Protocol of the Session on April 26, 2006

Wir erleben keine Renaissance der Atomenergie, sondern eine Renaissance der Ankündigungen. China hat angekündigt, bis 2020 32 Blöcke zu bauen. Im Bau sind derzeit 3. Russland hat 40 Blöcke angekündigt, im Bau sind 4. Die Ukraine hat 12 Blöcke angekündigt, im Bau sind 2. Die USA wollten bis 2050 300 Blöcke bauen, im Bau ist derzeit keiner. Stattdessen investieren die USA in andere Kraftwerkstypen. Die US-Regierung äußert: Es wird nicht erwartet, dass bis 2025 in den USA ein AKW ans Netz gehen wird.

Angesichts der von mir gerade eben geschilderten Sicherheitslage führen Sie noch weitere Argumente wie die Versorgungssicherheit an. Das können wir ganz schnell abhandeln. Falls sich in einem AKW jemals ein

Super-GAU ereignen sollte, werden alle Atomkraftwerke abgeschaltet. Uran muss importiert werden. Die Uranvorräte sind ebenso begrenzt wie die von Öl und Gas. Der Preis von Uran ist seit 2001 um das Fünffache gestiegen. Mit AKWs haben wir keine Versorgungssicherheit.

Sie argumentieren stets mit dem viel zitierten Klimaschutz. Ich habe gesagt, 463 Atomkraftwerke sind weltweit in Betrieb. Bezogen auf die Endenergie machen diese gerade einmal zwei bis drei Prozent aus. Wollten wir wirklich effi ziente Potenziale der Einsparung von Treibhausgasen mit Atomenergie umsetzen, dann müssten wir ein Vielfaches dieser 400 AKWs weltweit bauen. Stellen Sie sich die notwendigen Investitionsmittel, stellen Sie sich das Risiko vor. Es ist nicht machbar. Im Gegensatz dazu haben wir Einsparpotenziale im Wärmesektor von 50 bis 80 %. Wir haben Effi zienzpotenziale, und wir haben das große Potenzial der erneuerbaren Energien. Ihre Argumente zum Klimaschutz sind, wenn ich ein bisschen genauer hinschaue, nicht haltbar.

Wir stellen auch fest, dass gerade Staaten wie China, Russland, die Ukraine, Indien, Pakistan, Iran und NordKorea, die besonders auf Atomenergie setzen, die Atomkraftnutzung als Staatsdoktrin haben. Sie setzen auf weitere Subventionen, und das 50 Jahre nach Beginn der Atomenergienutzung.

Sie nennen das „Markteinführung“, wenn die Landesbank einen Kredit für einen fi nnischen Reaktor gibt. Gleichzeitig jammern Sie, dass wir im Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG – Markteinführung vorsehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie sprechen von Markteinführung, obwohl schon 30 bis 40 Milliarden Euro in Deutschland in diese alte und hochriskante Technologie gesteckt worden sind. Europaweit wurden dafür 100 Milliarden ausgegeben. Die Etablierung von AKWs auf dem Markt ist trotz gigantischer Subventionen nicht erfolgt.

Fazit: Die Atomkraft ist nicht hinnehmbar. Wir können froh sein, dass eine rot-grüne Bundesregierung die Verantwortung übernommen hat, den Atomausstieg umzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In den Jahren 2008 und 2009 steht die Abschaltung von Biblis A und B, Neckarwestheim und in den Folgejahren von Brunsbüttel und Isar 1 an. Das ist der offi zielle Fahrplan.

Zu Isar 1: Bayern ist das Bundesland mit den meisten Atomkraftwerken. 5 Blöcke von 17 befi nden sich in Bayern. Isar 1 ist das Atomkraftwerk, das in Bayern am wenigsten geschützt ist. Es ist auch das Älteste. Es wird auf zwei Flugrouten im Abstand von je einem Kilometer täglich ungefähr 130-mal daran vorbei gefl ogen.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Sehr gefährlich!)

Das sind Aussagen der Staatsregierung. Isar 1 hat eine Wandstärke von 35 bis 120 Zentimeter. Das ist auch eine Aussage der Staatsregierung. Isar 1 liegt mitten in der Wendeschleife des Franz-Josef-Strauß-Flughafens. Im März 1988 gab es bereits einen Absturz eines Strahlfl ugzeuges, nur wenige Flugsekunden von Isar 1 entfernt. Wir wissen, dass in den Achtzigerjahren auch bei allen anderen Standorten in Bayern Strahlfl ugzeuge innerhalb eines Umkreises von 20 Kilometern abgestürzt sind. Das ergaben Antworten auf Anfragen, die wir gestellt haben. Angesichts der Absturzgefahr und des neuen terroristischen Risikos – und das ist eine Forderung unseres Antrags – ist es an der Zeit, Isar 1 vorzeitig abzuschalten, und zwar so schnell es geht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Mythos der Atomkraft: Die Risiken der Atomenergie sind geblieben. Alterung und Veraltung der Materialien erhöhen die Sicherheitsprobleme überproportional. Die veränderte terroristische Bedrohungssituation und regionale Spannungen erfordern eine Neubewertung und ein Handeln.

Zum Klimaschutz können Atomkraftwerke nichts beitragen, im Gegenteil: Sie verschärfen den Klimawandel.

Atomenergie ist nicht nur sicherheitstechnisch, sondern auch fi nanztechnisch eine Hochrisikotechnologie. Sie setzt sich allenfalls dort durch, wo sie zur Staatsdoktrin gehört oder staatlich hoch subventioniert wird.

Wir haben die Alternativen. Für die bereits abgeschalteten Atomkraftwerke haben wir ein Vierfaches an Strom aus erneuerbaren Energien pro Jahr dazu gewonnen. Nehmen Sie das zur Kenntnis. Ich bitte Sie auch, die Schätzungen von wissenschaftlichen Instituten zur Kenntnis zu nehmen, wonach bis zum Jahr 2050 trotz einer Weltbevölkerung von dann 9 bis 10 Milliarden Menschen mit erneuerbaren Energien, mit Einsparungen, mit Effi zienztechnologie ein ausreichendes Energieangebot zur Verfügung steht, um den Energiebedarf der Weltbevölkerung zu befriedigen. Wir haben das Potenzial; nutzen wir es!

(Beifall bei den GRÜNEN)

BP, General Electric, Shell und viele weitere große Unternehmen und Konzerne setzen inzwischen auf erneuerbare Energien. Die Probleme bei der Bekämpfung der Armut, Friedenspolitik, Gesundheitspolitik, Bildungspolitik können nur mit sicheren dezentralen Energiesystemen gelöst bzw. umgesetzt werden. Wir werden auch nur mit diesen Technologien und mit dieser Energiepolitik den Klimaschutz realisieren, wie es von den Wissenschaftlern vorgegeben wird, nämlich bis zum Jahr 2050 den Temperaturanstieg auf 2 Grad zu senken und den Treibhausgasausstoß weltweit um 50 % zu reduzieren.

Wir haben die Alternativen; nutzen wir sie. Lassen wir das Erfolgsmodell „erneuerbare Energien“ weiter wachsen. In Deutschland entstanden dadurch mittlerweile 170 000 Arbeitsplätze. Erneuerbare Energien haben einen wach

senden Anteil am Endenergieverbrauch. Im Jahr 2005 waren es bereits 6,4 %. Investitionen in Höhe von 6 Milliarden Euro wurden getätigt, Umsätze von insgesamt 15 Milliarden Euro pro Jahr generiert. Diese Zahlen sollten Ihnen zu denken geben.

Lassen Sie mich noch kurz auf die Anträge der anderen Fraktionen eingehen: Der SPD-Antrag „Die Lehren aus Tschernobyl ziehen: Neuordnung des Ministeriumsbereich ‚Energietechnik’“ äußert einen frommen Wunsch. Es ist unwahrscheinlich, dass der Ausstieg aus der Atomenergie begleitet und umgesetzt wird, wenn wir die Organisationsstruktur des Wirtschaftsministeriums ändern. Ich würde den Wunsch mit Ihnen gerne verifi zieren. Ich habe jedoch erhebliche Zweifel. Es kommt auf den Inhalt der Politik an, nicht auf die Struktur eines Wirtschaftsministeriums.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die CSU-Fraktion schreibt, ohne die Kernenergie ließen sich die weltweiten Klimaschutzziele nicht erreichen. Ich sage Ihnen und ich habe es schon ausgeführt: Mit Kernenergie lässt sich Klimaschutz nicht verwirklichen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist nicht so, dass jedes Atomkraftwerk durch Braunkohle- oder Steinkohlekraftwerke oder Öl- und Gaskraftwerke ersetzt werden muss. Die Alternativen sind vorhanden.

Wir können die Energieversorgung auch unter der Prämisse weg vom Öl künftig gewährleisten. Schauen Sie sich die Szenarien der EU sowie von Wissenschaftsinstituten und wissenschaftlichen Einrichtungen an. Schauen Sie sich die Prognose von Shell an. All dies belegt das.

Noch ein Letztes: Sie sagen immer: Wir setzen doch schon Kyoto-Klimaschutzziele in Bayern um. Das, was Sie bezogen auf das Jahr 2000 angeben, ist eine Armutserklärung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn wir das Ziel auf das Jahr 1990 projektieren, dann sehen wir, dass Sie beim Treibhausgas gerade einmal eine Reduktion von 5 % erreichen. Sie wissen, dass das Kyoto-Ziel 21 % bis 2012 lautet.

Tun Sie etwas.

Die Betreiber haben in Bayern vier alte Kraftwerke, alte Kohlekraftwerke, stillgelegt. Es hat eine kleine Verbesserung bei der CO2-Bilanz in Bayern gegeben. Sie wissen aber genau – schauen Sie sich die neuesten Zahlen der Verursacherbilanz an –, dass in Bayern als einzigem Bundesland der CO2-Ausstoß enorm ansteigt. Wenn wir den Ausstoß pro Kopf nehmen, dann sind Sie mit einer Steigerung von 4 % gleich auf mit Bremen. So sieht es in der bayerischen Klimabilanz aus, und zwar wegen AKWs.

Ich habe die Alternativen aufgezeigt und wir müssen feststellen, dass wir aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht die Alternativen haben. Wenn wir die Sicherheit der Bevölkerung ernst nehmen, dann hat Atomenergie keine Zukunft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nehmen Sie den 20. Jahrestag von Tschernobyl ernst. Sie müssen heute nicht unserem Antrag zustimmen, ich erwarte das gar nicht. Das wäre Ihnen als christliche Partei allerdings geboten. Aber ich kenne den Lerneffekt in diesem Hause. Nach den Zwischenrufen zu schließen, darf man nicht einmal mehr reden, wenn man wissenschaftliche Zahlen bringt. Ich erwarte heute nicht, dass Sie zustimmen, aber nehmen Sie Ihre Rolle in der Bayerischen Staatsregierung ernst und steigen Sie aus dieser hochriskanten Technologie aus. Wir haben die Alternativen. Das bringt der Wirtschaft Positives und es befördert die Ökologie.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung für die CSU-Fraktion: Graf von und zu Lerchenfeld.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Hohes Haus! Wir haben heute schon einiges zum 20. Jahrestag nach der Katastrophe von Tschernobyl gehört. Diese Katastrophe ruft bei uns allen viele schreckliche Bilder in Erinnerung, vom Ort der Katastrophe und der Vielzahl der Opfer, deren genaue Anzahl bis heute nicht bekannt ist.

Ich verbeuge mich in Ehrfurcht vor den Opfern und vor allem vor denen, die unter Einsatz ihres Lebens, ihrer Gesundheit und meistens ohne das Wissen um die Gefahr, die von diesem Katastrophenort ausging, und außerdem ohne zureichende Hilfsmittel und Schutzmaßnahmen, verhindert haben, dass sich die Katastrophe weiter ausgebreitet hat. Diese Leute haben Heldenmut bewiesen, der wirklich großartig war.

Die Erinnerung an Tschernobyl zeigt deutlich, dass in vielen Ländern sicherlich unentschuldbare Fehler bei der Information der Bevölkerung und bei der Informationspolitik gemacht wurden. Angefangen in dem Land, wo die Katastrophe stattgefunden hat, der UdSSR, über die Länder des gesamten Ostblocks bis hin zu vielen westlichen Ländern wurde die Bevölkerung über das wahre Ausmaß der Katastrophe spät, zögerlich und nicht ausreichend aufgeklärt. Bereits am 14. Mai 1986 hat hier in diesem Hohen Haus unser heutiger Landtagspräsident in einer Rede darauf hingewiesen, die Bevölkerung habe ein Recht darauf, dass ihre Sorgen und Nöte – ich betone ganz besonders das Folgende, was er gesagt hat – ohne taktische Spielchen, ohne Geschäft mit ihren Gefühlen grenzenlos ernst genommen werden und die Auswirkungen und Konsequenzen aus der Katastrophe offen diskutiert werden.

Schon damals hatte Deutschland Sicherheitsstandards, die weit über denen des Werks in Tschernobyl lagen –

Sicherheitsstandards, die sicherlich eine Katastrophe wie in Tschernobyl verhindert hätten. Diese Sicherheitsstandards sind Gott sei Dank in den letzten Jahren deutlich gestiegen, weil wir mit verstärkter Forschung auf diesem Feld einiges leisten konnten.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Es ist nichts beherrschbar!)

Wir sind uns alle darüber einig – ich glaube das können wir über die Fraktionen hinweg feststellen –, dass Kernenergie eine Form der Energieerzeugung ist, die sicherlich zeitlich nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen wird. Wir wissen, dass Kernenergie genauso zeitlich begrenzt ist, wie das alle fossilen Energieträger sind.

Deshalb fordern wir in unserem Antrag auch, dass die Staatsregierung an ihrer am Leitbild der Nachhaltigkeit ausgerichteten Energiepolitik festhalten und sich gleichzeitig für einen ausgewogenen Energiemix aller verfügbaren Energiequellen einsetzen soll. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch – meine Vorrednerinnen und Vorredner haben bereits darauf hingewiesen –, dass die Klimaschutzziele von Kyoto einzuhalten sind und dass eine Verringerung der Treibhausgase auf jeden Fall wichtig ist. Darauf hat Alois Glück damals in seiner Rede am 14. Mai – ich betone das noch einmal – 1986 hingewiesen.

Energiepolitik ist eine ganz wesentliche Säule einer vernünftigen Industriepolitik. Das mögen Sie durchaus leugnen. Damit ist sie natürlich auch von essentieller Bedeutung, gerade für unseren Standort Deutschland. Wir haben in den letzten Jahren leider immer wieder erleben müssen, dass Energiepolitik nicht unter den Gesichtspunkten Versorgungssicherheit, Umwelt- und Klimaschutz oder Preiswürdigkeit betrieben wurde, sondern ausschließlich unter ideologischen Gesichtspunkten. Wir beziehen in Europa unsere Energie aus Ländern wie Russland, Iran und Irak – derzeit zur Hälfte, aber in wenigen Jahren werden es sicher 70 % sein. Ich sehe mit sehr großer Sorge eine Entwicklung, die sich in Russland abzeichnet. Die Äußerung von Alexei Miller, dem Vorstandsvorsitzenden der Gazprom, die jetzt sicherlich hervorragend durch den ehemaligen Bundeskanzler beraten werden wird, und ähnliche Äußerungen, die kürzlich der Chef des größten Erdölproduzenten Russlands Rosneft zur Versorgung Europas mit Rohstoffen gemacht hat, stimmen mich wirklich sehr bedenklich. Die Ausrichtung dieser beiden großen Staatskonzerne auf den asiatischen Abnehmermarkt ist nur noch eine Frage der Zeit. Rosneft baut zur Zeit eine Öl-Pipeline von Ostsibirien nach China mit einer Länge von 4200 Kilometern. Russland setzt darauf, dass die Nachfrage nach seinen Rohstoffen vor allem in Asien weiter steigen wird und dass die Abhängigkeit, die in Europa von Russland besteht, sich schon irgendwie regeln lassen wird. Dazu wird auch politischer Druck eingesetzt werden und die Rohstoffl ieferungen werden als Druckmittel sicherlich auch für Russland eine Rolle spielen. Sie müssen sich nur einmal ansehen, was im vergangenen Herbst in der Ukraine geschehen ist.

Wir können uns auf Dauer nicht davon abhängig machen, bezüglich der Versorgung mit Rohstoffen auf die Gnade

von Moskau angewiesen zu sein. Wir müssen, wenn wir über den kurzfristigen Ausstieg aus der Kernenergie diskutieren, vor allem auch über die Alternativen diskutieren. Ich vermisse aber bei den meisten, die sich dazu äußern, das Aufzeigen von Alternativen, die die Lücke in der Energieversorgung tatsächlich schließen wird.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Regenerative Energie!)