Protocol of the Session on March 8, 2006

Sie hat aufgrund geschichtlicher Erfahrung Ultima Ratio zu sein. Sie muss aber auch deshalb Ultima Ratio sein, weil es bei der Sicherungsverwahrung nicht darum geht,

jemanden festzuhalten, weil er sich schuldig gemacht hat. Die Strafe hat er doch verbüßt. Er wird vielmehr deswegen festgehalten, weil er im Verdacht steht, sich künftig wieder schuldig zu machen. Weil das so ist, müsste es auch bei Ihnen Allgemeingut sein, dass die Sicherungsverwahrung nicht irgendeine Sanktion neben anderen Sanktionen ist, sondern allerhöchstens die Ultima Ratio sein kann.

Nachdem Sie die Geschichte angesprochen haben, muss ich darauf verweisen, dass in der langen Zeit, in der CDU/ CSU und FDP gemeinsam in Bonn und in Berlin regiert haben, überhaupt nichts passiert ist, abgesehen davon, dass 1998 das so genannte Sexualdeliktebekämpfungsgesetz geschaffen worden ist, in dessen Rahmen damals der § 66 Absatz 3 in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden ist. Kein Mensch – weder die damalige Bundesregierung noch die CSU im Bayerischen Landtag – hat damals einen Gedanken darauf verschwendet, die Sicherungsverwahrung auch auf Jugendliche oder Heranwachsende auszudehnen. Weder Sie noch wir haben uns darüber Gedanken gemacht. Wir haben es auch nicht abgelehnt, weil Sie es gar nicht verlangt haben.

Tatsache ist auch, dass unter der Verantwortung der früheren rot-grünen Bundesregierung im August 2002 die vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingeführt worden ist und dass sich niemand daran gestört hat, dass sie nicht für Heranwachsende galt, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, so wie es beim Fall Prinz war.

(Thomas Kreuzer (CSU): Wer war damals in der bayerischen SPD verantwortlich?)

Das spielt überhaupt keine Rolle. Die Frage, die Sie jetzt in den Mittelpunkt rücken, stand damals nicht zur Diskussion. Sie ist damals von Ihnen auch nicht in einen Antrag gegossen worden.

Tatsache ist auch, dass sogar das bayerische Straftäterunterbringungsgesetz, für das diese Staatsregierung die Verantwortung getragen hat und dem die Mehrheit meiner Fraktion damals zugestimmt hat, den später entstandenen Fall Prinz nicht hätte verhindern können. Tatsache ist auch, dass Bayern nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2004 auf eine Rundfrage des Bundesjustizministeriums, welche relevanten Fälle in dem vorgesehenen neuen Bundesgesetz geregelt werden müssten, einen ähnlichen Fall, wie er sich später in München ereignet hat, nicht genannt hat. Tatsache ist auch, dass Sie im Beschluss des Landtags vom 29. Januar 2003, auf den Sie auch in Ihrem heutigen Dringlichkeitsantrag Bezug nehmen, nicht gefordert haben, die Sicherungsverwahrung auch gegen Heranwachsende, die nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, anordnen zu können.

Herr Kreuzer, ich habe das nicht gesagt, um Sie zu überzeugen. Das gelingt mir nicht. Ich habe es nur gesagt, um die Darstellung des historischen Ablaufs, wie er wirklich war, zu komplettieren. Sie müssen zugestehen, dass es leider immer schreckliche Vorkommnisse waren, die uns darauf gebracht haben, dass es noch eine Lücke gibt. Nun sagen Sie, diese Gesetzgebung könne jetzt zum

Abschluss kommen, es würde jetzt die letzte Lücke geschlossen werden. Das haben wir schon öfter gehört. Es kann sein – keiner von uns weiß es –, dass morgen oder übermorgen ein Fall eintritt, den wir uns jetzt nicht vorstellen können, auf den wir jetzt noch keine Antwort haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Zusammenhang mit der Diskussion vor einem Jahr hat meine Fraktion den Vorschlag unterbreitet, künftig nachträgliche Sicherungsverwahrung auch gegenüber Heranwachsenden, die nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, anordnen zu können. Das ist damals nicht von allen mitgetragen worden. Ich stelle fest, dass das mittlerweile Inhalt des Koalitionsvertrags in Berlin ist. Allerdings steht es wörtlich nicht im Koalitionsvertrag, denn dort heißt es, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch gegen Straftäter verhängt werden soll, die nach Jugendstrafrecht wegen schwerster Straftaten usw. verurteilt worden sind. Ob das nun für Heranwachsende, also für Menschen, die zwischen dem achtzehnten und dem zwanzigsten Lebensjahr straffällig geworden sind, oder auch für Jugendliche gelten soll, lässt sich dem Text des Koalitionsvertrags nicht entnehmen. Deswegen habe ich den Eindruck, dass Ihr heutiger Antrag über den Text des Koalitionsvertrags hinausgeht, jedenfalls dann, wenn damit intendiert ist, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch gegen Jugendliche und nicht nur gegen Heranwachsend generell angewendet werden soll. Wenn Sie das wollen, weichen Sie vom Koalitionsvertrag ab. Das haben Sie dann gegenüber der CDU und Ihrem weiteren Vertragspartner in Berlin, der SPD, zu erklären. Wenn es nicht so sein sollte und Sie nur den Text des Koalitionsvertrages wiedergeben wollten, ist Ihr Antrag aber überfl üssig.

In der Sache selbst möchte ich auch noch Folgendes sagen: Wer fordert, dass Sicherungsverwahrung auch gegen Jugendliche verhängt werden soll und wer nicht dazusagt, dass die Sicherungsverwahrung Ultima Ratio zu sein hat, der muss wissen, dass es sich bei diesen Jugendlichen um ganz junge Menschen zwischen 14 und 17 Jahren handelt. Wem nichts anderes einfällt, als gegenüber solchen Tätern die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen, stellt sich selbst ein Armutszeugnis aus. Ich meinte eigentlich, dass wir darüber schon längst hinaus sind. Ich habe deswegen mit Freude zur Kenntnis genommen, dass in der Initiative, die die Bayerische Staatsregierung gestern beschlossen hat, sich eine solche simple Argumentation nicht wieder fi ndet. Dort wird nämlich auf die Notwendigkeit der Behandlung dieser jungen Straftäter hingewiesen.

Schließlich möchte ich noch einmal betonen, dass keine Bundesregierung in der Vergangenheit mehr für den Schutz der Bevölkerung vor Wiederholungstaten durch Sexualstraftäter getan hat als die rot-grüne Bundesregierung zwischen 1998 und 2005.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Ihr jetziger Vorstoß mehr sein soll als das, was im Koalitionsvertrag steht, ist er Ausdruck von Koalitionsuntreue. Er ist aber auch mehr als nur das Schließen einer

vermeintlich letzten Lücke. Er würde im Ergebnis eine tektonische Verschiebung des Sanktionenrechts bedeuten.

Ich sage noch einmal: Die Sicherungsverwahrung muss die absolute Ausnahme bleiben; dabei werden Menschen nämlich nicht deswegen eingesperrt, weil sie sich schuldig gemacht haben, sondern weil sie im Verdacht stehen, sich künftig schuldig zu machen.

Meine Damen und Herren, der Eindruck bleibt bestehen – Herr Kollege Kreuzer, so habe ich Ihren Auftritt verstanden, weil Sie völlig unnützerweise auf die Vergangenheit hingewiesen haben –, dass mit diesem Antrag die Erfahrung genutzt werden soll, die Sie in Passau gemacht haben, dass immer dann – und auch nur dann – Applaus aufkommt, wenn Sie Ressentiments schüren, wenn Sie die Dinge verkürzen, simplifi zieren und nicht in ihrer Komplexität darstellen.

(Beifall bei der SPD)

Weil dieser Antrag der CSU entweder überfl üssig ist, weil die Materie im Koalitionsvertrag bereits geregelt ist, oder wenn er darüber hinausgeht und weil wir uns als SPD koalitionstreu verhalten, werden wir ihm nicht zustimmen, zumal Sie völlig zu Recht darauf hingewiesen haben, dass all das, was zu diesem Thema zu sagen ist, in unserem Antrag treffl ich beschrieben worden ist. Wir werden deshalb Ihren Antrag ablehnen und freuen uns, dass Sie unserem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Nicht erst seit Herrn Stoibers letzter Aschermittwochsrede wissen wir, dass Stimmungsmache – das haben Sie leider wieder sehr deutlich gezeigt – gegen Menschen mit Migrationshintergrund – ich erinnere an die Aussage von Herrn Welnhofer, Deutschland müsse deutsch bleiben – oder der Ruf nach der vollen Härte des Gesetzes immer dann als besonders opportun erscheint, wenn es gilt – das muss ich jetzt unterstellen –, die CSU aus einem Umfragetief zu holen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie waren sich in der Vergangenheit zu meinem ganz großen Bedauern – und dieses Bedauern teilen wir alle – nie dafür zu schade, grausame Mordfälle, die uns sehr nahe gegangen sind und deretwegen die Angehörigen der Opfer unser volles Mitgefühl brauchen, hier in den Landtag hineinzuzerren und für Ihre – wie ich meine, nicht besonders hilfreiche – Politik zu instrumentalisieren.

(Zuruf des Abgeordneten Herbert Fischer (CSU))

Bei diesen Debatten in der Vergangenheit ging es selten um die Entwicklung von Rechtspolitik, Kriminalitätspolitik und Justiz, sondern es ging immer darum, diese Fälle für

Ihre Ideologie zu benützen. Sie bieten keine wirklichen Lösungen an, sondern Scheinsicherheit. Herr Kreuzer, weil wir nicht dazu neigen, die Welt in schwarz und weiß einzuteilen,

(Manfred Ach (CSU): Ausgerechnet Sie sagen das!)

sondern hier sehr differenziert argumentieren, Herr Ach, werden Sie uns mit Ihren Anträgen nie überzeugen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sogar als GRÜNE könnte man bei dem zuletzt von Ihnen in den Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf noch entspannt über die geplante Lückenschließung im bestehenden Gesetz zur Sicherungsverwahrung diskutieren. Herr Schindler, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, das ist eine Sicherungsverwahrung, keine Sicherheitsverwahrung. Ich möchte mich an die übliche Terminologie halten, weil unter Umständen sonst das Missverständnis entstehen könnte, dass Herr Kreuzer etwas ganz Neues einführen möchte.

(Thomas Kreuzer (CSU): Sie sind doch gegen alles!)

Über diesen Gesetzentwurf könnte man theoretisch noch reden; die damit zusammenhängenden Probleme hat Herr Schindler schon aufgeführt. Aber – jetzt komme ich wieder zu der Differenzierung, zu der Sie nicht bereit sind – er steht in einer Reihe von Forderungen, die vorgeben, Jugendkriminalität zu bekämpfen, die aber ausschließlich auf Strafe setzen. Ich prophezeie Ihnen, dass Sie die Jugendkriminalität nicht senken werden, wenn Sie nicht parallel dazu schon weit im Vorfeld des Kriminalitätsgeschehens ansetzen, und zwar in der Kinder- und Jugendarbeit, und dort soziale und emotionale Defi zite aufarbeiten.

Anstatt ein so wunderbares Projekt wie „Papilio“ – das wurde uns gestern vorgestellt; unsere Fraktion kennt das Projekt schon länger – fl ächendeckend einzuführen, werden erst einmal dem Bayerischen Jugendring beim letzten Doppelhaushalt massiv die Mittel gekürzt. Dann gibt es noch so schöne Projekte wie „Faustlos“ oder die „Teen Courts“. Das sind schöne, begrüßenswerte Projekte. Sie können aber nur bedingt das auffangen, was in den ersten Lebensjahren falsch gelaufen ist. Gerade Jugendliche, die sich strafbar gemacht haben – ich verwende bewusst den Begriff „strafbar“; denn wenn ich von kriminell gewordenen Jugendlichen spräche, würde ich eine Karriere suggerieren, die noch gar nicht begonnen haben muss –, werden sich durch höhere und schärfere Strafen nicht abschrecken lassen; denn Jugendliche neigen bei ihrem Handeln selten dazu, die vollen Konsequenzen zu bedenken. Mit Ihren Ansätzen erreichen Sie die Jugendlichen sicher nicht, die sich oft deshalb strafbar machen, weil sie ein hohes Maß an Unreife haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Lösungsansätze, die Sie hier vorbringen, zum Beispiel den Warnschussarrest, die Bestrafung nach dem Erwachsenenstrafrecht, die Erhöhung der Jugendstrafe von 10 auf 15 Jahre, wurden in der Bundesratssitzung am 10. Februar 2006 unter der Überschrift „Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz“ beschlossen. Fachleute bezweifeln aber die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ebenso wie wir, die wir uns mit diesem Thema all die Jahre auseinander gesetzt haben. Sehr viele Fachleute befürchten sogar, dass man mit Haftstrafen bei sehr vielen Jugendlichen eine Kriminalitätsspirale überhaupt erst in Gang setzt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Über die Wirksamkeit von Sozial-, Bildungs- und Integrationspolitik könnte man eine Reihe positiver wissenschaftlicher Erkenntnisse lesen, wenn man sie denn zur Kenntnis nehmen wollte. Eine Evaluierung zur Wirksamkeit von schärferen Strafen gibt es bis heute nicht; das müssen Sie sich einmal deutlich vor Augen führen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Einem Problem, das gerade vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird, stellen Sie sich überhaupt nicht mit Ihrer Reihe von angeblichen Konzepten zur Bekämpfung der Jugenddelinquenz. Das ist die Frage: Brauchen wir angesichts der Schärfe von Sanktionen, zum Beispiel angesichts der Erhöhung der verhängten Freiheitsstrafen, ein eigenes Jugendstrafvollzugsrecht mit einheitlichen Standards? Das wäre vielleicht notwendig, um den Erziehungszielen des Jugendstrafrechts gerecht zu werden und um die negativen Wirkungen des allgemeinen Strafvollzugs zu verhindern und auch deswegen, weil Jugendstrafe – vor allem wenn sie sehr hohe Strafe mit sich bringt, das wurde schon gesagt – immer Ultima Ratio bleiben sollte. Bei einem solchen Punkt hätte ich mir mehr Engagement gewünscht. Da habe ich bis jetzt von Ihnen noch nichts gehört.

(Beifall bei den GRÜNEN – Thomas Kreuzer (CSU): Sie reden um die Problematik herum, wie immer!)

Nein, ich differenziere.

(Thomas Kreuzer (CSU): Zum Thema kommen Sie gar nicht!)

Herr Kreuzer, Sie kennen mich doch. Ich komme immer zum Punkt, und meistens bringt Sie das noch auf.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielleicht wird Sie das Verfassungsgericht dazu zwingen, sich mit der Frage eines eigenen Jugendstrafvollzugsrechts auseinander zu setzen.

Herr Kreuzer, nun komme ich schon zum Punkt. In diesem Gesamtkontext, mit diesen zusätzlichen Strafverschärfungen, die schon beschlossen worden sind, und vor dem Hintergrund des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs

im Bundesrat müssen wir heute Ihren Antrag diskutieren, Herr Kreuzer, den Sie gestellt haben und der ein GrüßGott-Onkel-Antrag ist und überhaupt keinen Inhalt hat. Von einer Kriminalitätspolitik jedenfalls, welche die Bekämpfung von Delinquenz beinhalten soll, deren Teil die Prävention wäre, bleibt bei Ihren Vorschlägen nichts übrig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich verstehe die gestrige Pressemitteilung aus dem Justizministerium nicht ganz. Sie sind teilweise auf unsere Pressemitteilung eingegangen. Ich muss doch feststellen, dass Ihre Vorschläge bisher nur Bundesratsqualität haben – das hat Kollege Schindler richtig angesprochen –, weil die Bundesregierung an einen Koalitionsvertrag gebunden ist. Sie nehmen also den Weg über den Bundesrat. Ich habe jedenfalls noch kein einziges Bundesgesetz gesehen, das hier tatsächlich ernsthaft zu diskutieren wäre. Da frage ich mich: Wieso gehen Sie den Weg über den Bundesrat und treten nicht in direkte Verhandlungen mit Ihrer Koalitionspartnerin, in diesem Fall mit Frau Zypries? Warum dieser Umweg?

(Beifall bei den GRÜNEN)