Protocol of the Session on February 25, 2016

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 66. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben und eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 19. Januar verstarb im Alter von 57 Jahren Herr Franz Pienßel. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1998 bis 2003 an und vertrat für die CSU den Wahlkreis Oberbayern.

Während seiner Zugehörigkeit zum Landesparlament engagierte er sich im Ausschuss für Eingaben und Beschwerden sowie im Ausschuss für Wirtschaft, Verkehr und Technologie. Sein politisches Wirken im Bayerischen Landtag und darüber hinaus sah er als Dienst an den Bürgerinnen und Bürgern und im Sinne einer guten Entwicklung seiner Heimat an. Ebenso verdient gemacht hat er sich um die Belange des Mittelstands.

Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren und trauert mit der Familie und den Angehörigen. –

Sie haben sich zum Gedenken an den Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, darf ich noch einen Geburtstagsglückwunsch aussprechen. Am 19. Februar feierte Herr Staatssekretär Bernd Sibler einen halbrunden Geburtstag. Ich wünsche dem Geburtstagskind im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für seine parlamentarischen Aufgaben.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Konsequenzen aus dem Steuerfall Engelhorn: Steuerhinterziehung bekämpfen, Steuergerechtigkeit schaffen, Steuereinnahmen verbessern!"

Die Regeln der Aktuellen Stunde sind hinreichend bekannt.

Ich rufe als ersten Redner den Kollegen Dr. Herbert Kränzlein von der SPD auf. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorgestern hat der Paritätische Wohlfahrtsverband seinen Armutsbericht vorgelegt. Über 12 Millionen Menschen in Deutschland sind von Armut betroffen: Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinderreiche, schlecht Qualifizierte und ganz stark auch die Gruppe der Rentner. In Bayern ist die Tendenz derzeit sogar steigend. 11,5 % der Menschen in Bayern sind inzwischen von Armut betroffen. Die Reichen werden immer reicher, die Schere geht auf, und die Mittelschicht bröckelt.

Das ist zum einen ein Armutszeugnis für einen Sozialstaat, der einer der reichsten Staaten der Welt ist. Das ist gleichzeitig eine Herausforderung für diesen Staat, dieser Entwicklung entgegenzutreten. In dieser Entwicklung birgt sich sozialer Sprengstoff, den man nicht unterschätzen sollte. Die Gefahr ist groß, dass gerade die Rechtsextremen dieser Gruppe der Unterprivilegierten in alter Manier und bekannter Weise einen Sündenbock präsentieren, nämlich Ausländer und Flüchtlinge, und auf diese Weise das bisher stabile soziale Gefüge in Deutschland noch mehr ins Kippen gerät.

Auf der anderen Seite stehen Steuereinnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe, die dem Staat verloren gehen, und zwar durch eine aggressive Steuervermeidungs- oder Steuergestaltungspolitik auf der einen Seite und durch massive Formen der Steuerhinterziehung auf der anderen Seite. Hätten der Finanzminister im Bund und die Finanzminister in den Ländern auch nur die Hälfte des hinterzogenen Steuergeldes und der durch die Steuervermeidungspolitik verhinderten Zahlung, hätten sie keine finanziellen Sorgen mehr. Gleichzeitig könnten wir Steuerzahler mit niedrigeren Einkommen durch deutlich höhere Freibeträge entlasten, was im unteren Bereich durchaus angebracht wäre.

Genau in dieser Situation geriet wieder einmal – übrigens dank Presseberichterstattung – ein empörender Kriminalfall ins Blickfeld der Öffentlichkeit, der beispielhaft für diesen Zustand der Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ist – der Fall Engelhorn.

Curt Engelhorn, Pharma-Milliardär, hat im Jahr 1997 – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – 19 Milliarden DM für den Verkauf seines Unternehmens bekommen. Das Ganze blieb für ihn steuerfrei, weil er gerade noch rechtzeitig eine Lücke genutzt und Firma und Wohnsitz auf die Bermudas verlegt hat. Damit hat er keine Steuern gezahlt. Der

Bundestag hat erst danach dieses Schlupfloch gestopft.

Dieser Herr Engelhorn, der zwei Töchter hat, hat in den letzten Jahren – wiederum alles laut Presseberichten – Geschenke im Wert von mehreren 100 Millionen an die beiden Töchter gegeben, darunter einen Gutshof mit Pferdezucht – übrigens in meinem Stimmkreis Landsberg –, eine Villa am Starnberger See und die Hälfte einer Bermuda-Insel.

84 Millionen Euro hinterzogene Schenkungsteuerschuld haben dann dazu geführt, dass die Töchter als Beschenkte, die die Steuer nicht bezahlt haben, ein paar Tage in Untersuchungshaft kamen und dann ohne Auflagen, wie zum Beispiel eine Kaution, entlassen wurden, sich sehr schnell in die Schweiz abgesetzt haben und inzwischen dort auch die Staatsbürgerschaft erhalten haben, weil sie die deutsche abgelegt haben.

Es wurde ein Deal mit der Staatsanwaltschaft ausgehandelt. 135 Millionen wurden von den Anwälten der Familie als Steuerschaden akzeptiert. 135 Millionen: Diesen Betrag merken Sie sich. Eine Amtsrichterin hat das mit einem Strafbefehl erledigt: 720 Tagessätze á 3.000 Euro. Sie geht also von 90.000 Euro monatlichem Nettoeinkommen bei der jeweiligen betroffenen Tochter aus. Kein öffentliches Verfahren, keine detaillierte Aufklärung, aber eine zwölfseitige einvernehmliche Erklärung zwischen den Staranwälten der Familie und deren Steuerberatern und der Staatsanwaltschaft! Darin stand: da sich der Sachverhalt mit einem vertretbaren Zeit- und Arbeitsaufwand nicht aufklären lässt. Da sieht man, wie es mit der Waffengleichheit steht: Es gibt sie gar nicht. Zur Erinnerung: 28,5 Millionen Euro waren es bei Hoeneß. Bei Hoeneß gab es eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren – nach allgemeiner Einschätzung von Fachleuten schon eher eine milde Strafe. Hier aber geht es beinahe um das Fünffache an Schaden, und es gibt nur einen Strafbefehl.

Das ist genau die Problematik. Auf der einen Seite steht der Steuerstraftäter, bei diesem großen Umfang in der Regel mit zig gerissenen Staranwälten und Steuerberatern, und auf der anderen Seite der Staat mit im Verhältnis unterbezahlten oder jedenfalls nicht üppig bezahlten, aber massiv überlasteten Steuerfahndern und Justizorganen. Da fragt sich natürlich der Normalbürger: Sind die Ehrlichen wieder einmal die Dummen? Haben wir eine Zweiklassengerechtigkeit in diesem Land, Hunderttausende kleiner, gläserner und schon deshalb notgedrungen ehrlicher Steuerzahler auf der einen Seite und wenige Reiche und Superreiche, die legal, halblegal und illegal über GmbH-Ketten im Ausland, über Trusts, Treuhänder

und Stiftungen ihre Spuren verwischen, Vermögen verbergen und Steuerschulden minimieren, auf der anderen Seite?

(Beifall bei der SPD)

Die überlasteten Finanzbehörden – gerade in Bayern ist das ganz eklatant; wir haben immer wieder den Finger in diese Wunde gelegt und bei allen Haushaltsberatungen auf den Bedarf an mehr Mitarbeitern hingewiesen – kommen dann eventuell einmal über den Ankauf von Steuer-CDs in den Genuss, den einen oder anderen zu erwischen, wie auch in diesem Fall. Aber Nordrhein-Westfalen kauft an, und der Zickzackkurs der bayerischen Regierung ist in diesem Fall eher nicht hilfreich gewesen. CDU und CSU wollten ein Steuerabkommen mit der Schweiz, das genau die Aufklärung verhindert hätte. Inzwischen hat es hunderttausend Selbstanzeigen gegeben, weil dieser Weg von Rot-Grün geöffnet wurde. Dadurch sind auch mehrere Milliarden Euro in die bayerischen Staatskassen geflossen.

Darum haben wir heute diese Aktuelle Stunde. Wir werden darüber hinaus – darum gibt es auch den Aufklärungsantrag der SPD – auch hier wohl noch einmal ausführlich zu debattieren haben. Zum Glück hat sich die gesamte Gruppe der Parlamentarier im Rechtsausschuss hinter den Antrag der SPD gestellt; denn in diesem Fall ist wieder die Spitze eines Eisbergs sichtbar geworden.

(Beifall bei der SPD)

Es fehlt an Finanzbeamten und am Willen, Steuergerechtigkeit wirklich zu erreichen. Ich verweise da auf eine Presseinfo der Bayerischen Finanzgewerkschaft, die wahrlich nicht SPD-treu das sagt, was wir hören wollen, sondern dieses Thema eigentlich recht neutral anpackt. Aber auch sie weist darauf hin, wo der Hase im Pfeffer liegt, nämlich bei der Unterausstattung in ihren Bereichen.

Beispiele für Steuertricks und Steuerbetrug gibt es massenhaft; man kann gar nicht alle aufzählen. Aber man soll einmal daran erinnern: Permanent finden Umsatzsteuermanipulationen in Millionenhöhe statt. Die Fleischindustrie ist ein Beispiel. Es gibt die CumEx-Geschäfte, wo die Banken mithelfen, dass Steuern nicht an den Staat fließen. Es gibt das Modell der Patentboxen, bei denen sich die großen Firmen ziemlich steuerfrei stellen, und es gibt Milliardenverluste beim sogenannten Dividendenstripping. Der Bundesfinanzminister aber schaut da heute immer noch zu, obwohl dabei eine Bank wie die Commerzbank, die wiederum mit Milliarden aus Steuermitteln gerettet wurde, eifrig mit die Fäden zieht.

Wir haben viele prominente Fälle von Steuerhinterziehung: Sepp Krätz, Theo Sommer, Claus Zumwinkel, Boris Becker, Franz Beckenbauer, Alice Schwarzer oder Ecclestone, der mit seinem 100-Millionen-DollarDeal mit der Justiz glimpflich davongekommen ist. Man hat den Eindruck, dass die Politik entweder hilflos oder unwillig ist, gegen die Steuervermeidung vorzugehen. Der Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung – BEPS –, ein europäisches und OECD-Projekt, ist immer noch nicht auf den Weg gebracht. Es ist allerhöchste Zeit, jetzt etwas zu unternehmen, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung wirksam anzugehen, anstatt unsinnigen Steuerwettbewerb und Steuervermeidungsstrategien auch noch staatlich zu fördern, wie das die CSU gerade wieder bei der Korrektur der Erbschaftsteuer macht. Es ist ein Skandal, dass sich die CSU mit sieben neuen verfassungswidrigen Vorschlägen dagegenstellt, dass der Finanzminister, der derselben Union angehört, eine verfassungswidrige Regelung korrigiert,

(Beifall bei der SPD)

wie das in der Koalition schon ausgehandelt war. So kann es nicht weitergehen. Ich kann Sie nur bitten und auffordern: Geben Sie Ihren Widerstand gegen die Reform der Erbschaftsteuer auf! Wir im Parlament haben doch dafür zu sorgen, dass Steuergerechtigkeit keine hohle Phrase ist. Es geht schließlich um nicht weniger als um die Vermeidung einer Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen weniger Einzelner.

(Beifall bei der SPD)

Bevor Sie bei der CSU jetzt anfangen zu hyperventilieren, sage ich Ihnen, dass das keine Aussage aus dem sozialistischen Folterwerkzeugkasten ist, sondern dass es so in der Bayerischen Verfassung steht; denn in Artikel 123 werden wir dazu aufgefordert, so zu handeln. Steuerliche und strafrechtliche Regelwerke sind in der Regel für die Vielen engmaschig, aber für Wenige gibt es riesengroße Schlupflöcher.

Herr Kollege, ich darf Sie an die Zeit erinnern.

Diese Schlupflöcher wollen wir stopfen. Darum haben wir heute die Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt. Es geht darum, Steuerhinterziehung zu bekämpfen, Steuergerechtigkeit zu schaffen und Steuereinnahmen zu verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Herr Kollege Fackler von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

(Vom Redner nicht autori- siert) Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, Hohes Haus! Herr Kränzlein, ich habe mir schon gedacht, dass die Zauberformel der SPD für das Robin-Hood-Spiel ganz einfach aussieht: Mehr Kontrolle und mehr Steuerdaten-CDs führen automatisch zu weniger Steuerhinterziehung, und dadurch schaffen wir mehr Steuergerechtigkeit und verbessern zur Krönung unsere Steuereinnahmen.

(Volkmar Halbleib (SPD): Das sind die Fakten!)

Ja, ja, Herr Halbleib!

(Volkmar Halbleib (SPD): Ihr wolltet das alles nicht!)

Wenn es immer so einfach wäre,

(Volkmar Halbleib (SPD): Wenn man es will, ist es einfach!)

hätten wir von der CSU es gemeinsam mit unserem Finanzminister schon lange umgesetzt.

(Volkmar Halbleib (SPD): Sie wollen es doch gar nicht!)

Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist kein Willkürstaat, Deutschland ist ein Rechtsstaat.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Ein Unrechtsstaat! Das sagt Ihr Ministerpräsident!)

Ich rede von der Steuerverwaltung und nicht von der Asylverwaltung. An dieser Stelle möchte ich auf jeden Fall eine Lanze für die Justiz, für die Verwaltung und für unsere Rechtsordnung brechen. Wir haben eine funktionierende Steuerfahndung, wir haben eine funktionierende Rechtspflege, und wir haben gutes, leistungsfähiges und motiviertes Personal, insbesondere im Steuerbereich.

(Volkmar Halbleib (SPD): Schönreden ist eure Devise!)

Wie alle Fälle zeigen, nimmt die Steuerfahndung regelmäßig Ziele ins Visier, trifft auch ins Schwarze und sammelt viel Geld für unseren bayerischen Haushalt ein.