Protocol of the Session on October 18, 2006

Wir schlagen Ihnen heute eine Gesetzesinitiative vor, die Bürgerinnen und Bürger in Sachfragen wieder besser einzubinden. Dies ist dringend nötig, denn mit dem Vertrauen der Bevölkerung in die Entscheidungen der Politik und in das Parteiensystem ist es nicht so gut bestellt, wie wir das gerne hätten.

Im Gegensatz zu dem schwindenden Vertrauen in die Politik gibt es eine sehr hohe Zustimmung der Bevölkerung für direkte Demokratie, für Volksabstimmungen und für Bürgerentscheide. Politische Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger können in der jetzigen Situation helfen, die Bevölkerung in Sachfragen einzubinden und den Reformstau anzugehen.

Untersuchungen haben auch ergeben, dass die Zufriedenheit der Menschen steigt, wenn sie an den politischen Entscheidungen beteiligt werden. Wir fordern Sie auf: Binden Sie die Menschen in die Entscheidungen ein! Das hilft dem politischen Entscheidungsprozess, das stärkt unsere Demokratie und macht – so zeigen die Erfahrungen aus der Schweiz – die Menschen auch glücklicher.

(Engelbert Kupka (CSU): Oh! – Zuruf des Abgeordneten Franz Maget (SPD))

Wir fordern Sie heute auf, unserer Gesetzesinitiative zuzustimmen, um Volksentscheide in Bayern wieder zu einem Instrument direkter Demokratie werden zu lassen.

Meine Kolleginnen und Kollegen, Volksentscheide finden in Bayern fast nicht mehr statt, weil die bürokratischen Hürden beim Volksbegehren, also bei der Vorstufe für Volksentscheide, bei der Entscheidung darüber, ob das Volk überhaupt in einer bestimmten Frage gehört werden soll, zu hoch sind.

(Engelbert Kupka (CSU): Ach, geh weiter! – Thomas Kreuzer (CSU): Ach was!)

Seit acht Jahren gibt es in Bayern kein erfolgreiches Volksbegehren mehr.

(Engelbert Kupka (CSU): Das hat doch andere Gründe!)

In den vergangenen 60 Jahren seit 1946 gab es in Bayern nur fünf erfolgreiche Volksbegehren, das heißt, durchschnittlich nur alle zehn Jahre ein erfolgreiches Volksbegehren, und da sagen Sie: „Ach was!“

Bei einem Volksbegehren geht es lediglich um die Frage, ob die Bevölkerung zu einer bestimmten Frage überhaupt gehört werden soll. Wir in Bayern haben Regelungen zu diesem Instrument, die mit so vielen Hürden belastet sind, dass es eben in den letzten Jahren zu keinem erfolgreichen Volksbegehren mehr kam.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die bayerische Volksbegehrenshürde von 10 % der Wahlberechtigten, das sind etwa 920 000 Unterschriften, die in Amtsräumen in den Kommunen zu leisten sind bei festgelegten Eintragungszeiten in Kombination mit einer zu kurzen Eintragungszeit von zwei Wochen, also 14 Tagen, ist zu hoch.

Bayern liegt mit diesen bürgerfeindlichen und bürokratischen Regelungen bundesweit weit abgeschlagen im letzten Drittel. Über zehn andere Bundesländer in der

Bundesrepublik haben bessere Regelungen für Volksentscheide und Volksbegehren.

(Engelbert Kupka (CSU): Auch bessere Ergebnisse!)

Ich denke, es kommt darauf an, Bürgerinnen und Bürger mitwirken zu lassen, und das kann nicht abgetan werden mit Bemerkungen Ihrerseits, dass Ergebnisse besser seien. Bei der Beurteilung, was besser ist, kommt es immer auch auf den Blickwinkel dessen an, der darauf schaut.

Die Regelungen für die Durchführung von Volksbegehren unterscheiden sich, wie gesagt, von Bundesland zu Bundesland. In einigen Ländern sind die Unterstützungsunterschriften durch eine freie Unterschriftensammlung auf der Straße möglich; in anderen Ländern, wie beispielsweise in Bayern, dürfen die Unterschriften nur in den Amtsräumen geleistet werden. In Hamburg war beispielsweise eine Kombination von beidem möglich, bis die dann regierende CDU mit einer Gesetzesänderung die Sammlung auf der Straße verboten hat.

Das Unterschriftenquorum schwankt ebenfalls von Bundesland zu Bundesland zwischen 4 und 20 % der Wahlberechtigten. Die Eintragungsfristen betragen zwischen 14 Tagen und 12 Monaten.

In Bayern ist die Hürde mit der kurzen Eintragungsfrist von 14 Tagen besonders hoch. Dies hat zur Folge, dass die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger in Bayern nur noch der absolute Ausnahmefall ist. Voraussetzung für erfolgreiche Volksbegehren sind leider in Bayern aufgrund der extrem hohen Hürden Bündnisse mit großen NGOs unter Mitwirkung von Parteien, ausgestattet mit einer flächendeckenden Infrastruktur und einer entsprechenden Kriegskasse. Dies kann nicht das sein, was wir an Mitwirkungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger in Bayern wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die jetzige Situation bedeutet in der Konsequenz, dass Volksbegehren in Bayern keine Instrumente der Bürgerinnen und Bürger mehr sind, sondern nur noch Instrumente großer Organisationen, und selbst für diese bedeuten die jetzigen Regelungen einen erheblichen Kraftakt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wissen nicht erst seit dem aufgrund der zu kurzen Eintragungsfrist knapp gescheiterten Volksbegehren zur Änderung des Waldgesetzes im November 2004, dass Volksbegehren und in der Folge Volksentscheide nur noch im Fall der Beteiligung sehr großer Organisationen und optimaler Mobilisierung und großer Emotionalisierung mit einem schlagkräftigen Thema möglich sind. Wir beantragen daher eine Änderung des Landeswahlgesetzes. Diese Änderung hat zum Inhalt, die zu kurzen Eintragungs

zeiten, die wesentlich kürzer sind als in anderen Bundesländern, von derzeit 14 Tagen auf 30 Tage zu verlängern

(Beifall bei den GRÜNEN)

und neben der Amtseintragung auch die freie Unterschriftensammlung zuzulassen.

Vielleicht noch ein Wort: Wir haben heute so viel über Bürokratie gesprochen. Die Amtseintragung ist ohnehin eine deutsche Erfindung. Es gibt in vielen Ländern Mitwirkungsmöglichkeiten, es gibt in vielen Ländern Volksentscheide, aber die Unterschriftensammlung für so einen Volksentscheid in den Amtsstuben gibt es wirklich nur in Deutschland.

Beginnen wir mit dem Bürokratieabbau. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Machen Sie den Bürgerinnen und Bürgern wieder die Mitwirkung in Sachfragen auf Landesebene möglich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Weidenbusch.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir gegen Abend des zweiten Plenartages als Parlament noch einmal unserer vornehmsten Aufgabe nachkommen dürfen, nämlich der Beratung eines Gesetzentwurfs. Wir sind schließlich die Legislative und darum geht uns das direkt an. Es ist auch erfreulich, wenn der Antrag und die Initiative dazu von der grünen Fraktion kommen. Sie sind da genauso willkommen wie alle anderen hier.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Der Bürger ist der höchste Souverän! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Bitte schön, das ist überhaupt kein Problem. Wir sollten so miteinander umgehen – nicht so wie heute Vormittag.

Sie haben im Entwurf dieses Gesetzes Ihrem Wunsch Ausdruck verliehen, dass wir im Gesetzgebungsprozess die Rechte des Bürgers beim Volksbegehren und beim Volksentscheid anders ausgestalten als bisher. Man kann auf dieses Feld zwei Sichten haben.

Die eine Sicht ist die Ihre. Sie sagen: Die Hürden sind zu hoch. Die Bürger sollen bei der Gesetzgebung zwar mitwirken, aber auf der anderen Seite stellen wir ihnen formal in den Weg, dass sie dazu nur 14 Tage Zeit haben und zur Gemeinde gehen müssen, um sich dort in die Liste einzutragen. Das ist zu viel verlangt. Deswegen – so sagen Sie – sollten wir das öffnen, damit wir mehr Beteiligung des Souveräns – Sie haben das sehr schön gesagt – am Gesetzgebungsverfahren erfahren dürfen.

Die CSU-Fraktion sagt: Das Gesetzgebungsverfahren ist eine sehr ernste Sache. Am Schluss kommt ein Gesetz heraus, das für alle gilt. Darum haben wir da bestimmte formale Voraussetzungen geschaffen, deren Einhaltung

wir für seriös halten. Darum haben wir ein wenig Sorge, dass das Gesetzgebungsverfahren darunter leidet, wenn man es allzu sehr frei gibt.

Genauso wie Ihnen die Befürchtung zusteht, dass der Bürger bei der Mitwirkung an der Gesetzgebung durch die 14-Tage-Frist und die Öffnungszeiten der Gemeinde behindert wird, müssen Sie uns zugestehen, dass wir ein wenig die Sorge haben, dass die Sammlung der Unterschriften des Nachts in Gaststätten stattfindet und es keine Möglichkeit mehr gibt zu kontrollieren, wie ernst es dem Souverän mit der Schaffung eines neuen Gesetzes tatsächlich war.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Dazu sage ich Ihnen ganz klar: Mir gefällt das nicht. Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass wir einen Teil des Gesetzfindungsprozesses in Kneipen verlagern. Das möchte ich nicht. Darum wird die CSU-Fraktion, weil sie insgesamt dieser Meinung ist – das ist keine Einzelmeinung von mir, aber das wird Sie nach den Ausschussberatungen auch nicht wirklich überraschen –, Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir möchten gern, dass es bei dem Amtseintragungsverfahren bleibt. Wir möchten gern, dass sich der Bürger bewusst macht, dass, wenn er an der Gesetzgebung mitwirken will, etwas mehr von ihm verlangt wird, als dass er sich an einem Tisch kurz überlegt, ob er seine Unterschrift unter irgendetwas setzt.

Ich möchte Ihnen aber auch persönlich etwas sagen. Das ist heute die Zweite Lesung. Sie haben den Gesetzentwurf eingebracht. Wir haben ihn in diversen Ausschüssen gehabt und heute ist er zum zweiten Mal im Plenum. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich wenigstens mit unserem Hinweis auseinandersetzen, dass man den Artikel 69 nicht einfach streichen kann, und mit dem Hinweis, dass Sie in Artikel 70 Absatz 3 nicht eine Regelung für Hilfspersonen treffen können, die Sie in Artikel 69 Absatz 3 Ihres eigenen Gesetzentwurfs längst beseitigt haben.

Ich bitte Sie schon, zu sehen, dass es nicht möglich ist, eine Unterschriftensammlung in einer Kneipe zu machen, bei der nach dem Text Ihres Antrages – ich unterstelle Ihnen gar nicht, dass Sie das wollten – jemand um halb zwölf Uhr in eine Kneipe geht, die Listen auf den Tisch legt und sagt: Machen wir da irgendetwas hin. – Er soll nämlich keinen Vornamen, keinen Nachnamen mehr hinschreiben. Es soll nicht mehr möglich sein zu prüfen, ob er, wo abgestimmt wird, überhaupt abstimmungsberechtigt ist. Es ist auch nicht mehr feststellbar, wer er überhaupt ist.

Ich glaube nicht, dass Sie das gewollt haben. Andernfalls dürfen Sie mich hier am Mikrofon eines Besseren belehren. Aber ich finde, dass wir als Parlamentarier voneinander erwarten können, dass wir uns im Laufe eines so lange andauernden Verfahrens mit unseren eigenen Entwürfen wenigstens so befassen, dass sie am Schluss durchgängig umsetzbar werden, auch wenn Sie sagen, dass Ihr Antrag sowieso abgelehnt wird. Aber Sie hätten den Entwurf wenigstens in einen Zustand bringen können, dass wir ihn qualifiziert ablehnen könnten und nicht als unqua

lifiziert ablehnen müssen. Ich hoffe, ich konnte Sie überzeugen.

(Beifall bei der CSU – Maria Scharfenberg (GRÜNE): Nein!)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Schindler.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider ist es so, wie der Kollege Weidenbusch sagte, dass weder in der Ausschussberatung noch jetzt in der Zweiten Lesung ein völlig neuer Gedanke von den Antragstellern und auch von denen, die das Gesetz ablehnen, vorgebracht worden ist. Ich will es deswegen auch ganz kurz machen und nur darauf hinweisen, dass Volksbegehren und Volksentscheide in Bayern eine sozialdemokratische Erfindung sind.

Es war Wilhelm Hoegner, der dafür gesorgt hat, dass dies in die Bayerische Verfassung aufgenommen wurde. Die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden ist ein originäres sozialdemokratisches Anliegen seit 1946.

(Beifall bei der SPD)

Darum sind wir jedem Mann und jeder Frau dankbar, der oder die einen Hinweis darauf gibt, wie man die Durchführung erleichtern kann.