Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierfür eine Redezeit von 20 Minuten pro Fraktion vereinbart. Als erster Rednerin erteile ich Frau Christine Stahl für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin, meine Herren und Damen! Als wir unseren Gesetzentwurf im Mai 2004 – es handelt sich hier nicht um einen Hörfehler, das war tatsächlich im Mai 2004 – zur Reform des Bayerischen Parlamentarischen Kontrollgremiums einreichten,
konnten wir zwar ahnen, aber nicht unbedingt fest damit rechnen, welche Aktualität das Thema „Geheimdienste“ erneut bekommen würde. Diese Aktualität ist nicht von uns GRÜNEN verschuldet. Spätestens seit dem Plutoniumskandal des BND war klar, dass man immer wieder einmal mit Sachverhalten zu tun bekommt, die der Aufdeckung harren.
Wir müssen wohl nicht darüber streiten, ob es notwendig ist, selbst über kleinste Änderungen zu diskutieren. Die Erkenntnisse der vergangenen Wochen reichen aus unserer Sicht in jedem Fall aus und bestätigen uns, dass es nicht nur ein Anliegen von uns GRÜNEN sein sollte, darüber nachzudenken, wie mehr demokratische Kontrolle in den Kontrollgremien von Bund und Land erreicht werden kann.
Ein parlamentarisches Kontrollgremium ist gewiss besser als keines, doch allein die Existenz eines solchen Gremiums garantiert noch keine umfassende parlamentarische Kontrolle. Ausschlaggebend ist vielmehr, welche Befugnisse den Abgeordneten zustehen, um den Geheimdiensten auf die Finger sehen zu können, und welche durch uns einklagbaren Berichtspfl ichten die Nachrichtendienste und der Verfassungsschutz haben.
Uns ist durchaus bewusst, dass wir in einer solchen Debatte immer zwischen dem Aufklärungsinteresse der
Öffentlichkeit auf der einen Seite und dem Geheimhaltungsinteresse der verschiedenen Dienste auf Bundes- und Landesebene abwägen müssen. Abwägen kann aber nicht bedeuten, dass gerade in schwerwiegenden Fällen der Geheimdienst alles und das Parlament überhaupt nichts weiß. Von uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern wird viel verlangt, in der Regel immer von den jeweils Regierenden, wenn gefordert wird, man möge als Opposition doch bitte Vertrauen in die Arbeit der Ämter, zum Beispiel der Verfassungsschutzämter, haben. Äußerungen wie diese begegnen uns immer wieder: Frau Stahl, haben Sie denn kein Vertrauen in diese Arbeit? Es ist wirklich nicht so, dass wir Demokratinnen und Demokraten bisher etwa nicht bereit gewesen wären – ohne dass wir deswegen blauäugig gewesen wären –, einen solchen Vertrauensvorschuss weitgehend zu geben. Wenn unser Vertrauen aber missbraucht wird, wenn auch nur dadurch, dass Informationen zurückgehalten werden, dann dürfen sich Staatsregierung und Verfassungsschutz nicht wundern, wenn wir kritisch nachfragen und als Konsequenz mit einem Gesetzentwurf Änderungen der Informationspolitik fordern.
Die Arbeit im parlamentarischen Kontrollgremium auf Bundesebene ist anlässlich der Vorfälle um El-Masri, Sammar und Kurnaz ins Gerede gekommen. Weil es sich um die Verantwortung des Bundesgremiums handelt, will ich jetzt nicht ins Detail gehen; ich bin schließlich nicht Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums auf Bundesebene. Ich bin auch nicht dazu berufen, dem Bundesgremium Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Als Oppositionsfraktion im Bayerischen Landtag sind wir natürlich dazu aufgefordert zu überprüfen, ob die Instrumente der Kontrolle ausreichend sind, nicht zuletzt auch deswegen, weil wir von einer interessierten Öffentlichkeit in Mithaftung genommen werden, wenn die Aufklärung nicht ausreichend erfolgt, egal, ob wir das zu vertreten haben oder nicht.
Wir auf Landesebene fragen uns, ob die Informationen im parlamentarischen Kontrollgremium so umfassend gegeben wurden und werden, wie es sein sollte, damit trotz eines – von uns nicht bestrittenen – Geheimhaltungsinteresses eine ausreichende parlamentarische Kontrolle stattfi nden kann. Was uns an einer ausreichenden und umfassenden Aufklärung über alle Einsätze des Bayerischen Verfassungsschutzes zweifeln ließ – das war im Jahr 2004 auch der Anlass für unseren Gesetzentwurf –, war eine Aussage von Innenminister Beckstein in seiner Regierungserklärung zur inneren Sicherheit am 23. April 2004.
Wenn es um parlamentarische Kontrolle geht, lässt die Aufmerksamkeit einiger hier sehr nach. – Anhand seiner Schilderungen zu den Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld des – glücklicherweise verhinderten – Sprengstoffanschlages auf das jüdische Zentrum in München wurde sehr deutlich, dass uns Mitgliedern des parlamentarischen Kontrollgremiums eben nicht alles erzählt wird. Es gab dann viel sagende und umfassende Begründungen
dafür, warum das nicht erfolgt sei. Diese Erklärungen haben uns aber nicht genügt. Uns geht es mit unserer Initiative nicht darum zu diskutieren, ob die repressiven und präventiven Maßnahmen im Falle Wiese richtig waren oder nicht; das wäre an einem anderen Ort zu diskutieren. Wir haben auch darüber gesprochen. Uns ging und geht es ausschließlich darum, in einem sehr heiklen und sensiblen Bereich mit den wenigen Möglichkeiten, die wir als Opposition haben, parlamentarische demokratische Kontrolle zu sichern.
Ich muss feststellen, dass leider auch die Vorfälle um ElMasri gezeigt haben, dass wir mit unseren Forderungen nach mehr Kontrolle im bayerischen Kontrollgremium richtig liegen. Wir haben den Eindruck, dass hier nicht richtig informiert wurde. Ich hatte den Eindruck, dass Informationen gefi ltert oder komplett vorenthalten worden sind. Da stelle ich fest: Das Verschweigen hat Methode; das dient der Festigkeit des Filzes, egal, ob es sich um den Ekelfl eischskandal handelt, um Vorgänge im Bildungsministerium oder um Aktionen des Verfassungsschutzes.
Morgen haben wir wieder ein nettes Thema auf der Tagesordnung des Restausschusses. Es wird darum gehen aufzuklären, ob und inwieweit Innenministerium und/oder Justizministerium Verwaltung oder Justiz für ihre eigenen politischen Zwecke instrumentalisiert haben. Ich bin gespannt, was man uns hierzu berichten wird.
Nun zum Fall El-Masri: Wir GRÜNEN wollten mit unserer Schriftlichen Anfrage vom 16.12.2005 – das Innenministerium hat sie bis zum 23.01. beantwortet, also erstaunlich schnell, danke – unter anderem wissen, inwieweit bayerische Behörden von Bundesbehörden über die Entführung El-Masris in Kenntnis gesetzt worden sind.
Berücksichtigend, dass der Fall bis heute leider nicht umfassend aufgeklärt worden ist, führt das Innenministerium aus – Zitat –, dass die bayerischen Sicherheitsbehörden ausgehend vom Auswärtigen Amt über das Bundeskriminalamt unterrichtet wurden. Ich nehme an, dass das Mitte 2004 gewesen sein muss; denn an dieser Stelle der Antwort steht kein Datum; ein Datum kommt erst später, dort wo es um die Weiterleitung im Justizministerium geht.
Zu meinem großen Bedauern wird dann weiter ausgesagt, dass – jetzt kommt das Zitat – für die Bayerische Staatsregierung kein darüber hinausgehendes Unterrichtungserfordernis bestand. Ich muss dazu feststellen: Ein deutscher Staatsbürger aus Neu-Ulm in Bayern wird unter mysteriösen Umständen entführt. Nach seiner Rückkehr erhebt der Anwalt schwere Vorwürfe, die sich auch auf die Arbeit von Geheimdiensten beziehen. Das ist aber Ihnen im Parlamentarischen Kontrollgremium – PKG – keine Information wert, zumindest kann ich mich daran jetzt nicht erinnern – das ist bei der Vielzahl der Vorfälle aber auch kein Wunder.
Mich wundert auch, dass Ihnen nicht einmal die Aussage, die aus Ihrer Sicht für Sie auch von Bedeutung sein
müsste, nämlich dass bayerische Verfassungsschützer in keiner Weise involviert gewesen seien – so haben Sie das ausgeführt –, eine Information wert ist. Ich glaube, schon aus Selbstschutzgründen hätte Ihnen das einen Bericht im PKG wert sein sollen.
Wir wissen schließlich nicht erst seit dem Verbot des Trägervereins des Multikulturhauses, welche Szene sich in Neu-Ulm getroffen hat. Ich meine, wir erzählen hierüber nichts Neues.
Es gab wohl auch Informationen, dass sich El-Masri anfangs in diesen Kreisen bewegte oder auch längere Zeit bewegt hat. Ich weiß das alles nicht; ich habe darüber keine Informationen. In den Medien gibt es darüber sehr viele Spekulationen. Ich meine aber, dass genau das der Grund ist, weshalb man im PKG schon etwas sachlicher und auch intensiver berichten sollte. Ich meine auch, dass sich das aus Artikel 3 Absatz 3 PKGG ergibt – zumindest wäre eine Information zulässig gewesen und, wie wir meinen, auch angesagt.
Es gibt auch noch einen weiteren Aspekt, der sich aus der Antwort auf unsere schriftliche Anfrage ergab. Nach dieser Antwort lägen dem Bayerischen Verfassungsschutz keine weiteren Erkenntnisse zu Aktivitäten des BND in dieser Sache in Bayern vor. An den amerikanischen Geheimdienst habe zudem der Bayerische Verfassungsschutz auch keine Erkenntnisse weitergeleitet. Uns stellt sich die Frage: Woher wusste dann aber die CIA so gut über die Islamistenszene in Neu-Ulm Bescheid? Vom BND? Wenn sie das Wissen vom BND hat, hat er die Aussage dann vielleicht vom Bayerischen Verfassungsschutz bekommen? Das weiß ich nicht. Wurde der BND von Bayern aus informiert? Wenn ja, wäre auch das eine Meldung im PKG wert gewesen. Oder – das halte ich noch für viel, viel problematischer – muss ich annehmen, dass die Bayerische Staatsregierung – dann gibt es im PKG natürlich auch nichts zu berichten – und ihre Geheimdienste keine Ahnung haben, wer sich zu welchem Zweck bei uns im Lande tummelt und Informationen sammelt? Oder – das möchte ich jetzt nicht annehmen – muss ich glauben, dass Sie uns nicht alles erzählt haben?
Angesichts der aktuellen Debatte zu einer Reform der Kontrollgremien und der Geheimdienste haben wir uns überlegt, ob wir unseren Gesetzentwurf nicht ausweiten sollen. Zu denken ist hier zum Beispiel an die Forderung nach einem Geheimdienstbeauftragten oder an die Forderung der CSU, also Ihrer eigenen Leute – ich habe mich beim besten Willen gefragt, ob ich diese Meldung ernst nehmen soll oder ob es sich um eine Ente handelt; denn das hat ein Kollege der CSU gefordert –, eine Wahrheitspfl icht für Geheimdienste einzuführen. Ich bitte Sie!
Soll ich das unter Skurrilität abhaken? Was möchte uns der Kollege von der CSU damit sagen? Möchte er uns damit sagen, dass uns nicht die Wahrheit erzählt wird? Ich
kann das nicht glauben. Nachdem der Verfassungsschutz mit Vertretern hier anwesend ist, möchte ich das auch nicht unterstellen. Ich glaube, ich brauche zu diesem Vorstoß kein Wort mehr zu sagen. Der Verstoß gegen die Wahrheitspfl icht könnte nach Auffassung des Kollegen der CSU als Dienstvergehen bestraft werden. Diskutieren wir darüber nicht weiter. Ich gehe davon aus, dass auf unsere Fragen hin selbstverständlich die Wahrheit gesagt wird, aber eben leider immer nur dann, wenn wir fragen. Um überhaupt Fragen stellen zu können, brauche ich aber zunächst Informationen. Da gibt man sich leider immer sehr bedeckt.
Nun ist es aber so – Herr Beckstein wird mich sicher verbessern, wenn das nicht der Fall sein sollte –, dass wegen der Änderungen im PAG, dem Polizei-Aufgaben-Gesetz, – mit den zusätzlichen präventiven Befugnissen für die Polizei, die neben dem Verfassungsschutz zukünftig Maßnahmen durchführen kann, sind auch neue Berichtspfl ichten hinzugekommen – wohl auch das Kontrollgremiumgesetz geändert werden muss. In diesem Rahmen kann man dann die Forderungen der CSU beispielsweise zur Wahrheitspfl icht oder nach einem Geheimdienstbeauftragten gerne aufnehmen.
Meine Herren und Damen, ein positiver Schritt zu Beginn der Legislatur war, dass Sie unsere Fraktion mit einem Sitz in das Parlamentarische Kontrollgremium einbezogen haben. Ich muss aber feststellen, dass bis heute der echte Wille und auch das Interesse der CSU an Aufklärung und parlamentarischer Kontrolle fehlen.
Ich kann Sie daher nur auffordern, diesen letzten Vorwurf nicht auf sich sitzen zu lassen und der kleinen Änderung, die wir zum PKGG vorgeschlagen haben, zuzustimmen.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Stahl, der Gesetzentwurf ist überfl üssig.
Er hat mit dem ursprünglichen Sinn und Zweck der früheren Parlamentarischen Kontrollkommission und dem heutigen Parlamentarischem Kontrollgremium überhaupt nichts zu tun. Sie hätten sich nicht überlegen sollen, ob Sie diesen Gesetzentwurf erweitern – nein, Sie hätten sich überlegen und dann intern beschließen sollen, Ihren Gesetzentwurf zurückzunehmen.
Ihre Ausführungen zum Gesetzentwurf haben mit diesem nur sehr wenig zu tun gehabt, sondern haben vielmehr
deutlich gemacht, woran Sie interessiert sind. Meiner Meinung nach fehlt Ihnen das grundlegende Verständnis dafür, welche Aufgabe dieses Parlamentarische Kontrollgremium überhaupt hat. Sie müssen sich vor Augen halten: Dieses Gremium dient ausschließlich der Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz. Das Parlamentarische Kontrollgremium dient nicht dazu, sich über irgendwelche Vorgänge bei der Polizei, Vorgänge über bereits aufgedeckte Straftaten, so wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, berichten zu lassen. Dafür sind die Fachausschüsse im Landtag zuständig. Ich meine, diese Trennung sollte man aufrechterhalten. Diese Trennung werden wir weiter verfolgen. Genau diesen Unterschied sollten Sie bitte auch künftig beachten.
Das ergibt sich auch aus der Historie, aus der Entstehungsgeschichte der – so wurde sie früher genannt – Parlamentarische Kontrollkommission. Auch damals ging es ausschließlich um die Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn Sie das mit Blick auf die Änderung des Grundgesetzes, vor allem des Artikel 13 Absatz 6, zwischen den Zeilen immer wieder anmerken. Diese Änderungen wurden in Bayern in Landesrecht umgesetzt, eine Berichtspfl icht wurde festgelegt, und es wurde festgelegt, dass diese Berichte im Parlamentarischen Kontrollgremium gegeben werden sollen. Die Kontrolle der Staatsregierung, so wie sie auch im Grundgesetz vorgesehen ist, wird in diesem Gremium ausgeübt. Hier werden alle Maßnahmen zur Informationserhebung mit technischen Mitteln durch Justiz, Polizei und Verfassungsschutz gemeldet.
Hier liegt Ihr zweiter Denkfehler. Es geht um die Maßnahmen, die durchgeführt werden, nicht um die Taten, die durch diese Maßnahmen aufgedeckt werden. Genau diese feine Trennung hätten Sie in Ihrem Gesetzentwurf beachten müssen. Sie sollten sie beachten, wenn Sie künftig Anträge stellen. Dass Sie das nicht beachten wollen, haben Ihre Ausführungen an diesem Pult gezeigt. Sie haben zunächst eineinhalb Minuten zu diesem Gesetzentwurf Stellung genommen und danach über Vorfälle in der Vergangenheit gesprochen. Herr Kollege Ettengruber wird dazu sicher noch einige Anmerkungen machen.
Wenn Sie nähere Informationen wollen, fragen Sie nach. Das Gesetz über das Parlamentarische Kontrollgremium gibt Ihnen die Möglichkeit, diese Fragen zu stellen. Ich stelle fest, dass Ihr Gesetzentwurf mit dem Sinn und Zweck dieses Gremiums nicht übereinstimmt. Deshalb lehnen wir ihn ab.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines sagen: Sie rufen nach immer noch mehr Kontrolle der Sicherheitsbehörden, auch wenn Sie das an dieser Stelle abgestritten haben. Für mich kommt dabei klar zum Ausdruck, dass Sie ein tiefes Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden haben. Sie können in diesem Bereich nicht genug Kontrolle haben. Das haben unsere Sicherheitsbehörden nicht verdient. Sie arbeiten hervorragend und bewegen sich innerhalb ihrer Befugnisse. Deswegen sollte man ihnen ein solches Misstrauen, wie es immer wieder von