bericht ist, dass die Staatsregierung Trends und Problemlagen daraus erkennen muss. Das erwarten wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Auch wir im Sozialausschuss erwarten das. Frau Haderthauer, es reicht eben nicht, so denke ich, wenn Sie als Ministerin regelmäßig sagen, Bayern sei spitze. Nein, Frau Haderthauer, die Folgerung, Bayern sei spitze, ist falsch, wenn man diesen Sozialbericht liest. Sie müssen nämlich die Probleme erkennen. Sie müssen sie angehen und Konzepte dafür vorlegen, wie Sie als zuständige Ministerin der auch im Freistaat zunehmenden Spaltung zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft entgegensteuern wollen. Das ist nämlich in diesem Sozialbericht herausgekommen. Aber davon haben Sie gar nichts gesagt.
Das wäre wichtig gewesen. Das erfordert auch Handlungsstrategien, die man in diesem Sozialbericht vergeblich sucht.
Meine Vorrednerinnen und Vorredner von der Opposition haben das ebenfalls gesagt; sie haben den Fehler im Sozialbericht gesehen: Es fehlen die Handlungsstrategien. Wir brauchen keine Beweihräucherung. Vielmehr müssen wir dort, wo es nicht läuft, wissen: Wie läuft das denn in Zukunft? Wohin wollen wir überhaupt?
Es reicht nämlich nicht, wenn Ministerpräsident Seehofer, wie im letzten Herbst, in der Öffentlichkeit laut darüber nachdenkt, dass die CSU ihre Schwesterpartei CDU jetzt auf ihrem Weg zu einem flächendeckenden Mindestlohn unterstützen werde. Gut gedacht, Herr Seehofer. Dazu haben wir schon jede Menge Anträge gestellt. Aber sie wurden von der Mehrheit im Sozialausschuss ständig abgelehnt, meine Damen und Herren. Das wäre im Grunde der richtige Weg, um überhaupt einmal Handlungsstrategien aufzuzeigen und zu fragen: Wohin wollen wir denn? Wollen wir jetzt eine gerechte Entlohnung? Sind wir damit einverstanden, dass wir ständig diese Aufstocker haben? - Nein, sind wir nicht, meine Damen und Herren.
Bayern ist ein reiches Land. Ja, dank der Arbeit vieler fleißiger Menschen. Es hat eine florierende Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Trotzdem gibt es auch bei uns Armut. Dabei sind unfaire Löhne eine der größten Bedrohungen des sozialen Friedens, auch bei uns in Bayern, Frau Haderthauer. Aber davon haben Sie nicht geredet.
Wenn wir den sozialen Frieden nicht erhalten, erhalten wir auch nicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt, und das kann üble Folgen haben.
Das bayerische Beschäftigungswunder basiert vor allem auf einer starken Ausdehnung des Niedriglohnsektors und auf den atypischen Beschäftigungen. Zwischen 2000 und 2010 stieg die Zahl der Teilzeitbeschäftigten von 20 % auf 27 %. Auch die Zahl der Leiharbeitnehmerinnen und der Leiharbeitnehmer ist im Jahr 2010 auf ein Rekordniveau gestiegen. Der Anteil der vollzeitbeschäftigten Niedriglohnbezieher in Bayern ist von 14,5 % im Jahr 2000 auf 17,7 % in 2010 kontinuierlich gestiegen. Genau wie im Teilzeitbereich sind hier überwiegend Frauen, nämlich zu drei Vierteln, betroffen. Schon vor der Wirtschaftskrise war in Bayern insgesamt ein Trend zu sinkenden Durchschnittslöhnen festzustellen. Das Realeinkommen der abhängig Beschäftigten ist in Bayern zwischen 2003 und 2006 um 4,2 % gesunken.
Frau Haderthauer sagte in der Pressemitteilung "Bericht aus der Kabinettsitzung" vom 7. März, die Beschäftigtenzahlen seien auf einem historischen Höchststand. Wissen Sie, Frau Haderthauer, was ich der Wahrheit zuliebe an Ihrer Stelle noch hinzugefügt hätte? Beschäftigtenzahlen auf historischem Höchststand, aber mit sinkendem Niveau in der Entlohnung. - Das ist der Knackpunkt, meine Damen und Herren. Aber dazu wird nichts gesagt. Das ist das, was uns in Zukunft bedroht.
Gewerkschaften prangern diesen Missstand ständig an. Die Beschäftigten und wir warten schon auf den Bericht der Kommission, damit die Experten endlich politische Handlungsempfehlungen aus dem bayerischen Sozialbericht ableiten können. Nichts dergleichen passierte eineinhalb Jahre lang.
Ministerpräsident Seehofer sagte hier im Plenum zu, er wolle das alles erledigen. Aber bisher wurde dieser Abschlussbericht weder vorgestellt noch debattiert. Warum, um alles in der Welt, bekommen wir eigentlich den Sozialbericht, wenn daraus resultierende Handlungen nicht stattfinden?
Der ganze Bericht ist eine Beschreibung des Status quo. Aber was kommt dann? Wie kann man etwas besser machen? Was fehlt? - Drei Arbeitsgruppen haben sich mit den Fragen beschäftigt: Wie können wir etwas besser machen? Was können wir verändern? - Eine Expertenkommission hat sich zwar an die Arbeit gemacht, aber alles verschwindet in der Schublade. Das ist Regierungsarbeit hier in Bayern.
Auch die Zahl derjenigen, die mehreren Jobs nachgehen müssen, um finanziell über die Runden zu kommen, wächst beständig. Herr Pfaffmann hat auf das Problem hingewiesen, dass manchmal die Heizkostenrechnung nicht bezahlt werden kann. - Ja, es stimmt, man kann sie nicht mehr bezahlen. Für immer mehr Menschen reicht der Lohn zum Leben nicht. Fast jeder Zweite, der aus dem Hartz-IV-System in Beschäftigung wechselt, verdient weniger als 8,50 Euro in der Stunde. Ein allgemeiner flächendeckender Mindestlohn würde diese Entwicklung endlich stoppen. Unsere Anträge dazu sind abgelehnt worden. Die Höhe des Mindestlohns soll eine Mindestlohnkommission, die aus Vertreterinnen und Vertretern der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und der Wissenschaft besteht, unabhängig von politischem Einfluss ermitteln. Damit hat man in Europa gute Erfahrungen gemacht. Das könnten auch wir so machen. Dann wäre dies nämlich von der Politik weg.
Menschen mit Migrationshintergrund - das Schwerpunktthema des letzten Sozialberichts - sind doppelt so häufig arbeitslos und von Armut bedroht wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Ihr Einkommen liegt um 20 % unter dem Durchschnitt der bayerischen Bevölkerung. Damit werden rund 20 % der bayerischen Bevölkerung oder insgesamt 2,5 Millionen Menschen sozial ausgegrenzt und benachteiligt. Von einer gelungenen oder gar vorbildlichen Integration kann keine Rede sein.
Einwanderer mit Fachhochschul- und Hochschulabschluss werden in der Regel nicht gemäß ihrer Qualifikation beschäftigt. Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen und -qualifikationen ist noch immer viel zu langwierig und kompliziert. Es muss sich also niemand wundern, wenn gerade die hoch qualifizierten jungen Menschen wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Die Frau Ministerin hat das zwar sehr gut erkannt, aber ihre Handlungsstrategien fehlen.
Ja, es stimmt: Die Leute gehen in ihre Herkunftsländer zurück, weil sie sich das hier nicht mehr antun wollen. Angesichts des schon jetzt vorhandenen Fachkräftemangels insbesondere in vielen sozialen Berufsfeldern wie der Pflege oder der Kinderbetreuung kann sich Bayern eine solche Ausgrenzungspolitik nicht länger leisten.
Jetzt hoffen wir einmal, dass das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen auch in Bayern per Verordnung umgesetzt wird. - Frau Meyer, das trennt uns. Sie haben gesagt, dass das Gesetz ab dem 1. April in Kraft tritt. Aber, meine Damen und
Herren, hätten wir nicht schon früher darangehen können, uns in Bayern Gedanken über eine Verordnung und darüber zu machen, wie wir das für Bayern ausformulieren wollen, welche Handlungsstrategien wir umsetzen wollen? Das hätten wir schon lange tun können - Sie geben mir recht -; aber mein letzter Antrag ist damals abgelehnt worden. Ich habe es gewollt. Ich habe gesagt: Lasst uns doch, bitte schön, überlegen, wie wir das umsetzen können, was auf Bundesebene schon gesetzt ist.
Denn wir müssen natürlich dringend etwas verändern. Sie, Frau Haderthauer, sagen im Sozialbericht, dass die Erwerbsquote von Migrantinnen und Migranten mit 75 % um knapp 5 % unter dem Durchschnitt liegt. Die niedrigere Erwerbsquote resultiert fast ausschließlich aus dem extrem niedrigen Beschäftigungsquotenanteil der Frauen mit 67 %. Deshalb müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir das anerkennen, was Frauen in ihrem Herkunftsland gelernt haben, wie wir sie in die Arbeitswelt integrieren können.
Auch bei Personen mit Hochschulabschluss liegt übrigens die Beschäftigungsquote deutlich unter dem Durchschnitt. Insoweit wären eben auch gezielte Förderprogramme für Frauen und Maßnahmen für eine bessere Anerkennung ausländischer Hochschulabschlüsse und Berufsqualifikationen sinnvoll. Das wäre alles schon einmal dran gewesen, wenn wir erkannt hätten, dass wir schnell handeln müssen; denn unsere Fachkräfte gehen von unserem Arbeitsmarkt weg. Dies gilt gerade für Migrantinnen und Migranten.
Einwandererfamilien leben trotz einer Vollzeitbeschäftigung des Haupteinkommensbeziehers in Armut. 3,9 % sind es im Durchschnitt. Bei einer Teilzeitbeschäftigung des Haupteinkommensbeziehers liegt das Armutsrisiko sogar bei 45 %. Ohne Migrationshintergrund liegt es übrigens bei 25 %, was eigentlich auch zu hoch ist.
Eine Strategie der Staatsregierung zur Bekämpfung des rasch wachsenden Niedriglohnsektors ist nicht erkennbar. Noch ist den Bayerischen Industrie- und Handelskammern zufolge das Fachkräfteangebot im Freistaat größer als die Nachfrage. Das wird sich bald ändern, und der Engpass wird insbesondere bei den beruflich Qualifizierten erwartet. Der Fachkräftemangel wird also, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird, vor allem die in Bayern stark vertretenen kleinen und mittelständischen Unternehmen treffen. Was tun wir dagegen? Was könnten wir machen? - Keine Antwort vom Ministerium.
Auch im Bildungsbereich und in den medizinischen und technischen Berufssparten wird sich der Fachkräftemangel auswirken. Zudem fehlt es der Wissen
schaft an Nachwuchs, während qualifizierte Migrantinnen und Migranten ihr tägliches Brot mit Gelegenheitsjobs wie Taxifahren oder Putzen verdienen müssen. Für Bayern ist daher unabdingbar, die vorhandenen Qualifikationspotenziale zu aktivieren und zu nutzen. Neben einer menschenrechtsorientierten Bejahung der Integration sollen auch die im Ausland erworbenen Abschlüsse problemloser anerkannt und soll unser Bundesland für qualifizierte Zuwanderung attraktiver gemacht werden. Das ist das, was wir leisten könnten.
In Bayern gibt es auch circa 65.000 Langzeitarbeitslose, die bisher vom wirtschaftlichen Aufschwung und den rückläufigen Arbeitslosenzahlen nicht profitieren konnten. Da die bisherigen Angebote öffentlich geförderter Beschäftigung nicht gegriffen haben, sehen wir die Notwendigkeit eines dauerhaft geförderten sozialen Arbeitsmarktes. Auch dazu haben wir Anträge gestellt, die unisono abgelehnt wurden. Dieser soziale oder dritte Arbeitsmarkt soll Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes sein, um Durchlässigkeit zum zweiten und dann zum ersten Arbeitsmarkt zu gewähren. Für den Wiedereinstieg in Arbeit brauchen gerade die Langzeitarbeitslosen dringend Qualifizierung und Unterstützung. Stattdessen plant die schwarz-gelbe Bundesregierung radikale Kürzungen bei der Arbeitsförderung und hängt damit viele Arbeitslose auf Dauer ab. Man belässt sie da, wo sie sind, und kümmert sich einfach nicht mehr weiter. Anstatt die Älteren intensiv zu fördern, werden sie in der Arbeitslosenstatistik versteckt. So schafft man in der Gesellschaft keine Akzeptanz für die schon beschlossene Erhöhung des Renteneintrittsalters.
Die Wirtschaft zahlt übrigens bei arbeitslosen Schwerbehinderten gern Strafgeld, um Behinderte nicht einstellen zu müssen. Innerhalb der gesellschaftlichen Wertung kann es einfach nicht mehr hinnehmbar sein, dass sich Betriebe herauskaufen können. Dafür, sehr geehrte Frau Haderthauer, müssen auch Sie sorgen. Es ist Ihre Aufgabe als Sozialministerin, in dieser unserer bayerischen Gesellschaft für etwas Positives zu sorgen. - Danke.
Danke, Frau Kollegin Scharfenberg. - Dem Präsidium liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, weshalb wir die Aussprache schließen können. Ich bedanke mich. Der Tagesordnungspunkt ist hiermit erledigt.
Jetzt frage ich die Fraktionen, ob wir noch über die Tagesordnungspunkte 4 und 5 abstimmen können. Danach könnten wir in die Mittagspause gehen. - Das
ist einmal die Abstimmung über die Verfassungsstreitigkeiten und Anträge, die gemäß § 59 Absatz 7 der Geschäftsordnung nicht einzeln beraten werden. - Besteht Einverständnis?
Abstimmung über Verfassungsstreitigkeiten und Anträge, die gemäß § 59 Absatz 7 der Geschäftsordnung nicht einzeln beraten werden.
Antrag der Abgeordneten Isabell Zacharias, Angelika Weikert, Johanna Werner-Muggendorfer u. a. (SPD) Einbürgerung von Kosovaren in Bayern (Drs. 16/10299)
Der federführende Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz empfiehlt auf Drucksache 16/11774 die Ablehnung. Wer entgegen dem Ausschussvotum dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der FREIEN WÄHLER, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN.
Ich bitte, die Gegenstimmen anzuzeigen. - Das sind die Fraktionen von CSU und FDP. Gibt es Enthaltungen? - Eine der Frau Kollegin Meyer, FDP. Damit ist der Antrag angenommen.
- Das Ergebnis ist aus meiner Sicht eindeutig. Wenn dennoch von der Fraktion Hammelsprung beantragt wird, dann müssen wir diesen durchführen.
(Volkmar Halbleib (SPD): Es ist eindeutig! Es ist wider besseres Wissen! Schwache Darstellung! Herr Kreuzer, zählen Sie einmal durch! Ihr macht euch doch lächerlich! Peinlich!)