In der Vergangenheit wurde die Bildungspolitik zum Großteil in der Staatskanzlei gemacht. Dort kennt man aber nur die Begriffe „schnell“ und „billig“. Das ist für die Bildungspolitik tödlich. Deswegen ist es auch eine Ihrer ersten Aufgaben, Herr Schneider, sich die Kompetenz aus der Staatskanzlei wieder zurück in das Kultusministerium zu holen.
Herr Schneider, ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrer neuen Aufgabe. Ich wünsche Ihnen den nötigen Schneid, wenn es darum geht, bessere Rahmenbedingungen für die Aufgaben zu erkämpfen, die vor Ihnen liegen.
Darf ich einen Moment unterbrechen? – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit.
(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Aber der Schneider hat zugehört! – Unruhe bei der CSU – Franz Maget (SPD): Die empfi nden das als Zumutung!)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt die Möglichkeit des anschließenden Widerspruchs; das wird im Austausch der Meinungen sicher geschehen. Ich meine aber, dass man in einer solchen Situation auch einmal besonders zuhören sollte. – Bitte.
Herr Schneider, wir brauchen kein „weiter wie bisher“. Wir brauchen einschneidende Reformen. Unser Bedarf an Aufschneiderei ist für die nächsten Jahre gedeckt.
Wir wünschen Ihnen viel Glück für den neuen Job, damit Sie nicht als tapferes Schneiderlein starten und schließlich als Flickschuster enden.
Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Herrmann. – Nein? – Frau Kollegin Tolle. – Das Wort hat Frau Kollegin Tolle.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Ich freue mich, dass Sie erstmals bei einer Bildungsdebatte anwesend sind.
Sehr geehrte Damen und Herren, Macht ist die Chance, Einfl uss auszuüben, hat Max Weber einmal gesagt. Herr Ministerpräsident, Sie vertrauen heute die Talente der bayerischen Kinder Siegfried Schneider an.
Herr Schneider, mit Ihnen zieht jemand ins Kultusministerium ein, der seine Wurzeln in der Schule hat und der sie, glaube ich, auch nicht vergessen wird.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie haben in Ihrer Fraktion der Ernennung eines fachlich kompetenten Kollegen zugestimmt, dessen Berufung – so ist in der Presse zu lesen; ich werde nachher nicht nur positiv sein – überall auf Zustimmung stößt.
Herr Schneider, Sie bekommen heute die Chance, Einfl uss auszuüben. Ich gestehe: Ein paar Tage lang habe ich geglaubt, neben der Personalie werde sich auch wirklich etwas ändern. Ich bin allerdings ein wenig enttäuscht; denn Sie haben gestern in Ihrer Pressekonferenz schon betont, dass Sie die bisherige Bildungspolitik weiterführen wollen.
Ich bin nicht mit Ihnen einer Meinung, Herr Schneider, dass das bayerische Bildungssystem gut aufgestellt ist – ganz im Gegenteil! Wir haben uns schon öfter ausgetauscht. Hier regiert der Notstand. Wie der Ministerpräsident gestern schon deutlich gesagt hat, wird es auch nicht mehr Geld geben. Herr Ministerpräsident, ich freue mich, dass ich Ihnen einmal persönlich etwas sagen kann, auch wenn Sie mir nicht zuhören: Mit Mitteln der Regionalliga kann man nicht in der Champions League spielen.
Herr Schneider, die erste Aufgabe, die Sie haben, ist meiner Meinung nach, den Lehrermangel zu beseitigen. Ich frage mich, wie Sie das anstellen wollen, wenn man Ihnen gestern schon bescheinigt hat, dass Sie dafür kein Geld bekommen werden. Ich fordere Herrn Stoiber auf: Stellen Sie die erforderlichen Mittel zur Verfügung; denn wenn Sie dies nicht tun, lassen Sie Ihren neuen Minister am ausgestreckten Arm verhungern.
Dann bleibt es so, wie es in den vergangenen Jahren immer war: Bildungspolitik in Bayern wird in der Staatskanzlei und im Finanzministerium gemacht, und dort sitzen erwiesenermaßen keine ausgewiesenen pädagogischen Experten.
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, fordere ich auf, einem Fachmann auf dem Ministersessel die erforderlichen Mehrheiten in der Fraktion zur Seite zu stellen, damit er seine Kompetenz zum Wohle der bayerischen Kinder einsetzen kann – ansonsten bleibt er ein Mangelverwalter ohne wirkliche Macht, ohne eine echte Chance, seinen Einfl uss auch auszuüben.
Wir meinen, die Berufung des Kollegen Schneider ist die Chance, in der bayerischen Bildungspolitik einen Richtungswechsel herbeizuführen. Ich mache Ihnen in einem Dringlichkeitsantrag einen Finanzierungsvorschlag. Ich meine, er ist maßvoll und zeigt eine zeitliche Perspektive auf; er lässt Spielraum für gleichzeitige qualitative Veränderungen; denn ich will im Gegensatz zu Ihnen nicht aus der Hüfte schießen. Ich möchte eine Erhöhung der Haushaltsansätze im Einzelplan 05 in den nächsten Jahren um mindestens 3 % für alle Schularten, Fortbildungseinrichtungen, für Lehrer und für das ISB.
Gehen wir nach der Devise „Bildung von Anfang an“ einmal alle Bereiche gemeinsam durch. Ich kann Ihnen die Defi zite im bayerischen Bildungssystem kurz benennen. Bildung beginnt mit der Geburt; aber der Einfl uss des Staates auf Bildung beginnt überwiegend im Kindergarten. Hier brauchen wir eigentlich das meiste Geld; denn was wir hier aufbauen, müssen wir später nicht mit teuren Geldern reparieren. Wenn wir Bildung von Anfang an ernst nehmen, dann muss die Zuständigkeit für Kindergärten in der Tat in das Kultusministerium; denn nur so ist ein durchgehendes Bildungskonzept aus einem Guss möglich. Die Grundschule müssten Sie schon längst auf die frühere Einschulung vorbereitet haben. Hierfür brauchen wir – darüber haben wir schon in der Haushaltsdebatte gesprochen – die erforderlichen Lehrer, die Sie nicht zur Verfügung gestellt haben.
Die Hauptschule braucht eine ehrliche Analyse. Vielleicht kommen wir heute weiter, indem wir ihre Stärken benennen und diese ausbauen, uns aber auch vor einer Analyse der Schwächen nicht scheuen und versuchen, diese Schwächen zu minimieren. Nebenbei bemerkt, glaube ich auch nicht, dass man die Hauptschule stärkt, indem man die Teilhauptschulen auf dem Land abschafft; denn die lokale Identität ist für die Schülerinnen und Schüler wichtig, wenn sie gut lernen wollen.
44 % aller Klassen sind mit 30 bis 37 Kindern besetzt. Wenn Sie meinem Finanzierungsvorschlag folgen, können Sie Lehrerinnen und Lehrer einstellen, um mittelfristig auf eine vernünftige Klassenstärke zu kommen.
Auch im Gymnasium gibt es viele Probleme, die Sie zu lösen haben, Herr Kollege Schneider. Diese Probleme wurden durch die handstreichartige Einführung des G 8 verursacht. Es gilt, einen durchgängigen Lehrplan vorzulegen, eine Reform der Oberstufe vorzulegen, die diesen
Namen auch verdient. Sie werden einen Personalbestand aufbauen müssen, der sowohl fachlich als auch quantitativ das hält, was Sie bayerischen Gymnasiasten versprochen haben.
Auch an den berufl ichen Schulen herrscht große Personalnot. Hierbei sei angemerkt: Es kann nicht sein, dass Sie den Berufsschulen die Lehrer wegnehmen, um sie an die Gymnasien geben zu können. Sie dürfen auch die Förderschulen nicht vergessen.
Ich will Ihnen aber auch noch ein paar langfristige Überlegungen mit auf den Weg geben. Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrerinnen und Lehrer wünschen sich von Ihnen besonders wenig Hektik und viel Weitsicht. Eine große Aufgabe wird es sein, dass Sie dort Vertrauen zurückgewinnen. Aus den Pressemitteilungen war deutlich zu erkennen, dass viele bereit sind, Ihnen einen Vorschuss in dieser Hinsicht zu geben. Ich hoffe, Herr Kollege Schneider, Sie gehen damit umsichtig um. Nach 100 Tagen erwarte ich von Ihnen eine Strategie, die mir die Frage beantwortet, zu welchem Ziel Sie das bayerische Bildungssystem führen wollen. Dazu gehört für mich die Formulierung von fachlichen Unterzielen, versehen mit einer zeitlichen Perspektive. Dann können auch Sie sich einer Evaluation unterziehen, denn wenn Sie das von den Schulen erwarten, müssen Sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen.
Aus meiner Sicht brauchen wir ein leistungsfähiges System, welches der Verschiedenheit unserer Kinder Rechnung trägt, welches sie ohne Druck und ohne Selektionsdrohungen lernen lässt. Wir brauchen soziale Gerechtigkeit und wir müssen uns sehr anstrengen, dass wir die Migrantenkinder integrieren. Ich möchte von Ihnen Projektpläne sehen, welche zum Beispiel zum Ziel haben, die Quote der Jugendlichen ohne Schulabschluss in den nächsten fünf Jahren zu halbieren.
Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie die Durchlässigkeit zum Abitur erweitern wollen. Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie die individuelle Förderung unserer Schülerinnen und Schüler ausbauen wollen oder wie Sie fl ächendeckend Ganztagsschulen einführen wollen. Schließlich müssen Sie dafür sorgen, dass in Ihrer Fraktion ein Umdenken beginnt, und zwar in die Richtung, dass Sie alle gemeinsam der Überzeugung sind: Bildung ist eine Investition und keine konsumtive Ausgabe. McKinsey sagt: Für einen Euro Investition ins Bildungswesen bekommen wir vier zurück. Sie würden auch nicht Nein sagen, wenn ich Sie fragen würde, ob Sie mir einen Euro leihen, wenn ich Ihnen später wieder vier zurückzahle. Über diese Schiene kann es gelingen, die bayerische Bildungspolitik aus der Staatskanzlei und dem Finanzministerium zurück in das Kultusministerium zu holen. Das, glaube ich, ist die schwerste und wichtigste Aufgabe.
Eine letzte Bemerkung zu unserem Abstimmungsverhalten. Wir werden mit Nein stimmen, weil wir skeptisch sind, ob Ihnen ein Richtungswechsel gelingen wird.
Die Aussagen auf der Pressekonferenz von gestern deuten nicht auf einen solchen hin. Ich wünsche mir aber, dass er trotzdem gelingt.
Meine allerletzte Bemerkung, Herr Kollege Schneider, ist eine persönliche. Als Mitglied des Bildungsausschusses und als Teilnehmerin an vielen Diskussionen über die Bildungspolitik habe ich Sie als einen Menschen kennen gelernt, der gerne strittige Debatten führt, sich aber unangenehmen Sachverhalten nicht entzieht, der sich auch andere Meinungen anhört, dabei aber seinen Standpunkt vehement vertritt. Sie waren ein fairer Ausschussvorsitzender. Wir haben die meisten Auseinandersetzungen konträr, aber in einer Atmosphäre des gegenseitigen Respekts geführt.
Ich hoffe, dass sich das in der Zukunft fortsetzt. Ich darf Ihnen für Ihr neues Amt viel Glück, Erfolg, vor allem aber eines wünschen: Viel Geld.