Kinderpolitik ist Zukunftspolitik. Der Ausbau der Kinderbetreuung insgesamt, insbesondere für Kinder unter drei Jahren und Schulkinder, hat für die Bayerische Staatsregierung daher auch in Zeiten knapper Kassen Priorität.
Frau Stewens, das ist richtig. Warum aber bleibt es bei diesen Schönwetterreden? Warum schreiben Sie den Anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz nicht im Gesetz fest?
In Bayern haben gerade mal 2,13 % der Null- bis Dreijährigen einen Kinderkrippenplatz. Gerade mal 3,43 % der Sechs- bis Vierzehnjährigen haben einen Hortplatz. Im europäischen Durchschnitt – das nur zum Vergleich – liegt der Versorgungsgrad zwischen 20 und 25 %. – Frau Ste
wens, ich sehe Sie schreiben. Sicher kommt es heute wieder zu einem Streit über die Zahlen. Ich kann Ihnen versichern: Das sind die wirklichen Zahlen aufgrund der Kinderzahlen, die es in Bayern gibt. Die von Ihnen vorgetragenen Zahlen sind Zahlen des Ministeriums.
Frau Stewens, landesweit gibt es dreistellige Wartelisten auf Kindergartenplätze. Bis Familien einen Kinderkrippenplatz bekommen, brauchen sie keinen mehr; so sieht die Realität aus.
Auch bei der Ganztagsbetreuung gibt es in Bayern noch große Defi zite. Ungefähr 18,5 % der Kinder haben einen Ganztagsplatz. Ein neues Kindertagesstättengesetz eröffnet die riesige Chance, mehr Kinderbetreuungsplätze, insbesondere für Kinder über drei und unter sechs Jahren zu schaffen und endlich Familien den Spagat zwischen Karriere und Kindern zu ermöglichen. Mit Ihrem Gesetzentwurf – das kann ich Ihnen versichern, Frau Stewens – schaffen Sie das nicht.
Die Regelungen im jetzigen Gesetzentwurf spotten jedes Rechts auf einen Kinderbetreuungsplatz. Kommunen können den Bedarf nach Kassenlage – nach Kassenlage! – festsetzen. Viele Kommunen werden aufgrund ihrer Haushaltslage davon Gebrauch machen und den Bedarf nicht entsprechend den Bedürfnissen ihrer Einwohner festsetzen, sondern nach dem Betrag, den man zu zahlen gewillt ist. Erst gestern saß ich mit der Arbeitsgemeinschaft der Elternverbände bayerischer Kindertageseinrichtungen zusammen. Diese haben auch mit Ihnen Gespräche geführt. Mir wurde für den heutigen Tag auf den Weg gegeben: Gerade diese Art der Bedarfsfeststellung beunruhigt die Eltern. Viele Eltern – das wurde mir wieder berichtet – müssen ihre Jobs aufgeben, weil sie keinen Kinderbetreuungsplatz fi nden. Mir wurde von Frauen berichtet, die super ausgebildet sind, die ihren Doktortitel mit summa cum laude gemacht haben und ihren Job nicht mehr weiter ausüben konnten, weil sie keinen Betreuungsplatz fi nden. So sieht die Realität in Bayern aus.
Ich habe neulich in der Zeitung gelesen, dass sinkende Geburtenraten die CSU alarmieren. Ich sage Ihnen eines: Aller Alarm nützt nichts. Lassen Sie endlich Taten folgen und stimmen Sie heute gegen diesen Gesetzentwurf, damit sich in Bayern endlich etwas ändert!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wollen, dass Eltern frei entscheiden können, in welche Betreuungseinrichtungen sie ihre Kinder geben. Im Übrigen ist das Recht auf Wahlfreiheit der Eltern im KJHG und im SGB VIII verankert. In krassem Widerspruch dazu steht die im Gesetzentwurf vorgesehene Gastkinderregelung. Nicht nur, dass
den Eltern kein Wahlrecht für die pädagogische Ausrichtung der Kinderbetreuung zugestanden wird, schlimmer noch: Die Eltern sind auch dann auf einen Betreuungsplatz in ihrer Heimatkommune angewiesen, wenn sie einen Vormittagsplatz benötigen, die Kommune ihnen aber einen Nachmittagsplatz anbietet. Frau Stewens, wie soll denn eine Frau arbeiten, wenn sie vormittags arbeiten muss, ihr Kind aber nur nachmittags betreut wird?
Diese Regelung wird darüber hinaus dazu führen, dass viele Einrichtungen – auch solche, die Sie gerade mit diesem Gesetzentwurf fördern wollen, zum Beispiel Betriebskindergärten, Kindergärten mit besonderer pädagogischer Ausrichtung – vor dem Aus stehen. Es gibt 23 000 Gastkinder in Bayern. Frau Stewens, das ist eine große Anzahl. Die Neuregelung wird viele Kindergärten treffen, die dadurch fi nanzielle Einbußen werden hinnehmen müssen.
Wunderbar! Das ist doch nicht die Lösung; sie gilt doch nur für Kinder, die schon in den Einrichtungen sind.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Jo- hanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist wirklich nur rausgeschoben! Das ist nur, um den Protest der jetzigen Eltern abzuschwächen!)
Frau Ministerin, ich möchte Sie noch einmal persönlich ansprechen. Ihr Enkel geht doch in einen Waldkindergarten in Bad Tölz. Wissen Sie denn, dass auch dieser Kindergarten fi nanziell gefährdet ist? In meiner Heimatgemeinde konnte durch das Engagement vieler Eltern ein eingruppiger Waldkindergarten eröffnet werden. In solchen Kindergärten sind natürlich auch Kinder aus benachbarten Kommunen. Die Übergangsregelung bis 2008 schafft da allenfalls eine kurze Verschnaufpause, aber sie ist keine echte Lösung. Bereits jetzt weigern sich viele Kommunen, Gastbeiträge zu übernehmen. Künftig wird es Finanzprobleme geben, die letztendlich dazu führen werden, dass Einrichtungen schließen müssen.
Das kann doch nicht Ihr Interesse sein, Frau Stewens. Legen Sie doch endlich ein Konzept vor, mit dem es auch Waldkindergärten, Waldorf-Kindergärten und MontessoriKindergärten, die unser Kindergartensystem bereichern, noch länger geben kann.
Herr Kollege Unterländer, ich muss noch einige Worte zu Ihrer Rede sagen. Mir ist insbesondere aufgefallen, dass Sie immer wieder den Erziehern und den Gemeindever
bänden Ihren Dank ausgesprochen haben. Ich denke, gerade den Erziehern hätte es mehr geholfen, wenn Sie ihnen nicht Dank gesagt hätten, sondern wenn Sie ihnen mit Änderungsanträgen geholfen hätten.
Herr Unterländer, Sie können das noch tun. Heute haben wir noch Zeit; heute ist die letzte Gelegenheit. Herr Kollege Unterländer, Sie haben ausgeführt, es wurde ein großer Dialog im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens geführt.
Richtig, das war ein Monolog. Keines der Argumente der Betroffenen wurde aufgegriffen. Alles wurde ignoriert. Zur Ihren Ausführungen zum Konnexitätsprinzip kann ich nur sagen: Jetzt ist auf einmal das Konnexitätsprinzip an allem schuld. Das überzeugt mich nicht. Das Konnexitätsprinzip heißt doch nur, wer anschafft, der zahlt, aber es verbietet doch nicht uns als Freistaat Bayern, dafür zu sorgen, dass Bildung in Kinderbetreuungseinrichtungen umgesetzt wird.
Herr Unterländer, Sie haben davon gesprochen, dass viele Einrichtungen mit dem alten Gesetz vor der Schließung gestanden hätten. Das stimmt doch nicht. Wir hätten doch nur festlegen müssen, dass die Kindergruppen auch kleiner sein können. Das hätte doch unser Ziel sein müssen.
Herr Unterländer, ich möchte Sie auch darauf hinweisen, dass die Durchführungsverordnung zu dem Gesetz, die seitens des Ministeriums für März angekündigt war, bis heute nicht vorliegt.
Alles wird jetzt auf diese Verordnung geschoben. Sie glauben doch nicht, dass diese Verordnung das Heil bringen wird. Über das, was wir jetzt festlegen, müssen wir sprechen. Sie haben von einem Meilenstein gesprochen, Herr Unterländer. Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Ein Meilenstein ist das nicht, sondern ein rückwärts gewandtes Gesetz.
Frau Schorer ist heute nicht da. Mit Frau Schorer habe ich Veranstaltungen zum BayKiBiG im Allgäu besucht. Frau Schorer hat versprochen, sich dafür stark zu machen, dass es noch zu Änderungen kommt. Wo ist Frau Schorer denn heute? Wo ist der Abgeordnete Sailer aus meinem Stimmkreis?
Auch der Abgeordnete Sailer wurde in der Presse mit der Äußerung zitiert, dass er das Gesetz nicht „das Gelbe vom Ei“ fi ndet. Er hat versprochen, sich für den Waldorf-Kindergarten in Neusäß einzusetzen. Soll er doch Wort halten; soll er sich doch endlich stark machen für Veränderungen!
Treten Sie für ein besseres Gesetz ein, eine gerechte Finanzierung, die den Anspruch des Kindes auf Bildung und Erziehung in den Mittelpunkt stellt und Qualität und Integration belohnt. Treten Sie für ein verpfl ichtendes letztes, vor der Einschulung kostenfreies Kindergartenjahr ein. Treten Sie für eine verbindliche Festlegung der Bildungsziele und Qualitätsstandards ein, einen Anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz, die Gewährleistung des Rechts der Eltern, die Kindertagesstätte nach unterschiedlichen pädagogischen und weltanschaulichen Ausrichtungen sowie nach den Öffnungszeiten frei zu wählen.
Frau Stewens, ich möchte Ihnen zeigen, welche Auswüchse Ihr Gesetz haben kann. Schon jetzt wird damit geworben, dass es Zeiterfassungssysteme in Kinderbetreuungseinrichtungen geben kann.
Frau Kollegin, als Mitglied des Präsidiums wissen Sie, dass Sie keine Demonstrationsmittel benutzen dürfen.