Frau Kollegin, bleiben Sie einen Moment am Rednerpult. Die Frau Kollegin Kamm hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte sehr, Frau Kollegin Kamm, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin Guttenberger, macht es Sie nicht auch traurig mitzubekommen, dass Menschen aufgrund von organisatorischem Versagen 24 Stunden an der Innbrücke stehen, dass Menschen teilweise aus Verzweiflung von der Innbrücke in den Inn springen in der Hoffnung, ans Ufer zu kommen? Macht es Sie nicht traurig, dass Kinder dabei sind, Alte und Kranke, die schutzlos der Witterung ausgeliefert sind? Macht Sie das Chaos an der bayerisch-österreichischen Grenze und das Chaos entlang den anderen europäischen Grenzen nicht traurig? Diese Situation sollte man verbessern, und man kann es auch. Ich habe doch gesehen, wie miserabel die Situation vor vier Wochen in Freilassing war und wie gut die Menschen dort sie in kleinen Schritten vor Ort verbessern konnten. Da könnte man mehr tun, auch an den anderen Grenzübergängen. Man muss sich um kleine Verbesserungen bemühen, um Lösungen hinzubekommen. Man kann nicht einfach sagen, Steinmeier und der österreichische Innenminister und wer auch immer könnten ab und zu telefonieren.
Frau Kollegin Kamm, bringen wir es auf den Nenner. Niemanden lässt so etwas unberührt. Man muss ganz klar eines sagen: Wenn nächtens unangemeldet so und so viele Busse zusätzlich hierher gebracht werden, ist das nicht zu beherrschen. Das ist bedauerlich, aber es wäre in keiner Weise zu koordinieren, wenn wir nicht die vielen ehrenamtlichen Helfer hätten, die genau das tun, was Sie sagen, nämlich Zelte aufzustellen, die Menschen mit Tee zu versorgen und Ähnliches. Es geht ja um Menschen, für die man versuchen muss, einen menschenwürdigen Aufenthalt an den Grenzen zu ermöglichen. Hier liegen unsere Meinungen überhaupt nicht auseinander; hier sind wir uns alle einig. Aber Sie können nicht so tun, als wäre das mit ein bisschen Koordinierung zu schaffen, das ist nicht möglich.
Es ist nicht zu schaffen, weil auch die Ehrenamtlichen bereits am Anschlag arbeiten. Es geht nicht, nur einmal zu sagen, jetzt könnten wir ein neues Zelt kaufen. Sie können nicht leugnen, dass es keine Zelte mehr im freien Verkauf gibt und dass man Engpässe beim Aufstellen der Betten hat. Man muss mit langen Bestellzeiten rechnen, um all diese Dinge wieder zur Verfügung zu haben. Es geht nicht, jetzt mit diesem Antrag so zu tun, als käme man damit auf den Punkt, und es werde aufgrund des Antrags gemacht. Das wird Gott sei Dank gemacht, weil das BRK und viele andere Helfer nicht auf einen Antrag warten, sondern weil sie anpacken.
Sie sehen, da ist ein Mensch, der braucht Hilfe. Diese Hilfe wollen sie ihm auch geben, so gut es unter den jeweiligen Gegebenheiten geht.
Danke schön, Frau Kollegin. - Als Nächster hat nun Herr Staatsminister Joachim Herrmann das Wort. Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Rinderspacher, Sie haben Ihren Beitrag vorhin mit der Bitte beendet, auf parteipolitisches Geplänkel zu verzichten und die Sache ernst zu nehmen. Diesen Satz hätte ich ernst genommen, wenn Sie Ihre Rede nicht mit dem unglaublichen Vorwurf begonnen hätten, wir würden die Lage absichtlich eskalieren lassen, um daraus parteipolitischen Nutzen zu ziehen. Dieser Vorwurf ist eine Unverschämtheit und mit nichts zu begründen!
Mit Ihrem Antrag wollten Sie eigentlich die Frage der Zusammenarbeit mit den österreichischen Behörden erörtern. Diese Frage wollten Sie heute in den Mittelpunkt der Debatte stellen. Von dem war aber in Ihrer Rede nicht allzu viel zu hören. - Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass wir von bayerischer Seite von Anbeginn alles dafür getan haben, eine enge Abstimmung und Kooperation zwischen den beteiligten deutschen Stellen untereinander und zwischen Deutschland bzw. Bayern und Österreich sicherzustellen. Eine enge Abstimmung zwischen allen beteiligten Bundes- und Landesbehörden auf deutscher Seite ist für die Bewältigung des Zustroms von Flüchtlingen natürlich un
erlässlich. Aufgrund der komplexen Herausforderungen gibt es eine Vielzahl von Schnittstellen. Um einen engen Kontakt in Zusammenhang mit den notwendigen Transportmaßnahmen zu gewährleisten, befindet sich ein Verbindungsbeamter der bayerischen Polizei in der Koordinierungsstelle Flüchtlingsverteilung des Bundes. Wir haben täglich Telefonkonferenzen. Es gibt wöchentliche Koordinierungsbesprechungen.
Ein Austausch findet aber nicht nur auf der Arbeitsebene statt; es gibt auch in kurzen Abständen Gespräche auf der Ebene der Staats- und der Bundesregierung. Seit Mitte September haben wir einen Verbindungsbeamten der bayerischen Polizei im Innenministerium in Wien. Ein Verbindungsbeamter der österreichischen Polizei ist im Polizeipräsidium Niederbayern tätig, um insbesondere für den Grenzbereich einen schnellen Informationsaustausch sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund ist das aktuelle Verhalten der österreichischen Seite in der Tat umso unverständlicher. In den letzten Tagen kam es wiederholt zu einer unkontrollierten und unangekündigten Zuführung von Flüchtlingen an österreichisch-deutschen Grenzübergängen. Um Missverständnisse zu vermeiden, sage ich ausdrücklich: Es ist keineswegs so, dass es keine Ankündigungen von Österreich gibt. Sie sind aber nicht umfassend.
Sie sind in manchen Bereichen auch grob irreführend. Ich nenne Ihnen jetzt mal ein Beispiel, bei dem die Situation eskaliert ist. Das war vorgestern, in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober. Ich nehme jetzt nur mal den Landkreis Passau. Für Achleiten wurden für 22.00 Uhr 1.050 Flüchtlinge angekündigt. Es kamen 1.100. Das ist kein Problem. - Für den gleichen Zeitpunkt wurden für den Ort Wegscheid, auch im Landkreis Passau, 950 Flüchtlinge angekündigt. Es kamen aber 2.800.
Ich darf darauf hinweisen, dass wir uns nicht mehr in einer Situation wie im Juli befinden. Damals haben wir hier darüber debattiert, dass der kriminelle Schleuser aus Osteuropa nachts um 03.00 Uhr irgendwo auf der Autobahn in unverantwortlicher Weise Flüchtlinge an der Autobahn auslädt und wir dann schauen müssen, dass wir schon zur Rettung von Menschenleben diese Menschen ganz schnell einsammeln, weil es auf der Autobahn lebensgefährlich ist.
Wir befinden uns derzeit in folgender Situation: Wir sprechen von Bussen, die sich entweder im Eigentum der Republik Österreich befinden - beispielsweise im Besitz des Bundesheeres – oder die auf Bestellung und Bezahlung der Republik Österreich innerhalb von
Österreich Flüchtlinge transportieren. Diese Busse fahren nachts nicht beispielsweise den Grenzübergang Salzburg/Freilassing an, sondern diese Busse, sozusagen österreichische Staatsbusse, laden nachts um 22.00 Uhr statt der angekündigten 950 Flüchtlinge 2.800 Flüchtlinge in Wegscheid ab, kurz vor dem Bayerischen Wald. Die Menschen werden nicht mehr drei Kilometer vor der Grenze, sondern wenige Hundert Meter vor der Grenze abgeladen. Es ist auch keine Betreuung mehr von österreichischer Seite gegeben oder gar eine Unterkunft, damit die Menschen noch in Österreich übernachten könnten. Nein, die werden dort abgeladen mit dem Ziel, dass die Menschen nachts um 22.00 Uhr über die Grenze laufen. Jeder Mensch weiß, wenn so viele Flüchtlinge nicht angekündigt werden, dann stehen doch in Wegscheid nicht zufällig 30 Busse bereit, die darauf warten, nachts um 22.00 Uhr Flüchtlinge abzuholen. Frau Kollegin, da muss ich jetzt schon fragen: Wer trägt für diese Flüchtlinge, die nachts um 22.00 Uhr ankommen, die Verantwortung?
Da mache ich der Bundespolizei vor Ort keinen Vorwurf. Die Bundespolizei im Landkreis Passau muss sich nicht darauf einstellen, dass unangemeldet 1.500 Flüchtlinge mehr als angekündigt nachts um 22.00 Uhr an der Grenze stehen. Auch der Landrat von Passau muss sich darauf nicht einstellen, meine Damen und Herren.
Die Verantwortung dafür trägt die österreichische Regierung unter Führung eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers!
(Lebhafter Beifall bei der CSU – Zurufe von der CSU: Bravo, bravo! – Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Und auf deutscher Seite ist eine schwarze Bundeskanzlerin!)
Nachdem wir das gestern kritisiert haben, hat Herr Bundeskanzler Faymann im Fernsehen erklärt: Wir kommen nur unserer humanitären Aufgabe nach. – Das ist ein bemerkenswertes Verständnis einer humanitären Aufgabe.
Da rede ich jetzt gar nicht von dem Grundproblem, dass in Kroatien, Slowenien und Österreich nur noch auf Durchzug geschaltet wird.
Vielmehr geht es speziell um die Frage, ob es in Ordnung ist, in dieser Art und Weise mit den Flüchtlingen umzugehen. Ich kann nur sagen: Es wäre vernünftig, das zumindest anzukündigen. Deshalb habe ich gestern Nacht die österreichische Innenministerin noch einmal angerufen. Dass wir davon nicht begeistert sind, ist eine ganz andere Frage. Die vielen Flüchtlinge aber noch nicht einmal anzukündigen - wohlgemerkt, nicht Menschen, die irgendwo herumirren, sondern Flüchtlinge, die auf Staatskosten und auf staatliche Anweisung transportiert werden -, dafür fehlt mir jedes Verständnis. Das habe ich gestern klar zum Ausdruck gebracht.
Herr Innenminister, Sie haben erwähnt, dass Sie zwei Verbindungsbeamte haben, einen bayerischen in Wien und einen österreichischen hier. Wie ist es dann möglich, dass solche Vorfälle stattfinden? Wie können sie zukünftig verhindert werden? Was haben Sie gemacht, dass die Koordination besser läuft?
Frau Kollegin Kamm, das ist doch genau der Punkt. Es liegt nicht daran, dass wir nicht erreichbar wären. Es liegt nicht daran, dass es bei uns nicht Tag und Nacht jemanden gäbe, den man informieren könnte. Wir haben einen Koordinierungsstab im Innenministerium, der rund um die Uhr besetzt ist: 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Die Österreicher haben die Telefonnummer, der Beamte sitzt im Innenministerium in Wien. Es liegt also nicht daran, dass man uns oder der Bundespolizei nicht zu jeder Minute an jedem Tag eine entsprechende Mitteilung machen könnte. Das kann man an jedem Tag und zu jeder Minute tun. Wenn ein Bus mehr unterwegs ist als angekündigt, dann rede ich darüber nicht. Wenn aber 1.000 oder mehr Flüchtlinge kommen als angekündigt und wenn das wiederholt passiert, so wie in den letzten Tagen, dann ist das doch kein Zufall mehr. Dahinter muss man doch eine Absicht vermuten. Das ist es, was mich ärgert und aufregt.
das einige Leute in München nach wie vor nicht richtig verstanden haben. Es geht doch nicht darum, dass man Münchner Betreuungsangebote nicht annehmen wollte. Es ist doch so: Seit wir Grenzkontrollen haben, kommen die Menschen an den Grenzen an. Ich will es noch einmal sagen, obwohl ich eigentlich glaube, dass Sie das selbst durchschaut haben, lieber Herr Kollege Rinderspacher: In den ersten Tagen nach dem 5. September saßen die Leute in den regulären Zügen aus Österreich und kamen plötzlich am Münchner Hauptbahnhof an.
Das hat sich seit der Einführung der Grenzkontrollen verändert. Seitdem kommen die Menschen an der Grenze an. Das liegt nicht daran, dass jemand etwas für oder gegen München tun will. Das ganze Geschehen hat sich grundlegend verändert. Selbstverständlich nehmen wir gerne jedes Angebot an, um die Menschen nachts um 23.00 Uhr nach München zu transportieren. Das Problem ist – das wollte ich gerade deutlich machen -, dazu brauchen Sie in Wegscheid Busse mit Platz für 1.000 Leute nachts um 23.00 Uhr. Die stehen aber nicht auf der Straße rum, weil keiner damit rechnet, dass nachts um 22.00 Uhr noch einmal 1.000 Menschen mehr ankommen. Wenn man die Busse hat, kann man die Menschen auch nach München fahren.
Wir werben seit Tagen dafür, dass die Bahn mehr Sonderzüge einsetzt. Ich nehme zur Kenntnis, dass diese Riesenorganisation Deutsche Bahn mit fünf Sonderzügen pro Tag an den Rand ihrer Kapazitäten gekommen ist. Ich kann das Gegenteil nicht beweisen. Vielleicht ist es aufgrund der Sparkurse der letzten Jahre tatsächlich so, dass die Deutsche Bahn keine Reserven mehr hat. Wir wären sehr dafür, dass mehr Sonderzüge fahren. Vor zwei Stunden habe ich erfahren, dass mithilfe eines privaten Bahnbetreibers, wie wir hoffen, ab heute Abend ein zusätzlicher innerbayerischer Sonderzug von Passau nach Freising fahren wird, um zusätzliche Flüchtlinge in den Raum München zu transportieren, die in Erding, in der Landeshauptstadt München oder anderswo untergebracht werden. Darüber hinaus hat der Bund anvisiert, wesentlich mehr Buskapazitäten zu organisieren. Solange das in Österreich so läuft, darf keine Vorbestellungsfrist von drei Tagen oder dergleichen bestehen. Wir haben darauf hingewiesen, dass das wichtig ist. Wir oder vielmehr die Bundespolizei – eigentlich ist es eine reine Bundesangelegenheit – ist damit konfrontiert, dass völlig unvorbereitet von einer Stunde auf die andere Flüchtlinge da sind. Der Bustransport muss so organisiert werden, dass die Busse genauso kurzfristig zur Verfügung stehen.
Wir kümmern uns um diese Themen. In der Summe ist es nach wie vor – das will ich absolut nicht verheh
len – eine grandiose Leistung der Menschen – das sage ich ausdrücklich – bei der Deutschen Bahn, der Kolleginnen und Kollegen der Bundespolizei und der Landespolizei, der Helferinnen und Helfer beim Roten Kreuz und in anderen Organisationen, was bereits über viele Wochen hinweg an Ausnahmeleistungen erbracht wird, um dem Schicksal dieser Flüchtlinge einigermaßen gerecht zu werden. Deshalb sage ich ausdrücklich an dieser Stelle denen, die Tag und Nacht zum Teil bis an den Rand ihrer Erschöpfung arbeiten, ein herzliches Dankeschön. Es ist großartig, dass diese Leistung erbracht wird.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kern des Problems – daraus mache ich keinen Hehl – beschränkt sich vor allen Dingen mittelund langfristig nicht auf die organisatorische und logistische Beherrschung der Situation nachts an der Grenze. Das ist zwar wichtig für den einzelnen Menschen, aber die langfristige Lösung dieses Problems ist mit der Frage verbunden, ob die Bundesrepublik Deutschland die Vielzahl an Flüchtlingen aufnehmen kann. Tag für Tag kommen – das ist die Größenordnung – 10.000 Flüchtlinge. Wenn an 365 Tagen 10.000 Leute täglich kommen – das sage ich rein theoretisch –, ergibt das 3,5 Millionen Menschen. Das ist eine einfache Multiplikationsaufgabe. In Berlin geht es um die simple Erkenntnis, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage ist, 3,5 Millionen Menschen in einem Jahr aufzunehmen. Es bedarf einer grundlegenden Kurskorrektur, um diese Flüchtlingszahlen einzugrenzen. Darum geht es, und vor der Herausforderung stehen wir.
Herr Staatsminister, Frau Kollegin Stamm hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Staatsminister, gestern war ich ungefähr eine halbe Stunde, nachdem die zwei Flüchtlinge in den Inn gesprungen sind, in Simbach am Inn. Ich glaube, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was es bedeutet, bei diesen Temperaturen in den Inn zu springen. Gestern kamen in Simbach bzw. in Braunau über 24 Stunden keine Busse auf der österreichischen Seite an, weil man hoffte – davon haben Sie gerade nicht geredet -, dass alle Flüchtlinge auf deutscher Seite wegtransportiert werden können. – Das war nicht der Fall. Die Menschen saßen weiterhin mit vielen kleinen Kindern auf der Brücke, und zwar teilweise über 24 Stunden.