Protocol of the Session on February 16, 2005

Unabhängig von den individuellen Lösungen darf die Erziehung zur Demokratie nicht erst im Sozialkundeunterricht stattfinden, sondern sie muss schon sehr frühzeitig bei allen Kindern spielerisch eingeübt und später in der Schule fortgeführt werden. Kinder und Jugendliche müssen positive Erfahrungen sammeln können, damit ihre soziale und kulturelle Kompetenz gefördert werden kann. Für ausgesprochen wichtig – das kennen Sie vielleicht auch von Ihren eigenen Kindern – halten wir die EmpathieEntwicklung; das heißt, die Kinder müssen lernen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Wer sich einmal näher mit dem Innenleben von Rechtsextremisten auseinander gesetzt hat – es gibt sehr aufschlussreiche Interviews darüber, ich weiß nicht, ob Sie sie kennen –, wird entsetzt sein über die Seelenlosigkeit und die Unfähigkeit

dieser Menschen, Schmerz, Trauer, aber auch Liebe für andere Menschen zu empfinden.

Jetzt werden Sie vielleicht sagen, dass sei doch nichts Neues, das würden Sie alle schon kennen. Ich gebe Ihnen dabei sogar Recht. Das, was wir bisher als „gute Eltern“ oder als „gute Lehrer und Lehrerinnen“ im Bauch gefühlt haben, ist jetzt auch mit dem Kopf wissenschaftlich bewiesen worden. Es muss mit politischen Entscheidungen begleitet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Um eine individuelle Förderung leisten zu können, brauchen wir kleinere Gruppen in den Kindergärten und kleinere Klassen in den Schulen. Eltern, die überfordert sind, müssen wir unterstützen. Wir müssen Erziehern und Erzieherinnen sowie Lehrern und Lehrerinnen das entsprechende Rüstzeug an die Hand geben. Das Kultusministerium hat schon erkannt, dass hier Handlungsbedarf besteht. Deshalb wird es unter seiner Federführung gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung am Wochenende in Nürnberg eine Tagung zum Thema Rechtsextremismus geben. Dort wird unter anderem auch die Frage behandelt, welche Möglichkeiten Lehrer und Lehrerinnen haben. Es stimmt nicht, dass das Ministerium die Probleme gar nicht erkennen würde. Wenn wir uns aber einig sind, dass Handlungsbedarf besteht, frage ich mich, warum wir immer noch nicht in die richtige Richtung gehen.

Wir sind uns sicher ebenfalls darin einig, dass eine Tagung nicht ausreicht, sondern dass wir unabhängig von der aktuellen Tagespolitik kontinuierlich am Thema Rechtsextremismus arbeiten müssen.

Meine Herren und Damen, Springerstiefel sind kein Ersatz für Zuwendung und Wärme. Unabhängig davon, wie die Abstimmung zu unserem Entschließungsantrag ausgeht, sind wir gerne bereit, uns an einer gemeinsamen Resolution des Landtages zu beteiligen. Wenn Sie unseren Antrag ablehnen, freuen wir uns auf Ihre Vorschläge.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als Nächste hat Frau Kollegin Dodell das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegen vom BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN, Sie machen es sich in vielen Punkten schon zu einfach. In der Analyse Ihres umfangreichen Antrags können wir noch übereinstimmen, auch wenn Sie vieles zwar unvollständig, aber doch richtig analysieren. In den Konsequenzen und in der Logik Ihres Antrags und Ihrer Ausführungen stimmen wir aber nicht überein. Wer sich Ihren Dringlichkeitsantrag aufmerksam durchliest, wird mit einer Fülle von Forderungen und Vorschlägen konfrontiert. Ich glaube, allein zehn oder zwölf Mal wird in dem Antrag die Forderung nach mehr emotionaler Erziehung erhoben, was immer damit auch gemeint ist. Das, was Sie hier fordern, wird in Bayern in vielfältiger Weise bereits praktiziert. Wir haben in Bayern die geringste Ar

beitslosigkeit, das höchste Wachstum und eine nachhaltige und konsequente Haushaltspolitik.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Eine tolle emotionale Erziehung! Sind das eure Emotionen?)

Wir führen tatsächlich Reformen durch, und deshalb sind Wahlerfolge rechtsextremer Gruppen in Bayern kein Thema. Wir verharmlosen nichts. Wir nehmen die Anliegen und Sorgen der Bürger ernst.

(Margarete Bause (GRÜNE): Wenn Sie sich da mal nicht täuschen!)

Wir haben keinen Anlass, entsprechend Ihren Anträgen Veränderungen herbeizuführen. Diesen Anlass haben wir nicht.

Ich werde auf einige wenige Punkte Ihres Antrags eingehen, weil in 15 Minuten gar nicht alle Punkte abzuhandeln sind. Sie fordern zum Beispiel strenges polizeiliches Vorgehen gegen rechtsextremes Handeln. Das ist in Bayern seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit. Wir sind Vorbild für viele andere Länder. Ihre Forderung nach mehr Repression durch die Polizei und die Sicherheitsbehörden sind an die falsche Adresse gerichtet. Sie müssen diese Forderungen an Ihre eigenen Kollegen in Berlin richten.

Sie fordern familiäre Hilfsangebote und sozialpädagogische Begleitung. Auch das ist in ausreichendem Maß vorhanden. Von den Jugendämtern werden diese Maßnahmen in sehr verantwortungsvoller Weise umgesetzt.

Sie fordern Ausbildungsplätze für Jugendliche. Nirgendwo gibt es davon eine bessere Bilanz als in Bayern.

Sie fordern eine frühkindliche Stärkung im Kindergarten. Auch das praktizieren wir seit vielen Jahren. Mit der Einführung des Erziehungs- und Bildungsplanes sind wir auf dem besten und auch auf dem richtigen Weg, das zu verstärken, was Sie fordern.

Sie fordern „Herzensbildung“ in der Schule und beklagen sich über – so heißt es in Ihrem Antrag – „blinde Flecken bei der Definition von Bildung“. Liebe Kolleginnen und Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ich würde Ihnen empfehlen, einmal den Artikel 131 der Bayerischen Verfassung durchzulesen. Seit vielen Jahren haben wir es verfassungsrechtlich verankert, dass die Schulen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden. Die obersten Bildungsziele sind unter anderem Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen. Schüler sind im Geiste der Demokratie und auch im Sinne der Völkerverständigung zu erziehen. Genau die Maßnahmen, die Sie fordern, werden in vielfältiger Form tagtäglich in unseren Schulen und Bildungsstätten umgesetzt, und das schon viel länger, als es die GRÜNEN überhaupt gibt. Wir brauchen hier keinen Nachhilfeunterricht.

Viele Maßnahmen, die Sie in Ihrem Antrag fordern, werden in Bayern bereits realisiert. Von ausgefeilten Aussteigerprogrammen für rechtsradikale Jugendliche bis hin zu konkreten Handreichungen für Lehrer, vom Schüleraustausch mit mehr als 50 000 Austauschbegegnungen mit

89 Ländern pro Schuljahr bis hin zum Zeugen- und Opferschutz, von der Jugendsozialarbeit bis hin zu Sprachlernklassen und vom Streitschlichterprogramm bis hin zu Programmen des Bayerischen Jugendringes wird alles das, was Sie mit Ihrem Antrag fordern, in Bayern bereits praktiziert.

Sehr bedenklich finde ich die Gesamtlogik Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen. Daraus geht Ihre Denkweise eigentlich erst hervor. Eine erste Logiklinie Ihres Antrags heißt: Rechtsextremismus gründet im Wesentlichen auf Fremdenfeindlichkeit. Wer also zu wenig emotional und demokratisch erzogen oder gestärkt wurde, wird schneller fremdenfeindlich und damit anfällig für den Rechtsextremismus. Das ist Ihre Logik. Nach Ihrer Auffassung braucht man nur genügend Weltoffenheit, Toleranz, „Multikulti“ und das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in rosaroten Farben zu schildern, und dann ist schon alles gut. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:

Das Verständnis für andere Kulturen ist in einer global ausgerichteten Welt ein wesentlicher Bestandteil zur Wahrung des inneren und äußeren Friedens, die Bereitschaft zur Integration der Schlüssel zu einer offenen, humanen und demokratischen Gesellschaft.

Das, was Sie da beschreiben, mag ja recht und schön sein, aber wer die Probleme nicht klar beim Namen nennt, sondern sie zudeckt mit einer Soße „Habt euch alle lieb“, der handelt unverantwortlich und provoziert neue Probleme. Die tragischen Entwicklungen in unserem Nachbarland Niederlande zeigen eigentlich ganz deutlich, wohin das führen kann.

Wir müssen uns doch alle miteinander ernsthaft die Frage stellen: Warum werden Jugendliche anfällig für Parolen der Rechtsextremen? Ich denke, da ist zuerst die Lücke zu nennen, die entsteht, wenn sich niemand um Kinder und Jugendliche kümmert, wenn sie zu Hause keine Gesprächspartner haben oder mit Arbeitslosigkeit bzw. Finanznot der Eltern konfrontiert werden, wenn ihre Sorgen nicht ernst genommen werden.

Ich frage mich immer – und das meine ich sehr ernst –: Wie fühlen sich denn zum Beispiel deutsche Kinder in einer Klasse, in der sie selbst in der Minderheit sind? Wie fühlen sich denn deutsche Mädchen in einem Stadtviertel, das von Ausländern dominiert wird, die dann die Regeln des Zusammenlebens bestimmen? Wie fühlen sich denn junge deutsche Erwachsene, die hohe Steuern und Abgaben leisten und miterleben müssen, wie der gleichaltrige Ausländer in der Nachbarschaft munter Geld aus Hartz IV bezieht? Wie fühlen sich denn deutsche Frauen, die ständig miterleben, wie ihre ausländischen Mitbürgerinnen in ihren alltäglichen Grundrechten durch die eigenen Männer verletzt werden? Wie fühlen sich denn Deutsche, die erleben, dass sich quasi in der Nachbarschaft ausländische Parallelgesellschaften entwickeln und radikalisieren? Wie fühlen sich denn deutsche Arbeitnehmer,

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Und wie lösen wir das Problem?)

die bei 5 Millionen Arbeitslosen in harter Konkurrenz um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen und erleben müssen, dass Rot-Grün die Zuwanderung noch forciert?

Das war vor 30 Jahren anders, meine Damen und Herren, als die erste Welle der Gastarbeiter nach Deutschland kam. Da herrschte Vollbeschäftigung, da gab es diese Konkurrenz um jeden einzelnen Arbeitsplatz nicht.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Was ist die Lösung?)

Ich sage es Ihnen dann schon.

Wie fühlen sich denn Deutsche, wenn sie sehen, dass eine jahrelange Zuwanderung in unsere Sozialsysteme besteht? Ich nenne dazu einige Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen: In den Jahren 1973 und 1974 haben in Bayern – ich habe nur die Zahlen für Bayern; aber ich denke, dass sie im Bund noch viel deutlicher sind – 660 000 Ausländer gelebt. Davon war gut die Hälfte, nämlich 376 000, sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Jahr 2004 hat sich die Zahl der in Bayern lebenden Ausländer auf 1,2 Millionen verdoppelt. Aber die Zahl der versicherungspflichtig beschäftigten Ausländer ist auf 330 000 zurückgegangen. Das heißt: Nur noch ein Viertel der hier lebenden Ausländer ist in Beschäftigung. Das ist sozialer Sprengstoff, den Sie einfach wegdiskutieren.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Haben Sie eigentlich schon mitgekriegt, dass wir in Europa leben? Da muss man aus dem Mittelalter heraus!)

Ich frage Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

(Abgeordneter Werner Schieder (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Keine Zwischenfragen. – Wie fühlt sich denn Deutschland, wenn Ihre Vorzeigepolitiker Fischer und Volmer – das müssen Sie sich schon anhören – zuerst angewiesen haben, dann zugeschaut haben und vielleicht mit dubiosen Geschäftspartnern auch noch zugelassen haben, dass jahrelanger Visa-Missbrauch stattgefunden hat,

(Beifall bei der CSU)

dass unter diesen Hunderttausenden von Menschen, die in den europäischen Westen gekommen sind, auch Kriminelle, Menschenhändler, Zuhälter, Schwarzarbeiter eingereist sind, die nicht auf Integration aus waren, sondern auf krumme Geschäfte auf Kosten anderer? Wie fühlen sich denn unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger angesichts dieser Realitäten, die man nicht totschweigen darf, die Sie zwar überhaupt nicht erwähnen, die Sie aber mit zu verantworten haben? Diese Tatsachen müssen wir durch konsequentes politisches Handeln aufarbeiten.

Ich kann Ihnen sagen, wie sich diese Leute fühlen: Es wächst Unverständnis, es wächst das Gefühl der Ungerechtigkeit, des Neides, es wachsen Ängste und der Zorn. Das ist der beste Nährboden für Rechtsextremismus. Und

Sie sagen den Leuten dann: Habt euch alle lieb, Multikulti schafft Frieden, alles wird wieder gut. – Das halte ich für brandgefährlich.

Ich sagen Ihnen noch etwas sehr deutlich, auch wenn Sie es nicht hören wollen: Unser Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber hat Recht, wenn er sagt, dass die Massenarbeitslosigkeit eines der Hauptprobleme ist und unsere Gesellschaft spaltet.

(Beifall bei der CSU)

Er hat Recht, wenn er sagt, dass Rot-Grün verantwortlich ist für mehr Armut in diesem Lande, dass die verheerende Arbeitslosigkeit die ganze Gesellschaft beschädigt und die Fundamente unseres Staates und unserer Demokratie gefährdet. Er hat Recht, wenn er sagt, dass Menschen, die keine Chance und Perspektive für sich mehr sehen, anfällig für die Parolen von Rechts und im Übrigen auch von Links sind. Er hat Recht – und da sind wir wieder beieinander –, wenn er sagt, dass wir alle als Demokraten gegen diese Extremisten zusammenstehen müssen. Aber ich denke, die Wege, die Sie sehen, und die Wege, die wir sehen, sind durchaus sehr unterschiedlich. Wir als CSU sehen für uns keinen Nachholbedarf. Wir gehörten zum Beispiel mit zu den ersten, die das NPD-Verbot gefordert haben.

(Margarete Bause (GRÜNE): Und die dazu beigetragen haben, dass es gescheitert ist!)

Ich sage aber auch klar und deutlich, weil ich Realist bin, dass ein NPD-Verbot das Problem nicht an der Wurzel packen wird. Entscheidend ist vielmehr, dass wir die politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus aufnehmen, und dabei sind Ihre Rezepte, soweit ich bis jetzt gehört habe, doch untauglich. Wir müssen allen Bürgern und vor allen Dingen den Jugendlichen, die auf der Suche nach Sinn sind, sagen, dass Extremisten nichts zu bieten haben, kein Konzept, keine Problemlösung. Wir müssen die Ursachen für den Extremismus immer klarer benennen und bekämpfen. Eine der wesentlichen Ursachen, warum die Rechtsextremisten, die es eigentlich immer gegeben hat, jetzt wieder so viel Gehör finden, ist auch eine gewisse Protesthaltung. Wenn Sie sich diese Leute genauer anschauen, sehen Sie, dass jetzt auch gehobenere, intellektuellere Leute dabei sind, die zwar einen aus meiner Sicht demokratisch nicht akzeptablen Weg wählen, die aber keinen anderen Weg für ihren Protest finden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Massenarbeitslosigkeit, der Verlust und die Sorge um den Arbeitsplatz, vor sozialem Abstieg, das Protestverhalten und die Flucht in die Unterstützung extremistischer Parteien fördern.

Das war bis jetzt immer politische Übereinstimmung. Aber wenn Sie diese Dinge zu hören bekommen, brechen Sie in das große Wehklagen aus, dass das alles nicht richtig sei. Dennoch müssen wir uns genau mit diesen Fragen auseinandersetzen.

In Ihrem Antrag habe ich eine zweite Schiene erkannt, und auch diese Logik greift zu kurz: Sie sagen nämlich, immer mehr staatliche Erziehung, immer mehr Psychologen, Pädagogen und Ganztagsschulen erziehen die Kinder emo

tional und machen sie zu stabilen Demokraten, machen sie zu toleranten Menschen, die gefeit sind gegen Rechtsradikalismus. Auch diese Logik springt aus meiner Sicht zu kurz. Viele Kinder sind früher in der DDR in Ganztagsschulen staatlich erzogen oder betreut worden. Das Ergebnis ist: Der Anteil der Rechtsextremisten gerade in den neuen Bundesländern ist besonders hoch. Dort sind die Unsicherheiten und Ängste ausgeprägt.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Die Wende war schon 1989! Wissen Sie, wie lange das her ist? Da sind die doch erst geboren worden!)