Protocol of the Session on February 1, 2017

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! "Demokratie stärken – Direktwahl des Bundespräsidenten einführen" lautet die Überschrift des Dringlichkeitsantrags. Die Zahl sieben steht normalerweise für Veränderung, aber diese Überschrift hatten wir schon einmal, nämlich im Jahr 2010. Ich muss ehrlich sagen: Damals waren die Überschrift und die Argumente die gleichen. Überzeugender sind sie auch im Jahr 2017 nicht.

Man kann sich grundsätzlich die Frage stellen, ob es der Bedeutung des höchsten Amtes bei uns im Staat gerecht wird, das Thema im Rahmen eines Dringlichkeitsantrags abzuhandeln. Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob das mit dem Respekt vor diesem Amt in Einklang zu bringen ist und ob das diesem Amt überhaupt gerecht wird.

Ich erinnere daran: Die Mütter und die Väter des Grundgesetzes haben sich bei der Schaffung des Grundgesetzes ganz bewusst gegen eine präsidiale Demokratie entschieden. Sie hatten aus den Erfahrungen der Weimarer Republik gelernt. Dort hatte der Reichspräsident dermaßen weitreichende Befugnisse, dass dies zu viel Missbrauch und zu keiner positiven Entwicklung dieser Demokratie geführt hat. Deshalb hat man beim Bundespräsidenten anders als beim Reichspräsidenten die Volkswahl bzw. Direktwahl herausgenommen. Man hat sozusagen die Bestimmung des Bundeskanzlers nicht beim Bundespräsidenten angesiedelt. Man hat bei diesem das Recht zur Auflösung des Parlaments nicht mehr in dieser Form angesiedelt und stattdessen – ich sage es jetzt mal so – das politische Machtzentrum auf die demokratisch und direkt gewählten Repräsentanten verlagert, nämlich auf den Bundestag und die Bundesregierung. Man hat also ganz bewusst keine präsidiale Demokratie geschaffen. Man hat ganz bewusst darauf verzichtet, hier eine Direktwahl zu installieren. Das Grundgesetz hat sich aus unserer Sicht genau mit dieser rechtlichen Konstruktion bewährt.

Der Kollege Aiwanger hat gerade gesagt, es gehe hier auch um die integrative Einheit eines Staates. Damit hat er recht. Der Bundespräsident soll die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zusammenführen und den Staat als solchen repräsentieren. Eine Direktwahl würde auch einen Direktwahlkampf voraussetzen und dann dieses Amt politisieren. Dann würde man genau dieses integrative Element der Verfassung letztendlich auflösen. Das halten wir nicht für den richtigen Weg. Gänzlich irritierend ist die folgende Formulierung: "im Sinne einer stärkeren Legitimation". Es ist doch nicht so, wie Sie jetzt behauptet haben, Herr Kollege.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Die haben Ihnen etwas aufgeschrieben, was ich gar nicht gesagt habe! Sie lesen Dinge vor, die ich gar nicht gesagt habe!)

Hier steht aber, "um die Legitimation des Bundespräsidenten zu stärken," wollen Sie ihn direkt wählen. So steht es in Ihrem Antrag. Da kann ich auch nichts machen. So steht es dort drin.

(Gudrun Brendel-Fischer (CSU): So steht es drin!)

Ich weiß nicht, ob Sie das gesagt haben, aber so lautet der Titel. So steht es in Ihrem Antrag.

Der Bundespräsident wird nicht, wie Sie gerade gesagt haben, von irgendwelchen Parteivorsitzenden bestimmt, sondern die Bundesversammlung wählt den Bundespräsidenten. In dieser sitzen hälftig die Vertreter des Deutschen Bundestages und hälftig Vertreter der Länder. Diese wählen den Bundespräsidenten. Also habe ich an der Legitimation des Bundespräsidenten überhaupt keine Zweifel. Alle unsere Bundespräsidenten hatten eine hohe Verankerung in Deutschland und haben einen hohen Respekt genossen. Jetzt zu sagen, das Amt des Bundespräsidenten werde nur durch eine Direktwahl gestärkt, halte ich nicht für den richtigen Weg.

Wir werden diesen Antrag deshalb ablehnen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass zum Beispiel bei Einführung einer Direktwahl auch das Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen verändert würde. Das möchten wir nicht. Da sich dieses sehr ausgewogene System in all den Jahren wirklich hervorragend bewährt hat, sind wir der Ansicht, dass es weiterentwickelt und vor allem bewahrt werden sollte. Somit ist für uns ein durch die Bundesversammlung gewählter Bundespräsident das Richtige. Wir werden Ihren Antrag deshalb auch im Jahr 2017 wie schon im Jahr 2010 ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Schindler das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema und die Diskussion darüber sind nicht neu. Da ich dem Landtag schon länger angehöre, habe ich das schon mehrfach miterlebt.

(Zuruf von den FREIEN WÄHLERN)

Diese Diskussion kommt nämlich immer dann auf, wenn eine Bundespräsidentenwahl bevorsteht. Sobald die Bundespräsidentenwahl vorbei ist, hört die Diskussion wieder auf. Wie vor fünf Jahren und vor zehn Jahren sage ich: Das ist auch gut so, meine Damen und Herren, dass die Diskussion dann wieder erledigt ist.

(Beifall bei der SPD)

Es haben sich schon viele daran versucht. Früher hat mal der Bundespräsident Horst Köhler diese Forderung erhoben. Dann waren es die LINKEN. Dann hat Christian Ude gemeint, diese Forderung aufgreifen zu müssen,

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Ein guter Mann!)

dann der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, der Herr Weber. Jetzt kommen zum zweiten Mal hintereinander die FREIEN WÄHLER mit ihrem Antrag aus dem Jahr 2009, den sie recycelt haben, auf diese Idee. Meine Damen und Herren, alle kennen die historischen Hintergründe, warum sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat nicht zufällig, sondern wohlüberlegt dafür entschieden haben, die Stellung des Bundespräsidenten gegenüber der Stellung des Reichspräsidenten in der Weimarer Verfassung deutlich zu schwächen. Es waren natürlich die damals noch in frischer Erinnerung vorhandenen Erfahrungen mit dem Reichspräsidenten Hindenburg, weshalb es gerade keine Direktwahl des neu geschaffenen Amtes des Bundespräsidenten geben sollte, sondern eine Wahl – nicht durch drei Parteivorsitzende, Herr Kollege Aiwanger – durch die Bundesversammlung, immerhin durch ein Gremium mit mehr als 1.000 Mitgliedern.

(Unruhe bei den FREIEN WÄHLERN)

Ich gebe zu, dass die Erfahrungen der Weimarer Zeit nach 70 Jahren Bundesrepublik Deutschland nicht mehr als Argument ausreichen, um eine neuerliche Diskussion zu unterlassen. Aber selbst wenn es die Erfahrungen der Weimarer Zeit und ihren Niedergang nicht gäbe, wären wir gegen den Vorschlag der FREIEN WÄHLER so, wie er heute wieder einmal vorgetragen worden ist, und zwar aus folgenden Gründen: Die Direktwahl des Bundespräsidenten würde seine Stellung gegenüber dem Bundeskanzler und dem Bundestag ganz erheblich stärken und seine Rolle verändern, sodass zwangsläufig eine Dynamik in Richtung einer Übertragung von mehr Befugnissen auf den direkt gewählten Bundespräsidenten ausgelöst werden würde. Wie das dann ausgeht, weiß niemand, aber das Entstehen einer solchen Dynamik, so glaube ich, wird hier keiner bestreiten können. Ich halte es für naiv zu glauben, dass ein direkt gewählter Präsident sich mit den Befugnissen begnügen könnte, die der jetzige Bundespräsident nach der jetzigen Verfassungslage hat.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Frau Merkel tut auch mehr als sie darf!)

Das ist schlicht nicht vorstellbar. Die Folge wäre schon eine grundlegende Veränderung der Verfas

sungsarchitektur von 1949: ein bisschen weg von der repräsentativen Demokratie, in der nur die Mitglieder des Bundestags direkt vom Volk gewählt werden, nicht aber die Bundeskanzlerin. Sie wird nicht vom Volk gewählt. Warum wollen wir eigentlich nicht die Bundeskanzlerin direkt vom Volk wählen lassen? – Das wäre doch nur konsequent, angesichts ihrer Argumentation, wir sollten hin zu einem System, wie wir es aus Frankreich und den USA kennen, das aber nicht unbedingt so viel besser ist – diesbezüglich verweise ich auf ganz aktuelle Entwicklungen –, sodass man sagen müsste: Dem müssen wir nacheifern.

Nein, meine Damen und Herren, wir würden zu einem politischen System kommen, in dem zwar weiterhin der Bundeskanzler dem Bundestag verantwortlich wäre, nicht aber der Bundespräsident, weil er nicht vom Bundestag oder von der Bundesversammlung gewählt worden ist, sondern vom Volk. Einen Bundeskanzler kann der Bundestag absetzen, wenn sich die notwendige konstruktive Mehrheit gegen ihn findet. Wie soll man aber bitte einen Bundespräsidenten, der vom Volk gewählt worden ist, zur Räson bringen und absetzen können? Haben Sie sich das einmal überlegt? – Die Amerikaner haben augenblicklich das Problem, dass sie überlegen müssen, wie man diesen vom Volk gewählten Präsidenten eigentlich wieder loswird.

(Beifall bei der SPD)

Genau das gleiche Problem könnten wir dann auch haben. Das kann man wollen, ich sage aber ausdrücklich: Wir wollen das nicht!

Meine Damen und Herren, eine Volkswahl des Präsidenten würde zwangsläufig auch zu einer relativen Entparlamentarisierung des politischen Systems in Deutschland führen. Das kann man wollen; wir wollen das nicht. Eine Volkswahl des Präsidenten würde eine Politisierung des Amtes des Bundespräsidenten mit sich bringen. Das ist aber genau das Gegenteil dessen, was Sie meinen, nämlich einen Bürgerpräsidenten. Fast alle Bundespräsidenten, die wir bisher hatten, hatten das Ansehen eines Bürgerpräsidenten. Sie waren bürgernah, beliebt beim Volk. Wenn der Bundespräsident direkt gewählt wird, dann ist er kein Bürgerpräsident mehr, dann ist er ein gewichtiges Staatsorgan, das eine ganz andere Rolle ausübt als bisher.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dieser Effekt würde zugleich auch Antiparteienressentiments befördern. Es bestünde die Gefahr, dass wir uns ein Stück weit von der repräsentativen Demokratie entfernen, hin zu einem vermeintlich überparteilichen Staatsoberhaupt. Nun muss ich wiederholen, was ich hier vor fünf oder

zehn Jahren schon einmal gesagt habe, weil ich meine, es ist richtig. Ich beziehe mich auf den Historiker Heinrich August Winkler, der diesen Effekt, wie ich meine zu Recht, als die typische deutsche Versuchung bezeichnet hat, der nicht stattgegeben werden sollte. Einer der großen Sozialdemokraten des letzten Jahrhunderts – Gustav Radbruch, Justizminister in der Weimarer Zeit – hat die Forderung nach Überparteilichkeit eines Präsidenten als die Lebenslüge des deutschen Obrigkeitsstaates bezeichnet. Es steht zu befürchten, dass die Korrektur des Grundgesetzes in Richtung auf eine Volkswahl des Bundespräsidenten zu einer Wiederbelebung dieser Ideologie der Geringschätzung und der Verächtlichmachung der Parteiensystems, des parlamentarischen Systems insgesamt führen könnte und der Sehnsucht nach dem starken Mann nachgeben würde. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Letzte Bemerkung: Die Direktwahl des Bundespräsidenten stärkt den Populismus, nicht die parlamentarische Demokratie. Sie hat nichts zu tun mit dem, was auch wir wollen, nämlich Volksabstimmungen auf Bundesebene zu sachpolitischen Fragen. Dafür sind wir leidenschaftlich. Gegen das aber, was Sie heute hier vorschlagen, sind wir aus den genannten Gründen nach wie vor.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Herr Kollege Gehring, bitte. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Regelmäßig wie das Murmeltier grüßt der Antrag der FREIEN WÄHLER zur Bundespräsidentenwahl kurz vor dem Wahltermin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Moment ist aber nicht die Zeit für populistische Schnellschüsse zur Verfasstheit unserer Demokratie, wahrlich nicht! Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten schließlich Gründe, warum sie die Institution des Bundespräsidenten so geschaffen haben und die Bundespräsidentenwahl einer Bundesversammlung übereignet haben. Zum ersten war es die historische Erfahrung, die sich auf die politische Rolle des Bundespräsidenten auswirkte. Vielleicht bekommen wir auch einmal eine Bundespräsidentin, das wäre schon lange an der Zeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Aber es war auch die Gesamtarchitektur unserer Demokratie, unserer Verfasstheit. Erfahrungen treten zwar im Lauf der Zeit zurück. Wenn ich mir aber einige liberale Demokratien derzeit weltweit anschaue, dann muss ich sagen, einige dieser Erfahrungen sind akuter denn je. Ich glaube, es ist wirklich nicht die Zeit, uns von diesen Erfahrungen zu verabschieden, sondern wir müssen sie sogar ernster nehmen als bislang.

Das Zweite ist die Kompetenz des Bundespräsidenten, beziehungsweise der Bundespräsidentin. Der Bundespräsident hat wenig Macht, kann aber viel Einfluss haben, wenn die Person das Amt dementsprechend wahrnimmt. Durch die Kraft der Rede und der moralischen Integrität kann diese Person sehr viel Einfluss haben. Hier geht es aber nicht um Macht, die durch die Wahl der Bürgerinnen und Bürger legitimiert werden muss, sondern es geht um den Einfluss als Person.

Das Dritte ist die Gesamtarchitektur unserer parlamentarischen Demokratie. Herr Kollege Schindler hat darauf hingewiesen: Wir haben eben keine Präsidialdemokratie, sondern eine Kanzlerdemokratie. Das heißt, die Regierung kommt aus dem Parlament, sie wird vom Parlament gewählt und kontrolliert. Undenkbar wäre eine Situation, in der ein Präsident eine stärkere demokratische Legitimation hat als ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin. Deshalb ist dies der falsche Weg. Es wäre gerade keine Stärkung der parlamentarischen Demokratie, wie es im Antrag der FREIEN WÄHLER heißt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Stärkung der Demokratie, das ist schon das richtige Stichwort. Wir müssen überlegen: Was sind dazu die richtigen Instrumente? Ihr Vorschlag würde, wie Sie selber schreiben, die Distanz zwischen den Bürgern und dem parlamentarischen demokratischen Staat nicht verringern, sondern würde diese Distanz eher vergrößern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Stärkung der Demokratie heißt, dass wir das Parlament stärken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sollten als Parlamentarier selbstbewusster sein, auch gegenüber der eigenen Regierung. Das gehört auch dazu. Es gehört dazu, die Arbeit des Parlaments transparenter zu machen, damit die Menschen sie besser nachvollziehen können. Ein Vorschlag dafür ist zum Beispiel, die Online-Petition zuzulassen. Eine andere Möglichkeit wäre, die Bürgerinnen und Bürger die Tagesordnung des Parlaments mitbestimmen zu

lassen. Das sind Möglichkeiten, das Parlament stärker zu machen. Stärkung der Demokratie heißt nicht, den Bürgerpräsidenten wählen zu lassen, sondern die Bürgerinnen und Bürger an der Gesetzgebung durch die Volksgesetzgebung zu beteiligen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb ist das Volksbegehren auch auf Bundesebene eine Forderung von uns. Unterstützen Sie sie. Eine andere Forderung, die wir immer wieder vortragen, ist die Erleichterung der Volksbegehren und der Bürgerentscheide auf Landesebene. Wir freuen uns, wenn Sie uns dabei unterstützen. Das ist der Weg zur Stärkung der Demokratie.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist jetzt tatsächlich nicht die Zeit, irgendwelche Blinker in Richtung Präsidialdemokratie zu setzen, sondern es geht darum, die parlamentarische Demokratie zu stärken. Ich bin überzeugt, dass wir in elf Tagen – viele von uns werden dabei sein – einen guten Bundespräsidenten wählen werden.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)