Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin hat bereits Position bezogen. Das ist wunderbar; denn dadurch sparen wir Zeit. Ich erteile das Wort Frau Kollegin Dr. Strohmayr.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist echt schade, dass zu diesem Thema, das aus meiner Sicht ganz besonders wichtig ist, leider nur so wenige Kolleginnen und Kollegen anwesend sind, weil sie sich noch in der Mittagspause befinden. Ich möchte trotzdem den Kolleginnen und Kollegen, die hier sind, herzlich danken und ihnen meine Gedanken zu diesem Thema auf den Weg geben.
Seit dem letzten Dienstag gibt es eine neue Studie zum Thema Ganztag, nämlich die Bertelsmann-Studie, in der festgestellt wurde, dass Bayern bundesweit bei der Zahl der Ganztagsschüler das Schlusslicht ist. Das sollte uns zu denken geben. Diese Studie wurde vom Jugendinstitut durchgeführt und ist aus meiner Sicht eine schallende Ohrfeige für die CSU, für die bayerische Bildungspolitik und natürlich in erster Linie für unseren Minister Dr. Spaenle, der leider auch noch nicht da ist.
Alles Schönreden hilft hier nicht weiter. Bayern hat es verabsäumt, ein angemessenes Angebot an guten Ganztagsschulen zu schaffen. Gerade einmal 4,3 % der bayerischen Schüler besuchten im Jahre 2010/2011 eine gebundene Ganztagsschule. Und, sehr geehrter Herr Staatssekretär, leider wird es noch schlimmer, wenn wir uns die aktuellen Zahlen ansehen. Der Herr Minister hat in seiner Pressemitteilung erklärt, hier handle es sich um eine veraltete Studie und um veraltete Zahlen, obwohl diese Studie gerade einmal ein Jahr alt ist. Sehen wir uns doch einmal die aktuellen Zahlen an: Wir haben es im letz
ten Jahr geschafft, dieses Angebot um 0,7 % auszubauen. Respekt! Wir liegen jetzt bei einer Quote von 5 % der Schüler, die in eine gebundene Ganztagsschule gehen können.
In seinen Pressemitteilungen nennt Herr Dr. Spaenle Phantasiezahlen. Er zählt nämlich alles Mögliche zum Ganztagsangebot dazu, unter anderem die Mittagsbetreuungen. Ich muss Ihnen sagen: Eine Mittagsbetreuung, die vor Ort von einer Mutter gewährleistet wird, ist keine Ganztagsschule!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was in Bayern in den letzten Jahren passiert ist, ist ein Armutszeugnis. 5 % Ganztagsschule bedeutet, dass lediglich an 302 von 2.563 bayerischen Grundschulen eine gebundene Ganztagsschule vorhanden ist. Lediglich an 430 von 1.104 bayerischen Mittelschulen gibt es eine Ganztagsschule. Und man höre und staune: An 20 von 364 bayerischen Realschulen und an 33 von 413 Gymnasien gibt es eine Ganztagsschule. Das ist ein Armutszeugnis!
Gerade einmal an jeder zehnten weiterführenden Schule in Bayern gibt es damit eine gebundene Ganztagsschule. Man muss also weit fahren, bis man ein solches Angebot findet. Diese Zahlen sind - so meine ich - ein Schlag ins Gesicht der Schüler, die dieses Angebot benötigen, und auch der Eltern, die auf diese Angebote angewiesen sind. Längst wissen wir, dass unsere Gesellschaft heute bunt ist. Die Vielfalt der kulturellen und sozialen Hintergründe, der Begabungen und der Lernausgangslagen stellen eine Herausforderung für die Schule und den Unterricht dar. Bislang gelingt es uns in unserem Schulsystem nicht, faire Bildungschancen zu schaffen. Der Bildungserfolg hängt bei uns immer noch im hohen Maße von der Herkunft ab. Das belegt eine Vielzahl von Studien. Ich nenne nur exemplarisch die Pisa-Studie, die Iglu-Studie und andere. Immer wieder wird festgestellt: Die Chancen eines Akademikerkindes, auf ein Gymnasium zu gehen, sind 4,5-mal höher als die Chancen eines Arbeiterkindes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das muss uns doch zum Nachdenken bringen. Guter Ganztag bietet viele Potenziale. Mit gutem Ganztag könnten wir so viel erreichen. Wir könnten Schulen gerechter und leistungsfähiger gestalten. Wir könnten Kinder effektiv unterstützen. Wir könnten das Familienleben entspannen und vereinfachen. Schade, dass wir dieses Potenzial nicht nutzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auf die Eltern, auf die vielen alleinerziehenden Väter und Mütter und auf die vielen berufstätigen Eltern eingehen. Als berufstätige Mutter möchte ich stellvertretend für die vielen Mütter und Väter, die Kinder in der Schule haben, sagen: Ich weiß, was es bedeutet, wenn es kein gebundenes Ganztagsangebot gibt. Für die Eltern bedeutet das jeden Tag Stress, Sorgen, Hausaufgabenbetreuung am Telefon oder nach 22 Uhr oder private Nachhilfe für die, die sich das leisten können. Das können wir doch nicht wollen.
Ich kann Ihnen versichern, ich bin mit dieser Meinung nicht allein. Ich habe mich vor Kurzem mit Elternbeiräten in meiner Region zusammengesetzt. Ich kann Ihnen sagen, der Frust ist riesig. Es gibt einfach zu wenige, zu schlecht ausgestattete und zu vielfältige Ganztagsangebote. Es gibt gebundene und nicht gebundene Angebote, Mittagsbetreuung und Hort. Wer weiß da noch, was wo passiert? Es gibt zu wenige Informationen für die Eltern und keine Einbindung in die kommunale Bildungslandschaft, um nur einige Kritikpunkte zu nennen.
Bereits vor zehn Jahren hat Monika Hohlmeier festgestellt, dass sie für Ganztagsangebote eintreten werde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen nicht sagen, ob sie damals für eine echte gute Ganztagsschule eingetreten ist oder für Billigangebote.
Die IZBB-Mittel haben wir in Bayern jedenfalls mitgenommen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als viele bayerische Minister bei jeder Einweihung eines Ganztagsgebäudes vorne standen und sich lächelnd in der Zeitung haben abbilden lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider ist seit diesem Lächeln in verschiedene Kameras in Bayern in punkto Ganztagsschule wenig passiert.
Das Angebot ist nach wie vor völlig unzureichend. Es gibt - das habe ich schon gesagt - viel zu wenig gebundene Ganztagsangebote. In vielen Gymnasien gibt es Angebote zum Beispiel in der fünften und sechsten Klasse, dann hört es aber auf einmal auf; in den Grundschulen fängt das gebundene Ganztagsangebot erst mit der dritten Klasse an. Den Eltern bleibt es also allein überlassen, wie sie diesen Slalom-Kurs meistern. Es gibt keine durchgängigen Konzepte, keine durchgängige Qualität. Viel zu häufig gibt es noch die Bikini-Modelle - das sind offene Angebote, bei denen das Vormittagskonzept mit dem Nachmittagskonzept keinerlei Verbindung hat. Die Ausstattungen sind viel zu schlecht, zum Beispiel an den Grundschulen, wo statt 19 Stunden nur 12 Stunden zur
Verfügung gestellt werden. Es gibt viele Schulen, in denen der Ganztag neben dem Halbtag nicht richtig funktioniert. Die Schulen werden bei der Organisation der Ganztagsschule allein gelassen. Es gibt keine entsprechenden Verwaltungsstrukturen, und dort, wo es zu Klassenmehrungen kommt, das heißt in den ländlichen Gebieten, können keine Anträge gestellt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Minister oder lieber Staatssekretär, werden Sie endlich tätig! Sie haben zehn Jahre lang geschlafen. Ich fordere Sie heute auf, endlich tätig zu werden und uns Ihre Gesetzesvorstellungen vorzulegen.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass die CSU-Fraktion zum Antrag der SPD namentliche Abstimmung beantragt hat.
Herr Kollege Felbinger, Sie sind der nächste Redner. Danach kommt Herr Kollege Taubeneder zu Wort. Bitte schön, Herr Kollege Felbinger.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie ernst die stärkste Fraktion im Bayerischen Landtag das Thema Ganztag nimmt, können wir hier sehr gut sehen. Ich habe jetzt im Plenarsaal nur drei Mitglieder der CSU-Fraktion aus dem Bildungsausschuss gesehen. Ich muss sagen: Das ist schon sehr, sehr traurig.
(Alexander König (CSU): Wir haben das schon sehr oft diskutiert, Herr Kollege! Das ist immer wieder dieselbe Leier!)
Das ist auch ein kleines Spiegelbild dessen, was in diesem Bereich geschieht. Auch Ihre Intervention, Herr Sinner, Qualität vor Quantität, trifft in diesem Fall leider nicht zu, weil es auch an der Qualität im Besonderen mangelt. Das war ein Eigentor.
Kollegin Strohmayr hat die verschiedenen Zahlen ausführlich dargelegt. Nirgendwo in Deutschland gibt es so wenige Kinder, die ganztägig unterrichtet werden, wie in Bayern. Nur jeder Zehnte nutzt ein solches Angebot; im Bundesdurchschnitt nutzen es 28 %.
Meine Damen und Herren, warum ist das so? Das muss man sich schon fragen. Ich bin überzeugt: Dies liegt zu einem wesentlichen und großen Teil daran, dass die bestehenden Betreuungsangebote bei Weitem nicht so attraktiv sind, wie sie sein müssten. Die Ganztagsangebote in Bayern decken eben nicht, wie der Name suggeriert, eine Betreuung für den ganzen
Tag ab, sondern bestenfalls nur für vier Tage in der Woche und auch nur während der Schulzeit, nicht aber in den Ferien. Genau dahin wollen wir mit unserem Dringlichkeitsantrag. Wir fordern die Staatsregierung auf: Erarbeiten Sie endlich ein schlüssiges Konzept für eine wirklich durchgängige Betreuung, um so den Betroffenen, meist berufstätigen Eltern, den Spagat zu ersparen, der meist nicht klappt.
Meine Damen und Herren, ein schlüssiges Ganztagskonzept ist in unseren Augen die größte bildungspolitische und sozialpolitische Herausforderung für die Zukunft. Sie hat in diesem Bereich längst begonnen. Die Anforderungen der heutigen flexiblen und mobilen Arbeitswelt zwingen uns, über unsere bisherigen schulischen und sozialpädagogischen Konzepte völlig neu nachzudenken. Hier sind Sie von der Staatsregierung in besonderer Verantwortung.
Ich möchte die Bertelsmann-Studie zitieren. Darin heißt es: Zwar unterrichtet mittlerweile bundesweit jede zweite Schule ganztags, aber es fehlt an übergreifenden Konzepten und Qualitätsstandards. Die Studie des Deutschen Jugendinstituts e. V. kommt gar zu dem Schluss, der bisherige Ausbau mit seinen vielen unterschiedlichen Organisationsformen des Schultags sei eine Reise in die Zukunft ohne klares Ziel. Wir in Bayern befinden uns somit in bestem Fahrwasser. Die Ganztagsschule als Schultyp in Bayern bleibt unter ihren Möglichkeiten. Das ist die bittere Wahrheit, meine Damen und Herren von der Staatsregierung. Da nützt es auch nichts, dass Sie in Pressemitteilungen wie heute früh immer wieder verkünden, die Ganztagsangebote konsequent und bedarfsgerecht auszubauen. Die Gespräche mit Betroffenen vor Ort zeigen mir immer wieder etwas ganz anderes. Sie bauen nämlich die Angebote allenfalls halbherzig und vor allem ohne wirkliches Gesamtkonzept aus.
Die Studie empfiehlt vor allem die gebundene Ganztagsform als besonders effektive Lernform. Auch wir FREIE WÄHLER bevorzugen diese Form der Ganztagsbeschulung und können damit dem, was im ersten Spiegelstrich des SPD-Antrages gefordert wird, durchaus zustimmen. Allerdings - das muss ich einschränkend sagen - muss diese gebundene Ganztagsform in der Bevölkerung weitaus mehr Akzeptanz finden, als dies bisher der Fall ist. Diese Akzeptanz kann aber unserer Meinung nach nur dann entstehen, wenn die Betreuungsangebote auch bedarfsgerecht und praktikabel gestaltet werden, sodass es den Eltern auch ermöglicht wird, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Dann und nur dann unterstützen Sie die Eltern hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich.
Meine Damen und Herren von der Staatsregierung, machen Sie Ihre Hausaufgaben, und wenn es notwendig ist, auch am Nachmittag.
Zum SPD-Antrag ist noch zu sagen, dass uns der zweite Spiegelstrich etwas Magenprobleme bereitet. Die zweite Forderung, die Anzahl der gebundenen Ganztagsschulen zum nächsten Schuljahr an allen Schularten zu verdoppeln, können wir nicht mittragen. Insofern werden wir uns der grundsätzlichen Forderung anschließen, bei der Abstimmung über den Gesamtantrag müssen wir uns aber leider der Stimme enthalten.
Nächster Redner ist Herr Kollege Taubeneder. Danach kommt Herr Kollege Gehring. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Ausführungen meiner Vorredner gehört hat, müsste man meinen, in Bayern wäre es um die Bildung sehr schlecht bestellt.
(Beifall bei der CSU - Harald Güller (SPD): Es gibt in keinem Land so viele soziale Ungerechtigkeiten wie in Bayern!)
Wenn man sich die Leistungen so mancher Schüler in den anderen Bundesländern ansieht, könnte man zynisch sagen, andere hätten es vielleicht wirklich nötig, noch mehr Ganztagsschulen einzurichten, Bayern in jedem Fall nicht.
Bayerns Bildung zeichnet sich durch zwei wesentliche Grundprinzipien aus: Zum einen durch Qualität, zum anderen durch Gerechtigkeit. Sie wollen mit Ihrem Antrag vielleicht suggerieren, bei uns gäbe es keine Qualität und Gerechtigkeit. Das weise ich entschieden zurück. Sie führen ein Angebotsdefizit auf. Es geht nur um einen Teil eines breiten Betreuungsangebotes an bayerischen Schulen in Verbindung mit außerschulischen Angeboten. Wir bauen die Ganztagsangebote in Bayern konsequent und vor allem bedarfsgerecht aus. Im kommenden Schuljahr können 90 % aller Schülerinnen und Schüler ein Ganztagsangebot wahrnehmen.
- Ich komme schon noch dazu; Johanna, lass’ mich ausreden. Außerdem können 600 Gruppen für offene Ganztagsbetreuung und 600 Gruppen für Mittagsbetreuung und verlängerte Mittagsbetreuung genehmigt werden.
Was wir tun, möchte ich Ihnen an ein paar Beispielen zeigen: Gebundene Ganztagsschule: 871 Schulen, 956 Züge, 2.111 Klassen, 50.000 Schüler und dafür 1.185 Planstellen zusätzlich. Darüber hinaus Finanzierungsmittel in Höhe von 15,6 Millionen Euro.