Protocol of the Session on June 29, 2005

Ein neues Kindertagesstättengesetz eröffnet so viele Chancen. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf hat jedoch außer dem wohlklingenden Namen „Bayerisches Gesetz zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindergärten und anderen Kindertageseinrichtungen“ – kurz: BayKiBiG – kaum etwas zu bieten; denn längst ist allen, die mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt waren, klar: Wo Bildung draufsteht, ist keine drin.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Bei dem hier vorgelegten Gesetzentwurf geht es nicht um die Verbesserung bei der Kinderbetreuung, es geht nicht um eine frühkindliche Bildung, und es geht nicht um Pädagogik, nicht um unsere Kinder, sondern es geht Ihnen allein um Kostenneutralität und Sparen um jeden Preis.

(Beifall bei der SPD)

Denn wie anders soll es gewertet werden, wenn mit dem nahezu gleichen Haushaltsansatz, mit dem bisher im Wesentlichen Kinder von drei bis sechs Jahren gefördert wurden, künftig Kinderbetreuungsplätze für Kinder von 0 bis 14 Jahren bezahlt werden sollen? Mit dem gleichen Geld, mit dem bisher circa 375 000 Kinder gefördert wurden, sollen künftig bis zu 1,3 Millionen Kinder gefördert werden. Mit dem gleichen Geld mehr Kinder zu betreuen, das bedeutet doch: Die Qualität nimmt ab, die Gruppen werden größer, und die Elternbeiträge müssen angehoben werden. Prof. Dr. Fthenakis vom Staatsinstitut für Frühpädagogik – Auftragnehmer der Staatsregierung! – hatte in der ersten Anhörung im Landtag am 14.10. den Mut zu sagen – ich zitiere –:

Wir müssen erkennen, dass dieses Modell im Wesentlichen ein Sparmodell ist; denn es erweitert den Förderbereich bei Aufrechterhaltung der Mittel, die in diesem Bereich bislang investiert werden oder investiert werden sollen.

Sehr geehrte Frau Ministerin, mit Recht wurde bei der Anhörung im Landtag eingeworfen, dass hier eine alte Ente, ein 2 CV, als Ferrari verkauft werden soll. Kehren Sie endlich um, Frau Stewens! Jetzt besteht noch die Möglichkeit. Die Mehrheitsfraktion hat mit ihrem Entschließungsantrag, den auch schon Herr Unterländer zitiert hat, gezeigt, dass sie selbst Bedenken gegenüber diesem Entwurf hat. Sie hatte aber nicht den Mut, die Initiative zu ergreifen.

(Beifall bei der SPD)

Nehmen Sie doch endlich die Bedenken der Fachleute, nehmen Sie unsere Bedenken und die Bedenken Ihrer eigenen Fraktion ernst und ergreifen Sie die Chance, ein Gesetz vorzulegen, das den Kindern wirklich zugute kommt, ein Gesetz, bei dem frühkindliche Bildung und Pädagogik verwirklicht werden können, ein Gesetz, in dem das Kind im Vordergrund steht.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion hat ein eigenes Konzept für die Kinderbetreuung erarbeitet, dessen Eckpunkte ich hier noch einmal in aller Ausführlichkeit vorstellen möchte, um deutlich zu machen, dass es zukunftsweisende Alternativen gäbe. Was also sind die Ansprüche an ein gutes, zukunftsweisendes Kinderbetreuungsgesetz? Ich möchte vor allen Dingen nennen die frühkindliche Bildung, die Qualitätssicherung, eine gerechte Finanzierung, den Anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz und die Wahlfreiheit der Eltern.

Zunächst zur frühkindlichen Bildung. Über eines besteht in der Fachwelt Einigkeit, auch wenn es hier im Parlament leider immer noch nicht bei allen angekommen ist: Frühkindliche Bildung ist wichtig.

Ich möchte noch einmal dieses Beispiel aus Amerika aufgreifen. Dort wurde bereits im Jahre 1962 in Michigan ein interessantes Pre-school-Projekt durchgeführt. 58 schwarze Kinder aus armen Familien haben eine aufwendige Kindergartenbetreuung in kleinen Gruppen bekommen. Über die folgenden vier Jahrzehnte entwickelten sich diese Kinder besser als ihre Altersgenossen ohne spezielle weitere Förderung. Sie hatten bessere Noten, qualifi ziertere Jobs und höhere Einkommen. In gute Kinderbetreuung zu investieren, ist also eine Investition, die sich lohnt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, frühkindliche Bildung ist die Grundlage für den schulischen und berufl ichen Erfolg. Dies hat nicht zuletzt die Baby-Pisa-Studie ausdrücklich gezeigt. Längst hat die Hirnforschung belegt, dass es bei den Kindern für das Erlernen gewisser Fähigkeiten Zeitfenster gibt. Sind diese Zeitfenster überschritten, fällt den Kindern das Lernen schwer. Gerade deshalb ist es so wichtig, Frühförderangebote für die Kinder bereitzustellen.

Erstes und wichtigstes Ziel eines neuen Kinderbetreuungsgesetzes muss es daher sein, die frühkindliche Bildung in den Betreuungsstätten zu verwirklichen. Ich möchte Sie da persönlich ansprechen, Frau Stewens. Es reicht nicht, einen Bildungs- und Erziehungsplan in Auftrag zu geben, auch wenn es ein guter Bildungs- und Erziehungsplan ist. Ich sage es überspitzt: Ein Buch allein hilft den Kindern in den Kindertagesstätten nichts.

(Beifall bei der SPD)

Wichtig wäre vielmehr, wenn es denn einen solchen Bildungs- und Erziehungsplan gibt, diesen verbindlich festzuschreiben,

(Beifall bei der SPD)

damit es endlich einheitliche Standards gibt. Auch bisher wurde in Kindergärten schon Bildung vermittelt, aber eben nicht in allen. Wir wollen, dass die frühkindliche Bildung bei jedem Kind ankommt, unabhängig von seiner sozialen Herkunft, dass Bildung in jedem Kindergarten, in jeder Kindertagesstätte in Bayern praktiziert wird.

Weiter muss dafür gesorgt werden, dass die Voraussetzungen für die Vermittlung von Bildung geschaffen werden. Im dritten Teil des Bildungs- und Erziehungsplanes, den Prof. Dr. Fthenakis mit seinem Institut für Frühpädagogik erarbeitet hat, schreibt dieser – ich zitiere noch einmal –:

Gute und erfolgreiche pädagogische Arbeit auf der Grundlage des Bildungs- und Erziehungsplanes braucht eine gute Strategie und Rahmenbedingungen in den Kindertageseinrichtungen.

Rahmenbedingungen! Das wiederhole ich. Weiter heißt es:

Für das Lernen und die Entwicklung des Kindes von großer Bedeutung sind intensive FachkraftKind-Interaktionen in angeleiteten kleinen Gruppen. Dabei gilt es, Situationen zu schaffen, in denen Fachkräfte und Kinder gemeinsam über etwas nachdenken, die Gedanken austauschen und diesen Prozess in einem altersangemessenen Zeitraum aufrechterhalten.

(Unruhe)

Ich kann an Ihrem Murmeln hören, dass Sie das nicht besonders interessiert, aber ich werde gleichwohl weiterfahren und dabei vielleicht noch ein bisschen lauter reden, sodass Sie gezwungen sind zuzuhören.

(Karin Radermacher (SPD): Erzählen Sie es doch noch ein paar Mal! – Simone Tolle (GRÜNE): Wiederholen Sie es!)

Genau, ich werde es noch ein paar Mal wiederholen; vielleicht kommt es dann an.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube auch, dass Sie das alles nicht gerne hören. Das ist nachvollziehbar; denn dieser dritte Teil des Bildungs- und Erziehungsplanes wurde nie vom Ministerium zur Veröffentlichung freigegeben.

Voraussetzung für die Vermittlung von Bildung ist vor allen Dingen das Verhältnis der Zahl der Erzieherinnen zur Anzahl der Kinder. Nur in kleinen Gruppen ist es möglich, jüngeren Kindern Bildung zu vermitteln. Und kleinere Gruppen bestehen eben nicht – so wie es derzeit der Fall ist – aus 24 bis 25 Kindern, sondern kleinere Gruppen bestehen, so wie es in unserem Konzept vorgesehen ist, aus höchstens 15 Kindern, die von zwei pädagogischen Kräften betreut werden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Im Übrigen – auch darauf möchte ich hinweisen – liegt der OEC-Durchschnitt bei 14 Kindern pro Gruppe im Kindergarten. Wir haben in Bayern immer noch 24 bis 25 Kinder. 24 bis 25 Kinder, das wird auch Realität im neuen Finanzierungsmodell sein. Man braucht 22 Kinder, die fünf bis sechs Stunden buchen, damit die Finanzierung gesichert ist. Aber man kann nicht davon ausgehen, dass überall diese fünf bis sechs Stunden gebucht werden. Vielerorts wird weniger gebucht, und dann ergeben sich noch größere Gruppen.

Im Bildungs- und Erziehungsplan, den wir sehr begrüßen, wurden themenbezogene Förderschwerpunkte genannt. Ich möchte mir die Arbeit machen, diese vorzutragen:

Die ethische und religiöse Bildung und Erziehung, die sprachliche Bildung und Erziehung, die mathematische Bildung, die naturwissenschaftliche und technische Bildung, die Umweltbildung- und -erziehung, die Medienbildung- und -erziehung, die kulturelle Bildung, die musikalische Bildung und Erziehung, Bewegungsziele und Förderung, Sport, die gesundheitliche Bildung und Erziehung.

Wie, Frau Stewens, so frage ich Sie, soll die Umsetzung all dieser Ziele möglich sein in Gruppen von 24 bis 25 Kindern, und das sogar in teilweise altersgemischten Gruppen? Das bleibt mir und vielen Petenten ein Rätsel.

(Beifall bei der SPD)

Bildung in Kindertagesstätten heißt: feste Aktivitäten für Vorschulkinder, mittlere und jüngere Kinder organisieren, wie im Bildungs- und Erziehungsplan gefordert, ganzheitliches Lernen anbieten, zum Beispiel Bewegung, Arbeiten am Tisch, damit Kinder Feinmotorik erlernen, und Sprachförderung. Frühkindliche Bildung heißt Anleitung, Durchführung, Absprache im Team, Dokumentation, Ausarbeitung von Projekten, heißt auch Vorbereitung von Räumen zur Lernanregung.

Für all diese Tätigkeiten brauchen Erzieherinnen vor allen Dingen eins: Sie brauchen Zeit, Zeit auch für Vorbereitung. Sie brauchen Verfügungszeiten, die staatlich gefördert werden müssen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist daher wichtig, dass derartige Qualitätsmerkmale, die das Verhältnis von Erzieher und Kind und Verfügungszeiten regeln, gesetzlich verankert sind. Es darf einfach nicht dem Zufall überlassen bleiben und der Verantwortung eines Trägers, vielleicht eines privaten Kindergartenunternehmens, das fi nanziell unter Druck steht, wie die Kinderbetreuung vor Ort aussieht. Wenn der Staat Zuschüsse leistet, muss einfach auch die Qualität stimmen. Der Staat trägt Verantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Bildung ist Landesaufgabe. Wer mehr und bessere Bildung in der Kinderbetreuung will, muss für eine ausrei

chende staatliche Finanzierung sorgen. Wir haben in unserem Konzept daher vorgeschlagen, die staatliche Finanzierung von derzeit 40 auf 50 % Personalkostenanteil auszuweiten. Das wäre ein zukunftsweisender Ansatz, wenn man tatsächlich für Bildung in diesem Bereich sorgen will.

Ich darf zusammenfassen: Das neue Finanzierungsmodell ist bildungspolitisch eine Katastrophe, um mit den Worten der Caritas zu sprechen, Herr Imhof. In einem Vortrag des Caritas-Verbandes – hören Sie gut zu, Herr Imhof! – heißt es zur Begründung:

Das neue Finanzierungsmodell ist bildungspolitisch eine Katastrophe, weil es nicht mit dem Bildungs- und Erziehungsplan vernetzt ist, die Qualität der Einrichtung nicht fördert, durch die marktwirtschaftliche Komponente benachteiligte Kinder noch stärker benachteiligt, die entwicklungspsychologische Brisanz der Altersgruppe bis sechs nicht berücksichtigt.

Herr Imhof, als ehemaligen Direktor der Caritas in Nürnberg fordere ich Sie auf: Machen Sie sich die Bedenken Ihres Caritas-Verbandes zu Eigen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN – Joachim Wahnschaffe (SPD): Dürfen hat er sich nicht getraut!)

Er kann heute noch Mut beweisen. Wir diskutieren ja noch ein bisschen länger.

(Zurufe von der CSU – Karin Radermacher (SPD): Mich würde interessieren, was die Kollegen denken!)

Die SPD-Fraktion setzt sich für einen Anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ein. Frau Ministerin, ich darf Sie zitieren. Sie haben zum Start in das neue Kindergartenjahr – das liegt schon einige Zeit zurück – am 30.08.2004 Folgendes gesagt:

Kinderpolitik ist Zukunftspolitik. Der Ausbau der Kinderbetreuung insgesamt, insbesondere für Kinder unter drei Jahren und Schulkinder, hat für die Bayerische Staatsregierung daher auch in Zeiten knapper Kassen Priorität.