Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Frau Dodell, ich fi nde es in Ordnung, wenn Sie es toll fi nden, dass Deutschland eine Kanzlerin hat. Wir könnten aber in Deutschland nicht nur eine Kanzlerin, sondern auch eine Bundespräsidentin haben, wenn Sie von der Union mitgestimmt hätten.
Kolleginnen und Kollegen, rufen Sie doch nicht dazwischen, das geht von meiner Redezeit ab und ich möchte den Präsidenten nicht in Verlegenheit bringen. Das waren jetzt mindestens 20 Sekunden.
Bildung und Ausbildung sind der Schlüssel zur Gleichstellung. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, die Lebensform zu fi nden, die für einen persönlich stimmt. Wir wollen, dass Frauen und Mädchen, genauso wie Männer, die Möglichkeit haben, diese Chancen zu nutzen und ihre
persönliche Lebensform zu fi nden. Wir wollen niemanden in eine bestimmte Rolle hineindrängen, weil gerade dies immer unterschwellig anklingt. Um diese Lebensform zu fi nden, brauchen wir eine Ausbildung und den Zugang zu einer adäquaten Ausbildung.
Mädchen haben die besseren Schulabschlüsse – das wissen wir seit geraumer Zeit – und trotzdem trifft der größte Teil der Mädchen seine Berufswahl aus einem Kreis von zehn Ausbildungsgängen, obwohl es circa 350 verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten gibt. Der Durchschnitt der Abiturnote ist bei Mädchen besser, und die jungen Frauen stellen die Mehrheit bei den Studierenden. Dann kommen die ersten Barrieren, weil es künftig Studiengebühren geben wird. Sie sind ein Hemmschuh auf dem Weg zur Gleichstellung.
Der bundesweite Girls‘ Day ermuntert Frauen zur Wahl aus einer erweiterten Berufspalette. Das ist in Ordnung und die Industrie hat erkannt, dass sie Fachkräfte auch für die Zukunft braucht und Mädchen sowie junge Frauen hervorragende Voraussetzungen dafür bringen.
Ich muss aber in diesem Zusammenhang sagen: Die Ankündigungen der Frau Ministerin und des Herrn Staatssekretärs, an technischen Werkstücken mitzuarbeiten, sind ein netter Event. Ich stelle mir das schön und sehr medienwirksam vor. Aber es stellt keine wirkliche Unterstützung dar; das müssen Sie mir doch zugestehen.
Im gesetzgeberischen Handeln von Staatsregierung und CSU-Fraktion sieht es leider etwas anders aus. Wir brauchen nicht nur mehr Frauen in technischen Berufen, die das locker können, wir brauchen auch mehr Frauen auf diesen Feldern und vor allem mehr Männer in sozialen und so genannten Frauenberufen.
Gleichstellungspolitik ist nämlich Vorbildpolitik im täglichen Leben. Das dürfen Sie nicht außer Acht lassen. Gerade in der Elementarerziehung, zum Beispiel in der Grundschule, gibt es zu wenig männliche Vorbilder. Ich erinnere mich daran, wie lange Bayern gebraucht hat, um Frauen in den Polizeidienst aufzunehmen; das ist im Nachgang betrachtet, immer noch eine Schande. Schließlich ist die Polizeiarbeit für die Öffentlichkeit äußerst wichtig.
Wie gehen Sie derzeit mit Frauen um? – Vor noch nicht allzu langer Zeit haben Sie in diesem Hause unser Weiterbildungsgesetz für die Pfl egeberufe abgelehnt. Petitionen von Frauen, die sich weiterqualifi zieren und nach der Familienarbeit wieder in den Beruf einsteigen wollten, sind abgelehnt worden. Das ist keine Frauenförderung, sondern das genaue Gegenteil.
Wie sehen nach der Verabschiedung des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes die Situation und die Chancen von Erzieherinnen aus? – Ich meine damit nicht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern eine Aussage aus dem Sozialministerium, wonach sich die Träger bei Finanzierungsproblemen überlegen sollten, ob ihr Personal nicht zu alt sei. Das ist – vorsichtig ausgedrückt – suboptimal.
Kolleginnen und Kollegen, sehr viele Jugendliche, darunter zahlreiche Mädchen, haben keinen Ausbildungsplatz. Das Programm „Fit for work“ ist nicht der Renner. Trotzdem hat die CSU das von uns vorgeschlagene Werkstattjahr abgelehnt. Das ist ebenfalls suboptimal.
Im Koalitionsvertrag, den Sie als kleinster Teil der Koalition mitunterschrieben haben, steht klar und deutlich, dass es einen besseren und benachteiligungsfreien Zugang zur existenzsichernden Erwerbsarbeit und zu Aufstiegschancen für Frauen geben muss. Die Förderinstrumente bezüglich der Arbeitslosigkeit müssen Frauen mindestens gemäß ihrem Anteil an der Arbeitslosigkeit zugute kommen und ihren spezifi schen Bedürfnissen gerecht werden. Diese Vorgabe sollte sich der Freistaat Bayern zu Herzen nehmen und ebenfalls umsetzen. Sie haben jedoch zum Beispiel beim Weiterbildungsgesetz das genaue Gegenteil getan. Eine Metallfeile in der Hand von Frau Stewens oder Herrn Heike ist zwar sehr nett, aber leider zu wenig. Kolleginnen und Kollegen von der CSU, hier muss mehr getan werden.
Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Bisher wurden sehr viele Zahlen und Einzelsymptome genannt. Da ich der Meinung bin, dass sich dieses Thema schlecht für parteipolitische Scharmützel eignet, möchte ich einen gesellschaftspolitischen Gedanken einbringen, sofern mir das in den mir zur Verfügung stehenden fünf Minuten möglich ist.
Frau Kollegin Tolle, wir haben in Deutschland bereits sehr viele Gesetze, die die Gleichstellung der Frauen im Berufsleben gewährleisten, sodass wir uns fragen müssen, ob diese Gesetze überhaupt ausgenutzt und gelebt werden. Wenn wir uns die Zahlen, die Sie genannt haben, ansehen, stellen wir fest, dass wir in Deutschland deutlich weniger Frauen in Führungspositionen haben als in vergleichbaren europäischen Ländern. In Deutschland werden Frauen vergleichsweise deutlich geringer bezahlt. Viel zu wenig Väter – nur 2 % – nehmen eine Elternzeit in Anspruch und ein viel zu geringer Teil der Väter nimmt familienbedingt eine Teilzeitbeschäftigung auf. Wir müssen uns deshalb fragen, ob wir diese Situation mit weiteren Gesetzen ändern können oder ob wir uns nicht stattdessen mit den Ursachen beschäftigen müssten.
Meine Damen und Herren, ich halte es für einen falschen Ansatz zu glauben, über Gesetze könnte ein gesellschaftliches Bewusstsein geändert werden. Was bei uns gesetzlich möglich ist, wird nicht gelebt. Der Grund dafür liegt darin, dass in Deutschland parteiübergreifend zwei Dogmen vorherrschen. Das erste Dogma lautet: In Deutschland kann man nur Karriere machen, wenn man ab einer bestimmten Führungsebene voll und komplett für den Beruf zur Verfügung steht. Das ist das Dogma der Komplettverfügbarkeit.
Das zweite Dogma, das auch bei Ihnen vorherrscht, lautet: Die Haupt- wenn nicht die Alleinzuständigkeit für das Gelingen von Familie in Deutschland hängt immer noch von der Mutter ab. Damit betrifft die Chancengleichheit im Beruf alle Frauen, allein schon wegen der Tatsache, dass wir es sind, die Kinder bekommen. Damit erklärt sich vielleicht auch das vor allem hierzulande anzutreffende Phänomen: Wenn Frauen das tun, was Männer schon immer getan haben, nämlich erwerbstätig sind und Kinder haben, steigen sie im deutschen Arbeitsmarkt ab, während Männer, die Familie haben, eher aufsteigen. Der öffentliche Dienst hat hier sicherlich eine Vorreiterfunktion. Aber auch in der freien Wirtschaft ist das so.
Die familienbedingte Reduzierung der Arbeitszeit führt vor allem bei gut Qualifi zierten zu einem Einsatz, der oftmals deutlich unter ihrer Qualifi kation liegt. Hier greift das erste Dogma, wonach nur derjenige Karriere machen kann, der für den Arbeitsmarkt komplett verfügbar ist. Daran ändert sich übrigens nichts, wenn die Frau relativ schnell wieder in Vollzeit arbeitet; denn dann greift das zweite Dogma, wonach die Frauen die Voraussetzung für höhere Weihen im Berufsleben, nämlich die Komplettverfügbarkeit, im Gegensatz zu den Männern nicht mitbrächten. Viele Arbeitgeber sehen dies so wegen der gefühlten Alleinverantwortlichkeit der Mutter für die Familienorganisation. So kommt es, dass Weiterbildungen, die nicht unmittelbar mit dem Wiedereinstieg zu tun haben, also Beförderungsstellen in Führungspositionen, im deutschen Arbeitsmarkt noch viel zu oft an Vollzeitstellen gekoppelt sind. Gerade das hält viele gut qualifi zierte Frauen davon ab, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen.
Allerdings haben auch kinderlose Frauen nicht die gleichen Chancen wie vergleichbar qualifi zierte Männer; denn sie könnten immer noch Kinder bekommen. Allein das macht Investitionen für Beförderungen, Weiterbildungen oder auch die Bindung der Frauen an den Betrieb durch ein attraktives Gehalt in den Augen vieler Arbeitgeber zu einem risikobehafteten Unterfangen. Meine Damen und Herren, deshalb brauchen wir uns nicht zu wundern, dass es für die meisten Väter derzeit kein erstrebenswerter Lebensentwurf ist, für die Familie einige Zeit die Arbeitszeit zu reduzieren, obwohl die gesetzlichen Grundlagen dafür längst geschaffen sind.
Seien wir doch einmal ehrlich und selbstkritisch: Wenn Väter heute tatsächlich diese Entscheidung treffen, eine ausgewogenere Balance zwischen Familie und Beruf zu
verwirklichen, gelten sie viel zu oft – und zwar im Hinterkopf von uns allen – als Weicheier. Aus Umfragen wissen wir, dass viele junge Menschen gern eine solche Entscheidung treffen würden. Aus diesem Grunde spreche ich zum Weltfrauentag heute ganz bewusst über Männer; denn die Möglichkeiten und Chancen von Frauen im Berufsleben sind untrennbar mit unserem Männerbild verbunden. Nur wenn auch Väter ohne Statusverlust und ohne Ansehensverlust ihre Berufstätigkeit zugunsten der Familie reduzieren können und auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt die Möglichkeit sehen, dies ohne einen unverhältnismäßig hohen Karriereknick tun zu können, werden sie sich dafür entscheiden, übrigens ohne gesetzlichen Zwang.
Wir brauchen endlich in Deutschland das Bewusstsein, dass Teilzeit keine schlechtere Arbeit ist. Im Gegenteil: Sie ist meist effektiver und wird meistens zielstrebiger ausgeführt. Die Frage, ob Führungspositionen teilzeitfähig sind, hängt vor allem von der Arbeitsorganisation ab. Außerdem muss eine lebenslange Komplettverfügbarkeit im Beruf keine Voraussetzung für die Karriere sein.
Ich freue mich über die lebhaften Diskussionen bei der Opposition. Endlich ist bei der Opposition einmal Leben.
Ich komme zu meinem letzten Satz: Erst wenn wir zu einer solchen Haltung kommen, nivelliert sich die Voraushypothek, die wir Frauen derzeit mitbringen, nämlich die Verantwortlichkeit für vorhandene oder zukünftige Kinder. Diese Verantwortlichkeit muss auf beide Geschlechter verteilt werden. Damit werden wir auch zu einer gleichmäßigeren Verteilung unserer Chancen im Beruf kommen.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich meinem Lieblingsthema, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, widmen, einem Thema, das in Bayern immer noch stiefmütterlich behandelt wird.
Frau Dodell, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass sich in den letzten einhundert Jahren viel verbessert habe. Wir wollen aber nicht noch einmal hundert Jahre warten, damit wir endlich auch in Bayern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben.
Frau Stewens, Sie ergreifen zwar jede Möglichkeit, um in Sonntagsreden darzulegen, wie viel Sie auf diesem
Gebiet getan haben. Die Realität in Bayern sieht aber immer noch anders aus. Eine neue Studie der Bundesregierung und der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft hat gezeigt, dass zwar der Anteil der berufstätigen Frauen und auch der Frauen in Führungspositionen steigt, dass aber Mütter in gehobenen Positionen immer noch sehr selten sind. Frau Haderthauer, damit komme ich zu Ihnen. Ich glaube nicht, dass sich alles verbessern wird, wenn wir Gesetze abschaffen. Wenn wir den Mutterschutz abschaffen, werden auch nicht mehr Frauen in Führungspositionen kommen.
Sie hat davon gesprochen, dass wir Gesetze abschaffen müssen, damit sich die Realität in Bayern verbessert.
Warum sind Frauen im Familienalter immer noch weniger in Führungspositionen als andere Frauen? Frauen, die berufstätig sind und berufstätig sein wollen oder müssen, müssen möglichst bald nach der Geburt ihrer Kinder in den Beruf zurückgehen. Ich habe heute mit einer Betriebsrätin gesprochen; sie hat mir von dem Druck der Arbeitgeber auf die Frauen erzählt. Die Arbeitgeber haben in die Frauen investiert, indem sie ihnen Fortbildungen ermöglicht haben, und jetzt üben sie Druck auf die Frauen aus, dass sie schnell wiederkommen. Auch das dürfen wir nicht vergessen. Frauen sind gerade nach der Geburt eines Kindes dringend auf ein ausreichendes Angebot an Betreuungseinrichtungen angewiesen.
Frau Dodell, auch Sie haben zugestanden, dass wir eine verlässliche Kinderbetreuung brauchen. Wie sieht es denn in Bayern aus? Was tun wir denn in Bayern?