad, und wer diesen Pfad nicht legt, bringt auch nichts voran. Was Sie hier bringen, ist eher eine Defizitbeseitigung als eine Perspektive mit Mut, Kraft und Zuversicht. Eine solche Perspektive ist daraus nicht zu schöpfen, kaum präsent.

Sie nehmen auch nicht alle Menschen mit. Wir freuen uns natürlich ebenfalls für die Friseure und gönnen es ihnen. Was jedoch Perspektiven für andere anbelangt, sind das der Ankündigungen Hunderte, aber in der Umsetzung dann nur ganz wenige.

Sie benennen Schlagworte. Sie benennen allerdings keine Konzepte oder gar eine Strategie, und zwar weder für Kinder und Jugendliche noch für den Einzelhandel und die Kultur. Sie benennen Themen lückenhaft, unpräzise und zum Teil inkonsistent.

Um es noch einmal klarzustellen: Wir befürworten jede Maßnahme, die geeignet und erforderlich ist, um die Pandemie zu bekämpfen und einzudämmen. Dazu gehört es aber auch, festzustellen, dass die Grundrechte in dieser Demokratie die Basis und kein Luxus sind. Deswegen müssen wir darauf achten, diese Maßnahmen so abzustimmen, dass das in Ordnung geht, Stichwort: Verhältnismäßigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Um es noch einmal festzustellen: Wir wissen um die Gefährlichkeit der Mutationen und unterschätzen diese keineswegs. Die Pandemieforschungsinfrastruktur muss

aber gestärkt werden. Klare Analysen und auf der Wissenschaft basierende Erkenntnisse sind notwendig. Bei all diesen Anstrengungen unterstützen wir Sie, wenn sie denn kommen.

Wir haben aber auch konkrete Forderungen zur Nachbesserung. Bei den Kindern und Jugendlichen hatten wir angemahnt, gerade diese nicht aus dem Blick zu verlieren und auf deren soziale und psychische Gesundheit zu achten. Immerhin haben Sie unsere Aktuelle Stunde in der vergangenen Woche offenbar zur Kenntnis genommen. Das Ergebnis, das sich in Ihrem Kabinettsbeschluss widerspiegelt, ist hingegen mehr als dürftig. Sie kündigen an, ein Unterstützungskonzept zu erarbeiten. Jetzt, am 12. Februar, ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie sowie nach unzähligen Anträgen und Anregungen der Opposition, die Sie seither im Sozialausschuss und hier im Plenum in Bausch und Bogen abgelehnt haben, kündigen Sie ein Konzept an. Mein lieber Mann!

(Beifall bei der SPD)

Außerdem bleiben Sie entscheidende Auskünfte schuldig. Worin soll dieses Konzept bestehen? Wie werden die Betroffenen beteiligt? Wann ist mit Ergebnissen zu rechnen? Wir begrüßen die teilweisen Öffnungen von Kitas und Schulen. Gleichwohl sind diesbezüglich Fragen offen. Sind zum Beispiel die angekündigten Selbsttests für Schülerinnen und Schüler von über 15 Jahren derzeit rechtlich überhaupt zulässig? Wichtig ist uns gerade auch im Schulbereich: Anders als sonst sind die Betroffenen diesmal rechtzeitig, konkret und transparent zu informieren. In der Vergangenheit hat das allzu oft nicht geklappt und deshalb verständlicherweise zu großem Unmut geführt.

Der Lebensalltag vor allem von Kindern und Jugendlichen hängt in entscheidender Weise davon ab, wie die soziale Infrastruktur vor Ort funktioniert, nicht nur bezogen auf Kitas und Schulen. Umso besorgniserregender stellt sich inzwischen die Situation vieler Kommunen in diesem Land dar. Die Kommunen fühlen sich von der Staatsregierung verständlicherweise zunehmend alleingelassen. Sie geraten finanziell mehr und mehr unter Druck, und zwar auch was die Gewährleistung der sogenannten freiwilligen Leistungen anbelangt, bei denen es sich nicht um irgendwelche abstrakten Leistungen handelt, sondern um Dinge – Zuschüsse für Sportvereine, Frauenhäuser oder Mehrgenerationenhäuser –, die sich auf den Lebensalltag der Menschen Tag für Tag auswirken. Unsere Forderung nach einem Schutzschirm des Freistaats für die Kommunen ist nicht neu, aber jetzt, wie uns die Verantwortlichen vor Ort immer wieder schildern, dringender denn je zuvor.

(Beifall bei der SPD)

Aus diesem Grund ist das heute ebenfalls als Perspektive anzusprechen, und wir fordern das erneut mit unserem Dringlichkeitsantrag.

Niemand, der vernünftig und verantwortungsvoll über Corona spricht, maßt sich an, auf den Tag genau konkrete Öffnungen zu versprechen. Das wäre unseriös. Die Menschen können jedoch schon erwarten, dass Szenarien und gegebenenfalls Stufenpläne entwickelt und vor allem die notwendigen Vorkehrungen, Vorbereitungen und Absprachen getroffen werden. Genau hieran mangelt es aber bei allem, was Sie hier vorgelegt und vorgetragen haben. Ihre Ankündigungen verdienen deshalb auch nicht die Bezeichnung Strategie.

(Beifall bei der SPD)

Wichtige Bereiche erwähnen Sie kaum. Die Kultur, die Hochschulen, die außerschulische Bildung – alles Vertröstungen! Auch der Einzelhandel, zu dem wir als SPD-Fraktion bereits im Januar ein Fünf-Punkte-Aktionsprogramm vorgelegt

haben, wird nicht erwähnt. Die Unstimmigkeiten zwischen Ihnen und Ihrem Stellvertreter Hubert Aiwanger – er ist jetzt wohl nicht da – konnten und wollten Sie selbst bei der gestrigen Pressekonferenz nicht verbergen. Ein geschlossenes Bild der Staatsregierung wird nicht einmal gestisch und mimisch vermittelt. Meine Herren, das ist das Gegenteil von seriöser Politik.

(Zuruf)

Herr Minister Aiwanger, diesbezüglich Versprechungen zu machen, die bereits dann, wenn sie ausgesprochen werden, nichts mehr wert sind, weil klar ist, dass der Chef, der Ministerpräsident, Sie gleich wieder zurückpfeift, das ist keine seriöse Politik.

(Beifall bei der SPD)

Das verunsichert die Menschen, und das gerade in Zeiten, in denen bereits eine große Verunsicherung herrscht.

Es ist deshalb höchste Zeit für eine einheitliche und fundierte Öffnungsstrategie der Staatsregierung, in der beispielsweise darüber aufgeklärt wird, inwieweit sich an bestehende Hygienekonzepte andocken lässt. Es gibt im Einzelhandel oder im Sport Tausende von Hygienekonzepten, die mit Engagement, mit Investitionen und mit Inbrunst inszeniert wurden, und dort wird nur darauf gewartet, sich darauf einstellen zu können, wo sie angepasst werden müssen. Derzeit gibt es aber keine Auskunft. Frustration!

Wie lässt sich das Ganze durchsetzen und kontrollieren? Wie kann man die Verantwortlichen vor Ort dabei unterstützen? Wie können die Öffnungen nicht nur sicher, sondern auch gerecht vollzogen werden? Von der eigens dafür eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Staatskanzleichefs ist zu all diesen Fragen bislang sehr wenig – erschreckend wenig – zu hören. Übrigens erhält man hierzu auch vom Staatskanzleichef auf Nachfrage so gut wie keine Informationen. Aber immerhin: Danke für die Antwort!

Für den Wissenschafts- und Kunstbereich haben die jeweiligen Landesministerinnen und Landesminister vor wenigen Tagen Vorschläge erarbeitet, die sich im bayerischen Kabinettsbeschluss jedoch in keiner Weise widerspiegeln. Die Landesministerinnen und Landesminister fordern unter anderem, dass im Falle einer Öffnung von Schulen und Kitas auch die außerschulischen Bildungsangebote der Kultureinrichtungen und der Musik- und Kunstschulen wieder zugelassen werden. Nichts davon zu lesen, nichts davon zu hören!

Noch einmal: Es geht nicht darum, gleich wieder alles zu öffnen, aber es geht darum, darauf vorbereitet zu sein, um Ad hoc-Öffnungen, die alle überrumpeln, zu vermeiden und um den Menschen Orientierung und zumindest etwas Planungssicherheit zu geben. Planungssicherheit brauchen die Kulturschaffenden, sie brauchen aber auch finanzielle Hilfen.

Sie haben gestern und heute angekündigt, das Solo-Selbstständigenprogramm bis zum Sommer zu verlängern. Auf den ersten Blick ist das erfreulich. Im Kabinettsbeschluss findet sich dazu aber wenig. Nach den Erfahrungen, die wir bisher mit Ihren Ankündigungen gemacht haben, ist Skepsis durchaus angebracht.

Um die Daten noch einmal klarzumachen: Erste Ankündigungen gab es bereits am 20. April 2020. Danach passierte monatelang gar nichts. Im Oktober 2020 kündigte die Staatsregierung zwar das Hilfsprogramm für solo-selbstständige Künstlerinnen und Künstler auf der Grundlage eines fiktiven Unternehmerlohns an. Anschließend

waren die Hilfen für die Betroffenen aber wochenlang nicht abrufbar. Sie kündigen an, beim Umsetzen besteht aber ein Defizit.

(Beifall bei der SPD)

Wie pervers ist denn das? – Erst vor zwei Tagen, am Mittwoch, wurden mehrere SPD-Anträge sowohl zur Unterstützung der Kulturschaffenden als auch zur Ermöglichung eines Neustarts in der Kultur im Ausschuss abgelehnt. Kurzum: Nachbesserungen sind dringend geboten.

Bisweilen werden Sie, Herr Söder, auch gerichtlich zu Nachbesserungen gezwungen, da Sie immer noch die nötige Sensibilität vermissen lassen. Noch einmal ganz deutlich: Grundrechte sind keine Privilegien, sie sind eine demokratische Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das, was Sie mit Klein-Klein bagatellisieren, bezeichnen wir ganz einfach als genaues, sorgfältiges und verantwortungsvolles Hinschauen. Die Rechtsprechung der vergangenen Wochen – als Stichwort nenne ich nur die 15-Kilometer-Regel – sollte Ihnen Warnung genug sein.

Fazit: Schutz, Unterstützung, Perspektiven und Verhältnismäßigkeit sind die Eckpfeiler einer ausgewogenen tragfähigen Corona-Strategie. Deshalb sind Nachbesserungen dringend erforderlich. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Dringlichkeitsantrag, der innerhalb von zwei Minuten mehr aussagt, als Sie in Ihrer ganzen Regierungserklärung dargestellt haben.

(Beifall bei der SPD)

Nächster Redner ist der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Martin Hagen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kollege Streibl hat das wunderbare Bild von Yin und Yang bemüht, um die Koalition zu beschreiben. Wenn ich mir aber anschaue, was die FREIEN WÄHLER in den letzten Wochen alles getönt und gefordert haben, und dann sehe, was jetzt herausgekommen ist, dann passt doch das alte Bild vom Sumo-Ringer, der seine Liebhaberin erdrückt – dieses Bild hat einmal Hubert Aiwanger gebracht –, deutlich besser. Dieses Bild stammt auch aus dem asiatischen Raum, aber das, was dabei herauskommt, ist doch etwas anderes als bei Yin und Yang.

(Beifall bei der FDP)

Herr Aiwanger fühlt sich erdrückt vom Koalitionspartner, und die Bürger fühlen sich zunehmend verschaukelt von dieser Politik. Wer will es ihnen denn verdenken?

Im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 19. Januar war noch vom Ziel einer 7-Tage-Inzidenz von 50 die Rede. Einen Monat später trifft sich dieses Gremium wieder, und die 50 spielt plötzlich überhaupt keine Rolle mehr. Stattdessen wird die 35 als nächstes Ziel ausgegeben, nachdem wir uns jetzt der Zahl 50 annähern. Wie sollen sich die Menschen denn darauf verlassen, dass die Regierung ihre Vorgabe einhält, dass dieses Ziel dieses Mal auch gilt? Wie sollen sich die Menschen darauf verlassen, die ihre Verwandten und Freunde nicht mehr treffen können? Wie sollen sich die Gastronomen, die Einzelhändler und die Kulturschaffenden darauf verlassen, wenn das Ziel jedes Mal angepasst wird?