Protocol of the Session on April 18, 2012

Warum ist denn die Ablehnung so rigoros, wenn das Betreuungsgeld angeblich so sehr für die Wahlfreiheit der Eltern steht, wie Sie von der CSU so gern aus ideologischen Gründen glauben machen wollen? Eltern sollen Wahlfreiheit haben. Aber in der Realität gibt es diese eben oft nicht. In vielen Familien müssen beide Elternteile arbeiten, damit sie in unserer Gesellschaft überhaupt über die Runden kommen.

Wie sieht es denn mit der sogenannten Wahlfreiheit für Alleinerziehende aus? Weiterhin gibt es viele Familien, in denen beide Elternteile arbeiten wollen, die Familie und Beruf unter einen Hut bekommen müssen. All diese Eltern brauchen eine qualitativ gute Kinderbetreuung. Sie wollen auch eine hervorragende frühkindliche Bildung; denn diese ist der Schlüssel für die Entwicklung der Kinder in der Zukunft.

Ebenso wichtig ist frühkindliche Bildung für viele Kinder mit Migrationshintergrund. Sie erhalten in den Kitas eine gute Förderung, die Integration, Teilhabe und Aufstiegschancen von Anfang an bietet. Das ist für diese Kinder eine Riesenchance. Es ist eine Riesenchance auch für uns als Gesellschaft. Die Gesellschaft muss das wollen. Wir dürfen von Integration nicht nur reden.

Wann gibt es denn überhaupt eine echte Wahlfreiheit? Es gibt sie nur, wenn genügend Betreuungsangebote vorhanden sind. Da hinkt Deutschland im europaweiten Vergleich deutlich hinterher. Wer bildet das Schlusslicht? Das ist Bayern. Wenn Sie das Statistische Bundesamt befragen, erfahren Sie, dass die Ganztagsbetreuungsquote in Deutschland 12,9 % be

trägt. Und wo ist Bayern? - An letzter Stelle. Die Ganztagsbetreuungsquote in Bayern liegt bei 5,9 %. So sieht die Realität aus.

Ich sage Ihnen eines: In unserem Land müssen erst einmal die Hausaufgaben erledigt werden, bevor wir von Wahlfreiheit sprechen können. Wir brauchen das Geld für die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen. Wenn es um den Ausbau der Kinderbetreuung geht, dann dürfen, sehr geehrte Damen und Herren der Staatsregierung, die Kommunen mit den Investitionsund Betriebskosten nicht im Regen stehen gelassen werden. Die extremen Defizite lassen sich nicht mit einer Betreuungsgeldaugenauswischerei aus der Welt schaffen. Die gebetsmühlenartige Betonung des angeblich guten alten Familienbildes ist auch nicht mehr zeitgemäß. Unsere Gesellschaft hat sich verändert. Das müssen Sie endlich akzeptieren.

Für die Kolleginnen und Kollegen der FDP darf ich die amtierende Bundesministerin Frau LeutheusserSchnarrenberger zitieren, die im "Spiegel" gesagt hat: Das Betreuungsgeld passt eigentlich nicht mehr in die Zeit. Sie hat gesagt, der Ausbau der Kinderbetreuung sollte angesichts der Unterfinanzierung der Einrichtungen Priorität haben. Das ist richtig.

Lieber Herr Bertermann, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, lassen Sie sich doch einmal von einer richtigen Erkenntnis Ihrer Bundesministerin leiten. Setzen Sie sich doch einmal wieder durch! Wie wäre das? Wir sollten gemeinsam richtige Prioritäten setzen.

Schauen wir uns doch einmal die Realität in den Kindertagesstätten an. In kaum einem anderen Beruf steht der Anspruch an das Personal und an die Verantwortung, die es trägt, in einem so krassen Gegensatz zur Bezahlung. Deshalb müssen die finanziellen Mittel hier hineingelenkt werden, damit die schlechte Bezahlung endlich aufhört.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Kollegen, wir müssen in Zeiten knapper Kassen verantwortlich Prioritäten setzen, die uns echt zukunftsfähig machen. Das Betreuungsgeld konterkariert doch alle Bemühungen, die wir in den letzten Jahren für die Bildung unternommen haben. Wir brauchen kein Geld zur Schaffung falscher Anreize, d. h. keinen Anreiz, keiner oder einer geringfügigen Beschäftigung nachzugehen. Denn so etwas würde sich später auf die Rente böse auswirken. Bereits heute ist in Bayern die Altersarmut weiblich. Die Erfahrungen mit dem Betreuungsgeld haben in Thüringen gezeigt, dass gerade die Frauenerwerbsquote sinkt, mit der Folge, dass Frauen ohne sozialversicherte Arbeit besonders durch Armut gefährdet sind

und infolge fehlender Rentenansprüche darunter leiden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich appelliere an Sie: Folgen Sie auch Ihrer Generalsekretärin, die vor zwei Tagen gesagt hat, sie werde gegen das Betreuungsgeld stimmen, weil es Überzeugungen gebe, die man nicht verlieren könne.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, ich bitte Sie, sich sachlich mit den Ergebnissen aus Thüringen auseinanderzusetzen. Sie brauchen nicht nach Schweden zu fahren, um zu sehen, wie man Probleme löst. Das können Sie direkt in Ihrer Nachbarschaft erkennen. Schauen Sie sich das vorurteilsfrei an.

Lieber Herr Schmid - er ist leider nicht da -, dann lieber Herr König, Sie sollten an die Adresse des Herrn mit dem dicken schwarzen Brillengestell in der Nymphenburger Straße sagen: Ohne Scheuklappen sieht man besser. Man sollte also besser erst recherchieren, dann das Richtige erkennen, vielleicht auch einmal denken und dann reden.

Ich habe die Daten des Sozialministeriums zur Kinderbetreuung in München mitgebracht. Ich kann Ihnen nur eines sagen: München ist bayernweit spitze in der Kinderbetreuung.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Sinne sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen: CU 2013.

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Gottstein. Danach folgt Frau Sem.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! 187, 29, 31, - das sind keine Idealmaße. Wir haben in diesem Haus 187 bayerische Abgeordnete. Davon sind 29 unter 45 Jahren. Ich denke, das ist auch bei Männern so in etwa die Grenze, dass man Vater wird. Die 29 Abgeordneten haben 31 Kinder. Das sind die Abgeordneten im gebärfähigen bzw. zeugungsfähigen Alter, nein, im gebärfähigen Alter.

(Unruhe bei allen Fraktionen)

Für die tatsächliche Reproduktion dieser Altersgruppe wären 58 Kinder nötig. Vielleicht spielt da die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch eine Rolle. Ich kenne die Hintergründe nicht. Aber dieses Haus hat in der Hinsicht keinen Spitzenplatz. Biologische Gründe für diese Situation fallen mir dazu nicht ein.

Wir begrüßen natürlich die Anträge von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Unser Antrag hat zwei Kernpunkte. Einmal geht es darum, die Kinderbetreuung voranzutreiben. - Sie sollen jetzt nicht alle rechnen. Ich bitte um Aufmerksamkeit. Sie sollten auch überlegen, was bei Ihnen der Grund für die tatsächlichen Verhältnisse ist. Das sollten Sie aber nicht jetzt überlegen, sondern zu Hause.

Wir fordern eine flächendeckende, qualitativ hochwertige Betreuungsmöglichkeit für Kinder unter drei Jahren in Bayern. Da sind wir ja nicht spitze. Der Betreuungsgrad für die Einjährigen beträgt in Bayern 16,9 %, für die Zweijährigen 36,3 %, für die Dreijährigen 82,3 %. Wenn wir über Betreuungsgeld reden, das hier gestoppt werden und in andere, effizientere Kanäle laufen soll, dann reden wir doch von einer Unterversorgung. Im Übrigen sieht man das ebenfalls an den Zahlen: Pro Kind unter sechs Jahren werden in Bayern 2.338 Euro ausgegeben. Allein der Bundesdurchschnitt beträgt 400 Euro mehr.

Wir wollen eine gute, günstige und flächendeckende Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Wir fordern aber auch - dieser Appell richtet sich an beide Seiten dieses Hauses - eine ideologiefreie Debatte. Auf der einen Seite wird klar das Rollenbild der guten Mutter, die zu Hause bleibt, geprägt. Auf der anderen Seite muss ich Frau Kollegin Stewens recht geben. Die Behauptung, man halte Kinder unter drei Jahren von der frühkindlichen Bildung fern, ist gefährlich. Dies erweckt den Eindruck, dass nur diese Art der Betreuung die richtige ist. Entscheidend ist doch die Wahlfreiheit. Wir brauchen und wollen Kinder. Ein junges Paar oder eine junge Familie muss sich für das erste und das zweite Kind oder für mehr Kinder entscheiden können. Die folgenden Fragen spielen dabei eine große Rolle: Kann ich meinen Beruf weiterführen? Kann ich ihn kurzfristig aufgeben? Kann ich wieder einsteigen? Wann will ich das? Wann kann ich das?

Das wird viel zu sehr vernachlässigt. Manche können ihren Beruf nicht aufgeben. Viele wollen das inzwischen aber auch nicht. Diese Wahlfreiheit kann nur mit einer hervorragenden Kinderbetreuung überall in Bayern gewährleistet werden. Hierfür muss Geld investiert werden. Erst danach können wir über die Familienförderung reden. Bitte setzen Sie sich beim Bund für ein Familiensplitting ein. Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass die Erziehungsleistung im Rahmen der Altersversorgung angerechnet wird. Erst dann reden wir weiter. Wir fordern den Ausbau der Kinderbetreuung, das andere ist Humbug.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Die nächste Rednerin ist Frau Sem.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Betreuungsgeld ist ein hoch emotionales Thema, weil sich jeder damit auskennt. Wir wollen alle das Beste. Sehr geehrte Frau Bause, nur wer den Kopf hebt, sieht die Sterne. Ich kann mich daran erinnern, dass die GRÜNENFraktion einmal angedacht hat, die häusliche Erziehung in den Mittelpunkt zu stellen und diese stärker finanziell auszustatten.

Die politische Landschaft prägt die Argumentationen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Betreuungsgeld gehört zu einem bunten Familienbild. Das muss man verstehen. Ich als CSUlerin kann dies anhand meines Familien-, Freundes- und Verwandtenkreises bestätigen. Keiner von uns kann sagen, wie Familie sein muss und sein darf. Ich sage Ihnen noch etwas: Als Christin steht es mir erst recht nicht zu, darüber zu urteilen. Unsere Aufgabe in diesem Hohen Hause ist es, für die Familien zu sorgen. Im Rahmen der bestehenden Familienförderung, die von professionellen pädagogischen Einrichtungen begleitet wird, wollen wir eine Wahlfreiheit für verschiedene Lebensmodelle schaffen. Nach meinem Verständnis gehört die Unterstützung der Eltern dazu. Die Eltern sollen entscheiden, ob sie ihre Kinder unter drei Jahren selber erziehen oder ihre Familie anders organisieren wollen. Berufstätigen Eltern wird mit dem Betreuungsgeld die Möglichkeit eingeräumt, ihre Kinder von Großeltern, Tanten, Onkeln oder Tagesmüttern betreuen zu lassen. Jeder, der ein Kind großgezogen hat, weiß, dass eine gute Bindung zu Vater und Mutter die größte Fürsorge für das Kind ist. Das Betreuungsgeld hebt die Wertschätzung für die Familienarbeit hervor. Die Eigenverantwortung wird gestärkt.

(Markus Rinderspacher (SPD): Wir haben aber keinen Goldesel!)

Der Staat steht jedoch weiterhin in der Pflicht, das Landeserziehungsgeld zu halten und zum Beispiel auch ein beitragsfreies drittes Kindergartenjahr umzusetzen. Außerdem ist die Weiterentwicklung des Systems der Rentenpunkte erforderlich. Darüber müssen wir weiter nachdenken. Darüber hinaus muss der Ausbau der Kinderkrippen vorangetrieben werden. In diesem Zusammenhang darf ich positiv verkünden, dass Bayern ganz vorne steht. Die 340 Millionen Euro Bundesmittel haben wir mit 600 Millionen Euro Landesmitteln aufgestockt. Mein ländlicher Stimmkreis Rottal-Inn hat die bayerischen Großstädte Nürnberg und München hinsichtlich der Kinderbetreuungsplätze eingeholt. Das sind einfach Tatsachen. Die Betreuungsquote des Krippenjahres 2011/2012 beträgt bay

ernweit 28 %. Die Kommunalpolitiker, das Herzblut unserer Politik, schätzen das. Die Bundesmittel zur Betriebskostenförderung für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren werden 1:1 an die Kommunen weitergegeben. Das ist eine große Leistung unseres Freistaats. Das ist toll, was wir leisten. Ich möchte Zahlen nennen: Von 2008 bis 2013 haben wir 275 Millionen Euro ausgegeben. Ab dem Jahre 2014 werden es 118 Millionen Euro sein, um unsere Kommunen zu stärken.

Die Gegenargumente zum Betreuungsgeld sind genannt worden. Wir sollten Abstand davon nehmen.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Diskutieren Sie nicht mehr. Gehen Sie einfach mit. Bitte begreifen Sie, dass wir die Stärkung der Familien wollen.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Es ist doch keiner mehr auf Ihrer Seite!)

Wir sollten ebenfalls Väter und Mütter, die ihr Kind zu Hause betreuen möchten, stärken. Wir sollten den Eltern jedoch nicht vorschreiben, wie sie ihre Kinder zu betreuen haben. Ich weiß, dass über dieses Thema immer viel diskutiert wird.

Frau Kollegin Sem, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wir machen durch. - Das Politikverständnis der CSU basiert auf der Freiheit und der Eigenverantwortung der Menschen und ist kein Staatsdirigismus.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Wird die Freiheit eingeschränkt, wenn es das Geld nicht gibt?)

Oft steht dem Konzept des Betreuungsgeldes ein großes Misstrauen gegenüber. Wir können jedoch alle nicht sagen, wie es angenommen wird. Das Betreuungsgeld soll den Eltern den Rücken stärken.

(Beifall bei der CSU)

Ich bin davon überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind. Die Anträge geben mir heute die Möglichkeit zu einer selbstkritischen Äußerung: Die CDU-Kollegen sollten sich daran erinnern, dass sie eine Koalitionsvereinbarung eingegangen sind. Das Betreuungsgeld ist in einem Paragrafen festgelegt worden. Das sage ich ganz offen. Sie sehen, wie bunt die CSU sein kann, wenn sie etwas vorwärtsbringen will.

Das ist mein letzter Gedanke: Unsere Gesellschaft und die Politik fordern neue Rollen für Väter und Müt

ter. Ich meine, es ist unser Auftrag, Freude, Begeisterung, Verantwortung und Liebe an unsere Kinder weiterzugeben. Wir befinden uns auf einem guten Weg.

(Markus Rinderspacher (SPD): Sie drängen den Eltern Geld auf, auf das sie verzichten können!)

Frau Kollegin Sem, aus der Zwischenfrage ist eine Zwischenbemerkung von Frau Scharfenberg geworden.

Frau Sem, können Sie mir eine vergleichbare Struktur nennen, in welcher eine Belohnung für etwas ausgezahlt wird, das nicht in Anspruch genommen wird? Sie haben gesagt, man erhalte das Betreuungsgeld, wenn man die Krippe nicht nutze. Gibt es etwas Vergleichbares?

Frau Kollegin Sem bitte.