Protocol of the Session on February 16, 2005

Ich sage Ihnen: Das führt dazu, dass Sie diesen Sozialstaat auf den Prüfstand stellen und fünf Millionen Arbeitslose dazu benutzen, Handlanger der Arbeitgeber zu sein und den Sozialstaat zu dezimieren, den im Übrigen Ihre Vorväter mit aufgebaut haben. Die Vorväter haben das Soziale offensichtlich noch mehr in ihren Gedanken gehabt. Das ist bei Ihnen heute nicht mehr der Fall. Solche Gedanken muss man Ihnen abstreiten, wenn man im Kontext sieht, was Sie vorhaben. Sie sind zutiefst arbeitnehmerfeindlich, sitzen beim Arbeitgeber auf dem Schoß und versuchen, mit den Arbeitgebern und der Zahl der Arbeitslosen diesen Staat neu so aufzustellen, wie es Ihrer Richtung passt. Dazu werden Sie uns nicht kriegen, wir werden dazu nicht die Hand reichen.

Kolleginnen und Kollegen, Sie sollten sich eines gut überlegen. Wir haben heute über Rechtsradikalismus diskutiert. Wenn man dem Gedankengut Ihres Parteivorsitzenden folgt, wonach Menschen, die verunsichert sind, in die Richtung des Rechtsradikalismus gehen, dann dürfen Sie sie mit der Aufhebung des Kündigungsschutzes nicht noch weiter verunsichern. Sonst sind Sie Zuträger der Rechten.

(Zurufe von der CSU)

Das müssen Sie sich so gefallen lassen

(Anhaltende Zurufe von der CSU)

Das ist ernst gemeint.

(Anhaltende Zurufe von der CSU)

Ihr Ministerpräsident behauptet: Die Verunsicherung treibt die Menschen nach rechts.

(Lebhafte Zurufe von der CSU – Glocke des Prä- sidenten)

Kündigungsschutz ist doch Schutz vor Unsicherheit im Leben. Tarifabsicherung ist Schutz für Menschen.

(Zurufe von der CSU)

Ja, ich glaube schon, dass Ihnen das nicht gefällt. Mir würde es an Ihrer Stelle auch nicht gefallen, wenn man Ihnen den Spiegel vorhält, Herr Spaenle.

(Zurufe von der CSU)

Sie haben den Spiegel vor Augen. Was Sie mit solchen Maßnahmen anrichten, ist gefährlich. Deshalb fordern wir Sie auf, diesen Unfug endlich bleiben zu lassen.

Ich sage Ihnen noch etwas dazu. Sie springen ja auf den Henzler-Zug auf. Was Sie weiter fordern, muss man im Kontext lesen. Dies vergessen Sie immer, weil Sie von der Arbeitswelt offensichtlich keine Ahnung haben.

(Zurufe von der CSU)

Ja, ich schon. Ich habe mein Leben lang gearbeitet und war Betriebsrat. Ich kann Ihnen sagen, was in einem Betrieb abläuft, Sie nicht.

Kolleginnen und Kollegen, Sie können sich jetzt noch so aufregen, Fakt ist: Sie wollen das Arbeitssicherheitsgesetz ablösen, die Gewerbeaufsicht wird von Ihnen dezimiert und zurückgepfiffen, und zwar seit Monaten und Jahren. Seit Jahren wird die Gewerbeaufsicht zurückgehalten. Ich kann das beweisen; denn wir haben die Antworten auf Schriftliche Anfragen, dass die Gewerbeaufsicht nicht mehr tun kann, was sie tun will. Sie wollen jetzt auch noch die Berufsgenossenschaften infrage stellen. Ja, was wollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie die Arbeitnehmer als Freiwild auf den Markt der Arbeitslosen treiben? - Sie nutzen die Zahl der Arbeitslosen, um diesen Sozialstaat zu zerstören! Das müssen Sie endlich begreifen, wenn Sie sich zum Handlanger der Arbeitgeber machen lassen.

Kolleginnen und Kollegen, wenn man das im Kontext sieht, was Sie hier anrichten wollen, dann sage ich Ihnen: Streichen Sie das Wort „sozial“ aus Ihrem Parteinnamen. Über das Wort „christlich“ mag ich bei Ihnen gar nicht reden; denn Sie wissen, glaube ich, sowieso nicht, was das ist. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam diesen Antrag beschließen, damit unterbleibt, was die Henzler-Kommission ohne die Betroffenen zu Papier gebracht hat. Offensichtlich ist ein Teil Ihrer Fraktion wild entschlossen, dies umzusetzen.

Meine Bitte ist: Stimmen Sie diesem Antrag zu und verhindern Sie diesen Unfug, vor allem die Verunsicherung der Menschen unter dem Aspekt, den ich Ihnen sehr deutlich beschrieben habe.

Nun hat das Wort Herr Kollege Peter Winter, Unterfranken.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wörner, ich habe auch mein Lebtag gearbeitet, aber ich habe versucht, dies nicht mit Polemik zu machen und mit bösen Unterstellungen. Lesen Sie nach, was Herr Müntefering den Ortsvorsitzenden schreibt, und sparen Sie sich die billige Polemik gegen unseren Ministerpräsidenten, der im Großen und

Ganzen eine wesentlich bessere Arbeitsbilanz vorlegen kann als Ihr Herr Schröder, der sich irgendwann einmal an der Zahl der Arbeitslosen messen lassen wollte. Gehen Sie diesen Dingen nach, dann sind Sie besser bedient, als wenn Sie hier Bösartigkeiten verbreiten. Das bringt nämlich nichts und hilft keinem Arbeitslosen weiter.

(Beifall bei der CSU)

Ansonsten hätte ich mir bei Ihrer Wortgewaltigkeit, die Sie immer so hervorragend dokumentieren, gerne etwas über die fünf Millionen Menschen gehört, die arbeitslos sind. Lesen Sie die Protokolle von 1997 nach, was Frau Renate Schmidt damals ausgeführt hat, als es auch so viele Arbeitslose gab. Daran sollten Sie sich orientieren, daran arbeiten und darauf verzichten, bösartige Angriffe auf diejenigen zu richten, die Rezepte haben, um dieses Problem zu lösen. Sie wenden Sie ja nicht an, haben die Arbeitslosen vergessen und kümmern sich nicht um sie.

(Zustimmung bei der CSU)

Vor diesem Hintergrund kann ich nämlich diesen Antrag überhaupt nicht verstehen. Sinn und Zweck der Initiative ist es, mehr Handlungs- und Freiräume zu schaffen, damit wieder Arbeitnehmer eingestellt werden können.

Schauen Sie nach Dänemark; dort haben Sozialdemokraten lange die Regierung gestellt. Dort gibt es 5 % Arbeitslose. Vielleicht orientieren Sie sich einmal daran und informieren sich dort, wie man die Dinge in den Griff bekommt. Die rechtlichen und bürokratischen Bedingungen müssen so geändert werden, dass Betriebe wieder Mitarbeiter einstellen, ohne dabei das Risiko einzugehen, bei sich verändernder wirtschaftlicher Lage nicht mehr die notwendigen Entscheidungen treffen zu können. Dass wir nach wie vor bei der Wirtschaftsentwicklung zu den Schlusslichtern innerhalb Europas gehören, auch dazu hätten Sie etwas sagen können. In Deutschland können aufgrund der Überregulierung Arbeitsplätze nur unter erschwerten Bedingungen entstehen. Durch die fehlende Flexibilität des Arbeitsmarktes können vor allem unsere mittelständischen Unternehmen nicht auf die Herausforderungen der Globalisierung und der erweiterten EU – hier sind wir in Bayern besonders stark betroffen – reagieren. Hohe finanzielle Belastungen durch Abfindungen oder die Kosten eines Arbeitsgerichtsprozesses können kleine Betriebe in der Regel nicht verkraften.

Der Entwurf des Gesetzes zur Entlastung von Kleinunternehmen ist am 25.09.2004 in den Bundesrat eingebracht worden. Nachdem seitens der Bundesregierung ein Arbeitsrechtsmodernisierungsgesetz vorlag, wurde das Gesetz zurückgestellt und im Vermittlungsausschuss behandelt. Alle Beteiligten haben hier einvernehmlich festgelegt, dass der Kündigungsschutz für Neueinstellungen bei Betrieben bis zu zehn Mitarbeitern gelockert wird.

Der Vorschlag der Henzler-Kommission bezieht sich auf Betriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern, das heißt, die Zahl von 44 000 Betrieben, die in Bayern von der jetzigen Regelung profitieren, könnte durch den Vorschlag der Henzler-Kommission nochmals um 32 000 Betriebe erhöht werden,

was positive Auswirkungen auf die Einstellungsbilanz haben würde.

Außerdem ist es vor dem Hintergrund der Tatsache, dass 94 % der bayerischen Betriebe weniger als 20 Mitarbeiter haben und diese Betriebe der Motor der bayerischen Wirtschaft sind und dazu noch über 30 % der Ausbildungsleistung erbringen, mehr als geboten, hier weitere Impulse zu geben.

Die Vorschläge der Henzler-Kommission können ein positives Signal sein, den dringend erforderlichen Abbau der Arbeitslosigkeit endlich einzuleiten. Die Vorschläge der Kommission haben ja sinnigerweise auch bei der SPD auf Bundesebene Zustimmung erfahren und sind sogar in Rechtsverordnungen der Bundesregierung eingeflossen; dies zeigt also doch, dass diese Vorschläge nicht so falsch sein können. Wenn Sie uns kritisieren, kritisieren Sie damit vor allem die SPD auf Bundesebene.

Die geltenden Arbeitnehmerschutzrechte dienen zwar den Arbeitsbesitzern, helfen aber in keiner Weise den Arbeitslosen, und die brauchen derzeit unsere Unterstützung und unser Augenmerk, um die gegenwärtige Krise zu überwinden. Um die Abwärtsspirale aus niedriger Beschäftigung, niedrigem Wachstum, die steigenden Soziallasten und hohen Haushaltsdefizite zu durchbrechen, braucht Deutschland Reformen, die eine Perspektive bieten und Vertrauen in die Zukunft des Landes schaffen. Neben wirtschaftspolitischen und steuerpolitischen Reformen muss Hauptbestandteil ein Reformkonzept zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sein. Nur grundlegende Reformen, die die Überregulierung in den Bereichen Kündigungsschutz, Befristung und Zeitarbeit abbauen, können zu einem nachhaltigen Fortschritt führen.

Vor diesem Hintergrund und im Interesse von über 5 Millionen Arbeitslosen – vielleicht sind es auch 7 Millionen Menschen – werden wir Ihren Dringlichkeitsantrag ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Hallitzky.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wesentlichen Aussagen der Henzler-Kommission – ich erwähne nur den Verzicht auf Tarifbindungen und die Streichung des Kündigungsschutzrechtes in der Mehrzahl der Betriebe, das hat ja Herr Winter gerade auch angesprochen - sind in zweifacher Hinsicht gefährlich. Gefährlich sind sie zum einen inhaltlich, weil die weitgehende Abschaffung der bestehenden deutschen Arbeitsmarktordnung damit verbunden wäre, und zum anderen sind sie politisch gefährlich, weil diese einseitigen Empfehlungen in ihrer Radikalität – Sie stehen im Prinzip auch dazu, dass sie einseitig und radikal sind – eine Blaupause für das sind - das hat auch eben die Diskussion gezeigt -, wie die CSU in Bayern mit dem Problem und mit ihren eigenen Beschäftigen umzugehen gedenkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt sehr klar, dass Sie die Schutzrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht für besonders wichtig ansehen und dass Sie bereit sind, in diesem Lande einen ruinösen Wettbewerb der Arbeitsbedingungen und der Entgelte nach unten zu öffnen. Dabei sollten auch Sie langsam begreifen, dass der soziale Ausgleich zwischen Reich und Arm auch und gerade mit den Mitteln der Arbeitsmarktpolitik eine zentrale Voraussetzung ist für Wohlstand und Wachstum in der Gesellschaft. Das zeigen auch Ländervergleiche, die Sie zur Kenntnis nehmen können oder auch nicht.

Die Stabilität in den Arbeitsbedingungen ist ein wesentlicher Produktivitätsfaktor. Wir hatten eben die Diskussion zum „Angstsparen“. Es gibt auch bei der Produktivität so etwas wie Angst oder eine Behinderung der Produktivität durch Angst, indem man die Schutzstandards für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen abbaut.

Gerade in unserer Arbeitsmarktordnung erfüllen diese Stabilitätsanker wegen der großen Zahl von Arbeitslosen eine sehr wichtige Funktion. Man sollte hier nicht den Shareholder-Value-Ideologien hinterherlaufen und glauben, wenn man alles liberalisiert und flexibilisiert, wird es schon besser werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit Ihren Überlegungen würden Sie unsere Arbeitsmarktordnung nicht reformieren, sondern sturmreif schießen. Sie machen sich – das Wort ist verboten, aber leider fällt mir jetzt kein anderes ein – zum Büttel der Kapitaleigner, der Ackermänner, die heute schon, egal wie hoch die Rendite ist, den Hals nicht voll kriegen und ihre Betriebsräte erpressen und sagen, der Standort muss noch mehr Rendite erreichen, egal, auf welchem Niveau wir stehen, sonst verlagern wir unsere Produktion.

(Unruhe und Zurufe von der CSU)

Diesen Ackermännern durch eine weitere radikale Schwächung der Arbeitsschutzrechte den Weg zu bereiten, ist weder christlich noch sozial und schon gar nicht volkswirtschaftlich vernünftig. Es ist nicht produktiv. Wir lehnen es ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lieber Kollege Winter, sie haben eben das Land Dänemark angesprochen. Es ist richtig; dort gibt es praktisch keinen Kündigungsschutz. Es ist aber auch richtig, dass das System in Dänemark nur deshalb funktioniert, weil es einen Dreiklang gibt. Es gibt eine hohe Absicherung im Falle der Arbeitslosigkeit, und es gibt den Anspruch, sehr schnell in Programme hineinzukommen, die eine Wiederbeschäftigung sichern. Beides ist in Deutschland nicht gegeben, und deswegen ist auch die Übertragbarkeit nicht gegeben. Wir haben die beiden Voraussetzungen für die Befreiung vom Kündigungsschutz nicht, also können wir ihn nicht einfach streichen. Deswegen ist auch diese selektive Auswahl von irgendwelchen internationalen Einzelposten nicht produktiv, wenn es darum geht, das Problem als Ganzes zu lösen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich nun auf einige Einzelforderungen der Henzler-Kommission eingehen. Zunächst zum Stichwort Arbeitszeitflexibilisierung. Heute weiß jeder, der sich mit der Materie beschäftigt, dass die Tarifparteien sehr flexible Arbeitszeiten aushandeln können und das auch tun. Sie tun es tatsächlich, und durch Jahresarbeitszeitkonten kann die wechselnde Auftragslage sehr gut bearbeitet werden.

Stichwort Teilzeitarbeit: Die Forderung bei Henzler, dass der Anspruch auf Teilzeitarbeit entfallen soll, ist sachlich nicht begründbar, ja kontraproduktiv. Aber vielleicht – das stelle ich jetzt einmal so in den Raum – geht es Ihnen da eher um das Wiederauflebenlassen einer konservativen Familienidylle, dass in Zeiten knapper Arbeitsplätze die Männer doch eher den Arbeitsplatz haben sollen und die Frauen, die oft Teilzeitarbeitsplätze haben, in Richtung Heim und Herd geschoben werden.

Gefährlich ist Ihr Angriff auf die Tarifautonomie, Ihr Bestreben, Betriebsräte in Teilen gegen die Tarifvertragsparteien in Stellung zu bringen. Das deutsche Tarifvertragssystem ist flexibel genug, um auf die neuen Herausforderungen der Globalisierung zu reagieren. Schon heute kann von Tarifvertragsbedingungen abgewichen werden, wenn sie für die einzelnen Beschäftigten günstiger sind – das ist sowieso klar –, aber auch dann, wenn die Tarifparteien dem zustimmen. Das ist in der Vergangenheit schon oft der Fall gewesen. Wir finden das auch in der Gegenwart sehr häufig, gerade dann, wenn dadurch Arbeitsplätze gesichert und Unternehmen in Not geholfen werden kann.