Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 85. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Ich bitte Sie, des Polizeibeamten Daniel Ernst zu gedenken, der in der vergangenen Woche während der Ausübung seines Dienstes ermordet worden ist. Bei einer gerichtlich angeordneten Durchsuchungsaktion wurden insgesamt vier Beamte eines Spezialeinsatzkommandos zum Teil schwer verletzt. Daniel Ernst erlag in der Folge seinen schweren Verletzungen. Wir sind entsetzt und verurteilen aufs Schärfste diese brutale Gewalttat gegen Beamte, die in unserem Auftrag tätig waren, um für Schutz und Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Unser tiefes Mitgefühl gilt der Familie des getöteten Polizisten. Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Andenken bewahren. Den Verletzten wünschen wir von dieser Stelle aus baldige Genesung und alles Gute. –
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf Ihnen mitteilen, dass der Kollege Martin Neumeyer am 20. Oktober 2016 vor Frau Landtagspräsidentin Barbara Stamm zur Niederschrift erklärt hat, mit Ablauf des 31. Oktober 2016 auf sein Landtagsmandat zu verzichten. Der Kollege scheidet damit gemäß Artikel 56 Absatz 2 des Landeswahlgesetzes zum genannten Datum aus dem Bayerischen Landtag aus. Ich danke Kollegen Martin Neumeyer für seine engagierte parlamentarische Arbeit, die er 13 Jahre lang im Bayerischen Landtag geleistet hat. Insbesondere hat er sich in dieser Zeit sehr um das Thema Integration verdient gemacht – seit 2009 als Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung und zuletzt als Mitglied der Enquete-Kommission "Integration in Bayern aktiv gestalten und Richtung geben". Ich spreche dem Kollegen im Namen des gesamten Hauses meinen Dank für sein Engagement hier im Bayerischen Landtag aus und wünsche ihm für seine künftigen Aufgaben als Landrat von Kelheim viel Erfolg und alles Gute.
Bevor wir nun mit der Tagesordnung beginnen, darf ich noch zwei Glückwünsche aussprechen. Am 19. Oktober feierte Herr Kollege Klaus Adelt einen runden Geburtstag.
Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer parlamentarischen Arbeit.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Hans-Ulrich Pfaffmann, Dr. Paul Wengert u. a. und Fraktion (SPD) für ein Bayerisches Psychosoziales Notfallversorgungsgesetz (Drs. 17/13412) - Erste Lesung
Begründung und Aussprache werden miteinander verbunden. Damit sind für die SPD-Fraktion elf Minuten Redezeit vorgesehen. Ich eröffne damit zugleich die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Pfaffmann von der SPD. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer erinnert sich nicht an das schreckliche Zugunglück in Bad Aibling? Wer erinnert sich nicht an andere Großschadensereignisse in Bayern und weit darüber hinaus? Ich glaube, es ist sinnvoll und richtig, noch einmal zu betonen, wie wichtig und wie notwendig eine hoch qualifizierte Rettungskette in Bayern ist. Ich will die Gelegenheit heute noch einmal nutzen, allen, die vor Ort im Einsatz waren, der Polizei, den Rettungskräften, der Feuerwehr und vielen anderen, ein herzliches Dankeschön zu sagen. Sie sind der Garant für eine schnelle und effektive Hilfe, der Garant für eine Unterstützung der Unfallopfer und der Garant für eine Unterstützung auch derjenigen, die an dem Schadensereignis beteiligt sind. Ich glaube, wir sollten – da gibt es im Haus auch sicher keinen Dissens – für die Erfüllung dieser wichtigen Aufgabe noch einmal herzlich Dankeschön sagen.
Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren hat sich neben den erfahrenen Kräften, die sich etabliert haben, nämlich den Rettungsdiensten, der Feuerwehr und der Polizei – da hat Bayern eine sehr gute Struktur und Einsatzorganisation –, sozusagen eine weitere Abteilung der Rettungskette entwickelt, die heute bei der vernünftigen und umfassenden Unterstützung bei Großschadensereignissen oder auch bei Unfällen allgemeiner Art gar nicht mehr wegzudenken ist. Ich meine die sogenannte Krisenintervention und die Psychosoziale Notfallversorgung, die inzwischen nicht mehr wegzudenken ist.
Bei großen Unfällen und Schäden werden auch die Spezialisten für eine psychosoziale Versorgung alarmiert, um denjenigen beizustehen, die von dem Unfall nicht direkt, sondern indirekt betroffen sind. Wer soll zum Beispiel den Eltern nach einem plötzlichen Kindstod morgens oder wann auch immer helfen? Wer soll bei einem Unfall denjenigen Menschen beistehen, die am Rande betroffen sind? Das sind Angehörige und auch Zeugen. Wer soll den Rettungsassistenten oder den aktiv beteiligten Feuerwehrleuten beistehen, die täglich mit hohen psychischen Belastungen konfrontiert sind, wenn sie bei Unfällen zugegen sind? Ich war selber viele Jahre im Rettungsdienst tätig, im Hubschraubernotdienst und in anderen Bereichen. Ich kann bestätigen, dass die Belastung, der die Helferinnen und Helfer ausgesetzt sind, enorm ist. Deswegen ist es richtig und gut, dass sich in den letzten Jahren die Psychosoziale Notfallversorgung etabliert hat. Sie ist von der Rettungskette insgesamt nicht mehr wegzudenken.
Es gibt in der sogenannten Krisenintervention eine gute Zusammenarbeit der Spezialisten im Rettungsdienst mit den etablierten Rettungskräften. Sie sind gerne gesehen und helfen mit. Somit ist Bayern – das darf ich mal sagen – schon immer ein Vorreiter in der Psychosozialen Notfallversorgung gewesen. Ich darf daran erinnern, dass der Arbeiter-Samariter-Bund vor 20 Jahren das erste Kriseninterventionsteam in diesem Segment der Ersten Hilfe gegründet und etabliert hat, und zwar bundesweit.
Daraus hat sich bis heute ein hoch spezialisiertes Rettungsmittel entwickelt, das gar nicht mehr wegzudenken ist. Allerdings muss man betonen, dass sich aus den Grundlagen für die Psychosoziale Krisenintervention ein deutlicher Handlungsbedarf ableitet. In vielen Städten, Gemeinden und Landkreisen gibt es solche Einrichtungen, die allerdings in der Hauptsache auf ehrenamtliches Engagement ausgerichtet
sind. In der Landeshauptstadt München gibt es auch Hauptamtliche. Allerdings werden diese Strukturen bisher ausschließlich von den Hilfsorganisationen selbst finanziert. Man geht davon aus, dass es die Hilfsorganisationen schon richten werden. Das machen sie in der Regel auch.
Ich glaube aber, es ist jetzt grundsätzlich an der Zeit, dieses Segment der Ersten Hilfe auf ordentliche Füße zu stellen, und zwar auf gesetzlich geregelte Füße. Es gibt in der Rettungskette keine Abteilung ohne Gesetz. Wir haben ein Rettungsdienstgesetz, wir haben ein Polizeiaufgabengesetz, wir haben ein Feuerwehrgesetz. Alles hat gesetzliche Grundlagen, nur die Psychosoziale Notfallversorgung nicht. Deswegen bringen wir diesen Gesetzentwurf ein. Hier geht es darum, dass man qualifizierte Kräfte etabliert. Es geht darum, dass man die Aus-, Fort- und Weiterbildung organisiert. Es geht darum, die Finanzierung zu regeln und die Hilfsorganisationen mit der Erfüllung dieser Aufgaben nicht alleine zu lassen. Es geht darum, dass man Strukturen schafft, die die Psychosoziale Notfallversorgung grundsätzlich zu den Beteiligten im Rettungswesen in der Ersten Hilfe hinzunehmen. Da haben wir einen Nachholbedarf. Wir haben nicht in allen Landkreisen und allen Rettungszweckverbänden eine solche Abteilung. Wir haben nicht flächendeckend die Psychosoziale Notfallversorgung, sondern nur dort, wo das Hilfsorganisationen selber machen. Wir haben eine unzureichende Vernetzung. Wir haben die Setzung von Standards und die Finanzierung in der Psychosozialen Notfallversorgung nicht geregelt. Aus diesem Grund glaube ich, dass es auch eine Anerkennung der Betroffenen selber wäre, diese Lücke in der Rettungskette zu schließen.
Das ist im Prinzip gar nicht so schwierig. Wenn Sie Ihren Blick auf den Gesetzentwurf richten, wird Ihnen das auffallen. Wir haben Rettungszweckverbände. Wir haben Rettungsleitstellen. Wir müssen deswegen keine Strukturen komplett neu erfinden; wir haben sie bereits. Wir müssen nur dafür sorgen, dass die Rettungsleitstellen und die Rettungszweckverbände diese Aufgabe zu den Pflichtaufgaben bei einem Großschadensereignis oder bei einem Unfall hinzunehmen, was faktisch sowieso schon passiert, aber halt nicht überall. Wir haben ein hohes Interesse an einer hoch qualitativen, flächendeckenden Erste-HilfeVersorgung. Ohne die Psychosoziale Notfallversorgung ist diese Rettungskette eben nicht vollständig. Ich denke, dass die Hilfsorganisationen das verdient haben, und zwar auch in Bezug auf die Finanzierung. Deswegen bringen wir dieses Gesetz ein.
Meine Damen und Herren, wir möchten erreichen, dass die Psychosoziale Notfallversorgung eine öffentliche Aufgabe wird und damit wiederum von Bayern ein Signal ausgeht. Wenn dieses Gesetz Wirklichkeit werden sollte, was wir uns natürlich wünschen, wäre es das erste Gesetz in Deutschland, das die Psychosoziale Notfallversorgung auf feste gesetzliche Füße stellt. Das wäre ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einer Vorbildlichkeit Bayerns bei der Ersten Hilfe.
Deswegen wollen wir, dass diese Aufgabe zu einer öffentlichen Aufgabe per Gesetz wird. Träger sollen die Behörden, die Landkreise, die kreisfreien Städte und die Gemeinden werden. Die Umsetzung soll über die Rettungszweckverbände erfolgen, die wir ja schon haben. Angebotsträger sollen im Wesentlichen die Hilfsorganisationen und die Notfallseelsorge der Kirchen werden.
Ich will an dieser Stelle noch erwähnen, dass die Kirchen auch in dem Segment der Psychosozialen Notfallversorgung hervorragende Arbeit leisten. Sie arbeiten oft im Hintergrund, sind aber doch sehr präsent. Die Kirchen sind mittlerweile neben den Hilfsorganisationen zu einem wichtigen Träger der Psychosozialen Notfallversorgung geworden. Auch dafür geht unser herzlicher Dank an die Kirchen.
Es bleibt allerdings bei der Feststellung, dass die Kirchen bisher insoweit ohne gesetzliche Grundlage tätig werden.
Unser Gesetzentwurf sagt ferner aus, dass entsprechende Teams der Rettungsleitstellen sozusagen fest eingerichtet werden und bei Alarmierung wegen eines Großschadensereignisses oder eines anderen Unfalls mit den etablierten Rettungskräften vor Ort sein sollten.
Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf eine Beratungsinstitution schaffen, die Standards für die Psychosoziale Notfallversorgung definiert, Aus- und Fortbildung organisiert, grenzübergreifende Koordination bei Großschadensereignissen sicherstellt und fachliche Beratung der Rettungskräfte durchführt.
Eine Kontinuierliche Zentralstelle ist ebenso notwendig wie ein Qualitätsmanagement. Auch dies regelt der vorliegende Gesetzentwurf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir, dass wir dieses Thema fraktionsübergreifend aufgreifen. Es eignet sich nicht für eine parteipolitische bzw. pointiert politische Diskussion. Unser Ziel muss es
vielmehr sein, eine der hervorragendsten Aufgaben der öffentlichen Hand, die Sicherstellung der Ersten Hilfe und der Notfallversorgung, vernünftig zu regeln. Wir sind jederzeit bereit, über diesen Gesetzentwurf zu sprechen, um zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen, das fraktionsübergreifend getragen werden kann. Vielleicht gelingt es der CSU ausnahmsweise, den Reflex, Gesetzentwürfe der Opposition von vornherein einfach deshalb abzulehnen, weil sie von der Opposition kommen, zu überwinden. Dann können wir vielleicht eine vernünftige Lösung finden.
Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Herr Kollege Dünkel von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Lieber Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Pfaffmann, ich kann zwar nicht für alle Kolleginnen und Kollegen sprechen, aber für mich: Ich neige nicht zu Reflexen.
Ich darf zunächst betonen, dass auch ich das Thema für sehr wichtig halte. Da wir in Bayern eine etablierte und gut funktionierende Psychosoziale Notfallversorgung haben, kann ich an den Beginn meiner Ausführungen durchaus ein Wort des Dankes setzen. Mein Dank gilt allen Verbänden, die in die Notfallversorgung eingebunden sind. Ich danke den Helferinnen und Helfern aus dem kirchlichen Bereich, aus den diakonischen und karitativen Diensten und allen Verbänden, die bei schweren Einsatz- und Schadenslagen immer für die Unfallopfer, die Verletzten und deren Angehörige da sind.
Meine Damen und Herren, zu Beginn der Initiative – sie wurde im Jahr 2003 gestartet – hatten wir Großschadenslagen im Blick. Ich erinnere an das damalige Zugunglück in Eschede. Vor einiger Zeit gab es weitere schwere Unglücksfälle, etwa das Zugunglück in Bad Aibling und die Amokläufe in München, in der Nähe von Würzburg und in Ansbach. Aber es sind nicht nur die großen Schadens- und Einsatzlagen, in denen Retter sehr traumatisierende Erlebnisse verkraften müssen. Es sind auch die vielen vermeintlich kleinen Einsätze mit schrecklichen Bildern. Ich bin seit 28 Jahren Mitglied der Stützpunktfeuerwehr, ausgestattet unter anderem mit drei Rettungsscheren und zwei Spreizern. Unsere 13 Fahrzeuge sind mit den entsprechenden Werkzeugen ausgerüstet. Kolleginnen und Kollegen, die Kameradinnen und Kameraden sind den Helfern der Psychosozialen Notfallversorgung, die ihnen und ihren Angehörigen zur Seite stehen können, sehr dankbar.
Lassen Sie uns vor dem Hintergrund des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion betrachten, welche Vorkehrungen der Freistaat bereits getroffen hat, ob darüber hinaus ein neues Gesetz geschaffen werden muss, und wenn ja, mit welchem Inhalt.
Ich habe es schon angedeutet: Bereits im Jahr 2003 wandte sich der Freistaat Bayern mit einer Initiative an das Bundesinnenministerium, einen Forschungsauftrag zur Prävention im Einsatzwesen an die LMU zu vergeben. Mit dem Forschungsvorhaben sollten "bestehende und fortentwickelte Konzepte der primären und sekundären Prävention von posttraumatischen Belastungsstörungen bei freiwilligen Einsatzkräften", wie es dort heißt, evaluiert werden. In das Forschungsvorhaben war eine Erhebung über Belastungsstörungen bei den Angehörigen der Feuerwehren, des Rettungsdienstes und der freiwilligen Helfer anderer im Katastrophenschutz in Bayern mitwirkender Organisationen integriert; sie war sogar wesentlicher Bestandteil.
Die Forschungsarbeiten sind abgeschlossen. Seit 15 Jahren kann das Ergebnis im Internet eingesehen werden. Es hat sich vieles getan. Ein Ergebnis ist das, was wir heute als Struktur erkennen. Sie ist auf der Basis des Gutachtens in Kooperation mit den Spitzenverbänden der Rettungsdienste und dem Landesfeuerwehrverband Bayern entstanden.
In Anlehnung an die Empfehlungen im Schlussbericht wurden in Bayern folgende Institutionen geschaffen: eine Kontinuierliche Zentralstelle für Fragen der Psychosozialen Notfallversorgung, eine Koordinierungsgruppe im Akutfall zur Unterstützung der Kontinuierlichen Zentralstelle sowie ein Zentralstellenrat als Beirat, in dem alle nennenswerten beteiligten Organisationen vertreten sind.
Bereits im Jahr 2008 hat die Staatsregierung die in den Artikeln 10 bis 12 des vorliegenden Entwurfs der SPD-Fraktion vorgesehenen Institutionen ins Leben gerufen. Die Feststellung, dass alle Verbände einbezogen wurden, ist mir sehr wichtig, weil viele Elemente der Psychosozialen Notfallversorgung, die wir heute vorfinden, mit den Praktikern, mit denen, die jeden Tag und jede Nacht draußen sind, entwickelt wurden. Wir haben mit allen gemeinsam ein funktionierendes und solides Netzwerk aufgebaut, das im operativen Bereich insbesondere für die großen Schadenslagen die Möglichkeit bietet, lageangepasst auf den vor Ort erkannten Bedarf an PSNV-Kräften zu reagieren – vernetzt, organisiert, funktional.