Protocol of the Session on June 18, 2015

(Beifall bei der SPD)

Frau Kolle gin SchreyerStäblein, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Frau Kollegin Wild, da ich Linsenträgerin bin, brauche ich keine ro sarote Brille aufzusetzen; mir ist der Durchblick auch so möglich. Das ist ein großer Vorteil, den ich habe.

(Zuruf von der SPD: Oh!)

Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Die Architektenkam mer hat bereits 1997 im Landkreis München, in dem ich seit 1996 Kreisrätin sein darf, Vorträge zu diesem Thema gehalten. Wir hatten bereits damals die Mög lichkeit, entsprechende Erkenntnisse zu gewinnen und Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Unabhän gig von der politischen Farbe des Landrats bezie hungsweise der Landrätin war es uns fraktionsüber greifend möglich, unsere Vorhaben umzusetzen, auch weil wir das Ziel mit Verve und Freude vertreten haben; das hilft manchmal.

Der Sozialausschuss, in dem ich mit zuständig sein darf, hat für den Landkreis München extra Stellen für die Beratung eingerichtet. Ein Architekt steht als An sprechpartner bereit. Das ist insbesondere dann wich

tig, wenn es um die Herstellung von Barrierefreiheit für ältere Menschen geht. Der Architekt kann für den Umbau des Hauses wichtige Hinweise geben.

Wir haben in viele Richtungen etwas in die Wege ge leitet. Ich bin mir sicher, dass der Landkreis München nicht der einzige Landkreis ist, der so agiert hat. Falls dem doch so sein sollte, wäre das sehr schade. Klar ist: Wir alle können einen Beitrag dazu leisten, dass wir weiter vorankommen.

Sie von der Opposition können an allen möglichen Stellen mehr fordern; diese Möglichkeit haben Sie. Ich fände es schöner, wenn wir alle hinausgehen und die Menschen motivieren würden. Das gelingt zum Bei spiel dadurch, dass wir darauf hinweisen, wie viel schon funktioniert, nicht aber dadurch, dass wir immer nur meckern und sagen, was alles noch möglich wäre.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächster hat Herr Kollege Hanisch von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrtes Präsidium, meine Damen und Herren! "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", möchte ich als letzter Redner nach dieser Diskussion sagen.

Herr Kollege Unterländer, da Sie der Kollegin Wild ge sagt haben, wenn sie sich informieren würde, würde sie anders reden, möchte ich Ihnen entgegen: Wür den Sie sich informieren, dann könnten Sie die Leis tungen des Freistaates Bayern auch anders messen.

Ich kann mich an meine Anfangsjahre als junger Bür germeister erinnern. Damals beteiligte sich meine Heimatgemeinde an dem Wettbewerb um die "behin dertenfreundlichste Gemeinde" des Freistaates Bay ern. Es gab vier Kategorien. Wir erreichten den ersten Platz; aber deshalb erwähne ich das nicht. Ich möchte aber sehr wohl erwähnen, dass bei der Preisverlei hung der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß soweit ich mich erinnern kann, gehörte er der CSU an betonte, wie wichtig für den Freistaat Bay ern Behindertenfreundlichkeit und Barrierefreiheit seien. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Rede übermitteln; ich habe sie mir aufgehoben. Das war vor 31 Jahren!

Heute messe ich Sie nicht an den Aussagen Ihres da maligen Ministerpräsidenten. Ich weise allerdings da rauf hin, dass in den vergangenen 31 Jahren immer die CSU in der Regierungsverantwortung war. Heute

messe ich Sie an dem, was in diesen 31 Jahren pas siert ist.

(Zuruf von den FREIEN WÄHLERN: Nichts!)

Passiert ist relativ wenig; sonst wären in den Diskussi onsbeiträgen, die wir heute gehört haben, nicht all die Ziele, die schon damals formuliert wurden, erneut her vorgehoben worden. Schon damals ist gesagt wor den, Barrierefreiheit und Behindertenfreundlichkeit ge hörten zu den wichtigsten Zielen Bayerns. Dieselben Worte habe ich heute wieder gehört. Allerdings sollen die Ziele in 10 Jahren erreicht werden. In den über 30 Jahren zuvor ist also – ich habe es schon gesagt relativ wenig passiert. Angesichts dessen sollten Sie, Herr Unterländer, nicht so forsche Worte wählen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie sich informiert hätten, dann würden Sie das anders beurteilen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir liegen im Prinzip gar nicht weit auseinander. Nachdem ich die Beiträge der Vorredner gehört habe, fällt es mir schwer, noch etwas zu finden, was nicht erwähnt worden ist. Ich könnte auf Defizite bei der Barrierefreiheit unserer Bahnhöfe verweisen. Da geht es nicht nur um kleine Orte, sondern auch um Städte wie Augsburg und Würzburg. Ich könnte auch Kempten, Kaufbeuren, Weiden und Schwandorf nennen. Dann würden Sie mir wieder entgegnen, zuständig sei die Bahn bzw. der Bund. Sie wissen genau, dass der Freistaat Bay ern sozusagen Teil des Pakets ist. Wir würden auch der Bedeutung des Freistaates Bayern in keiner Weise gerecht, wenn wir plötzlich behaupten würden, wir könnten auf diesem Gebiet nichts machen, weil die anderen zuständig seien. Ich gehe davon aus, dass wir im Bund und bei der Bahn so viel Einfluss haben, dass dann, wenn wir ihn geltend machen wür den, unsere Bahnhöfe besser ausgestattet wären, als sie es heute sind.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge ordneten der SPD)

Ich habe gehört, dass es eine Datenbank zu Defiziten bzw. zum Nachholbedarf bei der Barrierefreiheit in staatlichen Gebäuden gibt. Ich wünsche mir, dass es so etwas auch für die kommunale Ebene gibt. Im Zeit alter der EDV ist das sicherlich kein großes Problem. Dann wüssten wir, worüber wir reden.

Da die kommunale Ebene häufig erwähnt wurde, noch eine Anmerkung dazu: Meine Damen und Her ren von der Staatsregierung, betrachten Sie die Kom munen als Partner! Dort draußen sind Leute, deren primäres Interesse es ist, Barrierefreiheit für ihre Bür

ger zu schaffen. Die Leute vor Ort nehmen auch eige nes Geld in die Hand. Sie erwarten aber, dass der Freistaat für die Kommunen geeignete Programme auflegt. Ein paar gibt es, das wissen wir, aber da muss noch viel mehr passieren. Es bedarf einer höhe ren Förderung; sonst sind die Kommunen nicht in der Lage, diese Aufgaben zu erfüllen. Es geht übrigens nicht nur um barrierefreie Rathäuser – dafür gab es einmal ein Staatsprogramm; warum es nicht fortge führt wurde, weiß ich nicht , sondern auch um Schu len, um Kindergärten und um den Gehsteig, den ein alter Mann oder eine alte Frau überqueren muss, was schwieriger ist, wenn die Bordsteine nicht abgesenkt sind. Diese Aufzählung ließe sich xbeliebig verlän gern.

Das sind wichtige Punkte. Sie haben einen Partner, auf den Sie Einfluss haben, liebe Emilia Müller. Nut zen Sie diese Gelegenheit! Nutzen Sie die Bereit schaft der Kommunen, für Barrierefreiheit und Behin dertenfreundlichkeit noch mehr zu tun, indem Sie ihnen ein bisschen mehr Geld zur Verfügung stellen und neue Programme auflegen! Durch den Multiplika toreffekt würden Sie ein Vielfaches dessen erreichen, was Sie erreichen, wenn der Freistaat die Kosten selbst übernimmt, weil er keine Partner hat, mit denen er sie teilen kann.

Meine Damen und Herren, vorhin ist der Satz gefal len: Barrieren müssen auch in den Köpfen abgebaut werden. – Dem stimme ich zu. Wir müssen aber er kennen, dass wir auch in der Praxis noch mehr tun müssen. Das habe ich vorhin in allen Diskussionsbei trägen gehört. Tun wir es! Nicht nur Worte, sondern auch Taten müssen unserer Diskussion folgen. Das wünsche ich mir. – In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge ordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Kol lege. – Frau Staatsministerin Müller hat für die Staats regierung um das Wort gebeten. Bitte schön, Frau Staatsministerin.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bayern soll bis 2023 im öffentlichen Raum barrierefrei sein. Das hat der Ministerpräsident in seiner Regie rungserklärung im November 2013 als besonders an spruchsvolles und richtiges Ziel formuliert. Barriere freiheit und Behindertenfreundlichkeit sind dem Ministerpräsidenten ganz besondere Anliegen.

(Volkmar Halbleib (SPD): Dann muss er mehr tun!)

Mit dem Programm "Bayern barrierefrei" packen wir es an – mehr als jemals zuvor.

Barrierefreiheit ist für sehr viele Menschen von zentra ler Bedeutung: natürlich für Menschen mit Behinde rung, für ältere Bürgerinnen und Bürger, die in ihrer Bewegung eingeschränkt und zum Beispiel mit einem Rollator unterwegs sind, für Familien mit Kinderwa gen, für alle, die wegen einer Sportverletzung gerade mit Krücken laufen müssen, oder für Familien, die sich beim Großeinkauf über einen Aufzug statt über Stufen freuen. Kurz: Jeder von uns profitiert von leicht zugänglichen Wegen und Gebäuden. Niemand soll ausgegrenzt werden. "Bayern barrierefrei" ist ein Pro gramm für alle, und dieses Programm ist bundesweit auf jeden Fall einzigartig.

(Beifall bei der CSU)

Was haben wir mit "Bayern barrierefrei" schon er reicht? Die Regierungserklärung von Ministerpräsi dent Seehofer hat vor allem einen beachtlichen Be wusstseinswandel in den Köpfen der Menschen hervorgerufen. "Bayern barrierefrei" bewegt. Seit die ser Zielformulierung wird Barrierefreiheit in allen Be reichen mitgedacht, mitgeplant und mit umgesetzt. Ich bin davon überzeugt: Dieser Bewusstseinswandel ist ein entscheidender Schritt zu einer inklusiven Gesell schaft. Neben den Barrieren aus Beton sind es vor allem die Barrieren in unseren Köpfen, die wir abbau en müssen.

Mehr Sensibilisierung ist auf jeden Fall ein ganz we sentlicher Ansatz. Wir müssen die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung immer mitdenken. Eine kleine Umformulierung macht eine behördliche Infor mation oft schon leichter verständlich. Beim Neubau von Bordsteinen kostet das behindertengerechte Ab senken nichts. Beim Neubau eines Fußgängerüber wegs taktile Elemente für Blinde und sehbehinderte Menschen vorzusehen, kostet rund 500 Euro. Schon ist Menschen mit Behinderungen, aber auch Müttern und Vätern mit Kinderwagen und Radfahrern gehol fen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol legen, Barrierefreiheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Alle sind gefordert. Viele Kommunen inves tieren kräftig in die Barrierefreiheit. Beispiel Taufkir chen, Landkreis Erding: Die Fortschritte bei den abge senkten Gehwegen, den Zebrastreifen und den Bushaltestellen sind vorbildlich. Beispiele Regensburg und Wasserburg: Die barrierefreie Erschließung der historischen Rathäuser zeigt: Denkmalschutz und Barrierefreiheit schließen sich nicht aus. Das sind keine Einzelfälle; denn gerade auch die kommunalen Behindertenbeauftragten berichten uns: Barrierefrei

heit hat allein durch die Regierungserklärung des Bayerischen Ministerpräsidenten eine zunehmende Dynamik erfahren, und vielerorts hat ein grundlegen der Bewusstseinswandel eingesetzt. Das zeigt wie der: Bayern barrierefrei bewegt.

Das wollen wir mit einem noch breiteren Informations angebot rund um das Thema Barrierefreiheit im Inter net und mit gezielter Informations und Öffentlichkeits arbeit weiter vorantreiben. Barrierefreiheit braucht mehr Information. Darüber sind wir uns einig. Ab Juli wird allen bayerischen Kommunen der Leitfaden "Die barrierefreie Gemeinde" zur Verfügung stehen. Das Bayerische Innenministerium hat die wichtigsten Er kenntnisse von 16 Modellkommunen aus ganz Bayern zusammengefasst. Wir bauen das Beratungsangebot für Barrierefreiheit bayernweit aus. Künftig werden an mindestens 16 Standorten in Bayern Beratungsstellen zu Barrierefreiheit zu finden sein. Das sind doppelt so viele wie bisher. Seit der Übergabe des Förderbe scheides melden sich immer mehr Kommunen, die ebenfalls eine Beratungsstelle haben möchten. Wir gehen darauf ein, und wir bauen das Beratungsange bot auch inhaltlich aus. Die Beratungsstelle Barriere freies Bauen der Bayerischen Architektenkammer berät in Zukunft in allen Fragen zur Barrierefreiheit; das geht vom barrierefreien Bauen bis hin zum barrie refreien Internet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit uns mit dem Programm "Bayern barrierefrei" viele weitere Ziele gesetzt. Das umfasst viele Themen, die auch in der Interpellation der SPD aufgeführt sind, zum Bei spiel staatliche Gebäude, Bauen und Wohnen, Mobili tät, Tourismus oder den gesamten Bildungsbereich. Genau dort setzen wir mit unserem Programm "Bay ern barrierefrei" an. Dahinter steht ein Gesamtkon zept, wie wir vorgehen wollen. Dieses Gesamtkonzept haben wir ressortübergreifend erarbeitet.

Uns ist aber bewusst: Alles auf einmal geht nicht. Da wir realistisch sind, gehen wir das Ganze in drei priori täten Handlungsfeldern an: Mobilität, Bildung und staatliche Gebäude, die öffentlich zugänglich sein müssen. Wir setzen unsere Ziele Schritt für Schritt um. Das gebietet uns auch der Respekt vor der Sou veränität des Haushaltsgesetzgebers, des Bayeri schen Landtags.

Die Beauftragte der Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Frau Badura, ist bei "Bayern barrierefrei" eng eingebunden. Wir stimmen uns mit Frau Badura eng ab. Das gilt sowohl für die Auswahl der Handlungsfelder als auch für die Weiter entwicklung. Auch die Interessenverbände von Men schen mit Behinderung sind umfassend eingebunden.

(Volkmar Halbleib (SPD): Das ist selbstverständ lich!)

Sie sind sowohl über das Forum Soziales Bayern als auch über den Landesbehindertenrat fortlaufend über die Weiterentwicklung des Programms "Bayern barrie refrei" informiert.

(Volkmar Halbleib (SPD): Die sind aber von den Ergebnissen nicht begeistert!)

Natürlich ist mein Ministerium auch mit den kommu nalen Behindertenbeauftragten in engem Kontakt. Sie alle geben wertvolle Impulse.

Ziel des ersten Handlungsfeldes Mobilität ist die Ver besserung der Barrierefreiheit beim ÖPNV und auf den Bahnhöfen. Der Freistaat fördert den Kauf von barrierefreien Bussen im Doppelhaushalt 2015/2016 mit jeweils 30 Millionen Euro. Mehr als 400 neue Lini enbusse wurden bereits beschafft. Umfangreiche Be standserhebungen wurden bereits durchgeführt, ins besondere im Bereich der Bahnhöfe und der SBahn Stationen. Von den rund 1.000 Bahnhöfen in Bayern sind rund ein Drittel vollständig barrierefrei, und ein weiteres Drittel ist barrierefrei zugänglich.

Meine Damen und Herren, der barrierefreie Ausbau von Bahnhöfen ist Aufgabe der Deutschen Bahn und des Bundes. Wir wollen aber schnellere Fortschritte haben. Daher unterstützt der Freistaat die Deutsche Bahn und den Bund mit insgesamt über 60 Millionen Euro. Bis 2018 werden in Bayern fast 400 Millionen Euro investiert, um den öffentlichen Personennahver kehr und die Bahnhöfe barrierefrei zu gestalten.

(Volkmar Halbleib (SPD): Wo bleibt das Nachfol geprogramm, Frau Ministerin? Das fehlt!)

Davon profitieren nach Angabe der DB rund 90 % der Bahnreisenden in Bayern – eine beachtliche Zahl. Der Ausbau ist damit nicht abgeschlossen. An einem Fol geprogramm wird gearbeitet.

Unser zweiter Schwerpunkt ist der barrierefreie Zu gang zu Kindertageseinrichtungen und zur Schule. Wir wollen die gleichberechtigte Teilhabe von Kindern mit und ohne Behinderung an der Bildung. Verant wortlich für die Barrierefreiheit in der Kinderbetreuung und an Schulen sind vor allem die Kommunen. Der Freistaat unterstützt sie über den kommunalen Fi nanzausgleich. Dieser steigt allein im Jahr 2015 um rund 250 Millionen Euro auf knapp 8,3 Milliarden Euro. Der Freistaat unterstützt auch Baumaßnahmen bei öffentlichen Schulen und Kindertageseinrichtung en. Die Mittel nach Artikel 10 des Finanzausgleichs gesetzes haben wir im Jahr 2015 auf fast 430 Millio nen Euro angehoben. Dies dient auch der

Barrierefreiheit und der Inklusion. Förderverbesserun gen gibt es insbesondere auch bei Barrierefreiheit und Inklusion. Mit der Absenkung der Bagatellgrenze kön nen zum Beispiel mehr Aufzüge und Treppenaufgän ge leichter barrierefrei gestaltet werden. Mit diesen Mitteln kann der von den Kommunen für das Jahr 2015 angemeldete Bedarf vollumfänglich abge deckt werden.