Protocol of the Session on April 6, 2005

Ich habe gesagt, es sei in offensichtlichen Fällen, in denen Behörden abgebaut würden, gar nicht notwendig, eine zeit- und kostenaufwendige Kosten-Nutzen-Rechnung zu machen, wenn der Vorteil auf der Hand liege.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Wenn Sie 200 Behörden und 6000 Planstellen abbauen, liegt mit mehr als 500 Millionen Euro Kostenentlastung der Gewinn per se auf der Hand, sodass Ihre Forderung nach einer Kosten-Nutzen-Analyse entweder ein Ausweichen vor Entscheidungen oder lediglich ein Vorwand und deshalb kein glaubwürdiger Einwand gegen die Verwaltungsreform ist.

Drittens wende ich mich in besonderer Weise an die SPDFraktion. Kollege Schieder forderte, man solle für die nördliche Oberpfalz etwas tun. Wenn wir die nicht leichte Aufgabe angehen und – Herr Kollege Miller hat es gerade dargestellt – die DLE von Regensburg nach Tirschenreuth verlagern, um die nördliche Oberpfalz zu stärken, sollten Sie wenigstens den Mut haben, einer solchen Entscheidung zuzustimmen. Aber sich bei allem zu enthalten, heißt, dass die SPD in all den Fragen der Verwaltungsreform keine Position hat.

(Beifall bei der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache ist damit geschlossen. Die Abstimmung über den Antrag soll auf Wunsch der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN in namentlicher Form erfolgen. Für die Stimmabgabe sind Urnen auf beiden Seiten des Sitzungssaals sowie auf dem Stenografentisch bereitgestellt. Mit der Stimmabgabe kann begonnen werden. Fünf Minuten stehen zur Verfügung. Ich bitte Sie, Ihre Stimmkarte abzugeben.

(Namentliche Abstimmung von 12.10 bis 12.15 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Stimmabgabe ist abgeschlossen. Das Abstimmungsergebnis wird wie üblich außerhalb des Plenarsaals ermittelt. Das Ergebnis werde ich später bekannt geben.

Wir fahren in der Tagesordnung fort.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 und 10 auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Joachim Herrmann, Renate Dodell, Thomas Kreuzer und anderer und Fraktion (CSU) Integration durch Förderung der Sprachkompetenz (Drucksache 15/2215)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Förderung der Sprachkompetenz von Migrantinnen und Migranten (Drucksache 15/2240)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache und weise darauf hin, dass pro Fraktion 20 Minuten Redezeit zur Verfügung stehen. Als erste Rednerin hat Frau Kollegin Sem das Wort.

(Unruhe)

- Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen und Gespräche, ob wichtig oder unwichtig, draußen zu führen. Ich bitte, im Interesse des Hohen Hauses der parlamentarischen Debatte den Vorrang zu geben. Bitte, Frau Kollegin Sem.

Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse Ende des vergangenen Jahres in Holland haben erneut gezeigt, dass die Idee der multikulturellen Gesellschaft gescheitert ist. Dazu möchte ich Ihnen einen Auszug aus dem „Focus“, Ausgabe Nummer 5 aus 2005, vorlesen:

Die Niederländer suchen ihre „Leitkultur“

Der Mord an dem Regisseur Theo van Gogh hat die Niederländer in eine Identitätskrise gestürzt. Eine Expertenkommission soll nun im Auftrag des Bildungsministeriums die „Leitkultur“ des Landes definieren. „Unsere Nation ist verwirrt durch das Kommen des Islam, den wachsenden Einfluss der EU und die Individualisierung“, erklärt Kommissionsmitglied Fons van Wieringen und empfiehlt: „Unser Geschichtsabitur kann ruhig etwas patriotischer werden.“

Ob Rembrandt, Erasmus oder die Ostindische Handelsgesellschaft: Ziel der Experten ist es, einen für die Schulen verbindlichen Kanon aus den Höhepunkten niederländischer Geschichte,

Kunst und Kultur zu erstellen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich denke, Parallelgesellschaften, in denen einheimische Bürger und ausländische Mitbürger in völlig verschiedenen Welten leben, fördern letztendlich Intoleranz und gegenseitiges Unverständnis. Statt die falsche Entwicklung von Parallelgesellschaften zu dulden, ist wesentlich mehr Integration ausländischer Mitbürger in unsere Gesellschaft und die Anerkennung der deutschen Werteorientierung durch die hier lebenden ausländischen Mitbürgerinnen

und Mitbürger notwendig. Die Integration fördert das gegenseitige Verständnis, die Toleranz und das Miteinander von Bürgern aus verschiedenen Kulturkreisen in Deutschland.

Voraussetzung für die Integration ist das Beherrschen der deutschen Sprache. Nur wer über hinreichende Sprachkenntnisse verfügt, hat eine Chance auf volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Erfolg in Schule und Beruf. – Scherzhafterweise darf ich bemerken: Meine Kollegen von der CSU sind der deutschen Sprache sehr mächtig und können in den ersten Reihen gut ratschen.

(Allgemeine Heiterkeit – Beifall bei der SPD – Her- bert Müller (SPD): Reden Sie mal deutsch mit denen!)

Das Verstehen und Sprechen der deutschen Sprache ist gewissermaßen der Schlüssel zur Integration. Die PisaStudie hat deutlich gemacht, dass bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund deutliche Defizite bei der Beherrschung der deutschen Sprache bestehen. Die mangelnden Sprachkenntnisse wirken sich nachhaltig nachteilig auf ihren schulischen Erfolg und den ihrer deutschen Klassenkameraden aus. Die CSU-Landtagsfraktion fordert deshalb mit ihrem Antrag die Staatsregierung auf, ein Konzept für eine Deutschoffensive zu erarbeiten. Ziel dieses Konzepts soll es sein, dass jedes Kind bis zum Schuleintritt über hinreichende Deutschkenntnisse verfügt. Die Sprachförderung soll in der Schule effektiv weitergeführt werden. In das Konzept sollen die Erfahrungen unterschiedlicher Initiativen auf kommunaler Ebene zur Sprachförderung ebenso einbezogen werden wie die Rolle der Eltern.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße es sehr, dass bei den Parteien dieses Hohen Hauses Konsens über die Notwendigkeit der Frühförderung von Sprachkompetenz bei Migrantinnen und Migranten besteht. Dennoch lehnen wir von der CSU den Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Förderung der Sprachkompetenz von Migrantinnen und Migranten ab.

Die GRÜNEN treten in ihrem Antrag dafür ein, dass jede Migrantin bzw. jeder Migrant die Kultur, Sprache und Gesamtidentität des Herkunftslandes erhält und es staatliche Aufgabe ist, diese zu fördern. Sie übersehen in ihrem Antrag, dass sich dieses Konzept zum Beispiel in den muttersprachlichen Klassen über viele Jahre hinweg letztlich als erfolglos erwiesen hat. Es hat zur Stabilisierung der Herkunftskulturen, nicht aber zur Integration in die deutsche Gesellschaft beigetragen. Eine gleichzeitige Förderung der bilingualen und bikulturellen Kompetenzen von Migrantinnen und Migranten vom Kindergarten über den ganzen Bildungsweg hinweg tragen wir nicht mit. Die in Ihrem Antrag geforderten Qualifizierungsmaßnahmen für Erzieherinnen und Lehrer machen zudem wegen der damit verbundenen haushaltstechnischen Risiken eine Zustimmung unmöglich.

Zusammenfassend möchte ich feststellen: Menschen, die in unser Land zuwandern, müssen sich primär mit unserer Kultur und Sprache auseinander setzen.

Im Mittelpunkt der staatlichen Unterstützung muss daher die Förderung der deutschsprachigen Kompetenz bei ausländischen Mitbürgern stehen. Mit einem vorschulischen Sprachförderungskonzept will die CSU gerade jungen Menschen, unter Einbeziehung ihrer Eltern, dabei helfen, bis zum Schuleintritt hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben. Die frühe Förderung von Kindern beim Erlernen der deutschen Sprache soll in der Schule weitergeführt werden und den Grundstein für eine erfolgreiche Integration legen.

Erfolgreiche Integration heißt auch, sehr behutsam mit dem Schutz der eigenen Kultur und Sprache umzugehen. Ich hoffe, dass es uns gelingt – an welcher Stelle das auch immer sei –, unsere überkommene wertvolle bayerische Lebensart und Kultur im neuen Jahrtausend fest zu verankern. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächste hat das Wort Frau Kollegin Tolle.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin Sem, wie Sie soeben gemerkt haben, nützt manchmal auch Sprache nichts. Die Kollegen Dr. Bernhard und Kreuzer sind immer so ins Gespräch vertieft, dass sie den Redebeiträgen nicht folgen können.

Frau Kollegin Sem, ich halte Holland für nicht vergleichbar mit der Bundesrepublik. Das ist meine erste Anmerkung. Meine zweite Anmerkung: Die GRÜNEN wollen keine Parallelgesellschaften. Da gehen wir mit Ihnen konform.

Ich komme damit zu der Frage, wie Parallelgesellschaften vermieden werden können. Wir können sie nur vermeiden, wenn wir uns um Integration bemühen. Mein erster Punkt dazu lautet: Integration gelingt durch Sprache.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In diesem Punkt sind wir alle sicherlich einer Meinung. Integration wird aber durch Sprache sehr häufig verhindert. Deshalb habe ich Ihren Antrag hochgezogen. Ich halte nämlich Ihren Antrag für einen „Integrationsverhinderungsantrag“, weil er im Duktus Integration nicht fördert, sondern den Migrantinnen und Migranten die Schuld und die alleinige Verantwortung für die Probleme, die im Moment noch existieren, zuweist.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ein Teil des Problems ist die Tatsache, dass die CSU über viele Jahre hinweg unter anderem das verhindert hat, was in Deutschland überwiegend einer Initiative meiner Partei zu verdanken ist und letztlich mit Ihrer Zustimmung im Bundesrat auch Realität wurde: Ich spreche die folgenden Worte mit einem gewissen Stolz aus. Sie lauten: Deutschland ist ein Einwanderungsland.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Dr. Bernhard, nachdem Sie das endlich anerkannt haben, ist es nun an der Zeit, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Damit komme ich zu den unseligen Formulierungen Ihres Antrags. Multi-Kulti – das stelle ich noch einmal offiziell fest – war und ist keine Ideologie, sondern die Beschreibung eines Zustandes. Herr Kollege Dr. Bernhard, den Mord an Theo van Gogh der Tatsache in die Schuhe zu schieben, dass es in Europa normal ist, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft an einem Ort zusammenleben, halte ich für einen Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dadurch wird die Ausgrenzung vermehrt und an die Betroffenen das Signal ausgesandt, sie seien als Einwanderer oder Einwanderinnen nicht erwünscht. Eine sprachliche Botschaft ist schließlich immer auch eine emotionale Botschaft.

Im nächsten Absatz Ihres Antrags machen Sie die Kinder dieser Menschen für das Abschneiden der Deutschen bei den Pisa-Studien verantwortlich. Kein Wort davon, dass Sie die Verantwortung dafür tragen, dass diesen Kindern nicht genügend Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, um unsere Sprache zu erlernen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte jetzt eine Minute meiner Redezeit einem sauberen Integrationsbegriff widmen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Integration verstehe ich nicht als einfache Anpassung der Einwanderer an die Mehrheitsgesellschaft. Integration ist vielmehr ein wechselseitiger Prozess, von dem alle in einer Gesellschaft Lebenden betroffen sind. Die auftretenden Probleme der Identitätsfindung, der kulturellen Bindung und der gesellschaftlichen Veränderung können nur gelöst werden, wenn die Fähigkeit und Bereitschaft zu interkulturellem Lernen auf beiden Seiten vorhanden ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für uns bedeutet das, dass auch die aufnehmende Gesellschaft die Kompetenz der Migranten und Migrantinnen als Chance und Bereicherung begreift, anstatt die Differenz als Störung zu sehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unsere Bildungsstudie hat eindeutig bewiesen, dass die Migrantenkinder in unserem System die Verlierer sind. Dort kommt klar zum Ausdruck, dass die Kinder der Migranten in der Hauptschule den schlechteren Stand haben. Dies gilt auch bezüglich der Berufsabschlüsse.

Frau Kollegin Sem, Ihr Antrag ist nicht mehr als ein Schaufensterantrag. Die Realität weist nämlich in eine ganz andere Richtung. Ich nenne dazu drei Beispiele:

Erstens. Der muttersprachliche Ergänzungsunterricht wird abgeschafft. Der muttersprachliche Ergänzungsunterricht wurde eingeführt, weil wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, wonach Kinder, die ihre Muttersprache gut beherrschen, die deutsche Sprache besser erlernen können.