Protocol of the Session on June 21, 2006

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/5707 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CSU-Fraktion. Gegenstimmen? –

SPD-Fraktion und Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. Enthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag so angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Dringlichkeitsantrag aufrufe, weise ich noch einmal auf den Senatssaal hin. Dort gibt es heute eine Veranstaltung der Benedikt-Menni-Werkstatt in Gremsdorf. Das ist eine anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen, die vor allem Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Menschen mit Behinderungen haben damit die Möglichkeit, sich beruflich und sozial zu integrieren. Die behinderten Menschen haben im Senatssaal ein Kicker-Turnier durchgeführt. Die Kicker-Konsolen sind noch aufgestellt. Wer nach dem anstrengenden Mittagessen etwas körperliche Betätigung braucht, sollte, um seine Handgelenke wieder etwas geschmeidiger zu machen, dort einmal kurz vorbeischauen und mitspielen. Es würde den Jugendlichen auch gut tun, sie dort zu besuchen und sich anzusehen, was diese alles herstellen. Wenn Sie dann noch ein KickerGerät kaufen, dann, das verspreche ich, komme ich zum Eröffnungsturnier zu Ihnen nach Hause.

(Heiterkeit)

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, HansUlrich Pfaffmann, Karin Pranghofer u. a. u. Frakt. (SPD) Mehr Energie in individuelle Förderung stecken – Sitzenbleiben schon im kommenden Schuljahr deutlich reduzieren (Drs. 15/5708)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Wortmeldung: Kollege Pfaffmann.

Herr Präsident, vielen Dank für den Hinweis mit dem Kicker. Es wäre vielleicht gut, das Sitzenbleiben durch das Kickern zu ersetzen. Kickern wäre sicher sinnvoller als sitzenzubleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht bei dem Dringlichkeitsantrag um ein Problem, das mittlerweile offensichtlich auch die CSU erkannt hat. Ich bin sehr gespannt, wie die starken Worte, die die CSU zu diesem Thema in den Pfi ngstferien gesagt hat, umgesetzt werden. Darauf komme ich noch.

Am Anfang möchte ich mit ein paar Zahlen das Problem noch einmal verdeutlichen. Im Schuljahr 2004/2005 hatten wir in Bayern 54 000 Klassenwiederholer, davon sind 50 % Klassenwiederholer und -wiederholerinnen wegen schlechter Noten und 50 % sind freiwillige Wiederholer oder Schulartwechsler.

Wir haben uns mit anderen zusammen die Mühe gemacht, einmal die Kosten dieser Klassenwiederholungen zu berechnen. Wir kommen auf die Zahl von 210 Millionen Euro jährlich, die uns die Klassenwiederholer kosten. Mit diesem Geld könnte man 3500 Lehrerinnen und Lehrer einstellen und die individuelle Förderung verbessern.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Das wäre allemal besser als die permanente Klassenwiederholung.

(Beifall bei der SPD – Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Allerdings!)

Das ist aber noch nicht das Ende der Fahnenstange für die Liste der Ausgaben dieser Staatsregierung und der Mehrheit hier im Hohen Hause, die völlig sinnlos sind. Es kommt hinzu, dass 9 % unserer Schülerinnen und Schüler hier in Bayern die Schule ohne Abschluss verlassen. Das ist ein Kostenfaktor von 310 Millionen Euro, lieber Herr Professor Waschler. Hinzu kommen die Kosten, die die Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss wegen mangelnder Perspektive im Rahmen der Sozialhilfe verursachen.

Des Weiteren kommt hinzu, dass nahezu 40 % – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – aller Schülerinnen und Schüler, die auf ein Gymnasium gehen, das Klassenziel nicht erreichen.

(Engelbert Kupka (CSU): Wo? In Niedersachsen?)

Nicht in Niedersachsen, lieber Herr Kupka, aber wahrscheinlich bei Ihnen im Stimmkreis.

(Engelbert Kupka (CSU): Wir haben da einige Einser-Abiturienten gehabt!)

Die Zahlen gelten für ganz Bayern. Das heißt, das Gymnasium verliert – das ist bei der Realschule ähnlich – nahezu 40 % der Schülerinnen und Schüler.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): In jeder Jahrgangsstufe?)

Der vom Philologenverband berechnete Kostenfaktor, lieber Herr Waschler, beläuft sich auf 90 Millionen Euro.

(Zuruf des Abgeordneten Engelbert Kupka (CSU))

Wenn man das zusammenzählt, dann haben wir durch Klassenwiederholer – freiwillig oder nicht –, durch den mangelnden Abschluss und den Schulwechsel einen Gesamtkostenfaktor von jährlich 600 Millionen Euro, die sich diese Staatsregierung und diese Mehrheit des Hohen Hauses in unseren Schulen leistet. Das ist unerträglich.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Vielleicht gelingt es Ihnen endlich einmal, diese Kosten zu senken oder zumindest darüber zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch Folgendes sagen. Nach Jahren der Kritik durch die Opposition und durch viele Verbände hier in diesem Lande hat nun in den Pfi ngstferien auch die CSU

endlich erkannt, dass es hier ein Problem gibt. Es gibt eine Pressemitteilung des Fraktionsvorsitzenden Herrmann.

(Abgeordneter Joachim Herrmann (CSU) betritt den Plenarsaal)

Guten Morgen, lieber Herr Fraktionsvorsitzender von der CSU!

(Joachim Herrmann (CSU): Haben Sie schon ausgeschlafen?)

Ja, guten Morgen! Nachdem wir jahrelang gesagt haben, Sitzenbleiben ist ein politisches Problem, was jahrelang von der Mehrheit hier im Hohen Hause abgestritten wurde, kommt nun der Herr Herrmann in den Pfi ngstferien daher und sagt: Ja, das ist ein Problem.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt! – Demonstrativer Beifall bei der SPD)

Zehn Jahre hat es gedauert! Ich beglückwünsche Sie zu dieser langen Phase der Erkenntnis.

(Joachim Herrmann (CSU): Das haben wir schon vor einem Jahr gesagt. Da haben Sie das Lesen wohl noch nicht beherrscht! – Johanna WernerMuggendorfer (SPD): Und da ist immer noch nichts passiert! Denen war alles wurscht!)

Es gibt hier einen Punkt, der zu beleuchten ist, lieber Herr Herrmann. Sie sagen: „Zwar ist unsere Wiederholerquote auch ein Ausfl uss unseres Qualitätsanspruches.“ Ich sage Ihnen, das ist blanker Unsinn. Die Wiederholerquote ist ausschließlich ein Beweis für Ihre mangelnde Förderung unserer Kinder an den Schulen, nichts anderes.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Beweis für die Wiederholerquote und nicht der hohe Qualitätsanspruch.

Diese Wiederholerquote ist der Beweis für einen gravierenden Lehrermangel an unseren Schulen, nichts anderes. Das hat mit Qualität nichts zu tun. Dies ist der Beweis, dass Sie nicht in Bildung investieren wollen.

Dann schreiben Sie, Herr Herrmann: Wesentlich sinnvoller wäre, mehr Energie in die individuelle Förderung zu stecken, als die Schüler ein ganzes Jahr wiederholen zu lassen. Zum zweiten Mal: Guten Morgen, Herr Herrmann! Auch das sagen wir seit zehn Jahren. Seit zehn Jahren werden unsere Initiativen hier grundsätzlich abgelehnt. Sie haben es nun endlich kapiert.

Nun sind Sie ja – das haben wir heute der Presse entnehmen können – der neue starke Mann in der CSU. Wenn Sie der neue starke Mann in der CSU sind, dann bin ich sehr gespannt, wie Sie das Wort Energie in diesem Zusammenhang defi nieren. Sie schreiben: Mehr Energie in die individuelle Förderung. Wenn Sie das Wort Energie so defi nieren, dass wir mehr Geld für individuelle Förderung an unseren Schulen brauchen, dann gebe ich Ihnen

Recht. Ich bin sehr gespannt, wie dies der neue starke Mann in der CSU umsetzt. Das heißt nämlich nichts anderes, lieber Herr Herrmann, als eine deutliche Erhöhung der Bildungsinvestitionen in diesem Lande. Ich bin gespannt, wie Sie das umsetzen werden.

(Joachim Herrmann (CSU): Sie müssen meine Pressemitteilung schon ganz lesen! So viel hätte ich Ihnen schon noch zugetraut!)

Nach den Erfahrungen der letzten Jahre, in denen die Bildungspolitik in diesem Lande bespart wurde, ist dies ein neuer Ton. Wir werden sehr genau beobachten, wie der neue starke Mann, der in dieser Frage offensichtlich anderer Meinung als der Ministerpräsident ist, seine eigenen Forderungen, die er in den Pfi ngstferien in die Welt gesetzt hat, in diesem Hause umsetzt. Darauf sind wir sehr gespannt.

(Beifall bei der SPD)

Ein paar Sätze zur inhaltlichen Auseinandersetzung hinsichtlich der Frage der Klassenwiederholung. Wir stehen jetzt wieder vor der Sommerpause, vor den Lehrerkonferenzen, in denen in der Schule entschieden wird, welcher Schüler und welche Schülerin die Klasse wiederholen muss. Das steht uns jetzt unmittelbar bevor. Ich sage Ihnen: Es gibt keinerlei Beweise – das hat Pisa eindeutig ergeben –, dass Klassenwiederholung irgendeinen Sinn im Sinne von Leistungsverbesserung der Schülerinnen und Schüler hat. Das ist kein pädagogisches Instrument, das Sinn machen würde. Deswegen verstehe ich die Klassenwiederholungen in der Art und Weise, wie Sie sie unterstützt haben, überhaupt nicht. Das ist nichts anderes als verordnetes Scheitern, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir unseren Kindern sozusagen Scheitern in der Schule verordnen.

Um es einmal inhaltlich zu beleuchten: Wir machen nichts anderes, als die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler, unabhängig von der Frage, ob sie etwas dafür können oder nicht, nach unten durchzureichen. Als wäre es nicht schon genug Strafe für diese Kinder, dass sie schwächere Leistungen haben, bestrafen wir sie auch noch von Amts wegen, indem wir sie nach unten durchreichen. Welchen pädagogischen Sinn dies machen soll, erschließt sich mir in überhaupt keiner Weise.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, im Prinzip ist es noch viel schlimmer. Das ist nichts anderes als eine Selektion der bittersten Art. Wir haben leistungsschwache Schüler, die es verdient hätten, dass man sie individueller fördert. Stattdessen reichen wir sie nach unten durch; wir verordnen ihnen das Scheitern; wir selektieren sie noch dazu. Wir sagen: Du bist ein Versager. Das ist die Botschaft. Nicht umsonst wird die Zahl der Kinder immer größer, die nach Vergabe der Zeugnisse mit der Versetzungsfeststellung Angst vor dem Nachhausegehen haben. Nicht umsonst gibt es Hotlines von Psychologen und Jugendämtern zur Hilfe. Ich glaube, dass es unabhängig von der

Frage der Kosten inhaltlich keinen Sinn macht, so weiter zu verfahren.