Protocol of the Session on October 14, 2010

Da wir uns in Kürze im Plenum sehr intensiv mit der Integration, wie es der Ministerpräsident angekündigt hat, befassen werden, konzentriere ich mich auf drei einzelne Punkte.

Erstens. Der stellvertretende Ministerpräsident hat heute Vormittag bemerkenswerterweise festgestellt: Ohne qualifizierte Zuwanderung wird Bayern aufgrund des demografischen Wandels vergreisen und an Wirtschaftskraft einbüßen. Deshalb kann man bei der Zuwanderung nicht nach Kultur oder Herkunft entscheiden, sondern dies muss ausschließlich nach Qualifikation und Alter geschehen.

Ich darf an dieser Stelle auch einmal an das Zustandekommen des Zuwanderungs- und Integrationsgesetzes zum 1. Januar 2005 erinnern. Otto Schily von der SPD und Günther Beckstein von der CSU haben es federführend ausgehandelt. Einen zentralen Punkt hat die CSU aus dem Gesetz herausverhandelt, nämlich die Zuwanderung von Arbeitskräften auf der Grundlage eines Punkte- und Quotensystems. Wenn genau dies aus den Reihen der CSU gefordert wird analog dem Vorbild Kanada; das haben einige aus Ihren Reihen gefordert -, dann -

(Georg Schmid (CSU): Das haben wir nicht gefordert!)

- Herr Schmid, wenn das nicht Ihre Position ist, dann ist es in Ordnung.

Ich frage mich im Übrigen, wie der Ministerpräsident in seiner Heimatstadt Ingolstadt den 9.000 türkischen Beschäftigten bei Audi vor dem Hintergrund seiner Einlassungen erklären möchte, dass sie dort nicht willkommen seien. Ich frage mich auch, wie er dem Personalvorstand von Audi erklären möchte, dass diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am besten durch deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ersetzt werden sollten und wie das funktionieren soll. Ich sage, auch die vielen türkischen,

marokkanischen und tunesischen Frauen und Männer, die in sozialen Berufen, beispielsweise in der Pflege, in Bayern arbeiten, dürfen wir nicht beschimpfen. Auch sie verdienen Anerkennung für ihre wertvolle Arbeit, die sie für unsere Gesellschaft erbringen. Eines noch: Wenn die CSU jetzt tatsächlich in den verschiedensten Interviews mehr Qualifizierung und Weiterbildung für deutsche Arbeitslose einfordert, dann ist das wirklich die denkbar größte Heuchelei; denn es war doch die CSU, die gemeinsam mit der FDP das Streichkonzert der Bundesregierung in Gang gesetzt hat, das in der aktiven Arbeitsmarktpolitik massive Kürzungen vorsieht.

(Beifall bei der SPD)

Ein zweiter Punkt: Zur Identität Bayerns gehört, das wird aus Ihren Reihen immer betont, die christlichabendländische Tradition. Das christlich-jüdische Abendland muss jetzt als ausgrenzende Kampfparole der CSU gegen Minderheiten und gegen andere Kulturen herhalten. Zur politischen Kultur des christlichjüdischen Abendlandes gehört es doch in jedem Fall, auch eine Willkommenskultur aktiv zu gestalten. Es gehört zu ihr, fremden Kulturen mit Respekt und mit Anstand gegenüberzutreten, ohne dabei die eigene Kultur zu relativieren. Und sollte es Ihre Strategie sein, die Kirchen als Verbündete für dieses Spiel zu finden, so ist es bereits heute gescheitert.

Der Vorsitzende des Zentralkomitees der Katholiken und geschätzte Landtagspräsident a. D., Alois Glück, geht nämlich in der Debatte um muslimische Einwanderer auf Gegenkurs zu Parteichef Horst Seehofer. Nicht zuwandernde Türken oder Araber seien die Gefahr, so Alois Glück heute, sondern die "geschlossene Gesellschaft". Glück verweist darauf, dass Deutschland derzeit Aus- und nicht Einwanderungsland ist. Er sagt - ich zitiere ihn -: "Wir müssen aufpassen, dass wir keine Fantasiediskussion führen." Er führt weiter aus, dass schlichtweg mehr Türken auswandern als einwandern. Diesen Trend erkennen wir bereits seit 2006, im Übrigen nicht nur bei den Türken: Das gilt auch für die Muslime aus dem ehemaligen Jugoslawien. Alois Glück hält fest, die soziale Herkunft sei für die Integration entscheidender als der muslimische Glaube: "München hat mehr Ausländer als Berlin, aber weniger Probleme. Das hat mit Bildung zu tun.", sagt Alois Glück.

Sehr geehrter Herr Glück, ich weiß nicht, ob Sie in der CSU von Horst Seehofer noch beheimatet sind. Herzlich willkommen in der Sozialdemokratie!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zuruf des Abgeordneten Georg Schmid (CSU) - Unruhe bei der CSU)

Letzter Punkt: Der Ministerpräsident hat die integrationspolitische Debatte mit seinem Wortbeitrag um Lichtjahre - um Lichtjahre! - zurückgeworfen.

(Zurufe von der CSU - Harald Güller (SPD): Da wird es aber unruhig in der CSU!)

Das Thema "Zuwanderung und Migration" - da herrschte in diesem Hause eigentlich ein Konsens sollte auf einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens ausgerichtet sein.

(Zuruf von Staatsminister Joachim Herrmann)

- Herr Minister Herrmann, wir waren hier in Bayern in der Integrationsdebatte doch eigentlich auf einem ganz guten Weg.

(Renate Dodell (CSU): Jetzt auf einmal!)

Es gab verschiedene Minister, die dazu sehr bemerkenswerte Statements abgegeben haben. Frau Ministerin Haderthauer hat wenige Tage vor der Einlassung des Ministerpräsidenten Konzepte vorgelegt, die sogar von der Opposition begrüßt wurden. Sie hat ausdrücklich deutlich gemacht, dass der Islam kein Integrationshindernis ist. Herr Minister Spaenle hat deutlich gemacht, er wünsche sich, dass mehr Migrantinnen und Migranten auch in Lehrerberufen an bayerischen Schulen tätig werden. Und ich stelle fest, das alles ist nun mit einem Schlag vom Ministerpräsidenten vom Tisch gewischt worden. Das kann so nicht sein. Warum verlassen wir eigentlich diesen guten Weg?

(Beifall bei der SPD - Georg Schmid (CSU): Das ist doch ein Schmarrn! Das ist doch nicht wahr!)

Wir waren in der Debatte doch schon viel weiter.

Politisch links und politisch rechts hat man sich mit den politischen Realitäten auseinandergesetzt, man ist in der Debatte aufeinander zugegangen: Rechts von der Mitte gibt es die Einsicht, dass Zuwanderung eine notwendige Realität ist und nichts kulturell Obszönes. Dass Herr Ministerpräsident Seehofer jetzt das Fass wieder aufmacht, ist völlig unverständlich. Und links von der Mitte gibt es die Einsicht, dass Integration eben nicht von alleine funktioniert, sondern dass damit eine Mitwirkungspflicht der Zuwanderer einhergehen muss, um einen eigenen Beitrag zur Integration in die Gesellschaft zu leisten. Niemand, aber wirklich niemand, hier im Hohen Hause verschließt die Augen vor sozialen Konfliktpotenzialen, die die Zuwanderung mit sich bringt. Ich behaupte, keine andere Fraktion als die sozialdemokratische hat genau dieses feine Gespür für die sozialen Fragen, die mit Integration und Zuwanderung verbunden sind.

(Beifall bei der SPD - Georg Schmid (CSU): Ah!)

Denn hier, Herr Kollege Schmid, wird vorgeworfen, alle außer dem Ministerpräsidenten befänden sich im Raumschiff. Wir machen Integrationspolitik nicht in feinen Reihenhäuschen morgens beim Frühstück mit Latte Macchiato, "Schöner Wohnen" durchblätternd, sondern wir sind bei den Menschen, Herr Schmid. Wir kennen die sozialen Probleme.

(Beifall bei der SPD - Georg Schmid (CSU): Ich sage Ihnen, wie Sie es gemacht haben! Ich sag’s Ihnen: Sie waren gegen alle Maßnahmen!)

Wir begrüßen die angekündigte Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Wir denken auch, dass wir die Debatte auf der Grundlage des Konsenses führen werden, den wir in diesem Hohen Haus bis zu diesem Interview eigentlich erreicht hatten. Ich wünsche mir, dass der Herr Ministerpräsident seine Position so überdenkt, wie er es auch mit anderen Positionen jeden Tag immer wieder mal getan hat. Wir müssen auf eine vernünftige Debattenbasis zurückkehren, sonst droht nämlich uns allen in Bayern das harte Urteil von Frank Schirrmacher von der FAZ, gewiss kein sozialdemokratisches Kampfblatt. Er hat Horst Seehofers Interview als "… Ausdruck fast vollständiger politischer Unfähigkeit …" bewertet.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und Abgeordne- ten der GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist Frau Bause. Frau Kollegin Bause, bitte schön, Sie haben das Wort.

Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident! Die Äußerungen von Ministerpräsident Seehofer im Interview mit dem "Focus" vom letzten Montag sind von der Sache her vollkommen falsch. Sie sind von der Intention her unanständig, und sie sind, was ihre Wirkung angeht, verletzend auf der einen Seite und verhetzend auf der anderen Seite.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Deswegen kann ich es nicht akzeptieren, dass der Ministerpräsident heute bei dieser Landtagsdebatte nicht anwesend ist, selbst wenn er sich persönlich dafür entschuldigt hat. Denn ich finde, in dieser Sache muss man Prioritäten setzen. Es kann nicht sein, dass die Äußerungen des Ministerpräsidenten seit Tagen für eine heftige Diskussion - ich sage auch, zum Teil für eine brandgefährliche Diskussion - sorgen und dass er es vorzieht, heute, wo sich das Parlament mit seinen Äußerungen auseinandersetzt, zum Vermitt

lungsausschuss nach Berlin zu fahren, ohne offenbar eine geeignete Vertretung zu finden. Ich finde, sein Platz wäre heute hier und nirgendwo anders.

(Beifall bei den GRÜNEN)

An diesem Platz müsste er endlich einmal Stärke zeigen und sich bei denjenigen für seine Äußerungen entschuldigen, die er damit verletzt und ausgegrenzt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zurufe von der CSU)

Es wäre auch wichtig gewesen, wenn er selber mitbekommen hätte, dass er ganz offensichtlich nicht die Meinung der Mehrheit in diesem Hause vertritt - auch nicht die Meinung der Regierungsfraktionen -, dass es hier ganz offensichtlich einen Dissens zwischen der Position des Regierungschefs und der Position der Regierungsfraktionen gibt.

(Georg Schmid (CSU): Das sehen wir dann ja!)

Ich lese nämlich mit großem Interesse Ihren zu unseren Anträgen nachgezogenen Dringlichkeitsantrag. Da ist erfreulicherweise von Türken und Arabern, die sich schwer täten sich zu integrieren, überhaupt nicht die Rede. Da ist zum Glück von "anderen Kulturkreisen" nicht die Rede. Darin ist nicht die Rede davon, dass wir keine weitere Zuwanderung bräuchten. Stattdessen, das ist in Ihrem Antrag der letzte Satz, schreiben Sie, dass Sie jetzt den "Wettbewerb um die besten Köpfe in der Welt durch geeignete Maßnahmen und Verbesserungen" angehen wollen. Herzlichen Glückwunsch, ich würde mal sagen: Kolleginnen und Kollegen von der FDP, aber auch herzlichen Glückwunsch, dass Sie von der CSU mittlerweile zu dieser Erkenntnis gelangt sind.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich bin natürlich gespannt, was konkret damit gemeint ist. Da warte ich schon auf Ihre Ausführungen, welche Maßnahmen und Verbesserungen Sie sich da vorstellen können.

Der Antrag ist zwar etwas verschwiemelt, aber er ist doch eine bemerkenswerte und deutliche Abkehr von den unsäglichen Äußerungen des Bayerischen Ministerpräsidenten.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Das hätte er sich schon anhören müssen. Ich hoffe, dass Sie darauf hinwirken, dass sich der Ministerpräsident tatsächlich entschuldigt und dass derartige Entgleisungen nicht mehr vorkommen.

(Lachen bei der CSU)

Ich erwarte von Ihnen bzw. von uns allen hier im Landtag, dass wir die wichtige Debatte über Integration und Zuwanderung tatsächlich sachlich führen und nicht erst verhetzen und nachher sagen: Man wird doch mal darüber reden können. Ich erwarte, dass wir sie auf der Grundlage von Zahlen und Fakten führen, auf der Grundlage von Lösungsansätzen und nicht von Verhetzungen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Wir müssen sie führen ohne Schaum vorm Mund und ohne mit rechtspopulistischer Munition zu zündeln, denn das ist brandgefährlich für unsere Gesellschaft. Wenn Sie sich heute die neueste Studie der FriedrichEbert-Stiftung ansehen, dann wissen Sie, mit welchem Brandsatz hier gezündelt wird, auf welchen Boden solche Äußerungen möglicherweise fallen können. Ich weiß nicht, was in Ihren E-Mail-Accounts ankommt. Bei uns kommt als Reaktion auf die Äußerung des Ministerpräsidenten an: Wunderbar, wir brauchen endlich den Ausländerstopp. Das ist rechtsradikales Gedankengut, das ist rechtsradikale Sprache, und dem hat der Ministerpräsident die Stichworte geliefert.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie in dieser Debatte immer so gerne auf die Werte des Grundgesetzes Bezug nehmen, auf das christliche Werteverständnis, dann sollten Sie vielleicht einmal einen Blick ins Grundgesetz tun, lieber Herr Schmid. Da steht nämlich als Allererstes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Da steht nicht drin: die Würde des Christen, die Würde des Deutschen, die Würde des Bayern, sondern: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Dann sollten Sie vielleicht noch weiterlesen in Artikel 3 des Grundgesetzes. Da steht, dass niemand wegen seines Geschlechts, wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft und seines Glaubens bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Auch das sollten Sie sich zu Herzen nehmen, wenn Sie über Integration in unserer Gesellschaft reden.