Damit habe ich noch kein einziges Wort über die inhaltlichen Verwerfungen gesagt. Im Rahmen der inhaltlichen Beratungen haben wir festgestellt, dass
wiederholte Male von fast allen Experten und Expertinnen massive Widerstände geäußert worden sind: zweimal im Ausschuss, im Landesgesundheitsrat, bei einer Anhörung und hier im Parlament. Ich will jetzt gar nicht alle Bedenken äußern; die größten beziehen sich jedenfalls darauf, dass die wesentlichen Themen in diesem Gesetz nicht geregelt sind. Das ist skandalös! Mit diesem Gesetzentwurf kaufen wir sozusagen die Katze im Sack.
Weiterhin fehlt es diesem Gesetzentwurf an Transparenz und an Normenklarheit. Ich neige eigentlich nicht zu Superlativen, aber es kommt wirklich einer Bankrotterklärung der Staatsregierung gleich, für einen solch wichtigen Regelungsbereich ein derartig dürftiges Gesetz vorzulegen. Es ist keine klare Struktur erkennbar, vielmehr enthält der Gesetzentwurf nur rudimentäre Regelungen, wie das Ganze funktionieren soll und welche Verantwortung den einzelnen beteiligten Stellen zugewiesen werden kann.
Ich möchte an dieser Stelle das Thema Meldepflicht ansprechen; denn das ist einer der Knackpunkte, insbesondere aus Patientensicht. Die Meldepflicht bei einer Krebserkrankung – die Pflicht, die Daten des Patienten, also die persönlichen und die Krankheitsdaten, an eine staatliche Stelle, nämlich das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zu melden – ist ein erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Patienten. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte – –
Das sage ich Ihnen dann bei der Beratung des Gesetzes, Herr Kollege. Das habe ich Ihnen auch schon im Ausschuss gesagt. Ereifern Sie sich nicht. Sie können sich ja dann zu Wort melden.
Wir sind also der Meinung, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte, die gleiche Quote, wie sie der Bundesgesetzgeber an Meldungen fordert, zu erreichen. Beispielsweise hätte man das Ganze über ein Melderecht der Patienten regeln können, was damit einhergehend eine Pflicht des Arztes beinhalten würde, den Patienten entsprechend zu beraten. Das wäre vom Effekt und auch von der Kommunikation her deutlich besser gewesen.
Ein weiterer Knackpunkt liegt darin, dass keine Trennung von Identitäts- und Krankheitsdaten vorgesehen ist. Ich könnte diese Liste noch beliebig fortsetzen, aber hier geht es zunächst um den Geschäftsordnungsantrag, damit dieser Gesetzentwurf rückverwiesen werden kann. Ich werbe noch einmal darum, so
Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion, ich darf Sie, von den Ausschussberatungen einmal abgesehen, darauf hinweisen, dass wir der Gesetzgeber sind und dass wir mit diesem Gesetzentwurf der Staatsregierung eine Blankovollmacht ausstellen würden, womit sie wesentliche Regelungsbereiche ohne unser Wissen nachträglich in einer Verordnung regeln könnte, wo sie aber gar nicht hingehören. Das können wir uns, wenn wir uns als Parlamentarier ernst nehmen, nicht leisten. Deshalb noch einmal der Appell: Stimmen Sie diesem Geschäftsordnungsantrag zu!
Danke schön, Frau Kollegin. – Der Kollege Zellmeier hat sich ebenfalls nach § 106 der Geschäftsordnung zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich erhebe Gegenrede zu diesem Geschäftsordnungsantrag. Wir haben den Gesetzentwurf ausführlich in den Ausschüssen beraten. Es gibt aus unserer Sicht nichts mehr, was nicht diskutiert worden wäre. Deshalb sollten wir heute zur Abstimmung kommen.
Doch, diese Probleme sind gelöst. Sie erschaffen hier künstlich Probleme, die nicht vorhanden sind. Ich habe volles Vertrauen in die Staatsregierung. Deshalb werden wir den Geschäftsordnungsantrag ablehnen.
Gibt es dazu weitere Wortmeldungen? – Das sehe ich nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Rücküberweisung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das ist die CSU-Fraktion. Damit ist der Antrag auf Rückverweisung abgelehnt.
Ich eröffne die Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Gesamtredezeit von 36 Minuten vereinbart. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich dabei an der Redezeit der stärksten Fraktion. – Erster Redner ist der Kollege Seidenath. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die Menschen in Bayern,
(Zurufe von der SPD: Das ist nicht in Ordnung! – Volkmar Halbleib (SPD): Es geht um die Rechte des Parlaments, Herr Kollege! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)
Beim Bayerischen Krebsregistergesetz, mit dessen Entwurf wir uns heute in Zweiter Lesung befassen und das wir auch anschließend beschließen werden, steht der Mensch im Mittelpunkt – der kranke Mensch, aber auch der Mensch, der noch gesund ist, jedoch Gefahr läuft, an Krebs zu erkranken.
Dabei geht es um ganz elementare Empfindungen. Eine Krebsdiagnose verändert das eigene Leben schlagartig. Wenn es heißt, ein gesunder Mensch habe Tausend Wünsche, ein Kranker aber nur einen, dann gilt das erst recht bei einer Krebsdiagnose. Jeder zweite Mann und zwei von fünf Frauen sind im Laufe ihres Lebens von einer Krebserkrankung betroffen. Deshalb lohnen hier die Anstrengungen, und deshalb ist das viele Geld, das die Krankenkassen und der Staat in die Hand nehmen, auch gut angelegt. Das neue Gesetz will und das neue Gesetz wird die Versorgung der krebskranken Patientinnen und Patienten in Bayern weiter verbessern. Das ist die gute Nachricht, die vom heutigen Tag ausgeht.
Schon jetzt gibt es sechs Tumorregister in Bayern: in München, in Augsburg, in Regensburg, in Erlangen, in Bayreuth und in Würzburg. Es handelt sich bislang um Register, die wohnortbezogen das Auftreten von Krebserkrankungen speichern, also epidemiologische Register, worin Wohnort und Art der Krebserkrankung gespeichert werden. Die neue Komponente ist nun, dass auch die Behandlungen, die angewandten Therapien gespeichert werden. Es kommt also eine behandlungsbezogene, klinische Komponente dazu, und
das flächendeckend. Deshalb wird das künftige Bayerische Krebsregister ein epidemiologisches und ein klinisches sein. Es wird nicht nur einen guten Überblick über die Örtlichkeit geben, wo welche Krebsart auftritt, sondern auch darüber, welche Therapie wie anschlägt. Zudem wird die Datenbasis breiter, da die Daten aller sechs bestehenden Register zusammengeführt werden. Das wird dann vor allem für seltene Krebsarten Erkenntnisgewinne bringen. Das also ist das Ziel des Gesetzes. Das sind die Chancen, die sich mit diesem neuen Gesetz verbinden, und wir wollen diese auch für die Bürgerinnen und Bürger, für die Betroffenen und ihre Familien nutzbar machen.
Seit der Ersten Lesung, meine Damen und Herren, am 28. September 2016 in diesem Haus haben wir uns sehr intensiv mit dem Gesetzentwurf befasst. Insbesondere gab es am 8. November 2016 eine Expertenanhörung. Wie erwartet, ging es um zwei große Themenbereiche: einmal um die möglichst optimale Fortsetzung der Arbeit der bisher schon bestehenden Tumorregister und zum anderen um das Thema Datenschutz.
Am Gesetzentwurf wurde fundamentale Kritik geäußert; wir haben es heute auch wieder von Frau Kollegin Sonnenholzner gehört. Wir haben die Verlautbarungen hierzu alle sehr wach und aufmerksam verfolgt. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe die Kritik trotz intensivsten Bemühens nicht verstanden,
(Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Karl Vetter (FREIE WÄHLER) – Volkmar Halbleib (SPD): Es könnte ein Problem sein!)
und das trotz der Vehemenz, mit der sie vorgetragen wurde. Oft hat sogar Polemik die Argumente ersetzt, und das tut sie weiterhin. Es gibt kein inhaltliches Substrat. Die Kritik ist laut und vehement, aber inhaltlich dünn und nicht greifbar. Lautstärke bzw. Polemik ersetzt hier das Argument.
Mit Verlaub: Auch der Dringlichkeitsantrag der SPD, über den wir hier beraten, zeugt davon. Sie haben sich offenbar von der Vehemenz beeindrucken lassen, ohne zu wissen, was eigentlich kritisiert wird. In Ihrem Dringlichkeitsantrag geht es ja nicht mehr um Konkretes oder um Details, um eine zielgerichtete Kritik, mit der Sie einzelne Teile verbessern wollen. Nein, hier erfolgt ein undifferenzierter Generalangriff auf das gesamte Gesetzgebungsvorhaben. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Der Antrag hat den Wortlaut:
Die Staatsregierung wird aufgefordert, ihren Gesetzentwurf für ein Bayerisches Krebsregistergesetz (Drs. 17/12630) zurückzuziehen und einen überarbeiteten Neuentwurf vorzulegen.
Dieser Dringlichkeitsantrag ist eine Bankrotterklärung für den Parlamentarismus und für uns Parlamentarier.
Der Gesetzentwurf war zu der Zeit, zu der der Dringlichkeitsantrag gestellt wurde, längst im Hoheitsbereich des Landtags. Er war im parlamentarischen Verfahren; und wer in diesem parlamentarischen Verfahren die Staatsregierung aufruft, den Entwurf zurückzuziehen und einen neuen vorzulegen, verkennt die Rolle des Parlaments komplett.
Wir, der Landtag, das Hohe Haus, sind die Legislative. Wenn uns ein Gesetzentwurf nicht passt, dann beschließen wir einen, der uns passt. Dazu muss man Argumente vorbringen; dazu muss man Lösungen vorschlagen: entweder einen neuen eigenen Gesetzentwurf, der dann den Anforderungen genügt, oder zumindest Änderungsanträge zum eingebrachten Gesetzentwurf. Beides hat die SPD-Fraktion nicht getan.
(Volkmar Halbleib (SPD): Wenn die Staatsregierung ihre Arbeit schlecht macht, kann man sie doch zurückgeben! )
Konkret, Herr Halbleib! Wenn Sie mich nicht ausreden lassen, sagen Sie bitte konkret, was Sie wollen!
Sie sagen nur: zurückziehen und neu machen, ohne dafür Leitlinien zu nennen. Damit machen Sie es sich viel zu einfach und agieren im Inkonkreten. Sie sind orientierungslos. Einem solchen Dringlichkeitsantrag können wir in keiner Weise folgen.
Wenn man nun meint, es gehe nicht mehr heftiger, das sei schon der Gipfel gewesen, dann sieht man sich eines Besseren belehrt. Die FREIEN WÄHLER hatten sich im Ausschuss bei der Abstimmung über diesen Dringlichkeitsantrag der SPD enthalten. Da hatte noch Hoffnung bestanden, dass sie dies aus besserer Einsicht getan hätten. Tatsächlich aber haben sie nun genau diesen Antrag noch einmal inhaltsgleich in den Landtag eingebacht.
Er wurde gestern, am Tag vor der Zweiten Lesung, im Ausschuss beraten. Spätestens hier entwickelt sich
die gesamte Angelegenheit zur Posse. Da fehlen einem die Worte! Wer auf diese Weise den Bulldozer aus der Garage holen muss – komplett einstampfen und neu auflegen, ohne konkret zu sagen, wie –, dem fehlen dann letztlich die Argumente. Dann ist selbst dem Antragsteller unklar, was er eigentlich kritisiert.
Hinzu kommt die Frage: Was ist das eigentlich für ein Demokratieverständnis? Die SPD hat den Antrag an genau dem Tag gestellt, an dem wir im Ausschuss intensiv über diesen Gesetzentwurf beraten haben. Danach hat sie gesagt: Wir sollen alles zurückziehen. Das hat mit Demokratieverständnis nur sehr wenig zu tun, zumal Sie auch in den Ausschussberatungen nicht klargemacht haben, was Sie am Gesetzentwurf eigentlich stört. Ich habe gestern schon gesagt, dass ich selten einen Antrag mit so großer Überzeugung abgelehnt habe wie diesen, und ich bitte das Hohe Haus, es genauso zu tun. Es ist eine Bankrotterklärung für den Parlamentarismus.