Protocol of the Session on November 11, 2009

Am grusligsten wird es in Ihrer Atompolitik. Nach dem Text des Koalitionsvertrages bekommen die Atomkraftwerke quasi eine Ewigkeitsgarantie. Sie sollen so lange weiterlaufen dürfen, wie sie sicher sind. Und was bei Ihnen "sicher" heißt, das haben wir in der Vergangenheit hinlänglich erfahren. Da war angeblich auch das Lager Asse sicher, wo heute alle nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wie so etwas jemals passieren konnte. Selbst der größte Pannenreaktor, der in Deutschland abgeschaltet wurde, ging nicht wegen Sicherheitsbedenken vom Netz, sondern weil die Industrie ihn zugemacht hat. Was Sicherheit in Bayern bedeutet, haben wir bei Isar 1 erfahren. Da ist für Sie eine 40 cm dicke Wand offenbar schon sicher genug gegen Flugzeugabstürze. Ihrem Sicherheitsverständnis trauen wir nicht. Ihre Atompolitik bedeutet ein permanentes Sicherheitsrisiko.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD))

Ohne Not kündigen Sie einen schwierigen, einen sensiblen gesellschaftlichen Konsens auf. Sie behindern den Ausbau der erneuerbaren Energie und Sie gefährden damit zukunftsfähige Arbeitsplätze gerade in Bayern.

Eines, Herr Seehofer, Kolleginnen und Kollegen von der CSU und der FDP, können wir Ihnen auf jeden Fall garantieren: Gegen diese Politik werden wir entschieden Widerstand leisten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine andere Risikotechnologie ist die Agrogentechnik - Sie werden verstehen, dass ich den Begriff "grüne Gentechnik" nicht so gerne habe. Im Sommer sind Sie übers Land gezogen und haben gesagt: Es gibt einen Kurswechsel in der CSU. Die CSU hat gelernt. Sie ist jetzt auch gegen die Agrogentechnik. Das ist in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in Bayern nicht zu machen. Die Risiken kennt man nicht so genau. Sie haben sich populistisch dem zu Recht wachsenden Druck gebeugt.

Aber wenn ich mir den Koalitionsvertrag anschaue, frage ich mich: Was ist von Ihrem angeblichen Kurswechsel übriggeblieben? - Überhaupt nichts. Wieder mal ein Salto rückwärts. In diesem Koalitionsvertrag ist eindeutig ein Pro-Gentechnik-Kurs festgelegt worden. Da hilft es auch nichts, dass die Bundesländer flexibel irgendwelche Abstandsflächen selber definieren können. Herr Seehofer, mit der Unterschrift gerade unter

diesen Bereich haben Sie persönlich den letzten Hauch von Glaubwürdigkeit verspielt. Das ist ein absoluter Vertrauensbruch, den Sie sich hier geleistet haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch hier können wir Ihnen unseren entschiedenen Widerstand versprechen. Das wird auf jeden Fall interessant werden.

Auch in der Verkehrspolitik werden die alten Strukturen zementiert, betoniert, asphaltiert. Zwar wird im Koalitionsvertrag dreist von einer "nachhaltigen" Mobilitätspolitik gesprochen, aber es wird offensichtlich, dass Sie keinen Schimmer haben, was das bedeutet, wie so etwas aussehen könnte. Das Gegenteil ist der Fall: mehr Straßen, mehr Flugverkehr, mehr Lärm, kein Verzicht auf Staustufen, kein Tempolimit, keine Citymaut, keine Weiterentwicklung des ÖPNV, kein Abbau von Steuerprivilegien - etwas, womit sich die FDP immer brüstet. Wo ist denn der Abbau von Privilegien bei den Steuervorteilen für den Luftverkehr? Wieso müssen die keine Mehrwertsteuer zahlen? Wieso gibt es keine Kerosinsteuer? Da könnten Sie sich profilieren, Herr Zeil.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Stattdessen sollen Nachtflugverbote, Betriebsbeschränkungen und zusätzlicher Lärmschutz aufgehoben werden.

Damit werden nicht nur in Frankfurt, sondern auch in Nürnberg und in München wesentlich mehr Nachtflüge zu erwarten sein. Das ist eine Kampfansage an die lärmgeplagten Flughafenanwohner, und auch mit dieser Regelung, Herr Seehofer, werden Sie sich keine Freunde machen, gerade nicht in der Region um Freising.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Thema Bildung: Sie wollen uns glauben machen, dass viel getan wird. Ich muss sagen, angesichts der großen Worte, der hehren Ziele und der vollmundigen Ankündigungen ist für mich gerade dieses Kapitel im Koalitionsvertrag eine grandiose Enttäuschung. Wenn das unsere Bildungsrepublik sein soll, dann gute Nacht.

Zum einen: Den Ländern und den Kommunen, die für die Bildungspolitik zuständig sind, die investieren müssen, werden durch Ihre Steuerpolitik die finanziellen Grundlagen für Bildungsinvestitionen entzogen. Das Geld des Bundes, immerhin 12 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren, auch nicht gerade ein Pappenstiel, vertieft noch die soziale Spaltung und fördert mit viel Geld an den falschen Stellen diejenigen, die es am wenigsten brauchen, und lässt die im Stich, die es am dringendsten nötig hätten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Am bedrückendsten finde ich, dass Sie den Kampf gegen die Bildungsarmut gar nicht erst aufnehmen.

Ich will an drei Beispielen deutlich machen, wie gerade mit Maßnahmen der Bildungspolitik die soziale Spaltung verschärft wird und wie sich Entsolidarisierung umsetzen wird.

Beispiel Kindergeld/Kinderfreibetrag. Familien sollen gefördert werden. Wunderbar, darüber kann man sich erst einmal freuen. Wenn man aber konkret ausrechnet, was das für die verschiedenen Gruppen der Bevölkerung bedeutet, dann sieht man, dass die Auswirkungen bei den einzelnen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich sind. Reiche Kinder sind Ihnen im Jahr 440 Euro wert, Kinder aus der Mittelschicht kriegen noch 200 Euro jährlich, und arme Kinder - gehen völlig leer aus. Hier wird das zusätzliche Kindergeld noch nicht einmal von der Anrechnung auf Hartz IV freigestellt. Herr Seehofer, für so etwas sollten Sie sich in Grund und Boden schämen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Ulrike Gote (GRÜNE): Das ist eine Frechheit!)

Da werden zusammengerechnet wirklich hohe Summen ausgegeben. Schauen wir doch einmal, ob wir diese Gelder nicht besser investieren könnten. Allein mit zehn Prozent des Geldes, das nun in die Kindergelderhöhung fließt, könnte man jedem Kind in Deutschland ein kostenloses Kindergartenjahr ermöglichen und mit dem Rest könnte man einen Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr realisieren. Damit könnte den Kindern ein wirksamer Weg aus der Armutsfalle geebnet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit könnten Sie Bildung, Betreuung und Erziehung von Anfang an realisieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweites Thema. Sie nennen es Betreuungsgeld, ich nenne es Herdprämie. Ministerin von der Leyen hat dieses Betreuungsgeld schon vor Monaten als bildungspolitische Katastrophe bezeichnet.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Ja!)

Recht hat sie. Das Betreuungsgeld hat überhaupt nichts damit zu tun, die Wahlfreiheit für die Eltern zu garantieren. Das Betreuungsgeld führt dazu, dass gerade den Kindern, die die Unterstützung am Nötigsten hätten, und für die in der frühkindlichen Bildung am

meisten getan werden müsste, der Zugang zu dieser frühkindlichen Bildung versperrt wird.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Genau!)

Es ist gerade für gering verdienende - häufig sind das auch gering qualifizierte - Eltern besonders lukrativ, die Kinder nicht in den Kindergarten, in die Kindertagesstätte zu geben, sich die Gebühren zu sparen und das Betreuungsgeld zu nehmen. Das heißt, dass gerade die Kinder aus bildungsfernen Schichten, die Sie selbst auch immer früh fördern wollen, diese Förderung nicht erhalten, weil Sie es ja bezahlen, dass die Kinder nicht in die Kinderkrippe kommen, sondern zu Hause bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist eine Verschärfung der sozialen Spaltung.

Drittes Beispiel, das Zukunftskonto. Das liest sich zunächst ganz interessant. Jedes neugeborene Kind in Deutschland soll in Zukunft 150 Euro Steuergeld auf ein Zukunftskonto bekommen. Das soll dann der Ausgangspunkt dafür sein, dass Eltern, Großeltern, Paten, Onkel und Tanten auf dieses Konto laufend Geld einzahlen für die Bildung der Kinder, und das soll dann mit entsprechenden Prämien aufgestockt werden.

Am Ende werden die einen Kinder ein reich gefülltes Zukunftskonto haben und die anderen, die nicht die Verwandten haben, die dieses Zukunftskonto zusätzlich auffüllen, werden mit 360 Euro dastehen.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Ist das doch so viel?)

Auf diese Summe kommt man, wenn man 18 Jahre lang 150 Euro mit fünf Prozent verzinst.

Das Zukunftskonto armer Kinder wird auf diese Art und Weise genauso leer bleiben wie der Geldbeutel ihrer Eltern.

Und was soll dann, wenn diese Konten aufgefüllt sind, von diesem Geld bezahlt werden, wenn die Kinder 18 Jahre alt sind? Sollen damit die Studiengebühren bezahlt werden? Sollen vielleicht sogar ganze Studiengänge bezahlt werden? Soll die Ausbildung bezahlt werden? Können dann die Arbeitgeber bei der Ausbildungsvergütung sparen? Soll das Nachholen von Schulabschlüssen bezahlt werden?

(Alexander König (CSU): Das ist aber sehr weit hergeholt!)

- Was heißt weit hergeholt? Genau dieser Trend wird hier eingeleitet. Es heißt dann, es gibt ja dieses Geld und da brauchen wir nicht mehr in unsere Universitäten zu investieren; wir können dadurch die Studiengebüh

ren erhöhen, weil genügend Menschen genügend Geld durch dieses Konto angespart haben. Genau in diese Richtung wird es gehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber was ist mit denen, deren Konto nicht angewachsen ist? Welche Bildungschancen, welche Zukunftschancen haben diese Kinder und Jugendlichen?

Hier wird mit viel Steuergeld, das wahrlich nicht im Übermaß vorhanden ist, der Grundstein für die weitere Privatisierung und Kommerzialisierung von Bildung gelegt. Das ist ein schleichender Abschied vom Grundrecht auf Bildung und von Bildung als öffentlichem Gut.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und hier muss ich gerade Sie, meine Damen und Herren von der FDP ansprechen. Es gab in diesem Hohen Hause einmal eine sehr engagierte Bildungspolitikerin Ihrer Fraktion, Frau Hildegard Hamm-Brücher, die ich sehr schätze. Sie weiß, warum sie heute nicht mehr der FDP angehören will. Frau Hamm-Brücher hat sich mit ihrem ganzen Engagement für Bildung als Grundrecht eingesetzt. Ich finde es wirklich schade, dass das für die FDP heute kein Anliegen mehr ist. Wir brauchen Bildung als Grundrecht, wir dürfen nicht noch mehr Privatisierung und Entsolidarisierung in der Bildung erlauben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Trotz erklecklicher Investitionen wird diese Politik also zu einer Verschärfung der Bildungsarmut führen und nicht zu einem Abbau. Sie wird zu einer weiteren Entsolidarisierung führen und zu einer wachsenden Bildungsungerechtigkeit. Ist das wirklich das, was Sie wollen?