Protocol of the Session on April 5, 2005

Herr Kollege Bernhard, wenn man Ihnen zugehört hat, hat man gedacht: Entweder sind Sie autistisch oder ignorant,

(Zuruf von der SPD: Beides!)

weil Sie nicht wahrnehmen, was tatsächlich an politischem Geschehen in der letzten Zeit passierte und was an Maßnahmen verabredet wurde.

Ich erinnere an die Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder vom 17. März und an den Job-Gipfel vom gleichen Tag. Ich erinnere – offensichtlich haben Sie auch das ignoriert – an die Kommentare von damals. Zum Beispiel hat das Ifo-Institut am gleichen Tag eine Presseerklärung herausgegeben: Bundeskanzler Schröder hat heute gute Vorschläge zur Verbesserung des Standortes Deutschland gemacht.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Der „Münchner Merkur“ sprach sogar von einem „Glücksfall für den Mittelstand“ und hat sich dabei auf Zitate führender bayerischer Wirtschaftsvertreter berufen. Auch das ist ein Beleg dafür, dass es anders wahrgenommen wird, als Sie hier dargestellt haben.

Ich erinnere noch einmal an die Rede von Bundeskanzler Schröder vom 17. März. Er hat dargestellt, was passierte. Dabei hat er sich auf die Agenda 2010 bezogen. Er hat sehr ausführlich dargelegt, was nun an weiteren Schritten erfolgen sollte, und am gleichen Tag wurde das dann auf dem Job-Gipfel verabredet.

Jetzt registrieren wir, dass offensichtlich Merkel und Stoiber Rückzugsgefechte vornehmen, damit es nicht möglich wird, dass das, was verabredet wurde, umgesetzt werden kann. Das nenne ich eine Sonthofener Strategie.

(Beifall bei der SPD)

Weil die Zeit jetzt nicht reicht, beschränke ich mich auf Stichworte. Es wurde ein Investitions- und Innovationsprogramm für den Mittelstand verabredet. Dafür sollen 2 Milliarden Euro als zusätzliche Förderung zur Verfügung stehen. Außerdem soll ein Gesetz für PPP demnächst vorgelegt werden. Aber machen Sie in Bayern dann auch Ihre Hausaufgaben, wenn es um Public Private Partnership geht. Da zögern Sie, obwohl hier viel Geld bewegt werden könnte, damit die Investitionen schnell vorgenommen werden können.

Ich erinnere weiter daran, dass der Bundeskanzler gesagt hat, die Erbschaftsteuerstundung sollte erfolgen, wenn die Länder das wollten. Auch das ist mittelstandsfreundlich. Ich denke, Sie werden in den Ländern, die von Ihrer Schwesterpartei regiert werden, das Nötige dafür tun, dass das jetzt in Gang kommt.

Ich erinnere daran, dass die Körperschaftsteuer von 25 auf 19 % gesenkt werden soll, wenn die Gegenfinanzierung möglich ist. Ich sage ausdrücklich: wenn Konzerne Jobs und Fabriken ins Ausland verlagern, dann sollten diese Kosten nicht mehr beim Deutschen Fiskus geltend gemacht werden, sondern dort, wo die Arbeitsplätze entstehen. Damit hätten wir hier eine Gegenfinanzierung.

(Philipp Graf von und zu Lerchenfeld (CSU): Das ist praktisch nicht durchführbar! Fragen Sie doch Herrn Eichel!)

Wenn das von Fachleuten so diskutiert wird, zum Beispiel von dem Steuerexperten Jarras, dann haben diese Leute sehr wohl eine fundierte Meinung dazu. So brauche ich nicht Politikerinnen und Politiker zu zitieren. Ich habe jetzt den Namen des Herrn Jarras genannt.

Herr Bernhard, Sie haben wieder davon gesprochen, dass eine Liste von Vorschlägen auch auf dem Job-Gipfel vorgelegt wurde. Da ging es darum, Arbeitnehmerrechte abzubauen. Es ist ein Märchen, wenn Sie immer wieder sagen, der Kündigungsschutz sollte gelockert werden, weil es dann zu mehr Einstellungen käme. Der Kündigungsschutz ist längst gelockert. Dennoch kommt es nicht zu mehr Einstellungen.

Ich fasse zusammen. Die Arbeitslosigkeit ist kurzfristig nicht zu bewältigen – das wissen Sie und alle anderen –, weil die Maßnahmen nur mittelfristig greifen.

Ich sage erstens: Zerreden Sie nicht das Vertrauen, zerreden Sie nicht die Konjunktur. Zweitens möchte ich, wenn es die Präsidentin genehmigt, etwas zitieren.

Frau Kollegin, für Sie wurden keine zehn Minuten beantragt. Sie haben mittlerweile schon sieben Minuten geredet.

Ich bitte um Nachsicht, dass ich überzogen habe. Es tut mir leid, dass ich das Zitat von Herrn Wiesheu nicht mehr bringen darf, der gesagt hat: Die Beschäftigungswende ist erreicht.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank.

Die nächste Wortmeldung für die Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN kommt von Kollegen Hallitzky. Er hat für zehn Minuten das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Laut Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, liegt die saisonbereinigte Arbeitslosenquote in Deutschland bei 9,6 % gegenüber 8,8 % im EU-Durchschnitt. Beide Quoten sind im Jahresvergleich konstant geblieben.

Ich weise darauf einleitend ausdrücklich hin, weil seitens der CSU so getan wird – Sie, Herr Bernhard, haben es eben auch wieder getan –, als hätte der Anstieg der Arbeitslosenzahlen etwas mit schlechter Politik zu tun. Das ist nicht so. Der Anstieg hat mit mehr Ehrlichkeit in der Statistik und in der Politik zu tun. Die Höhe können wir berechnen, wie wir wollen. Sie kommen sogar auf 10 Millionen, wenn Sie alles einbeziehen. Aber die Vergleichbarkeit der Zahlen zeigt, dass sich die Arbeitslosigkeit insgesamt in ihrer Höhe im letzten Jahr nicht verändert hat. Das sollten Sie bei Ihrer Agitation hin und wieder bedenken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ändert aber nichts daran, liebe Frau Kollegin Goderbauer, dass wir uns alle zu Recht tiefe, große Sorgen über das Schicksal der Millionen Arbeitslosen machen. Deshalb hat auch die rot-grüne Bundesregierung mit ihren arbeitsmarktpolitischen Reformen den fast zwei Jahrzehnte anhaltenden Stillstand der Ära Kohl beendet. Das war und ist gut so. Wir wollen eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik, Frau Dodell. Wir wollen, dass mit der Verwaltung von Arbeitslosigkeit, die Sie jahrzehntelang praktiziert haben, Schluss ist und die Menschen aus der Hoffnungslosigkeit herausgeführt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Unsere Initiativen hinsichtlich aktivierender Arbeitsmarktpolitik entsprechen im Übrigen auch dem, ziemlich wortgleich sogar dem, was die OECD für einen aktivierenden Arbeitsmarkt empfiehlt, falls Sie auch dies zur Kenntnis nehmen mögen.

Wir wollen nicht, dass junge Sozialhilfeempfänger, die arbeitsfähig sind – ich denke da an über 100 000 Jugendliche, die das betrifft –, bevor sie überhaupt richtig ins Arbeitsleben eintreten, in einer Sackgasse der Hoffnungslosigkeit enden. Wir wollen, dass diese jungen Menschen einen Anspruch darauf haben, innerhalb von drei Monaten einen Ausbildungsplatz zu bekommen oder eine Arbeit zu erhalten. Das ist ein entscheidender Ansatz im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit und gegen Hoffnungslosigkeit einer jungen Generation.

Im Sinne einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik wollen wir die Zuverdienstmöglichkeiten für Bezieher von Arbeitslosengeld II verbessern, liebe Frau Dodell. Das haben Sie im Vermittlungsausschuss blockiert. Wegen Ihrer Blockade sind wir heute in dem Dilemma, dass wir weniger Arbeitsplätze haben, als wir haben könnten. Das ist Ihre Verantwortung!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie wollen – so ist der Titel der heutigen Aktuellen Stunde – Vorfahrt für Wachstum und definieren das, frei übersetzt, so: Wenn sich die Politik den kurzfristigen Gewinninteressen der Unternehmen unterordnet, wird es schon passen mit dem

wirtschaftlichen Erfolg und in der Folge mit Arbeitsplätzen. Hinten herum versprechen Sie sich das.

Ich sage Ihnen, das ist eine gefährliche Ideologie. Wir sind hier keine Vertreter einer Deutschland- oder einer BayernAG, wir sind die gewählten politischen Repräsentanten, die sich auch und gerade um die Sorgen und Ängste von Menschen Gedanken machen und Lösungen anbieten müssen. Deshalb gibt es für uns GRÜNE die Förderung ökonomischer Freiheit nur unter den Bedingungen einer sozialen Demokratie und unter der Akzeptanz ökologischer Grenzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir werden uns deshalb nicht von dem sozialen Gerechtigkeitsanspruch und vom Prinzip der ökologischen Nachhaltigkeit verabschieden – im Übrigen auch deshalb nicht, weil sozialer Ausgleich und ökologische Nachhaltigkeit langfristig ökonomisch ebenfalls der klügere Weg sind. Sie sind zentrale Voraussetzungen für Wohlstand und Wachstum und auch für neue Arbeitsplätze.

Kommen wir noch einmal zum Thema Nachhaltigkeit: Wenn man Ihre Verlautbarungen liest und hört, mit welcher Verve Sie auf die GRÜNEN eindreschen, könnte man geradezu meinen, umweltpolitische Maßnahmen seien die Wachstumsbremse schlechthin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gegenteil ist richtig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Umwelt ist heute einer der entscheidenden Produktions- und Arbeitsplatzfaktoren. Sie dagegen fahren Kampagnen gegen die erneuerbaren Energien. Sie wollen Energiepreise senken, dem Klimaschutz Ade sagen. Die exzellente Politik, um einen von Ihnen überstrapazierten Begriff zu verwenden, von Rot-Grün im Bund ist der Grund dafür, dass wir in Deutschland heute unbestritten weltweiter Vorreiter auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien sind.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf des Abgeordne- ten Thomas Kreuzer (CSU))

Das schafft auch Arbeitsplätze. Es schafft grüne Arbeitsplätze für die Zukunft. Deshalb ist der Weg, den wir in der Energiepolitik gehen, richtig, ökologisch nachhaltig und ökonomisch erfolgreich.

(Dr. Otmar Bernhard (CSU): 5,2 Millionen Arbeitslose!)

Nicht nur mit der Gesundheitsreform, sondern auch mit der Einführung der ökologisch-sozialen Steuerreform, lieber Herr Kreuzer, haben wir Spielräume für die Senkung der Lohnnebenkosten geschaffen. Sie reden doch ganz gern davon. Deshalb darf ich an dieser Stelle eine oder zwei Zahlen nennen: In den Jahren des Reformstillstandes der CDU/CSU-Bundesregierung von 1982 bis 1998 sind die Lohnnebenkosten in Deutschland von 34 auf 42 % gestiegen. Sie haben zusätzlich die Kosten der deutschen Einheit auf dem Rücken der Arbeitnehmer und ihrer Arbeitsplätze abgeladen. Diese Finanzierung des Aufbaus Ost mindert seither nachhaltig auch das Wachstum in Deutschland. Und jetzt fordern Sie uns auf, die Lohn

nebenkosten zu senken und mehr für Wachstum zu tun. Das hat mit Glaubwürdigkeit nichts zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Senkung der Lohnnebenkosten ist diese rot-grüne Regierung als erste Regierung im Bund angegangen. Mit Hilfe der Ökosteuer sorgen wir nicht nur dafür, dass die Umwelt geschont wird, sondern auch dafür, dass der Rentenbeitrag unter 20 % bleibt.

Wie wollen Sie denn die Lohnnebenkosten senken? Sie schlagen vor, bei den Förderprogrammen für Arbeitslose 11 Milliarden Euro einzusparen, um die Kosten der Arbeitslosenversicherung um 1,5 Prozentpunkte zu senken. Wissen Sie eigentlich, dass Sie dabei über Hunderttausende Betroffene reden, die Sie nach Hause schicken wollen? Eine solche Politik, die allein bei den kleinen Leuten ansetzt und allein von den Kleinen Solidarität fordert, machen wir nicht mit.

(Zurufe von der CSU – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Wir haben reagiert!)

Einig sind wir uns in der Absicht, die Bildung zu fördern – wir mit Taten, Sie mit Worten. Es kann doch nicht sein, dass unsere wichtigste Ressource, die nächste Generation in Bayern, vom Geldbeutel der Eltern abhängt.

(Thomas Kreuzer (CSU): Die Bundesregierung sollte zurücktreten!)