Protocol of the Session on March 30, 2006

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CSU: Ach, jetzt hört doch auf!)

Zweitens erinnere ich an den Leistungsdruck an den Schulen, Kinder, die Angst vor Schulaufgaben haben. Hier werden erste Frustrationserlebnisse gepfl anzt und gesetzt, und dafür sind Sie verantwortlich.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Billige Polemik!)

Sie sind für den Leistungsdruck an den Schulen verantwortlich. Sie sind dafür verantwortlich, dass man Kinder

im zehnten Lebensjahr selektiert und ihnen sagt: Du bist nicht für eine höhere Schulbildung geeignet. Das ist Ihre Schulpolitik,

(Beifall des Abgeordneten Franz Schindler (SPD))

und hier werden die zweiten Frustrationserlebnisse in jungem Alter bei Kindern gelegt, die letztendlich dazu führen, dass es im späteren Alter – in der Summe zugegebenermaßen – zu Problemen kommt.

Ich nenne noch einmal den Notendruck in den Klassen, wenn Kinder und junge Leute tagelang Angst vor Schulaufgaben haben, wenn die Eltern erwarten, dass gute Noten nach Hause gebracht werden, und die Kinder diese Anforderungen nicht mehr erfüllen können. Da werden die nächsten Frustrationserlebnisse gesteckt und gelegt,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

und auch das ist Ihre erklärte Schulpolitik.

Natürlich ist es auch die mangelnde Integration gerade von jungen Menschen mit Migrationshintergrund an den Schulen. Hier wird an den Schulen zu wenig getan, um Kinder, die eine andere Nationalität haben, in unser System vernünftig zu integrieren. Auch das ist letztendlich ein Grund, dass hier und da Gewalt eskaliert.

Gewalt rückt immer dann in den Fokus der Öffentlichkeit, wenn ein besonders gravierender Fall bekannt wird. Die Refl exe sind immer die gleichen: ordnungspolitische Maßnahmen. Das ist die ganze Antwort, die Ihnen einfällt, Kolleginnen und Kollegen von der CSU: Verbote, Verbote, Verbote.

Wenn das alles ist, was Ihnen sozialpädagogisch oder pädagogisch zu diesem Problem einfällt, dann, sage ich Ihnen, ist das die Bankrotterklärung Ihrer Bildungspolitik schlechthin.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte an die zahllosen versteckten Probleme erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen, die in Zusammenhang mit der Gewalt an Schulen gar nicht ans Tageslicht kommen. Ich erinnere an das Mobbing von Mitschülerinnen und Mitschülern, weil die Werteerziehung zu Hause, aber auch in der Schule zu kurz kommt. Es gibt zu wenig Raum für die Werteerziehung an den Schulen und es wird ein zu starkes Gewicht auf Kernfächer wie Mathematik, Deutsch oder Naturwissenschaften gelegt. Das ist ja in Ordnung, aber es darf nicht dazu führen, dass wir keinen Raum mehr für die Werteerziehung haben, mit der Frage, wie man mit Gewalt umgeht, oder ob man toleriert, dass andere eben anders sind. Das ist die Realität an unseren Schulen und dafür sind Sie, meine Damen und Herren von der CSU, verantwortlich und sonst niemand.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, nämlich die Ausgrenzung der Schülerinnen und Schüler aus diversen Gründen. Vielleicht werden sie ausgegrenzt, weil sie ärmer sind als andere Mitschüler, vielleicht weil sie mit den Besten in der Schule nicht mithalten können oder weil sie – mag es noch so banal klingen – nicht mithalten können mit einer gesellschaftlichen Entwicklung, die das Tragen von Designer-Klamotten und das Besitzen von modernster Handy-Technologie höher einschätzt als Werte in Richtung des Umgangs mit Gewalt. Auch das ist das Ergebnis Ihrer Schulpolitik.

(Beifall bei der SPD – Engelbert Kupka (CSU): Na, na!)

Auch deswegen tragen Sie Mitverantwortung für diese Probleme.

Lieber Herr Kollege Kupka, wir werden mit einem immer stärkeren Problem konfrontiert, das alle Fraktionen in diesem Hohen Hause und die Gesellschaft überhaupt zum Nachdenken zwingen sollte. Ich meine die Tatsache, dass wir uns immer mehr an diese Situation gewöhnen. Es ist immer normaler, dass Gewalt an Schulen vorherrscht und es ist immer normaler, dass Kinder andere Kinder mobben oder ausgrenzen. Das halte ich für die viel größere Gefahr. Wenn die Gesellschaft Gewalt an den Schulen als Normalität betrachtet, haben wir verloren.

(Engelbert Kupka (CSU): Das stimmt!)

Deswegen muss man hier gegensteuern, und zwar jetzt. Wir haben bereits einige Jahre verloren. Das Problem steht nicht erst seit gestern auf der Tagesordnung; das habe ich bereits gesagt. Es ist ein Querschnittsthema durch alle Politikbereiche hindurch; darüber hinaus ist es aber auch ein schulpolitisches Thema, und deswegen müssen wir die Rahmenbedingungen zur Lösung des Problems schaffen. Das habe ich schon gesagt. Ich möchte aber dennoch einige Punkte noch einmal konkret benennen. Wir brauchen nicht nur ordnungspolitische Maßnahmen. Ich gebe gern zu, dass ordnungspolitische Maßnahmen in einem nachhaltigen Konzept der Verhinderung von Gewalt eine Rolle spielen können. Das gebe ich gern zu. Ohne ordnungspolitische Maßnahmen geht es im einen oder anderen Fall nicht.

Wenn aber ordnungspolitische Maßnahmen das einzige Mittel sind, dann reicht das bei weitem nicht aus; die ordnungspolitischen Maßnahmen müssen ergänzt werden durch pädagogische und sozialpädagogische Maßnahmen und Strategien gegen Gewalt an Schulen. Das Kultusministerium allerdings führt das Kultusministerium oder die Schulen wie ein Ordnungsamt mit immer dem gleichen Refl ex. Wenn ein Problem als Schlagzeile in der Zeitung steht, wird das Problem verboten.

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht sollte Ihnen klar sein, dass man Probleme nicht verbieten kann. Herr Kassian Stroh von der „Süddeutschen Zeitung“ hat das geschrieben. Er hat Recht. Probleme lassen sich nicht verbieten.

Wenn man auf Schulstörer und Schulschwänzer reagiert, indem man einen Gesetzentwurf vorlegt, der vorsieht, dass man bereits 14-jährige Kinder von der Schule verweisen kann, dann ist das eine Bankrotterklärung. Sie verlagern das Problem auf die Kommunen, auf die Sozialämter und auf den Justizvollzug und sagen ansonsten: Nach mir die Sintfl ut. Schulpolitisch ist Ihnen das wurscht.

(Beifall bei der SPD)

Das kann keine gute Schulpolitik sein, wenn man keinen präventiven Ansatz hat.

Für den Handy-Missbrauch gilt das Gleiche. Sie erkennen plötzlich, nachdem es für Sie zunächst ein Einzelfall war, dass es ein Problem ist.

(Zurufe von der CSU)

Lieber Herr Kollege Sibler, Sie erkennen, dass es ein Problem ist und es folgt derselbe Refl ex: Handy verbieten! Ich bin sehr gespannt, ob Sie die Lehrerinnen und Lehrer zur Handy-Polizei ausbilden wollen und ob Sie die Polizei in die Schulen schicken wollen, um 400 Handys an einer Realschule mit 400 Schülern zu kontrollieren. Ich bin gespannt, wie das funktionieren soll.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Das Gleiche passiert mit der deutschen Sprache. Sie stellen fest, dass Schülerinnen und Schüler nicht genügend deutsch sprechen. Da sind wir uns in der Sache übrigens durchaus einig.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das haben wir auch gehofft!)

Aber was machen Sie? Sie versuchen nicht, den Schülerinnen und Schülern, die nicht deutsch können, die deutsche Sprache nahe zu bringen,

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Ach nein!)

sondern Sie sagen: Jetzt wird die deutsche Sprache im Schulhof Pfl icht. Punkt aus!

(Zurufe von der CSU: Basta!)

Herzlichen Glückwunsch zu dieser Entscheidung. Ich bin sehr gespannt, wie Sie kontrollieren wollen, welche Sprache gesprochen wird. Vielleicht mit versteckter Kamera auf dem Schulhof oder Mikrofonen hinter dem Busch?

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das ist doch Quatsch! Da gibt es doch die schulinternen Vereinbarungen!)

Damit können dann die kleinen Gruppen, die auf dem Schulhof zusammenstehen, kontrolliert werden, ob sie deutsch oder türkisch sprechen oder in einer anderen

Landessprache. Da sitzt dann vielleicht der Hausmeister am Band und hört: Was reden die denn da für eine Sprache?

(Zurufe von der CSU)

Kolleginnen und Kollegen, das ist keine Politik, sondern Hilfl osigkeit gegenüber Problemen, die wir in den Schulen haben.

(Beifall bei der SPD)

Was fehlt sind nachhaltige Konzepte, und natürlich fehlt auch eine ausreichende Finanzierung in dieser Frage. Wer wie Sie mit Ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit in den letzten Jahren 4 Millionen Euro bei der Schulsozialarbeit gekürzt hat, braucht sich hier nicht mehr hinzustellen und den Unschuldsengel zu spielen.

(Beifall bei der SPD)

Wer nicht für ausreichend Lehrpersonal und Schulsozialarbeiter an den Schulen sorgt und sich permanent weigert, ausreichende Rahmenbedingungen zu fi nanzieren, braucht sich auch nicht mehr hier hinzustellen und sagen, wie gut er ist und dass alles wunderbar ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so geht es nicht. Wenn Sie nicht endlich dafür sorgen, dass hier über die Fraktionsgrenzen und Parteigrenzen hinweg nachhaltige Präventivmaßnahmen – nicht nur ordnungspolitischer Art – eingeleitet werden, und zwar nicht durch rhetorische Floskeln, sondern mit barer Münze im Nachtragshaushalt, werden wir Sie in Zukunft mitverantwortlich machen für jede Gewalteskalation, die in diesem Lande passiert.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Tolle.