Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt 181 Minuten und verteilt sich auf die Fraktionen wie folgt: CSU 52 Minuten, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 32 Minuten, FREIE WÄHLER 27 Minuten, AfD und SPD jeweils 25 Minuten, FDP 20 Minuten und die fraktionslosen Abgeordneten Swoboda und Plenk jeweils 4 Minuten. – Als Erstem in der Debatte erteile ich Herrn Kollegen Ludwig Hartmann vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.
(Beitrag nicht autorisiert) Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Bevor ich zum Thema der Regierungserklärung komme, lassen Sie mich zunächst einmal für meine Fraktion feststellen: In einer Zeit, in der auf kommunaler Ebene, auf der Ebene der Länder und aktuell auf Bundesebene um die Lösung gerungen wird, wie konkreter Klimaschutz in unserem Land endlich vorangebracht werden kann, hätten wir von Ihnen Antworten erwartet, was wir konkret in Bayern tun könnten. Das hätten wir uns heute gewünscht, nicht dieses zaudernde Wegducken.
Ich weiß, dass die Wahrheit manchmal wehtut. Ich komme gleich zum Thema der Regierungserklärung. Sie ducken sich weg, obwohl Sie bereits im Juni angekündigt haben, dass im Herbst konkrete Maßnahmen benannt würden. Deshalb können wir erwarten, dass das Hohe Haus eine Regierungserklärung zum Thema Klimaschutz bekommt.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, kommen wir zum Thema Innovation und Forschung in unserem Land. Nach dieser Regierungserklärung des Ministerpräsidenten kann ich etwas überspitzt sagen: Sie sind vielleicht der Erfinder des Superlativs in diesem Hohen Haus, aber entscheidend ist doch: Die Errungenschaften und die Leistungen, die unsere Forscherinnen und Forscher täglich an Hochschulen, an Universitäten und in Unternehmen erzielen und erzielt haben, sind gewaltig. In diesem Land wurden in den letzten Jahren viele Spitzenentwicklungen erreicht. Sie haben kein Wort darüber gesagt, was in dieser Paradedisziplin bayerischer Unternehmen geleistet worden ist. Sie waren doch immer der Türöffner für Innovationen made in Bavaria.
Wir müssen gar nicht an München denken. Denken wir an Würzburg und an Wilhelm Conrad Röntgen. Er hat bahnbrechende Innovationen in der Radiologie ermöglicht. Denken wir an das Fraunhofer-Institut und die MP3-Entwicklung. Dort wurde Gigantisches geleistet. Oder denken wir an den Münchner Maschinenbauer Prof. Carl von Linde, den Vater der Kühlschränke. Hier entwickelt, weltweit erfolgreich.
Ich spreche das deshalb so deutlich an, weil die entscheidende Frage lautet: Was können wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen?
Nehmen wir das Beispiel der Entwicklung der MP3-Player am Fraunhofer-Institut, eine wirklich sprunghafte Innovation, die wahnsinnig viel in der Welt bewegt hat. Ist Ihnen nicht bekannt, wo damals der erste MP3-Player entwickelt worden ist?
In der Oberpfalz wurde bereits im Jahr 1997 ein MP3-Player entwickelt. Allerdings ist es uns nicht gelungen, diese Errungenschaft aus dem Labor in die Praxis zu bringen. Da ist gute Politik gefragt. Das ist eine ganz entscheidende Aufgabe, die gute Politik in diesem Land leisten muss.
Herr Kollege, das ist keine Verzwergung. – Uns geht es um vier entscheidende Bereiche. Zunächst müssen wir dem Fortschritt eine Richtung geben. Bei den entscheidenden Fragen unserer Zeit ist es doch legitim zu sagen, wohin wir wollen. Welche Probleme müssen wir lösen? Wo brauchen wir technische Lösungen, um im Kampf gegen die Erdüberhitzung gut bestehen zu können? Da ist gute Forschung gefragt.
Zweiter Bereich: Innovationen aus dem Labor in die Praxis bringen. Im Praxisbereich kommt meistens der größte Innovationsschub. Diesen brauchen wir dringend, um die Technik am Markt zu haben. Die beste Entwicklung im Labor ist schön. Respekt und Dankbarkeit jenen, die sie entwickelt haben. Aber den wirtschaftlichen Durchbruch kriegen wir draußen am Markt. Da könnten wir deutlich besser werden.
Der dritte Bereich, der auch zur Ehrlichkeit dazugehört: Große Innovationsschübe hatten wir auch immer dann, wenn Politik in einigen Bereichen, auch im Ordnungsrecht, die Rahmenbedingungen so gesetzt hat, dass für diese Entwicklungen ein Business Case entstehen konnte.
Den vierten Bereich hat Markus Söder in vier Punkte aufgeteilt. Hier geht es um die bessere Finanzierung und Ausstattung der Hochschulen und Forschungsbereiche in Bayern. Ich möchte mit dem Bereich eins anfangen: dem Fortschritt wirklich eine Richtung geben.
Unsere vielen jungen innovativen Forscherinnen und Forscher, die in Forschungsteams weltweit vernetzt und tätig sind, machen das Ganze doch, um Lösungen für Probleme von heute und für Probleme, die vor uns liegen, zu finden. Dafür machen wir das Ganze.
Das heißt für uns, wenn wir uns die Robotik anschauen, in diesem Bereich auch einmal einen Schritt weiter zu denken. Was angesprochen worden ist, war ja richtig. Es gibt Anwendungsmöglichkeiten in der Pflege und in der Produktion. Denken wir doch aber einmal etwas größer und weiter. Kann uns Robotik nicht auch helfen, unsere Landwirte dabei zu unterstützen, zu einer giftfreien Landwirtschaft zu kommen? Könnte die Vision nicht sein, dass eines Tages ein autonom fahrendes Gerät auf den Feldern und Äckern mechanisch das Unkraut vernichtet? Gäbe es nicht die Möglichkeit, hier zügig etwas voranzubringen, um den Landwirten in unserem Land wirklich mit neuer Technik unter die Arme zu greifen, die Möglichkeit, den Weg zu einer giftfreien Landwirtschaft in Bayern gemeinsam gehen zu können?
Dem Fortschritt kann in einem weiteren Bereich eine Richtung gegeben werden. Dieser Bereich betrifft die Megaherausforderung, die entscheidende Frage unserer Generation: Wie können wir uns von unserer Abhängigkeit von fossilen Energieträgern befreien? – Das ist eine gewaltige Aufgabe. Dazu brauchen wir Innovationen, neue Schritte und kreative Ideen. Wir müssen da aber auch eine klare Richtung vorgeben und sagen, dass wir dahin wollen und uns von fossilen Energieträgern freimachen wollen.
(Prof. Dr. Winfried Bausback (CSU): Haben Sie eigentlich dem Ministerpräsidenten zugehört? – Tanja Schorer-Dremel (CSU): Er hat seine Rede gestern geschrieben!)
An alle diejenigen auf der ganz rechten Seite dieses Hohen Hauses gerichtet, die immer noch glauben, fossile Energieträger hätten eine Zukunft: Ein endlicher Energieträger wird keine Zukunft haben können. Wir brauchen neue Techniken, die wir dringend voranbringen möchten.
In diesem Bereich – das ist der große Unterschied zwischen grüner Forschungspolitik und der Forschungspolitik der Söder-Regierung – reicht es nicht, sich darauf zu verlassen, dass die Ideen irgendwann allein aus wirtschaftlichen Business Cases entstehen. Das sind Entwicklungen, für die die Politik die Weichen stellen und den Rahmen setzen muss, um diese Entwicklungen zügig voranzubringen und auf den Markt zu bringen. Dazu brauchen wir Mut und Überzeugung, dort einmal die Weichen in großem Stil zu stellen, damit die zarten Pflänzchen der Innovationen und der Ideen, die wir in diesem Bereich in Bayern, auch beim Wasserstoff, durchaus haben, bei uns in Bayern in einem fruchtbaren Boden gedeihen und wachsen können.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, der Ministerpräsident hat auch das Thema Mobilität und das Auto der Zukunft angesprochen. Die Frage, ob das saubere Auto der Zukunft gebaut werden wird, stellt sich doch gar nicht mehr. Die Frage ist doch, wo es gebaut werden wird. Wir müssen alles daransetzen, dass das saubere Auto der Zukunft bei uns hier in Bayern, in München und in Ingolstadt, gebaut werden wird. Dafür kämpfen wir GRÜNE.
Wenn man das saubere Auto der Zukunft voranbringen möchte und wirklich den Veränderungswillen und die Offenheit für neue Technologien hat, sollte die Bayerische Staatsregierung mit gutem Beispiel vorangehen. Ich finde es immer noch ein Armutszeugnis, dass man im ersten Halbjahr 2019 588 Pkws anschafft und davon gerade einmal 12 elektrisch fahren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, da hätte ich mir deutlich mehr gewünscht, um zu zeigen, dass wir in unserem Land für diese neuen Technologien offen sind.
(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Das ist ganz schön flach, Herr Kollege, ganz schön flach!)
Kommen wir zum zweiten entscheidenden Punkt: die Innovationen vom Labor in die Praxis bringen. Das ist wirklich ein ganz entscheidender Punkt. Ich habe vorhin bereits das Thema Fraunhofer-Institut und die Entwicklung von MP3 angesprochen. Wir haben gerade wieder ein Ranking gesehen, in dem Deutschland, verglichen mit der Welt, bei Innovationen in Laboren, bei Patentanmeldungen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen ganz vorne mit dabei ist. Woran es meistens scheitert, ist, das dann in die Praxis zu bringen.
Ich finde auch interessant, dass Rafael Laguna, der Regierungsbeauftragte der Bundesregierung für Innovationen, im aktuellen "SPIEGEL" feststellt: Die letzte Sprunginnovation aus Deutschland war das Auto. Er sagt weiter: Es gibt in Deutschland keine Finanzierung für die entscheidende Phase des Wachstums. – Das sagt der Regierungsbeauftragte, das sagt nicht der GRÜNEN-Politiker Hartmann.
Das zeigt uns doch, dass wir dieses Thema konkret angehen müssen. Wie kommen die guten neuen Entwicklungen in die Praxis, in der auch ein Markt entsteht, sodass sich der Fortschritt wirklich entfalten kann?
Das geht nur – das ist ein Teil der Wahrheit – mit entschlossener Politik und mit der Bereitschaft, Entwicklungen und Erfindungen wirklich den Weg in den Alltag zu ebnen. Das muss gute Politik leisten, damit sich Neues wirklich im realen Einsatz abseits der Labore und Pilot- und Leuchtturmprojekte weiterentwickeln kann. In vielen Bereichen ist der große Innovationsschub im realen Einsatz entstanden. Wir müssen diesen realen Einsatz ermöglichen und schaffen.
Für uns GRÜNE heißt das, die Dinge zusammenzubringen. Das heißt, im Ordnungsrecht deutlich zu sagen, wohin wir wollen. Das heißt, dem Fortschritt eine Richtung zu geben. Das heißt, für eine Kapitalausstattung zu sorgen, damit sich diese neuen Ideen wirklich entfalten können. Um etwas bildhafter zu sprechen, kann ich in diesem Bereich einmal ein paar Beispiele nennen, an denen man ganz deutlich sieht, wo wir in Bayern Handlungsbedarf haben.
Es wurde mehrfach von der Wasserstofftechnologie gesprochen. Wir sind ja auf einer Linie, dass wir diese in Bayern voranbringen müssen. Das ist vollkommen unstrittig. Ich frage mich nur, warum man in der Zeitung lesen kann, dass bereits im Mai in Hessen für eine halbe Milliarde Euro 27 wasserstoffbetriebene Züge angeschafft worden sind. Eigentlich haben doch aber wir in Bayern die meisten Strecken für wasserstoffbetriebene Züge, weil bei uns 50 % des Schienennetzes nicht elektrifiziert sind. Da könnten wir doch einmal zügig vorangehen und das in die Praxis umsetzen. In Niedersachsen fahren diese Züge bereits seit einem Jahr. In Bayern reden wir noch darüber. Wir würden uns wünschen, diese Technik wirklich auf den Markt zu bringen und beim Klimaschutz endlich einmal serienmäßig zu denken und nicht in Pilotprojekten festzukleben.
Ich finde bei dieser großen Frage der Wasserstofftechnologie auch ganz interessant, dass der Vizeministerpräsident vor ein paar Tagen davon gesprochen hat, hundert Tankstellen bauen zu wollen. Der Ministerpräsident spricht jetzt von fünfzig Tankstellen. Das müssen Sie untereinander ausmachen, was Sie dann wollen.
(Staatsminister Hubert Aiwanger: Hundert plus fünfzig ist hundertfünfzig! – Heiterkeit bei den FREIEN WÄHLERN, der CSU und den GRÜNEN)
Wenn wir schon beim Thema Wasserstoff sind, sollten wir auch so ehrlich sein, die Grundlage – oder Power-to-X, wie es heute genannt wird – aller synthetischen Kraftstoffe, die dem Ministerpräsidenten, worin er richtigliegt, gerade so wichtig geworden sind, zu bedenken. Die Grundlage dafür ist immer sauberer Strom. Sonst funktioniert das Ganze nicht.
Das heißt, wir müssen die sauberen Stromquellen wie Wind und Sonne zügig voranbringen, um die Technik im großen Stil einsetzen zu können. Anders gesprochen kann man auch, um im Bild eines Märchens zu bleiben, sagen: Sie stecken in einem speziellen Rumpelstilzchen-Dilemma. Sie können zwar Stroh zu Strom spinnen, haben aber kein Stroh. – Genau das ist das Problem.
Es ist kaum zu glauben, dass in unserem Land, in dem so viele Menschen für das Gelingen der Energiewende angepackt haben, im Jahr 2018 gegenüber dem Jahr 2017 die Ökostromproduktion zurückgegangen ist. Das zeigt doch, dass wir endlich umsteuern und Wind und Sonne voranbringen müssen. Sauberer Strom ist die Grundlage für die weitere Entwicklung der neuen Forschungstechniken.
Ein anderes Beispiel, weil aus den Reihen der CSU-Fraktion das Thema "Technik auf den Markt bringen" gerade ein wenig abgetan worden ist: Ich möchte einmal ansprechen, dass es am Montag am Münchner Hauptbahnhof wieder einen tödlichen Unfall gab. Eine 32-jährige Radfahrerin ist beim Rechtsabbiegen durch einen Lkw tödlich verletzt worden. Wir haben in Bayern die einsatzbereite Technik eines Abbiegeassistenten, die von dem Bayern Anton Klott, dem Technischen Leiter von Edeka Südbayern, entwickelt worden ist. Wir haben die Technik, die Menschenleben retten kann. Warum setzen wir diese Technik nicht endlich ein? Warum machen wir denn Forschung, wenn Konzepte und Lösungen, die uns das Leben leichter und sicherer machen, nicht umgesetzt werden? Warum finden wir nicht einen Weg, zu sagen: Diese Technik, mitentwickelt in Bayern, wird zum Standard und ist Pflicht. Sie muss in jedem Lkw eingesetzt werden.