Protocol of the Session on July 6, 2006

Auch der Ministerpräsident bezog sich damals nicht auf sachliche Gründe. Es interessierte ihn auch nicht seine Ankündigung vom 7. Mai 2003. Ich wiederhole das noch einmal, denn am 7. Mai 2003 ließ uns Herr Stoiber bezogen auf die Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms 2003 wissen, Bayern sei damit für die Herausforderungen gerüstet und die Leitlinien für die künftigen Jahre seien damit vorgegeben. Fünf oder sechs Monate später galten diese Leitlinien angeblich nicht mehr. Ich kann nur sagen, was gilt dann eigentlich das Wort des Ministerpräsidenten, wenn das Verfallsdatum so kurz ist, wie sich an diesem Beispiel manifestieren lässt.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE))

Ich will wiederholen, was in den folgenden Jahren passierte. Für Ende 2004 war das LEP angekündigt. Tatsächlich wurde der Entwurf dafür erst am 7. März 2006 im Landtag eingebracht. Wie zu hören war, dauerte es, weil der Konfl ikt zwischen Wirtschafts- und Innenminister über wesentliche Festlegungen eben seine Zeit gekostet hat. Und am Schluss – auch das wurde hörbar für uns – war die CSU noch am Streiten. Als ich am 7. März hier im Plenum über den Zeitdruck klagte, unter den die Staatsregierung wieder einmal das Parlament setze, weil bis Anfang Juli die Verabschiedung terminiert war, höhnte Herr Pschierer – schade, er ist nicht da, ich würde es ihm hier gerne direkt noch einmal sagen –, die SPD werde doch wohl ihre Anträge noch rechtzeitig stellen können.

Tatsächlich – das ist auch wieder eine schöne Geschichte – musste dann der CSU-Antrag per Nachtrag auf die Tagesordnung der entscheidenden Ausschusssitzung gehievt werden, denn die CSU-Fraktion konnte sich erst wenige Stunden zuvor darüber verständigen, und es gab dann auch nur einen Gruppenantrag. Vielleicht sagen Sie uns heute noch, warum es nur einen Gruppenantrag und keinen Fraktionsantrag gegeben hat.

Zusätzlich mussten die Irritationen im eigenen Lager mit der bereits angesprochenen Resolution befriedet werden. Ist das, meine Kolleginnen und Kollegen von der CSU, für Sie professionelle Parlamentsarbeit, wenn da so hektisch gearbeitet wird und im Ergebnis fast die Zeit für Sie nicht reicht. Wir waren rechtzeitig dran, sage ich Ihnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mir ist es sehr wichtig zu betonen, dass wir uns als Fraktion zur Landesentwicklung selbstverständlich bekennen. Wir wissen, dass die sozialen, wirtschaftlichen und verkehrlichen Ansprüche an den Raum mit dessen ökologischen Funktionen in Einklang zu bringen sind. Wir wissen, dass das Ziel der gleichwertigen und gesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Landesteilen Bayerns nur mit einer vorausschauenden Einfl ussnahme auf die Entwicklung im Land verfolgt werden kann. Deshalb halten wir ein querschnittsorientiertes Zukunftskonzept, das ja das LEP sein muss, für unabdingbar notwendig. Und wir wissen, dass eine unbeeinfl usste, allein dem Markt überlassene Wirtschaftsentwicklung allemal gegen die Belange des ländlichen Raumes läuft. Überlegtes Gegensteuern ist also notwendig.

Unsere Kritik gilt der übereilten Fortschreibung. Ich sage es noch einmal: Diese Fortschreibung war diktiert von der aktionistischen Pose des Ministerpräsidenten und nimmt entschieden zu wenig den aktuellen Handlungsbedarf auf.

(Beifall bei der SPD)

Sie selbst, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, haben mit Ihrer Ankündigung baldiger Sonderfortschreibungen diesen aktuellen Handlungsbedarf ja eingestanden. Er ist gegeben – ich wiederhole es noch einmal – beim Zentrale-Orte-Konzept, beim Einzelhandelsziel und durch die demographische Veränderung. Nachdem Sie, Herr Kollege Bocklet, bereits ausführlich Professor Ante heute zitiert haben, bringe ich auch ein Zitat. Und in diesem Punkt stimme ich ihm zu. In vielen Aussagen stimme ich ihm nicht zu. Er sagt:

Kommt der demographische Mangel dazu, wird es umso dringlicher, gemeinsam über die zukünftige Raumorganisation nachzudenken.

(Zuruf des Abgeordneten Reinhold Bocklet: Das machen wir ja!)

Sie machen es, aber Sie hätten es in Verbindung mit der Fortschreibung jetzt machen sollen, und zwar behutsam und sich Zeit nehmend.

Wir sagen, bezogen auf die jetzt genannten Punkte, wäre es besser gewesen, die Beratungen, wie wir gefordert haben, auszusetzen und systematisch und umfassend den gegebenen Handlungsbedarf anzugehen.

Ein paar Anmerkungen zum Formalen muss man schon machen. Erstens, Sie reden ja so gerne davon, dass jetzt der Entwurf schlank sei und Doppelplanungen vermeide. Erstens einmal ist der Entwurf nicht wirklich schlank, allenfalls füllig, um beim Bild zu bleiben. Und außerdem ist schlank an sich kein Qualitätsmerkmal, auch nicht für gute Planung. Der Entwurf vermeidet auch Doppelplanungen nicht durchgängig. Auffallend sind dort, wo es Fachpläne gibt, Ziele und Grundsätze extra benannt. Das ist für uns genau Doppelplanung. Ich verweise nur auf den Bereich Verkehr. Ich sage auch, wir haben nichts dagegen, weil die Funktion des Landesentwicklungsprogramms in unserem Sinne so ist, dass es koordinierend und umfassend ist. Andererseits schmetterten Sie insbesondere jene Ziele und Grundsätze in unseren Anträgen mit dem Hinweis der Doppelplanung ab, wo Sie ohnehin aus inhaltlichen Gründen Festlegungen grundsätzlich vermeiden wollten. Wir werden heute Zeit haben, Beispiele dafür zu bringen. Ich spreche nur die fl ächendeckende ärztliche Versorgung oder die Schulversorgung an.

Zweitens, es war schwer nachvollziehbar, was als Ziel und was als Grundsatz und damit abwägungsfähig festgelegt wurde. Offensichtlich war die Zuordnung Ziel oder Grundsatz durchaus mit einer nicht nach außen nachvollziehbaren politischen Priorisierung verbunden. Da erinnere ich an das „Ziel Donauausbau“. Es war zunächst als Grundsatz festgelegt.

Wir sehen zum Beispiel den Klimaschutz im Entwurf nicht ausreichend berücksichtigt, wie insgesamt ökologische Belange im Entwurf nicht die gebührende Beachtung erfahren. Dazu wird Kollege Ludwig Wörner etliches sagen. Es sei angemerkt, wir wollten Klimaschutz als Ziel festgeschrieben haben. Da blockten Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, mit dem Hinweis ab, die Bayerische Staatsregierung habe im Jahr 2000 und 2003 ihre verbindlichen Klimaschutzziele festgelegt und damit basta. Gerade weil das LEP nach Artikel 3 Absatz 1 des Bayerischen Naturschutzgesetzes zugleich das Landschaftsschutzprogramm darstellt, hätte man Klimaschutz auch aus diesen Gründen stärker betonen sollen. Ich fi nde auch, man müsste in der Präambel die Funktion des LEP als Landschaftsschutzprogramm besonders herausstellen.

Noch ein Punkt zur mangelnden Systematik. Dem Forschungsreaktor in Garching ist ein werbender Grundsatz gewidmet, obwohl dieser Reaktor bereits in Betrieb ist. Es ist systemwidrig, etwas, was schon in Betrieb ist, als anstrebenswertes Ziel zu betonen. Ich sage Ihnen, das ist einer der Punkte, wo klar nachvollziehbar ist, dass das LEP zu propagandistischen Zwecken instrumentalisiert wird.

Drittens, zu dieser Unsystematik. Es ist uns in den Ausschussberatungen nachvollziehbar geworden, warum manch fachlich festgelegte Zielsetzung oder mancher

Grundsatz, der notwendig wäre, fehlt: Es hängt an den Finanzen. Beispielsweise sollte zu Bayerns Stätten des Weltkulturerbes kein Grundsatz aufgenommen werden, weil dafür keine gesonderten Mittel vorhanden sind. Herr Kollege Bocklet, ich habe genau zu diesem Punkt das Protokoll nachgelesen.

Wir haben dann Dank Ihrer Flexibilität in diesem Punkt eine Lösung gefunden.

(Reinhold Bocklet (CSU): Immer!)

- Nein, nein. Nicht immer.

(Franz Pschierer (CSU): Nur bei guten Vorschlägen!)

Ein weiterer Punkt. Auch das ist im Protokoll nachzulesen. Angesichts rasant steigender Studierendenzahlen müssen auch mehr Studienplätze angestrebt werden. Das war zunächst nicht vorgesehen und wurde mit dem Hinweis auf fehlende Finanzen abgeblockt. Gott sei Dank wurde es nachträglich korrigiert, vielleicht auch, weil es offensichtlich zu blamabel gewesen wäre.

Interessant fi nde ich, dass zwar – dies entnehme ich den Meldungen der letzten Tage – alle Fraktionen inzwischen Ganztagsschulen für Bayern für erstrebenswert halten.

(Franz Maget (SPD): Aber in sehr begrenztem Umfang!)

- Herr Kollege Maget, ich habe gesagt, es wird grundsätzlich für erstrebenswert gehalten. Aber im Entwurf des LEP gibt es dazu kein Wort. Das ist sehr schade.

(Beifall bei der SPD)

Geradezu absurd fi nde ich, dass das festgelegt wird, man wolle eine bedarfsgerechte fl ächendeckende Versorgung mit Apothekern, Zahnärzten und weiteren Berufsgruppen, obwohl man weiß, dass Niederlassungsfreiheit gegeben ist. Wie soll man diese Berufsgruppen dann in bestimmte Orte bringen können? Auf der anderen Seite wurde aber unser Antrag, der das Vorhalten des stationären medizinischen Angebots zum Ziel hatte – darauf hat der Freistaat konkreten Einfl uss –, nicht aufgenommen.

Kolleginnen und Kollegen, ich komme zur Thematik des ländlichen Raumes. In der Landtagsanhörung zum Landesentwicklungsprogramm am 06. April dieses Jahres sprach der Bevölkerungswissenschaftler Dr. Hans-Jörg Bucher von der demographischen Spaltung, die sich in Bayern in den nächsten Jahren vertiefen werde. Er meinte damit die sich bei gleich bleibender Gesamtbevölkerung vollziehende weitere Bevölkerungsverschiebung in Bayerns Teilräumen. In den Ballungsräumen wird sich starker Bevölkerungszuwachs einstellen, während die Bevölkerungszahl vor allem in Bayerns Randgebieten weiter schrumpfen wird.

Diese Bevölkerungsverschiebung ist Folge der höchst ungleichen Wirtschaftsentwicklung in Bayerns Teil

räumen. Ich sage Ihnen: Diese Tatsache ist ein Ausdruck dafür, dass die Menschen in Bayern über die Struktur- und Regionalpolitik der Bayerischen Staatsregierung mit den Füßen abstimmen. Sie ziehen dorthin, wo Arbeitsplätze vorhanden sind.

Diese Binnenwanderung geht einher mit einem stark differierenden Altersaufbau in einzelnen Städten, Landkreisen und Gemeinden. Die Menschen werden nicht nur älter, und der Anteil der Älteren in der Gesellschaft nimmt nicht nur insgesamt zu, sondern die einzelnen Altersgruppen, Alterskohorten, wie man sagt, verteilen sich in der Fläche anders. Das hat wesentliche Konsequenzen für die staatlichen Leistungen.

Beispielsweise wird der öffentliche Nahverkehr in Gebieten mit abnehmender Bevölkerungszahl wichtiger, weil die Mobilität der älteren Bewohner stark davon abhängt. Den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsabnahme und überdurchschnittlich hohem Alter kann man diesen Statistiken entnehmen.

Wenn man nun den ÖPNV in der Fläche, in den Räumen mit abnehmender Bevölkerung, ausdünnt, so heißt dies, bewusst eine erhebliche Verschlechterung der Lebensqualität der Menschen in Kauf zu nehmen.

Es ist diese demographische Perspektive mit ihren absehbaren Konsequenzen für die soziale, schulische, kulturelle, wirtschaftliche und verkehrliche Infrastruktur, die Landräte, Bürgermeister und Institutionen in den demographischen Verlustgebieten so umtreibt. Sie sagen das ja auch deutlich.

Hierin besteht unter dem Leitziel der gleichwertigen Arbeits- und Lebensbedingungen aktuell die größte landespolitische Herausforderung. Herr Minister Huber, da kommt es dann für die Staatsregierung wirklich schnell zum Schwur, wie ernst sie es mit dem Vorhalteprinzip tatsächlich nimmt. Der vorliegende Entwurf des LEP greift jedenfalls diese demographische Herausforderung unzulänglich auf. Das gestehen Sie sogar in Ihrer Resolution ein. Es ist nicht nur unsere Einschätzung hier im Landtag, dass das so ist, sondern auch in der Anhörung haben das viele Verbände und Institutionen formuliert. Lesen Sie es nach!

Natürlich – das hat Kollege Bocklet schon vorgeführt, und ich bin sicher, die weiteren Redner der CSU werden dies wiederholen – werden Sie diesen Vorwurf, der gegeben und auch beweisbar ist, abwehren, in dem Sie auf die neu eingebrachte Kategorie „ländlicher Teilraum“ verweisen, der nunmehr in besonderem Maße gestärkt werden soll, auf das Vorhalteprinzip und auf das Vorrangprinzip.

Wir sagen nicht, dass diese Prinzipien falsch sind. Im Gegenteil, sie sind richtig. Allerdings sind sie im Entwurf nicht durchgängig berücksichtigt. Bei den Themen Schule, Sozialversorgung und Kulturversorgung wird dies sichtbar. Leider haben wir zudem die politische Erfahrung, dass Ihre praktische Politik diese Prinzipien nicht aufnimmt. Wie heißt es schon in der Bibel? – An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Wenn Sie die Prinzipien

formulieren, schauen wir auch darauf, welche Politik Sie dazu im konkreten Alltag machen.

Hierzu fällt mir ein Bild ein: Man kann Prinzipien so hoch hängen, dass man im Alltag bequem darunter hindurch gehen kann. Unter diesen Prinzipien gehen Sie ganz oft und mit großen Schritten hindurch.

(Beifall der Abgeordneten Heidi Lück (SPD))

Mit vier Beispielen will ich dies belegen.

Erstens. Das Bayerische Kindertagesstättengesetz bringt mit seiner kindbezogenen und mit der Aufgabe der gruppenbezogenen Förderung Gemeinden mit abnehmender Kinderzahl und insoweit mit immer kleiner werdenden Gruppen in ganz große Bedrängnis.

(Beifall bei der SPD)

Genau diese Form benachteiligt den ländlichen Raum und widerspricht dem Prinzip, das wir zuvor besprochen haben.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die Reorganisation der Hauptschulen mit der Schließung von Teilhauptschulen hilft zwar dem Kultusminister, Lehrkräfte einzusparen, führt aber zu einer Verschlechterung der wohnortnahen Schulversorgung und schwächt damit das Leitprinzip gleichwertiger Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen, gleich wo sie wohnen und aufwachsen.

Drittens. Der ÖPNV ist eine wesentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge. Dass wenigstens diese Formulierung aus dem LEP 2003 übernommen werden konnte, verdanken wir einem Coup, den Sie, Herr Rotter, im Ausschuss gewagt haben. Damit haben Sie einem Teil unseres Antrags zugestimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)