Protocol of the Session on November 22, 2016

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 87. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Heimat weltoffen, ökologisch und gerecht gestalten"

Erster Redner ist der Kollege Hartmann vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Kollege, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heimat: Das Wort hat viel zu tun mit Wärme, mit Geborgenheit, mit Kindheitserinnerungen, mit der Vorstellung der guten alten Zeit, auch wenn früher vieles gar nicht viel besser war, sondern schlechter. Heimat ist aber nicht nur eine Art sentimentales Poesiealbum. Heimat ist eine politische Idee. Sie steht für Stabilität, Verlässlichkeit und eine Art Fixpunkt im Leben, eben für das Gefühl: Hier bin ich zu Hause, hier gehöre ich dazu.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Heimat kann aber auch starr, beengt und hierarchisch sein. Wessen Familie nicht seit Generationen hier lebt, der gehört nicht dazu. Wer anders ist, der gehört nicht dazu. Wer etwas zu sagen hat und wer nicht, hängt vom Status ab und nicht von den guten Argumenten. So kann Heimat auch das Gefühl auslösen: Hier will ich weg.

Über Heimat und vor allem darüber, was Heimat sein soll, werden seit Langem leidenschaftliche Debatten geführt; und das ist auch gut so. Heute sagen vor allem die jüngeren Menschen: Heimat ist dort, wo es mir nicht egal ist, was in meiner unmittelbaren Umgebung passiert. Offenheit, Engagement, Gemeinsinn: Das macht die neue Heimat aus. Der frühere Schweizer Bundespräsident Moritz Leuenberger hat das sehr treffend formuliert: "Heimat entsteht nicht durch Abgrenzung, sondern durch Verbundenheit, durch Anteilnahme und durch Mitwirkung."

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn man ihm folgt, ist auch klar: Heimat ist ein politischer Ort. Heimat ist nicht so, weil sie schon immer so ist. Heimat ist das, was wir daraus machen. Daraus erwächst ein politischer Auftrag, nämlich, Heimat zu

einem lebenswerten Ort für alle zu machen. Heimat hat also viel mit der Vorstellung eines guten Lebens zu tun. Was ein gutes Leben ist, bestimmt nicht die Politik, sondern jede und jeder für sich selbst. Aber ob die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, das hat sehr wohl mit politischen Entscheidungen zu tun. Fast alle Menschen brauchen für ein gutes Leben die Erfüllung von mindestens vier Voraussetzungen: Anerkennung, Beteiligung, intakte Natur und soziale Gerechtigkeit. Lassen Sie mich darauf näher eingehen.

Menschen sind soziale Wesen. Sie wollen, dass man sie sieht, dass man sie hört, dass sie eine Reaktion darauf bekommen, was sie sagen und tun. Wenn die Welt dagegen stumm bleibt und sie nicht wahrnimmt, ziehen sie sich zurück.

Menschen brauchen Anerkennung. Wer sie verweigert, signalisiert: Du gehörst nicht dazu. Eine wesentliche Bedingung für ein gutes Leben und für das Gelingen der Heimat ist dann nicht erfüllt. Wer den Menschen einen Leitkult überstülpen will, wer ihnen jenseits von Gesetzen und Grundwerten vorschreiben will, wie sie zu leben haben, der löst Entfremdung aus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Er nimmt den Menschen die Anerkennung. Wer den Leitkult propagiert, macht Heimat kaputt. Menschen wollen mitreden, mitentscheiden, gerade wenn es um ihre unmittelbare Umgebung geht. Wichtig ist dabei nicht nur die richtige Haltung. Wichtig ist auch, den Bürgern mehr Informationen zu ermöglichen. Informieren der Bürgermeister und der Gemeinderat aktiv über die Vorhaben, die die Menschen vor Ort betreffen, oder entscheiden sie, bevor sie informieren? Geben sie die relevanten Informationen weiter, oder sagen sie nur das Nötigste und regieren durch? Erleben die Menschen, dass ihre Meinung gehört wird und dass sie zählt?

Wer nur zusehen muss, wie andere entscheiden, der ist frustriert und wendet sich ab. Leider auch bei uns in Bayern wird noch oft Politik nach Gutsherrenart betrieben, etwa wenn die CSU sich beharrlich weigert, endlich ein Transparenzgesetz zu verabschieden. Damit hätten die Bürgerinnen und Bürger endlich das Recht auf freien Zugang zu Informationen. Sie wären damit der Souverän und nicht länger der Bittsteller.

(Beifall bei den GRÜNEN – Erwin Huber (CSU): Alte Kamellen!)

"Beteiligung macht glücklich", sagt der Schweizer Ökonom Bruno Frey. Sie, die CSU, verweigern den Menschen mehr Beteiligung. So machen Sie Heimat kaputt.

(Lachen bei der CSU – Josef Zellmeier (CSU): Wer hat denn gegen die Volksbefragung geklagt?)

Die Volksbefragung war keine echte Bürgerbeteiligung.

(Josef Zellmeier (CSU): Doch!)

Das haben wir doch gestern sehr deutlich erfahren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Menschen wollen eine intakte Umwelt, saubere Luft, sauberes Wasser, naturnahe Landwirtschaft. Wo Gewerbegebiete, Umgehungsstraßen, Autoabgase und Lärm dominieren, fühlt sich niemand mehr wohl. Wo der Anspruch "Immer schneller, immer höher, immer weiter!" buchstäblich in die Landschaft hineingefräst wird, leidet die Lebensqualität.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wer die Landschaft betoniert und asphaltiert, wer die Schönheit Bayerns dem Flächenfraß opfert, macht Heimat kaputt,

(Erwin Huber (CSU): Hartmann, Mensch!) )

so wie Sie von der CSU es tun, insbesondere Ihr sogenannter Heimatminister Söder, der im Begriff ist, Heimat zu zerstören, anstatt sie zu bewahren.

(Thomas Kreuzer (CSU): Glaubt ihr eigentlich den Blödsinn?)

Auch soziale Gerechtigkeit ist entscheidend. Wer sich sorgt, wie er über die Runden kommt, kann kein gutes Leben führen. Wer nicht das Gefühl entwickeln kann: "Das ist meine Heimat!", der gehört nicht dazu. Wer aus einem armen Elternhaus kommt, ist wahrscheinlich auch selbst arm. Das ist leider die Realität im reichen Bayern. Diese Entwicklung wird durch die soziale Auslese, die Sie im bayerischen Schulsystem leider betreiben, weiter befeuert.

(Josef Zellmeier (CSU): Wo lebt ihr denn?)

Sie wird befeuert durch eine Politik, die verhindert, dass alle ihren fairen Beitrag für das Gemeinwesen leisten. Sie befeuern diese Entwicklung auch durch eine Politik, die gerechte Löhne als "bürokratisch" brandmarkt. Die CSU ist die Schutzheilige der Reichen, der Anwalt derer, die viel haben.

(Erwin Huber (CSU): So ein Blödsinn!)

Wer so agiert, macht Heimat kaputt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Heimat kann ein Bollwerk sein gegen Spaltung und gegen Ausgrenzung. Eine weltoffene Heimat ist ein Garant für Freiheit und Demokratie. Wer Heimat aber nur als Traditionspflege versteht, wird scheitern. In unserer modernen Gesellschaft heißt Heimat eben nicht, dass nur diejenigen gemeint sind, die schon immer hier leben. Die Hälfte aller Menschen in Bayern ist nicht hier geboren. Jeder Fünfte hat Wurzeln, die nicht in Deutschland liegen. Heimat ist vielfältig, nicht gleichförmig. Und Heimat ist nicht für alle endgültig; für viele ist sie nur vorübergehend.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Heimat ist etwas, worin noch niemand war. – Das sagt der Philosoph Ernst Bloch. Anders ausgedrückt: Heimat ist nie fertig. Heimat ist nie abgeschlossen. Dieser Anspruch ist in der heutigen Zeit aktueller denn je. In einer Zeit, in der viele glauben, dass Rückzug, Abgrenzung und Rückwärtsgewandtheit die richtigen Antworten auf die Globalisierung sind, brauchen wir mutige Ideen. Da reicht es nicht aus, sich einfach "Ordnung" auf die Fahne zu schreiben. Heimat neu zu denken, neu zu machen – das ist eine mutige Idee.

Wir wollen eine weltoffene und ökologisch intakte Heimat, in der sich alle auf Augenhöhe begegnen können. Eine Heimat, die soziale Gerechtigkeit bietet – das ist unsere Antwort auf die Globalisierung. Das ist unsere Antwort auf das Gefühl: "Das ist nicht mehr meine Welt!" Das ist unsere Alternative zur Politik der Eingrenzung und Abschottung, des Rückzugs auf sich selbst. Das ist unsere Alternative zu Aggression, Menschenfeindlichkeit und Hass. Das ist unsere Vision für eine bessere Zukunft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Herr Kollege Thomas Huber von der CSU-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

(Florian von Brunn (SPD): Grüne Krawatte, Herr Kollege?)

Extra für Sie, Herr Kollege. – Nein, für die Kollegen von den GRÜNEN.

(Heiterkeit – Harry Scheuenstuhl (SPD): Ja, ja!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Herr Hartmann, wissen Sie, welchen Eindruck ich gewonnen habe, während ich Ihnen zugehört habe? Sie hatten sich vorgenommen, zum Thema Heimat zu sprechen, mussten aber

erst einmal im Brockhaus nachschlagen, weil Sie mit dem Begriff sonst nichts anzufangen wissen. Dem entspricht Ihre Politik, dem entspricht die Politik der GRÜNEN insgesamt. Eine so emotionslose Beschreibung von Heimat habe ich noch nie gehört.

(Beifall bei der CSU und des Abgeordneten Flori- an Streibl (FREIE WÄHLER))

Herr Kollege Hartmann, ich bin seit 2013 Mitglied dieses Hohen Hauses. Aber so etwas Jämmerliches habe ich im Rahmen der Aktuellen Stunde noch nie erlebt.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von den GRÜNEN und der SPD: Na, na!)

Wenn ich in der Geschäftsordnung nachschlage, dann lese ich unter § 65, dass im Rahmen der Aktuellen Stunde "aus aktuellem Anlass über ein bestimmt bezeichnetes Thema" zu sprechen ist. Das, was Sie als Titel der heutigen Aktuellen Stunde angegeben haben: "Heimat weltoffen, ökologisch und gerecht gestalten", ist alles andere als "bestimmt bezeichnet". Es ist vielmehr ein Sammelsurium, ein Wischiwaschi an Themen. In der Tat wäre es wichtig, jedes dieser Themen einzeln zu betrachten und inhaltsreich zu behandeln. Aber so, wie Sie darüber hinweggegangen sind, können wir keine Aktuelle Stunde gestalten.

(Beifall bei der CSU)

Sie haben gesagt, die CSU und die Staatsregierung würden über die Köpfe der Bürger hinweg entscheiden, sie würden sie nicht einbinden.