Protocol of the Session on November 11, 2010

(Beifall bei der FDP)

Einen besonderen Blick sollten wir an der Schule auf Lehrkräfte mit Migrationshintergrund richten. Sie sind im Umgang mit Schülern durch ihre persönlichen migrations- und integrationsspezifischen Lebenserfahrungen und ihre besonderen Kompetenzen eine wichtige Bereicherung und hervorragende Mittler zwischen Schule und Eltern. Wir brauchen Leute, die den Weg zu den Eltern finden. Um solche wertvollen Lehrkräfte gewinnen zu können, bedarf es einerseits der Anerkennung von im Ausland erworbenen Lehramtsqualifikationen, andererseits aber auch der verstärkten Gewinnung von Lehramtsstudenten mit Migrationshintergrund.

(Eva Gottstein (FW): Dann machen Sie es doch!)

- Diese Aufgabe gilt es anzupacken, sehr verehrte Frau Kollegin.

(Beifall bei der FDP)

Es ist ja nicht so, dass wir dieses Thema schon seit Ewigkeit anpacken können, sondern wir sind erst seit zwei Jahren hier im Landtag.

(Beifall bei der FDP - Zuruf der Abgeordneten Isabell Zacharias (SPD))

Mit der Ausweitung der Jugendsozialarbeit an Schulen, die wir in dieser Legislaturperiode vorangebracht haben, leisten wir aus sozialpolitischer Sicht einen wirkungsvollen Beitrag zur Verbesserung der Chancen für Schülerinnen und Schüler in belasteten Lebenssituationen. Auch dies ist ein Beitrag zur Integrationsförderung.

Integration leben - dazu gehört neben der frühkindlichen Bildung, neben der Ausbildung in den Schulen auch, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden. Arbeit ist einer der wichtigsten Faktoren für Teilhabe. Im Schuljahr 2007/2008 hatte an bayerischen Berufsschulen ein Anteil von 23,9 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund keinen Ausbildungsplatz. Bei deutschen Berufsschülern hingegen traf dies auf 6 % zu.

Aber auch hier gibt es Ansätze. Im Rahmen der Ausbildungsinitiative "Fit for Work" setzt die Staatsregierung mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds und des Arbeitsmarktfonds eine Reihe von Maßnahmen zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsstellen um. Mit dem Einsatz von Ausbildungsplatzakquisiteuren mit Migrationshintergrund, der Unterstützung durch die sogenannte überbetriebliche Lehrlingsunterweisung und der Ausreichung des Ausbildungsbonus durch die Bundesregierung werden die bayerischen Handwerksbetriebe in ihren Bemühungen um Auszubildende mit Migrationshintergrund weiter unterstützt.

Handwerkskammern und Handelskammern haben sich des Themas Integration im Übrigen schon vor langer Zeit sehr erfolgreich angenommen. Zahlreiche, zum Teil regionale Programme, Projekte und Patenschaften im Rahmen des bürgerschaftlichen Engagements runden die Vielfalt der arbeitsmarkt- und integrationspolitischen Maßnahmen für Jugendliche mit Migrationshintergrund ab.

Arbeit ist ein wichtiger Faktor für Teilhabe, habe ich vorhin gesagt. Das gilt für Jugendliche und in gleichem Maße natürlich auch für Erwachsene. Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger ausländischer Herkunft leben bei uns mit hervorragenden Berufsqualifikationen, die sie im Ausland erworben haben. Wir leisten es uns, die beruflichen Qualifikationen und Abschlüsse von Zugewanderten auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht optimal zu nutzen, weil uns Bewertungsmaßstäbe und Bewertungsverfahren fehlen. Und wir leisten es uns übrigens bei einer schrumpfenden Bevölkerung auch, die Bildungs- und Berufsabschlüsse von zurzeit circa 80.000 Flüchtlingen erst gar nicht zu erfassen.

(Beifall der Abgeordneten Isabell Zacharias (SPD) und Renate Ackermann (GRÜNE))

Einerseits erwarten wir von Zuwanderern zu Recht, dass sie unsere Werte akzeptieren. Umgekehrt müssen auch sie erwarten können, dass wir ihre Qualifikationen und Berufsabschlüsse anerkennen. Ich freue mich darüber, dass es mit dem Entwurf des Anerkennungsgesetzes durch die Bundesregierung Aussichten gibt, dass diese Erwartungen erfüllt werden. Herr Felbinger, wir haben das nicht erst getan, nachdem die Sarrazin-Debatte vom Zaun gebrochen wurde, sondern das ist bereits im Koalitionsvertrag definiert.

(Beifall bei der FDP - Zuruf der Abgeordneten Isabell Zacharias (SPD))

Gestatten Sie mir zu dem Aspekt der Integration auf dem Arbeitsmarkt ein paar kurze allgemeine Betrachtungen. Wenn wir in der Debatte von Zuwanderung und Integration, von Fachkräftemangel und Qualifika

tion von Arbeitskräften reden, dann ist es in meinen Augen unbedingt erforderlich, genau zu benennen, von welcher Qualifikationsebene gerade die Rede ist; denn Fachkräfte sind nicht gleich Fachkräfte. Der Königsweg zur Erhöhung des Fachkräftepotenzials mit Fachhochschul- oder Universitätsniveau liegt in der Gewinnung ausländischer Absolventen unserer Hochschulen. Wir müssen hier meines Erachtens noch mehr Gewicht auf die akademische Integration legen. Konkret müssen wir ausländischen Studierenden nach Beendigung des Studiums bessere Möglichkeiten bieten, sich in Deutschland um einen qualifizierten Arbeitsplatz zu bemühen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, Integration ist eine Aufgabe, die sich quer durch viele Lebensbereiche zieht. Mit der Lebenssituation von Alleinerziehenden mit Migrationshintergrund oder mit der Lebenssituation älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund - Sie haben es gesagt, Frau Kollegin Ackermann - stellen sich weitere Aufgaben, die es aufzugreifen gilt. Vor dem Hintergrund eines steigenden Anteils der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund ist der Aspekt der kultursensiblen Alterspflege ein sehr bedeutender und wichtiger, dem wir in Zukunft großes Augenmerk widmen müssen.

Die gesetzlichen Initiativen zum Thema Zwangsheirat auf Bundesebene begrüßen wir. Was die Altersregelung bei Eheschließungen angeht, halten wir die bestehenden Regeln, für Deutsche und Nichtdeutsche gleichermaßen geltend, für richtig.

Zur Senkung der Zuwanderungsaltersgrenze wird es sicherlich noch ausführliche Diskussionen geben müssen.

(Renate Ackermann (GRÜNE): Hoffentlich!)

Die Breite der Ausführungen macht aber auch deutlich, dass das Thema Integration eine umfassende Aufgabe darstellt, die es erforderlich macht, integrationspolitische Zielsetzungen, Maßnahmen und Bestimmungen zu bündeln, damit koordiniertes Handeln überhaupt möglich ist. Die FDP tritt deshalb dafür ein, auf der Basis eines integrationspolitischen Gesamtkonzepts Normen und Strukturen der Integration in einem bayerischen Integrationsgesetz zu verankern. Wir wollen damit bestehende Bestimmungen zusammenfassen und weitere integrationspolitische Maßnahmen, die noch nicht rechtlich gesichert sind, regeln.

Integration ist ein dauerhafter Prozess, ein Prozess von Geben und Nehmen, von gegenseitiger Achtung und Respekt vor der Andersartigkeit von Menschen. Das Bewusstsein dafür muss in den Köpfen der Men

schen wachsen. Lassen Sie uns gemeinsam daran weiterarbeiten.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Meyer. Für die SPD hat sich Frau Zacharias zu Wort gemeldet. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten, lieben Kollegen und Kolleginnen! Frau Haderthauer, ich schließe mich natürlich den Glückwünschen zum Geburtstag an. Sie haben sich nur heute kein schönes Geschenk gemacht - schade. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt. Allein, Frau Ministerin, mir fehlt der Glaube, dass Sie die richtigen Taten folgen lassen.

Wenn ich auf die sieben Punkte Ihres auf dem CSUParteitag beschlossenen Integrationsplanes blicke, wird mir richtig schwach ums Herz. Martin Neumeyer, ich weiß, hat nicht mitgeschrieben. Bei der Antwort auf die Frage, ob Sie daran beteiligt waren, bin ich mir nicht so sicher. Die CSU behauptet, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Fakt ist, rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund, in Bayern sind es 2,4 Millionen Menschen. Laut Angaben des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung werden es in zehn Jahren rund 2,9 Millionen sein. Schon allein wegen der demografischen Entwicklung ist die Frage der Zuwanderung eine Zukunftsfrage, meine Damen und Herren; denn in den neuen Bundesländern werden im Jahr 2060 etwa 37 % weniger Menschen leben als im Jahr 2008. In den westlichen Flächenländern - dazu gehört Bayern nach meiner Kenntnis sehr wohl - wird es 19 % weniger Menschen geben. Im Jahr 2029 wird die Zahl der Menschen über 75 Jahren in Oberbayern um 55,1 % zunehmen. Sie tun gerade so, als hätte Bayern keine Zuwanderung nötig, bzw. Sie wollen den Menschen einreden, Bayern würde von Ausländern überrannt. Tatsache ist, 2008 zogen rund 132.000 Menschen aus Bayern weg und nur 120.000 kamen. Das ist ein Saldo von minus 12.000, meine Damen und Herren.

Auch Ihre Angstmache im Hinblick auf eine muslimische Überfremdung entbehrt jeder Grundlage. Tatsächlich kamen die meisten Zuwanderer übrigens aus Polen - 132.000 in 2008 -, und unter den fünf größten Zuwanderungsgruppen liegt die Türkei als einziges muslimisch geprägtes Land lediglich auf Platz 4. Im Jahr 2008 aber zogen mehr Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit von Deutschland weg. Es kamen 26.600, und es zogen - hören Sie gut zu! - 34.000 wieder weg. Wo ist also hier die Unterwanderung?

(Beifall bei der SPD)

Die CSU behauptet weiterhin und polemisiert geradezu unerträglich, ungesteuerte Zuwanderung berge das Risiko neuer Integrationsprobleme. Keine Partei, meine Damen und Herren und Herr Ministerpräsident, fordert eine ungeregelte Zuwanderung.

(Unruhe)

Hören Sie bitte zu, wenn ich rede.

(Georg Schmid (CSU): Gemach! Gemach! Sie hören auch nicht immer zu!)

Tatsache ist, dass die Zuwanderung heute geregelt ist. Allein durch den Sprachtest beim Ehegattennachzug ist die Zahl der Zuwanderer um 25 % gesunken. Glauben Sie mir: Weitere bürokratische Maßnahmen dienen nicht einer zukunftsorientierten Einwanderungspolitik. Sie haben ganz offensichtlich kein Interesse an gelungener Integration. Ihnen geht es nur darum, Ängste zu schüren, und Sie schrecken auch nicht davor zurück, Menschen aus anderen Kulturkreisen abzuwerten. Das Integrationsproblem Nummer eins ist die CSU! Ist das etwa Ihre Willkommenskultur?

(Beifall bei der SPD - Georg Schmid (CSU): Das glauben Sie doch selber nicht! - Weitere Zurufe von der CSU)

Ist das etwa Ihre Willkommenskultur, bei der Integration in Bayern gut vorankommen soll? - Ich habe eher den Eindruck, dass dank Ihrer Propagandapolitik Ausgrenzung und Diffamierung gut vorankommen.

Des Weiteren behauptet die CSU in ihrem SiebenPunkte-Migrationsplan: "Ein prognostizierter Fachkräftemangel kann kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sein." Meine Damen und Herren, schon heute klagt die Wirtschaft über einen Fachkräftemangel, und eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt, dass nach der Öffnung der Arbeitsmärkte 2011 zwar zwischen 51.000 und 134.000 neue EU-Bürger zuwandern werden, aber die wenigsten Akademiker sein werden.

Im Jahre 2009 kamen übrigens aus den Staaten außerhalb der EU weniger als 20.000 Fachkräfte, und davon waren gerade einmal 311 hochqualifiziert. Aber aufgrund der demografischen Entwicklung bleiben in Bayern 2008 13.300 Ingenieursstellen unbesetzt. 2009 entgingen somit unserer heimischen Wirtschaft drei Milliarden Euro - drei Milliarden! - an Wertschöpfung aufgrund des Ingenieurmangels.

Meine Damen und Herren, wir brauchen die Zuwanderung von Qualifizierten und Hochqualifizierten, und

es ist übrigens unerheblich, aus welchen Kulturkreisen sie kommen.

Die CSU-Abschreckungspolitik inklusive ihrem Wunsch, die bürokratischen Orgien noch zu verstärken, wird sich gerade auf die Hochqualifizierten auswirken. Schon heute zieht es mehr Hochqualifizierte in die USA, nach Kanada oder nach Australien als nach Deutschland oder ins schöne Bayern. Um unseren Wohlstand zu wahren, sollten wir uns lieber für Ausländer öffnen, anstatt ein peinliches Beispiel nach dem anderen oder Aussagen zu liefern, dass Deutschland angeblich keine Zuwanderung brauche bzw. diese bereits geregelt sei.

Hilfreicher als Ihre penetranten parteipolitischen Spielchen wäre ein Pragmatismus, den übrigens auch die Vertreter der Wirtschaft schon längst formulierten. Herr Rodenstock, Präsident der Bayerischen Wirtschaft, forderte unlängst: "Wir müssen die Leute, die wir brauchen, aktiv bewerben und nicht nur gnädigst reinlassen." Das hört sich doch ganz anders an, meine Damen und Herren!

Können wir es uns leisten, dass rund 35 % der türkischen Akademiker 2008 aus Deutschland abwandern wollten, weil sie sich hier nicht angemessen behandelt und missachtet gefühlt haben? Können wir es zulassen, dass zugewanderte Hochqualifizierte dreimal so häufig keinen Job erhalten wie deutsche Spitzenkräfte, dass die Arbeitslosenquote von Ausländern mehr als doppelt so hoch wie von Inländern ist, dass Bewerber

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

mit gleicher Qualifikation um rund 14 % weniger positive Rückmeldungen von Unternehmen bekommen? Können wir uns das leisten?

Eine weitere Behauptung Ihrer Partei, Herr Ministerpräsident, ist: Es darf keine Zuwanderungen in unsere Sozialsysteme geben. Mit solchen Aussagen schüren Sie bewusst Sozialneid. Das ist unanständig!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dabei wissen Sie es besser.

Frau Haderthauer, Sie haben sich noch vor wenigen Wochen bei einer Pressekonferenz mit den bayerischen Zahlen gebrüstet und gesagt, dass fast 70 % der Zuwanderer 2008 in Bayern über eine geregelte Arbeit verfügen - das sind Ihre Zahlen; das ist richtig, und das ist gut so -, und dass Bayern mit dieser Erwerbsquote von Migranten besser als alle anderen Bundesländer dasteht.

Schauen wir doch einmal genauer hin: Die von Ihnen geschmähten Menschen aus anderen Kulturkreisen bilden längst ein großes Potenzial. Rund 200.000 Migrantenunternehmen in Deutschland tragen zu unserem Wohlstand bei. Sie generieren einen jährlichen Umsatz von 20 Milliarden Euro und beschäftigen mehr als 350.000 Menschen, die in die Sozialkassen einzahlen. 55 % dieser Unternehmen sind Ausbildungsbetriebe. Das ist wahre Integration! Die Zahlen sind gut. Also tun Sie nicht so, als wenn hier nicht genügend passieren würde.