Protocol of the Session on April 6, 2005

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Joachim Herrmann, Thomas Kreuzer, Peter Welnhofer und anderer und Fraktion (CSU) Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit (Drucksache 15/3077)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Franz Schindler, Rainer Volkmann und anderer und Fraktion (SPD) Korrekte Anwendung des Ausländerrechts (Druck- sache 15/3087)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Zunächst darf ich für die CSU-Fraktion Herrn Kollegen Zellmeier das Wort erteilen. Bitte, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Eine äußerst eigenwillige Interpretation des Begriffs Demokratie betreibt derzeit die rot-grüne Bundesregierung. Egal, was das Volk will, egal, was Bundestag und Bundesrat beschlossen haben, die Bundesregierung macht, was sie will, und dies unter Missachtung der geltenden gesetzlichen Regelungen oder durch Anwendung von Vollzugsdefiziten.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Wahlfälscheraffäre!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben uns ein gutes Beispiel dafür geliefert. Die Entscheidung zum Waffenembargo gegen China soll ohne den Bundestag erfolgen. Ein weiteres Beispiel: die Visa-Affäre. Sie alle kennen diese Beispiele mehr als gut; denn Ihre Kollegen waren darin involviert.

(Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den GRÜNEN, es ist Ihnen natürlich unangenehm, wenn ich auf diese Dinge eingehe. Das verstehe ich auch; denn damit machen Sie im Moment die größten Schlagzeilen, und zwar negative Schlagzeilen.

(Heidi Lück (SPD): Einen Stoiber in Berlin haben wir zum Glück nicht!)

Ich denke, wir sollten wieder zur Sache kommen. Sie wissen, Außenminister Fischer – –

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich verstehe Ihre Aufregung. An Ihrer Stelle würde ich mich auch aufregen, wenn mein Aushängeschild bei der Bundesregierung derartige Dinge gemacht hätte.

Entgegen dem Willen des Volkes, meine Damen und Herren, entgegen den Gesetzen und den europäischen Vereinbarungen, entgegen allem, was in diesem Rechtsstaat üblich ist, wurde die internationale Kriminalität gefördert, und gleichzeitig wurden rechtstreue Staatsdiener mundtot gemacht. Das muss man einmal sagen.

(Franz Maget (SPD): Da wird einem direkt Angst!)

Im Vergleich zu dieser Thematik ist das Anliegen unseres Dringlichkeitsantrages auf den ersten Blick direkt harmlos. Nicht wahr, Herr Maget?

(Franz Maget (SPD): Das würde ich auch so sehen!)

Es geht nicht um Hunderttausende von unrechtmäßig ausgestellten Visa für Schleuser und andere Kriminelle, hier geht es nur um 50 000 zu Unrecht eingebürgerte Türken. Ist denn das so schlimm, werden Sie fragen? – Ich sage ja, denn hier geht es nicht nur um die Frage der

Staatsangehörigkeit, sondern um die damit verbundenen demokratischen Rechte und um das Wahlrecht. Die Bundesregierung missachtet ganz offensichtlich den Willen der Bevölkerung. Diesen Willen haben Sie alle 1999 bei der Unterschriftenaktion gespürt, als die Bevölkerung massenhaft gegen das Vorhaben demonstriert hat, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen. Nachdem damals ein tragbarer Kompromiss gefunden wurde, wird jetzt der Vollzug nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Auch ich weiß, dass die 50 000 türkischstämmigen deutschen Bürger uns nicht namentlich bekannt sind. Deshalb wollen wir mit unserem Antrag die Bundesregierung auffordern, hier endlich zu handeln.

Es gibt ein Informationsabkommen aus dem Jahr 1964 zu Fragen der Staatsangehörigkeit. Dieses Abkommen wurde von der Türkei mittlerweile ratifiziert. Die Bundesregierung aber hat keinen Schritt in diese Richtung unternommen, in den ersten Jahrzehnten sicherlich zu Recht; denn bis zum Jahr 2000 hatten wir eine andere gesetzliche Grundlage. Bis dahin haben türkische Bürger, die Deutsche wurden und die nach Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit wieder eingebürgert wurden, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht automatisch verloren. Es gab deshalb keinen dringenden Bedarf. Außerdem war die Türkei gerade in den Sechziger- und in den Siebzigerjahren wegen der Menschenrechtslage als unsicherer Staat eingestuft. Deshalb bestand bis zum Jahr 1999 kein Handlungsbedarf.

Aber mittlerweile, seit fünf Jahren, haben wir diesen Bedarf. Deshalb fordern wir ganz energisch, hier tätig zu werden und zu ratifizieren. Wir brauchen diese Regelung, um einen Missbrauch des Wahlrechts zu verhindern; denn Sie wissen, nach § 25 Absatz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes ist mittlerweile der Verlust der Staatsangehörigkeit automatisch mit der Wiederannahme der türkischen Staatsangehörigkeit verbunden. Das heißt, viele Tausende aus dem Ausland stammende Mitbürger haben zu Unrecht in Deutschland gewählt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese aus dem Ausland stammenden Mitbürger zu 80 % SPD oder GRÜNE gewählt haben, ist für Sie vielleicht ein Vorteil, aber richtiger wird es im Sinne des demokratischen Gedankens dadurch auch nicht.

(Lachen und Widerspruch bei der Opposition – Ruth Paulig (GRÜNE): Demokratisch ist nur, wenn diese Mitbürger auch „richtig“ wählen, oder? – Margarete Bause (GRÜNE): Sollen alle ausgebürgert werden, die nicht CSU wählen?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die neue Rechtslage, die Sie mit beschlossen haben, erfordert schnelles Handeln. Wir wollen, dass der Wille der Bevölkerung zum Ausdruck kommt. Der Wille der Bevölkerung ist in dieser Frage eindeutig. Deshalb werden wir entgegen aller rot-grünen, einseitigen Ideologie diesen Willen der Bevölkerung immer wieder einfordern. Das tun wir jetzt. Ich bitte gerade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den GRÜNEN, das Ihren Vertretern in der Bundespolitik zu sagen: Hier ist größter Handlungsbedarf!

(Ludwig Wörner (SPD): Wissen Sie überhaupt, was Ideologie ist?)

Ich weiß es – Gott sei Dank! – nur aus Büchern, weil wir keine Ideologie haben. Die ist ja bei Ihnen sehr gut aufgehoben!

(Beifall bei der CSU – Rainer Volkmann (SPD): Da lachen ja sogar Ihre Kollegen!)

Machen Sie hier keine ähnlichen Fehler wie in der VisaAffäre! Wir fordern die Bundesregierung auf, jetzt zu handeln. Sie soll nicht länger wegschauen, sondern tätig werden. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CSU)

Für die SPDFraktion hat Kollege Volkmann das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, und – ich bin geneigt zu sagen: – liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es gibt Themen, über die man wirklich richtig streiten kann und bei denen man sich richtig auslassen kann. Ich neige auch ganz gerne dazu, mich aufzuregen. Aber welchen Wirbel machen Sie denn heute um diese Geschichte? Sie ist ernst, da gibt es keine Frage. Aber den Redebeitrag mit den Worten zu beginnen, wie Kollege Zellmeier es getan hat, die Bundesregierung mache, was sie wolle? – Da habe ich mir gedacht, ich bin im falschen Saal! Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Ihr Herr Ministerpräsident – er ist auch mein Ministerpräsident, aber er ist von Ihrer Partei und aus Ihrer Fraktion – mit Ihnen macht, was er will, und zwar seit eineinhalb Jahren und in einer Art und Weise, die im Bund Gott sei Dank nicht stattfindet?

(Beifall bei der SPD – Hans Joachim Werner (SPD): Das hören sie gar nicht gern!)

Ich sage nur: Seien Sie mit solchen Äußerungen doch etwas zurückhaltender.

Bevor wir uns hier wirklich balgen, sage ich Ihnen noch etwas: Vielleicht können wir uns vorab mal auf einen Konsens einigen – nicht etwa, weil ich sehr konsenssüchtig wäre, sondern weil diese Frage des Umgangs von Deutschen bzw. Bayern mit Ausländern im Allgemeinen und mit Türken im Besonderen auch einmal unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden soll, dass die Türken bei uns – sie sind die größte Gruppe – einen ganz erheblichen Beitrag auch zum wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes in den vergangenen vierzig Jahren seit dem Assoziierungsabkommen geleistet haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Peter Welnhofer (CSU))

Halten Sie doch einmal aus, dass ich etwas sage, dem Sie zustimmen könnten!

Wir wissen alle, dass in der Zeitung immer nur das steht, was schlecht und was negativ ist. Das geht uns als Abgeordneten so, das geht aber auch den türkischen Mitbürgern so, das geht anderen auch so. Wir sollten doch ein

mal wirklich festhalten, dass die ganz überwiegende Anzahl der Türken, die bei uns leben, bzw. der türkischstämmigen Deutschen loyale Mitbürger sind und konstruktiv in diesem Staat mitarbeiten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie sollten sich außerdem davor hüten, die Türken zu sehr zu ärgern; denn wenn sie alle ihre Kebab- und Dönerbuden zumachen, müssen einige von uns sich nach neuen Ernährungsquellen umsehen. Döner und Kebab sind, so meine ich, ein Teil unserer Esskultur geworden. Das darf man sich ruhig mal bewusst machen.

Zu Ihrem Antrag: Ihr Antrag hat drei ausgesprochen ärgerliche Passagen. Sie sagen im zweiten Absatz: „Der Landtag missbilligt diesen Zustand …“. Der Auffassung, dass der Zustand, so wie er jetzt ist, nicht tragbar ist, ist ja durchaus zuzustimmen, weil er zu Unverträglichkeiten und Ungerechtigkeiten und Schwierigkeiten verschiedenster Art führen kann. Der Antrag fordert im Weiteren dazu auf, „… das seit 1964 existierende, auch von Deutschland unterzeichnete multilaterale ’Abkommen über den Informationsaustausch betreffend Staatsangehörigkeit’ … endlich“ zu ratifizieren. Von 1964 bis heute sind es, schlaff gerechnet, 41 Jahre. In 21 dieser 41 Jahre hat die Christlich-Demokratische Union jeweils den Bundeskanzler gestellt. Ich sage Ihnen dazu: Sie können ja sagen, dass das Thema heute aktueller ist, als es vor zwanzig oder dreißig Jahren war. Aber eines sollten Sie nicht machen: Wenn ein Abkommen 41 Jahre lang nicht ratifiziert worden ist und Ihre Partei in 21 dieser 41 Jahre Regierungsverantwortung getragen hat, sage ich Ihnen: Das ist einer der Gründe, warum die Leute manchmal auf die Politik so sauer sind. Sie wissen doch genau, dass dieses Argument auf Sie zurückfällt, meine Damen und Herren: Sie haben das Thema 21 Jahre lang auch verschlafen,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie haben es nicht beachtet. Ich sage Ihnen auch den Grund, warum das Abkommen auch zu Ihrer Zeit nicht ratifiziert worden ist: Es ist deshalb nicht ratifiziert worden, weil es nur von ganz wenigen Mitgliedstaaten des Europarates überhaupt ratifiziert worden ist. Richtig ist, dass die Türkei dieses Abkommen ratifiziert hat, aber die allgemeine Auffassung geht dahin, dass es besser ist, in dieser Frage mit der Türkei ein bilaterales Abkommen anzustreben. Das ist ja auch auf dem Weg. Am 11.04. ist der türkische Innenminister bei Bundesinnenminister Schily, und da steht ein solches Abkommen mit auf der Tagesordnung.

Zur Ergänzung füge ich hinzu, dass bereits am 21. Januar dieses Jahres die Staatssekretärin Ute Vogt im Bundestag mitgeteilt und erklärt hat, dass die Praxis, die hier gerügt wird und die Grundlage Ihres Antrags ist, von der Türkei bereits aufgehoben ist und nicht mehr weiterverfolgt wird. Insofern ist für die Zukunft jedenfalls aus dieser Geschichte die Luft heraus. Der zweite Punkt ist also die Geschichte mit diesem bilateralen Abkommen. Ich möchte Sie bit

ten, zur Kenntnis zu nehmen: Wir sind bereits auf dem Weg im Sinne dieses Antrags.

Ein Drittes möchte ich zu Ihrem Antrag sagen: Die Formulierung in Ihrem letzten Absatz finde ich ja wirklich unterhaltsam: „Die rot-grüne Bundesregierung ist mit ihrem Vorhaben, die doppelte Staatsangehörigkeit massenhaft zuzulassen, ausdrücklich gescheitert.“ – Schauen Sie, über diese Geschichte können wir wirklich streiten. Aber Tatsache ist, dass ein Deutscher, der eine ausländische Staatsangehörigkeit erwirbt, seine deutsche Staatsangehörigkeit behalten darf, wenn er seinen Wohnsitz im Inland hat. Diese Regelung hätten Sie 16 Jahre lang aufheben können, wenn Sie gewollt hätten. Die neue Regelung vom 1. Januar 2000 sieht vor, dass der Deutsche, der seine Staatsangehörigkeit wechselt, automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit verliert, auch dann, wenn er seinen Wohnsitz hier hat. Diese Veränderung führt ja zu dieser Schwierigkeit. Sie können jetzt natürlich sagen: Im Bundesrat hat damals die CDU/CSU-Mehrheit darauf gedrängt; das mag ja alles richtig sein. Aber wir haben eine Veränderung, die heute in Ihrem Sinne strenger ist als die frühere Regelung. Sie haben 16 Jahre lang nichts gemacht. Es ist einfach kein guter Stil, wenn man das früher nicht thematisiert hat und kein Problem darin gesehen hat, es uns jetzt aber vorhält.

Aus diesen Gründen, die ich jetzt genannt habe, können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir haben einen ganz kurzen eigenen Antrag gebracht, der, wie ich gestehen muss, wirklich nur Selbstverständlichkeiten enthält. Die Überlegung war schlicht und einfach: Wenn wir Ihren Antrag ablehnen, laufen wir Gefahr – obwohl CSU-Abgeordnete so etwas nie machen würden, nicht wahr? –, dass Sie uns unterstellen, wir hätten dagegen gestimmt, weil wir die gegenwärtige Praxis billigen.

(Lachen bei der CSU)

Da lachen Sie, Herr Schramm; Sie grinsen zumindest. –

Ich liege mit dieser Vermutung nicht ganz falsch.

Auch wir wollen das verhindern. Weil wir in der jetzigen Situation ein Problem darin sehen, haben wir den Antrag gestellt, dass die Gesetzeslage berücksichtigt, die Gesetze vollzogen werden müssen. Im Hinblick auf § 25 des Staatsangehörigkeitsgesetzes bedeutet dies, dass derjenige, der sich die türkische Staatsangehörigkeit zurückgeholt hat, die deutsche verloren hat. Daran gibt es keinen Zweifel, nicht in der SPD-Bundestagsfraktion und schon gar nicht im Bundesinnenministerium. Weil wir das klargestellt haben wollen, haben wir einen ganz kurzen Antrag gestellt und eine weitere Selbstverständlichkeit hinzugefügt, nämlich dass die Verwaltung ihr Ermessen sowohl hinsichtlich des § 12 des Staatsangehörigkeitsgesetzes als auch hinsichtlich § 38 des Aufenthaltsgesetzes ausüben soll; denn diese Vorschrift besagt, wenn ein Deutscher eine andere Staatsangehörigkeit angenommen hat, wird er beim Aufenthaltsrecht wieder privilegiert. Dazu gibt es die verschiedensten Fälle. Diese sind zu untersuchen.

Wir wissen, dass vonseiten des Innenministeriums ein Schreiben an die Kreisverwaltungsbehörden in Vorbereitung ist, diesen Dingen auf den Grund zu gehen. Die Leute können ohne weiteres angeschrieben werden, die seit dem 1. Januar 2000 die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt haben, und bei der weiteren Verfahrensweise kann der einzelne Fall geprüft werden. Keineswegs sollten alle Fälle über einen Kamm geschoren werden.