Protocol of the Session on November 30, 2005

Zum Thema „Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen“. Zu dieser Forderung werden Sie natürlich auch Ja sagen. Ich glaube nicht, dass es hier im Raum jemanden gibt, der sagt: Ja, Bildung muss vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Solchen schönen Forderungen müssen aber Taten folgen. Wenn man so etwas fordert, dann muss man das mit Substanz hinterlegen. Den Reden müssen Taten folgen. Ihnen laufen die Parteimitglieder wegen Ihrer Schulpolitik davon. Hier reden Sie von einer universellen, in der ganzen Welt beispielhaften Bildungspolitik. Die Diskrepanz zwischen Realität und Wahrheit ist nirgendwo so deutlich. Deshalb bitte ich Sie noch einmal, der Petition zuzustimmen. Vielleicht habe ich Sie überzeugt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Pfaffmann, vielen Dank. Nur als Hinweis, Herr Kollege: Man sollte nicht ankündigen, dass man die Redezeit nicht voll in Anspruch nehmen wolle, um sie dann um eine Minute zu überziehen.

(Allgemeine Heiterkeit)

Ich hatte aber in Anbetracht der Wichtigkeit des Themas Verständnis dafür. – Als Nächsten rufe ich Kollegen Rüth auf.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer sehr spannend, Kollegen Pfaffmann zuzuhören.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Immer dann, wenn hier im Landtag über das Thema Bildung debattiert wird, erzählt er uns die Geschichte, dass er von seinen Kindern um Geld gebeten wurde. Beim letzten Mal waren es noch 5 Euro, die sein Sohn beim

Frühstück von ihm wollte. Jetzt sind wir schon bei 140 Euro angelangt.

(Dr. Linus Förster (SPD): 180 Euro!)

Ich fi nde, das ist sehr interessant und beachtenswert.

Der hier eingereichten Petition liegen 22 000 Unterschriften bei. Man muss aber daran erinnern, dass dieser Petition eine bayernweite Aktion der SPD zugrunde liegt. Diese Petition wurde von der SPD eingereicht. Wir haben in Bayern 1,8 Millionen Schülerinnen und Schüler. Dagegen stehen 22 000 Unterschriften. Angenommen, dass vielleicht auch Väter und Mütter unterschrieben haben, dann heißt das, dass 99,3 % aller Eltern diese Petition nicht unterschrieben haben. Sehr großzügig zugunsten der SPD gerechnet: vielleicht gerade einmal 0,6 % oder 0,7 % haben diese von der SPD initiierte Petition unterstützt.

Meine Damen und Herren, zu den Klassenstärken. Sie wurden in dieser Petition auch angesprochen. Wir haben in den Grundschulen durchschnittlich eine Klassenstärke von 23 Schülern, in der Hauptschule von 22 und an der Volksschule gesamt von 22,7. Es gibt natürlich Klassen mit mehr als 30 Schülern. Von allen Klassen an den Grundschulen sind das 0,6 %, bei den Hauptschulen 0,5 %. Das heißt, in über 99 % der Klassen sitzen weniger als 30 Schüler. Ich kann deshalb nicht nachvollziehen, wie Sie zu große Klassenstärken an den Hauptschulen begründen.

An den Schulen zur sonderpädagogischen Förderung liegt die Klassengröße bei 11 Kindern und bei den Realschulen und den Gymnasien haben wir im Schnitt reichlich 28 Kinder pro Klasse, meine Damen und Herren.

Trotz all Ihrer Bemühungen, das bayerische Schulsystem schlecht zu reden, haben wir bei den weiterführenden Schulen bei dem Erfolgsmodell R 6 in diesem Jahr einen Zuwachs von 5600. Beim G 8, das Sie auch so schlecht reden wollen, haben wir einen Zuwachs um 9400 Schüler. Das zeigt, dass sich die Eltern von Ihren Horrorszenarien nicht beeindrucken lassen.

Meine Damen und Herren, es ist auch klar, dass die Klassengröße nicht unbedingt eine direkte Auswirkung auf das Thema Leistung hat. Weder bei Pisa noch bei Untersuchungen des Ifo-Institus gibt es Hinweise darauf, dass die Kinder bessere Leistungen bringen, wenn die Klassen kleiner sind. Untersuchungen aus Kanada und den USA widerlegen diese Behauptungen sogar. Entscheidend ist die Gestaltung des Unterrichts, entscheidend ist die Frage, wie man den Unterricht organisiert und wie man auf den einzelnen Schüler eingeht.

Auch das Thema Lehrkräfte wurde von Herrn Pfaffmann angesprochen. Wir haben im laufenden Schuljahr 4607 Lehrer eingestellt. Wir haben 500 zusätzliche Stellen geschaffen. Wir haben an der Berufsoberschule und an der Fachoberschule weitere 50 Stellen eingerichtet. Insbesondere bei den Mobilen Reserven haben wir deutlich zugelegt.

Herr Pfaffmann, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil Sie 16 Minuten Zeit hatten, zu reden.

Auch bei den Gymnasien haben wir die Mobile Reserve im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht.

Jetzt zu dem ewigen Märchen von der sozialen Herkunft, meine Damen und Herren, oder zu der Frage: Spielt der Geldbeutel der Eltern eine Rolle? Pisa hat ganz klar ergeben, dass in keinem anderen Bundesland die soziale Schere so eng geschlossen ist wie in Bayern.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Das heißt, in Bayern haben Kinder aus Arbeiterfamilien im Vergleich zu anderen Bundesländern hervorragende Chancen. In keinem anderen Bundesland haben Migrationskinder so gute Chancen wie in Bayern, meine Damen und Herren. Das ist die klare Handschrift der CSU, mit der sie die Bildungspolitik in Bayern gestaltet.

Meine Damen und Herren, es gibt auch eine amerikanische Langzeitstudie über den Einfl uss des Elternhauses auf das Lernverhalten von Kindern. Dort heißt es: Es spielt ausdrücklich keine Rolle, ob die Eltern in einem teuren Villenviertel wohnen oder nicht.

(Simone Tolle (GRÜNE): Das ist falsch!)

Überhaupt kommt es laut dieser Studie nicht so sehr darauf an, was die Eltern für ihr Kind tun oder was sie haben, sondern darauf – hören Sie gut zu! –, wie sie sind und was für ein Leben sie führen. Begabte, belesene, fl eißige und vor allem ein aufrechtes Leben führende Eltern zu haben, die ihr Kind lieben, bleibt somit die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Schulkarriere. So bestätigt diese moderne Untersuchung den alten Schweizer Pädagogen Pestalozzi, dem vor allen zwei Dinge wichtig waren für eine erfolgreiche Kindererziehung: Vorbild und Liebe.

Meine Damen und Herren, wichtig ist auch die frühe Förderung. In der frühen Förderung haben wir in den letzten Jahren eine ganz enorme Arbeit geleistet. Ich erinnere an die Zusammenarbeit bei Kindergarten und Grundschule durch das Konzept „Gemeinsame Lernchancen nutzen – Kindergarten und Grundschule arbeiten Hand in Hand“.

Ich erinnere an die frühe Sprachförderung, die Sprachlernklassen, den Lehrplan Deutsch als Fremdsprache. Schließlich ist die Beherrschung der deutschen Sprache die unabdingbare Basis für den weiteren Schulerfolg. Wir bauen deshalb die Vorkurse Deutsch aus. Künftig erhält jedes Kind, das noch nicht ausreichend deutsch spricht, ein ganzes Jahr lang Deutschförderung. Die Förderung wurde von 40 auf 160 Stunden vervierfacht.

Der zweite große Bereich ist die individuelle Förderung. Deshalb wurden in allen Schularten Maßnahmen ergriffen, um die Nachhaltigkeit des Lernens zu verbessern.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Welche Maßnahmen?)

Die Lehrpläne sind überarbeitet worden und bieten mehr Zeit zum Üben, Wiederholen, Vertiefen und Anwenden. Durch die Individualisierung der Methoden, die Nutzung offener Formen des Lehrens und Lernens und eine vermehrte Praxisorientierung gelingt es uns, gerade auch die Hauptschülerinnen und Hauptschüler gut zu fördern. Auch mit den Intensivierungsstunden an den Gymnasien sind wir einen völlig neuen Weg gegangen. Besonders zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass wir an den Volksschulen 1500 Förderlehrer haben, die sich gezielt um die Kinder kümmern, die es besonders nötig haben, meine Damen und Herren.

Zum Schluss vielleicht noch etwas zum Thema Finanzen, Herr Pfaffmann. Bildungspolitik hat in Bayern in der Landespolitik absolute Priorität. Die Bildungsausgaben wurden im vergangenen Jahr um 3,9 % gesteigert. Der Gesamthaushalt sank um 3,2 %. Der gesamte Bildungshaushalt beträgt ein knappes Viertel des Gesamthaushaltes. Auch die Unterrichtsversorgung fi ndet in Bayern auf sehr hohem Niveau statt. Wir haben im Vergleich zu anderen Bundesländern, beispielsweise zu Bremen, teilweise einen Vorsprung von eineinhalb Jahren.

Meine Damen und Herren, das Thema Büchergeld wurde hinreichend behandelt. In dieser Petition wurde vonseiten der SPD aber auch gesagt, es sei unsozial. Wenn das unsozial ist, denke ich, ist die SPD noch viel unsozialer. Ihr Exministerpräsident, unser sehr verehrter Herr Bundesfi nanzminister Steinbrück, hat in seiner Zeit als Ministerpräsident in NRW ein Gesetz unterschrieben, wonach 49 % der Kosten von den Eltern aufzubringen sind. Der SPDBundesvorsitzende Platzeck, Ministerpräsident in Brandenburg, verlangt 40 % der Kosten, und Herr Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, verlangt von den Leuten gar bis zu 100 Euro. So weit zum Thema „sozial“.

Und zum Einsammeln sage ich Ihnen auch klar und deutlich, meine Damen und Herren – das ist jetzt vielleicht sehr zugespitzt und sehr plakativ –: Überall dort, wo CSU-Bürgermeister und -Landräte „dran sind“, läuft es gut; und überall dort, wo Bürgermeister „dran sind“, die das gerne boykottieren wollen, wird das auch boykottiert.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

Zum Abschluss ein Hinweis: Wenn Sie wieder eine Initiative starten sollten, sollten Sie sich mit den Fragen beschäftigen, die die Schulfamilien wirklich interessieren. Die Universität Koblenz-Landau hat im Juni eine repräsentative Befragung zu den wichtigen Fragen durchgeführt. 88 % der Bürger bejahen die wichtige Frage, ob die Lehrkräfte, die an einer Schule unterrichten, von der Schule selbst eingestellt werden sollten.

Eine weitere wichtige Frage ist: Sollten Lehrer nicht verbeamtet, sondern angestellt werden? Diese Frage wird von 86 % bejaht.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Seit wann ist das eine CSU-Forderung? Da bin ich aber gespannt!)

Die nächste Frage lautet, ob sich die Bezahlung der Lehrer stärker an ihren Leistungen orientieren sollte. Das befürworten 85 %.

Nicht angekommen ist die Frage: Hausaufgaben sind überfl üssig und bringen nichts! Lediglich 11 % waren der Meinung: Das ist nicht gut, Hausaufgaben müssen gemacht werden.

Ich denke, liebe Kollegen von der SPD, wenn Sie so wieder etwas initiieren, sollten Sie die richtigen Fragen nehmen, die die Menschen bewegen. Dann haben Sie vielleicht auch einen Erfolg und bekommen mehr als nur 0,7 % der Eltern auf Ihre Unterschriftenlisten.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. Als Nächste hat Frau Kollegin Tolle das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen aus der GRÜNEN-Fraktion, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen aus der Fraktion, die sich „christlich und sozial“ nennt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Herr Kollege Pfaffmann, ich glaube, es ist ein bisschen schwierig, wenn man im Sommer gegen die „Merkel-Steuer“ kämpft, die Mehrwertsteuer aber jetzt so erhöht, wie man es noch nicht einmal bekämpft hat, und in Bayern über soziale Gerechtigkeit spricht. Damit habe ich persönlich ein Problem. Sie können nicht so tun, als sei Ihnen der Bund egal, während Sie hier in Bayern für die soziale Variante kämpfen. Das halte ich persönlich für schwierig und das wollte ich an dieser Stelle auch einmal gesagt haben.

Auch einmal gesagt haben wollte ich, Frau Männle, dass mich die laute Stimme Ihres Gegenübers stört.

Ich warte deshalb jetzt, bis einigermaßen Ruhe eingekehrt ist. Immerhin reden wir über eine Kernkompetenz der Bundesländer, wenn wir über Bildungspolitik sprechen. Bildungspolitik in Bayern ist eine immerwährende Baustelle, deren zusätzliche Schwierigkeit darin besteht, dass Ihnen ein Bauplan fehlt. Zumindest haben Sie es nicht verstanden, mir rüberzubringen, dass es einen gibt. Wenn ich Pläne fordere, lehnen Sie das auch immer ab.

Obwohl Ihnen der Plan fehlt, wird ständig renoviert, aber kaum ist ein Loch abgedichtet, reißt ein anderes schon wieder auf. In Bayern herrscht ein Mangel an Weitsicht und Visionen, und es herrscht ein Mangel an Lehrern. Hierzu verweise ich auf ein aktuelles Beispiel aus dem Bezirk Niederbayern. Herr Kollege Waschler, Sie kennen das sicherlich gut. In der Staatlichen Berufsschule Kelheim wurden 130 Unterrichtsstunden pro Woche nicht gegeben, weil die Lehrer fehlen. Das ist so in der niederbayerischen Presse nachzulesen.

Ich habe vorhin schon gesagt, dass ich am Wochenende auf dem Qualitätskongress des Kultusministeriums war. Da hat mir eine Mutter, die mitevaluiert, gesagt, dass ihr Kind ihr empfohlen habe, eine Evaluation light durchzuführen, denn wenn die Mama evaluiere, sei sie nicht zu

Hause und gleichzeitig falle der Unterricht aus, weil der Lehrer auch irgendwo evaluiere. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass es so nicht laufen kann.

Ich moniere noch ein Drittes, Herr Kollege Rüth. Sie haben gesagt, Liebe und Vorbild würden ausreichen. – Das wäre schön; ich würde mich freuen, wenn es so wäre. Ich glaube aber nicht, dass das genügt. Ein Bildungssystem muss versuchen, soziale Gerechtigkeit herzustellen. Dazu verweise ich noch einmal auf Pisa, aber auch auf die Studie des ifo-Instituts. In dieser Studie wird ganz klar gesagt, dass das mehrgliedrige Schulsystem die soziale Gerechtigkeit nicht befördert, sondern im Gegenteil hemmt.

Ich denke da nur an die niedrige Abiturientenquote und daran, dass wir uns im Bereich der Lesekompetenz bei Pisa nicht verbessert haben. Auch das hat Prof. Prenzel festgestellt; er hat gesagt, dass sich in Bayern 14 % auf der niedrigsten Kompetenzstufe befi nden.

In Bayern gibt es also, wie gesagt, sehr viele offene Baustellen. Das G 8 ist noch lange nicht fertig; es fehlt ein Lehrplan, der die Oberstufe umfasst. Auch die Versprechungen, die Sie zur R 6 gemacht haben, werden nicht eingehalten. 34 % aller Kinder befi nden sich in Klassen mit einer Klassenstärke über 30. Diesen Zustand fi nde ich unerträglich.