Protocol of the Session on March 11, 2015

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Thomas Gehring u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verlässlichkeit für Berufsschulen, Arbeitgeberinnen bzw. Arbeitgeber und Flüchtlinge einräumen (Drs. 17/5648)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Angelika Weikert, Doris Rauscher u. a. und Fraktion (SPD) Aufenthaltstitel für Geduldete für die Dauer einer Berufsausbildung im Bundesrat unterstützen (Drs. 17/5667)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. – Erster Redner ist Herr Kollege Gehring.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte diese Woche ein Gespräch mit dem Präsidenten der Handwerkskammer von Schwaben. Er hat das gesagt, was alle Handwerkskammerpräsidenten und die Vertreter der IHK sagen, nämlich: Wir sind gern bereit, jungen Flüchtlingen und jungen Asylbewerbern eine Lehrstelle anzubieten und sie auszubilden; wir brauchen diese Leute. Ich finde es aber ganz wichtig, dass er auch gesagt hat: Wir sind bereit, den gesellschaftlichen Auftrag zur Integration dieser Menschen zu übernehmen. Integration in die Ausbildung, Integration in den Arbeitsmarkt - das ist die beste Integration, die man sich vorstellen kann.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Ich bitte um etwas mehr Ruhe. Wenn Sie Gespräche führen möchten, führen Sie diese doch bitte draußen.

Wir hören das von allen Vertretern der IHKs und von vielen Unternehmen. Diese sagen, ja, wir sind bereit, jungen Flüchtlingen und jungen Asylbewerbern eine Lehrstelle anzubieten, sie also auszubilden. Wir sollten dafür Dank sagen und dieses Angebot tatsächlich aufgreifen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Aufgabe der Politiker des Bayerischen Landtags ist es nicht mehr, hier Appelle an die Handwerker zu richten, sondern für verlässliche Bedingungen zu sorgen, damit diese Ausbildung gelingen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht hier – wie auch in unserem Dringlichkeitsantrag – um zwei Themen: Zum einen geht es um die schulische Aus- und Vorbildung dieser jungen Flüchtlinge, zum anderen um die Frage des Aufenthaltsrechts dieser jungen Leute. Wir haben in Bayern für junge Asylbewerber und Flüchtlinge eine Berufsschulpflicht. Gegenwärtig sind für etwa 4.500 Asylbewerber und Flüchtlinge 264 Klassen eingerichtet. Tatsächlich haben wir aber in Bayern momentan etwa 13.000 Flüchtlinge; die Zahlen verändern sich. Das heißt, gegenwärtig gibt es nur für etwa ein Drittel der

jungen Flüchtlinge und Asylbewerber das Angebot einer zweijährigen Ausbildung an einer Berufsschule. Aber wir reden hier von Schulpflicht, also einer Pflichtaufgabe. Nur einem Drittel der Flüchtlinge und Asylbewerber eine schulische Ausbildung anzubieten, ist keine gute Pflichterfüllung vonseiten des Landes.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen können wir uns mit diesem Drittel nicht zufriedengeben. Ein Drittel reicht nicht, sondern wir müssen dieses Thema zu einer Daueraufgabe machen. Das Ziel muss sein, allen jungen Flüchtlingen und Asylbewerbern eine zweijährige Berufsschulausbildung anzubieten; denn sonst brauchen wir nicht von Schulpflicht zu reden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Wir haben in diesem Haus das Thema mehrmals diskutiert, auch bei den Haushaltsberatungen. Kürzlich hatten wir hierzu einen Dringlichkeitsantrag der SPD.

Pflichtaufgabe bedeutet auch eine dauerhafte Finanzierung. Deswegen haben wir für die Ausbildung von Flüchtlingen und Asylbewerbern an Berufsschulen einen Etat im Haushalt gefordert, und zwar 6 Millionen Euro jährlich bzw. 10 Millionen Euro im Doppelhaushalt. Sie sind dieser Pflicht nicht nachgekommen. Deswegen schaffen Sie es momentan nicht, mehr als einem Drittel der Flüchtlinge und Asylbewerber ein Ausbildungsangebot zu machen, daher nochmals der Appell in unserem Dringlichkeitsantrag, nicht nur einem Drittel, sondern allen Flüchtlingen und Asylbewerbern dieses Angebot zu unterbreiten.

Darüber hinaus sagen die Ausbilder: Wir bilden die jungen Leute gerne aus, brauchen aber die Verlässlichkeit, dass diese drei Jahre in der Ausbildung anwesend sind, ohne abgeschoben zu werden; es soll vermieden werden, dass sie vielleicht nicht mehr kommen, weil sie vor der Abschiebung Angst haben. Das heißt, wir brauchen für junge Leute, die eine Ausbildung von drei Jahren machen, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht; wir brauchen als investierende Betriebe danach weitere zwei Jahre, in denen die jungen Flüchtlinge und Asylbewerber bei uns tätig sind, um berufliche Erfahrungen zu sammeln. Dieses Recht, ihre Ausbildung hier absolvieren zu können, muss endlich verankert werden, unabhängig davon, ob sie anerkannt oder geduldet sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dieses Thema wird bekanntlich auf Bundesebene diskutiert. Wir unterstützen deswegen den Dringlichkeitsantrag der SPD. Wir haben aber auch selber ähnliche

Anträge eingereicht. Weil sich das Ganze auf Bundesebene noch eine Weile hinzieht und noch einiges diskutiert wird, sagen wir: Bayern, gehe du voran, Bayern, du kannst das selber lösen. Bayern kann hier eine Regelung auf den Weg bringen, um für die Dauer der Ausbildung eine solche Aufenthaltsgenehmigung zu gewährleisten. Bremen hat es vorgemacht. Was das kleine Bremen vormacht, kann das große Bayern allemal.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen fordern wir in unserem Antrag: Verlässlichkeit bei der beruflichen Bildung und Verlässlichkeit beim Aufenthaltsrecht. Wir sollten uns nicht damit zufriedengeben, dass bayerische Handwerker und bayerische Unternehmer in ihrer Bereitschaft, Flüchtlinge auszubilden, vorbildlich sind. Auch die bayerische Flüchtlingspolitik sollte vorbildlich sein. Deswegen bitte ich, unserem Dringlichkeitsantrag zuzustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Nun bitte ich die Kollegin Petersen zum Rednerpult.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Dass wir uns in den letzten Monaten eigentlich in jedem Plenum mit dem Thema Asyl beschäftigen, zeigt, dass in der bayerischen Asylpolitik noch viel Luft nach oben ist. Das gilt auch für den Bereich, den die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD in ihren heutigen Dringlichkeitsanträgen ansprechen.

Es ist ja nicht so, dass Bayern für junge Flüchtlinge gar nichts tun würde. Wie Herr Kollege Gehring schon darauf hingewiesen hat, gibt es eine Berufsschulpflicht für Asylbewerber und Flüchtlinge zwischen 16 und 21 Jahren. Es handelt sich um ein durchaus gutes Beschulungsmodell, in dem im ersten Jahr der Spracherwerb, im zweiten Jahr die Berufsvorbereitung auf der Tagesordnung stehen.

Dieser Ansatz ist gut. Aber wenn – wie Herr Kollege Gehring schon gesagt hat – für circa 13.000 berufsschulpflichtige Flüchtlinge nur etwa 4.500 Plätze zur Verfügung stehen, dann schaut es mit der Umsetzung eines an sich guten Ansatzes recht trübe aus. Derzeit löst man dieses Problem, indem die übrigen Flüchtlinge von der Berufsschulpflicht befreit werden. So kann man es natürlich auch machen.

Heute beschäftigt uns aber vor allem die Frage: Was passiert nach diesen zwei Jahren? Natürlich ist es bereits jetzt möglich, eine Berufsausbildung zu beginnen. Aber die Laufzeit der Duldung oder der Aufenthaltserlaubnis ist dafür in der Regel viel zu kurz.

Es fehlt sowohl für die Flüchtlinge, die nicht wissen, worauf sie sich einlassen können, als auch für die Ausbilder die Verlässlichkeit. Zudem gibt es immer mehr potenzielle Ausbilder: die Handwerkskammern und das Gaststättengewerbe, selbst die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ist schon weiter als die Bayerische Staatsregierung. Sie wollen jugendliche Flüchtlinge integrieren und nicht möglichst schnell wieder loswerden. Sie handeln da nicht ganz selbstlos, weil es ihnen natürlich auch darum geht, motivierte Fachkräfte für ihre Betriebe zu gewinnen.

Nachdem Herr Ministerpräsident Seehofer bereits in seinem Bayernplan deutlich gemacht hat, dass er eine Koalition mit dem Bürger anstrebt, sollte er auch in diesem Fall auf die Bürger hören. Das heißt zum einen, dass an Berufsschulen neue Stellen geschaffen werden müssen. Diese neuen Stellen sind schon jetzt dringend nötig. Schon jetzt fehlen dort mindestens 1.000 Lehrer. Hätte man die Mittel für die 63 Planstellen, die zu Beginn dieses Jahres ad hoc geschaffen wurden, um Abschiebungen schneller vollziehen zu können, in die Berufsschulen gesteckt, wäre das schon eine kleine Hilfe gewesen.

Dann geht es um ist eine Verlängerung der Duldung von Flüchtlingen für die Dauer der Berufsausbildung und eine anschließende zweijährige Berufspraxis. Auch das kann die Staatsregierung für Bayern selber vollziehen. Das ist durch einen Erlass an die Ausländerbehörden leicht zu machen.

Drittens gilt es, den Gesetzgebungsprozess auf Bundesebene zu unterstützen. Darauf zielt der Dringlichkeitsantrag der SPD ab. Auf Bundesebene wird bereits darüber diskutiert, dass junge Flüchtlinge für die Dauer der Berufsausbildung einen eigenen Aufenthaltstitel erhalten. Auch Stimmen aus der CSU-Fraktion haben sich schon einmal positiv zu diesen Anliegen geäußert. Deswegen können Sie den Anträgen der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute sicher leichten Herzens zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. – Bitte, Herr Kollege Reiß.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Kollege Gehring! Frau Kollegin Petersen, ich habe den Eindruck, dass wir, was das Thema Aufenthaltserlaubnis und Planungssicherheit für Arbeitgeber anbelangt, eine theoretische Debatte führen. Ich kenne keinen Fall, jedenfalls in Bayern, dass wir einen jungen Flüchtling abgeschoben hätten, der sich in Ausbildung befand.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von den GRÜNEN)

Dazu kann der Herr Innenminister sicher ergänzende Ausführungen machen. Wir nehmen jedenfalls die Interessen der Arbeitgeber in Bayern ernst und nehmen auf die Belange Rücksicht. Ich danke allen, ob Handwerksbetrieb oder Industriebetrieb, die sich entsprechend engagieren und einen Beitrag leisten. Zum Aufenthaltsrecht wird Kollegin Guttenberger ergänzende Ausführungen machen.

(Beifall bei der CSU)

Die Beschulung, lieber Kollege Gehring, ist tatsächlich eine Mammutaufgabe; das sieht man, wenn man sich alleine die Zahlen anschaut und die Bandbreite der Vorbildung derjenigen jungen Menschen, die zu uns kommen. Sie reicht von Analphabeten bis hin zu gut vorgebildeten jungen Flüchtlingen. Entgegen der ständigen Kritik, die an Bayern geäußert wird, sind wir bei der sprachlichen und schulischen Integration von jungen Asylbewerbern längst bundesweit Vorbild und Vorreiter.

Das zeigen die zusätzlichen 70 Klassen, die wir gerade wieder zum zweiten Schulhalbjahr für berufsschulpflichtige junge Flüchtlinge und Asylbewerber eingerichtet haben. Damit wollen wir insbesondere dem großen Zustrom von unbegleiteten Minderjährigen begegnen. Hier haben wir sicherlich – da sind wir uns einig – eine besondere Verantwortung. Es sind rund vier Millionen Euro außerplanmäßige Ausgaben für diese 70 zusätzlichen Klassen. Herr Kollege Gehring, Sie nannten sechs Millionen Euro, die die GRÜNEN für den Doppelhaushalt, und zwar für alle Schularten, fordern. So weit liegen wir da nicht auseinander. Das wären 100 Lehrerstellen, wenn ich das in der Pressemitteilung und auf der Homepage des Kollegen Gehring richtig gelesen habe. Auch wenn wir behutsam und solide im Haushalt unterwegs sein müssen, muss man die Dinge schon so weiterentwickeln, dass sie haushaltsrechtlich belastbar sind.

Die neuen Klassen starten im März. Damit stehen 264 Klassen mit rund 4.500 Plätzen an 80 Berufsschulstandorten in ganz Bayern zur Verfügung.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Derzeit haben wir rund 12.100 minderjährige Flüchtlinge. Zumindest besagen das die Zahlen aus dem Sozialministerium.

(Volkmar Halbleib (SPD): Haben Sie Zweifel an den Zahlen des Sozialministeriums?)

Auf jeden Fall können 4.500 berufsschulpflichtige Flüchtlinge und Asylbewerber an einem zweijährigen Programm teilnehmen, mit dem sie Deutschkenntnisse erwerben und sich auf eine Berufsausbildung vor

bereiten oder ihren weiteren schulischen Weg gehen können. 264 Klassen an 80 Standorten – das ist bundesweit einzigartig.

Auch die Konzepte, die wir hier umsetzen, finden bundesweit Beachtung. Als weiteres Beispiel kann man in diesem Zusammenhang sicher auch die mehr als 350 Übergangsklassen an Grund- und Mittelschulen anführen. Hier werden mehr als 6.000 schulpflichtige Flüchtlinge und Asylbewerber beschult. Zu Schuljahresbeginn waren wir noch bei 309 Klassen. Auch hier zeigt sich eindrucksvoll, dass die Angebote bedarfsorientiert ausgeweitet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)