Protocol of the Session on December 16, 2004

Pisa, aber auch, wie ich meine, unsere Bildungsstudie bestätigen, dass in Bayern gilt: Zeig mir deine Eltern, und ich sage dir, welche Chancen du hast. Wir haben in der Aktuellen Stunde über den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen diskutiert. Ein Fakt ist, wie ich meine, dabei sehr gut herausgekommen: Das bayerische Schulsystem ist nur in eine Richtung durchlässig, und zwar nach unten. Nach oben hat sich nichts verbessert. Die Übertrittsquote auf das Gymnasium ist seit Jahren konstant, und – ich meine, auch das gibt Anlass zur Besorgnis – das Gymnasium verliert von der fünften bis zur zehnten Klasse 30 % seiner Schülerinnen und Schüler. Das spricht nicht für die Qualität des bayerischen Gymnasiums.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

Eine weitere Erkenntnis aus Pisa lautet einfach: Erfolgreich sind die Länder, die eine längere gemeinsame Schulzeit haben. Lassen Sie mich dies einmal so wertfrei sagen. Sie sind nicht nur erfolgreich, sondern sie gewähren auch Kindern aus allen sozialen Schichten den Zugang zur Bildung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn man Benchmarking ernst nimmt, kann man aus meiner Sicht folgende Forderungen an ein Bildungssystem stellen:

Erstens. Das Kind steht im Mittelpunkt, und die Schule passt sich dem Kind an, nicht umgekehrt. Förderung beginnt schon im Kindergarten oder früher.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweitens. Die Selektion wird nach hinten verschoben. Die bayerischen GRÜNEN haben sich als erste Partei in Bayern für eine neunjährige gemeinsame Schulzeit ausgesprochen.

Drittens. Pädagogisch am sinnvollsten ist das Lernen in der Ganztagsschule. Deshalb brauchen wir zumindest ein flächendeckendes Angebot.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich darf Sie daran erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie haben im Ausschuss von Bedarfsdeckung gesprochen. Es hat sich so angehört, dass dies weniger als

Flächendeckung sei; denn Sie haben sich auch davor gescheut, Bedarfsdeckung zu definieren.

Viertens. Der Auftrag eines Bildungssystems lautet: Talente finden und fördern. Das heißt, das Kind wird mit all seinen Eigenschaften als Besonderheit betrachtet. Dieser Ansatz steht im Mittelpunkt. Vor allen Dingen auch die Gesinnung „Erfolg statt Druck“ spornt an.

Fünftens. Wir wollen eine Schule mit anderen Unterrichtsmethoden, in denen unsere Lehrerinnen und Lehrer die Chance haben, durch motivierende Unterrichtsmethoden zu zeigen, was sie alles können.

Sechstens. Leider fällt mir jetzt dafür kein parlamentstauglicher Begriff ein. Sie waren bei der Schulverwaltungsreform sehr feige.

(Heiterkeit der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE))

Ich habe es deswegen gesagt, damit das trotzdem im Raum steht.

(Margarete Bause (GRÜNE): Was steht im Raum?)

Wir wollen die eigenverantwortliche Schule. Wir wollen die selbstständige Schule, die gemeinsam mit den Akteuren der Region personelle und finanzielle Freiheit erhält, um ihr eigenes Profil zu gestalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich meine, wir können sehr gut auf die Schulaufsichtsbehörden verzichten,

(Beifall der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE))

die 24 Millionen Euro im Jahr an Personalkosten verursachen.

Siebtens. Politik muss endlich mit Reformen beginnen. In Bayern beschränkt sich die Einsicht auf Reformen auf eine handstreichartige Einführung des G 8, und sie verfolgt zudem noch ein falsches Motiv, das heißt: Wir müssen früher in die Sozialversicherung.

Wir müssen bei der gesamten Debatte eines beachten: Wenn wir heute beginnen würden, hätten wir die ersten Schulabgänge im Jahr 2013. Ich meine, es ist höchste Zeit, sich mit erfolgreichen Bildungssystemen auseinanderzusetzen. Deswegen, Herr Kollege Pfaffmann, finde ich Ihren Antrag über eine Anhörung zu europäischen Schulstrukturen wunderbar. Ich hätte nur noch die Anregung, zwei Kernforderungen aufzunehmen: Wir sollten uns Systeme anschauen, die weit oben dabei sind und die auch sozial gerecht sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Durchsagen: Erstens. Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hat bezüglich ihres Dringlichkeitsantrages „800 Lehrerinnen und Lehrer einstellen“ namentliche Abstimmung beantragt.

Zweitens. Die Niederschriften des zweiten Teils der heutigen Sitzung können Ihnen nicht mehr im Saal zugestellt werden. Das heißt: Wenn Sie sie noch vor Drucklegung korrigieren wollen, müssen Sie die gelben Formulare, die von mir aus gesehen links auf dem Rednerpult liegen, ausfüllen und dem Stenografischen Dienst übergeben; dann können Sie zu Hause korrigieren. Ansonsten werden Ihre Reden unkorrigiert in das Protokoll aufgenommen.

Wir fahren in der Rednerliste fort. Herr Kollege Waschler hat sich gemeldet.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum Einstieg habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Sie können eine Anhörung durchführen. Das steht Ihnen nach der Geschäftsordnung zu. Wir werden daran intensiv mitarbeiten. Dass wir das jedoch in der Form ablehnen, wie das Herr Kollege Schneider gesagt hat, brauche ich nicht weiter zu begründen. Wir werden uns die Gegebenheiten mit Ihnen sehr genau ansehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vorliegenden Dringlichkeitsanträge offenbaren in einer ganz besonderen Weise das Dilemma der Opposition in Bayern und das Dilemma der rot-grünen Bundesregierung in Deutschland. Sie wollen eigentlich Positives erreichen, sind aber – das muss ich leider feststellen – auf vielen Feldern gründlich mit Blindheit geschlagen. Das beginnt damit, dass Sie Äpfel mit Birnen vergleichen und endet mit Folgerungen, die schlicht und ergreifend falsch sind.

Ich stelle fest, Sie wollen die gewichtigen finanziellen Probleme des Landes, für die allein Rot-Grün im Bund die Verantwortung hat, ignorieren. Sie ignorieren die Gefahren, die uns durch Zinssteigerungen drohen und die steigenden Pensionen, die zwar verdient sind, aber den Staatshaushalt belasten. Außerdem ignorieren Sie unsere Belastungen durch die Beihilfe.

Das ist das Problem. Weil Sie nicht über den Tellerrand hinausschauen wollen, haben Sie keine tragfähigen Lösungen anzubieten. Obendrein stehen Sie mit den wissenschaftlichen und pädagogischen Grundlagen der Bildung seit Jahren auf Kriegsfuß. Auch ständiges Wiederholen macht falsche Aussagen und Folgerungen nicht richtiger. Ein Blick auf die Fakten war schon immer hilfreich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Tatsache ist, dass an den bayerischen Schulen von engagierten Lehrern Unterricht auf hohem Niveau erteilt wird. Herr Kollege Pfaffmann und Frau Kollegin Tolle, wenn die Medien Einzelfälle als repräsentatives Bild darstellen, ist das nicht redlich. Wir müssen die Gesamtsituation in Bayern betrachten. Da gibt es

Tatsachen, um die uns nachweislich auch die so genannten Pisa-Siegerländer beneiden. Ich rede damit nichts schön. Das sind einfach die Fakten. Wenn Sie behaupten, dass an den bayerischen Schulen ein Chaos vorhanden wäre, entspricht das nicht den tatsächlichen Gegebenheiten.

Bereits bei Pisa I hat Bayern bei den untersuchten Schularten einen Spitzenplatz eingenommen. Das wird auch bei Pisa II so sein. Frau Kollegin Tolle, Sie haben Ihre Frage sehr gut gestellt. Die länderspezifischen Ergebnisse sind noch nicht da. Man muss aber die Frage stellen, warum sie noch nicht da sind. Hat Rot-Grün da vielleicht seinen Einfluss geltend gemacht? Wir wären sehr daran interessiert gewesen, darüber etwas im Vorfeld der Föderalismuskommission zu erfahren; denn wir werden auch in dieser Studie eine Spitzenposition einnehmen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die bundesdeutsche Bildung leidet unter einigen Dingen erheblich. Hier ist zunächst einmal die gescheiterte Multi-Kulti-Kuschelpädagogik zu nennen. Diese ist ebenso gescheitert wie die Gesamtschule an sich. Sie haben die Frage gestellt, wo das Geld für den Spracherwerb sei. Frau Kollegin Tolle und liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün: Sie haben immer die Auffassung vertreten, dass es nicht notwendig sei, dass die Kinder die deutsche Sprache von Grund auf mit aller Energie erlernen. Auch später war das immer wieder von Ihnen zu hören. Diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen. In diesem Zusammenhang muss ich auch die Frage stellen: Warum wird denn beständig die segensreiche Einrichtung des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung über die Berufsoberschule und die Fachoberschule negiert, wenn von Pisa die Rede ist? Das sehen Sie einfach nicht.

Herr Kollege Waschler, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Tolle?

Frau Kollegin Tolle, Sie haben noch genügend Redezeit. Ich muss in der mir zur Verfügung stehenden Redezeit versuchen, meine Argumentation zu Ende zu führen.

Wären die Pisa-Resultate in anderen Ländern so gut wie in Bayern, bräuchten Sie in Ihrem Antrag nicht schlechte deutsche Ergebnisse zu beklagen. Ich bedaure, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD nicht da ist; denn er hat in den vergangenen Wochen einiges an bildungspolitischer Kompetenz vermissen lassen. Ich könnte hier noch einiges zur gesamtdeutschen Situation sagen.

Im Hinblick auf die finanzpolitische Seite darf ich mit Blick auf Bayern feststellen, dass wir ab dem Jahr 2006 im Interesse unserer Kinder keine weiteren Schulden machen werden und Prioritäten bei der Wissenschaft und der Schule setzen. Ich stelle fest: Ohne den Einsatz der Privatisierungserlöse ist der Gesamthaushalt in den Jahren 1999 bis 2004 um 6 % gestiegen, der Schulhaushalt stieg dagegen um 19 %. In anderen Ländern Deutschlands sieht es ganz anders aus. Herr Kollege Pfaffmann, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, abgekürzt INSM, hat kürzlich einen Bund-Länder-Vergleich der

Schulsysteme vorgelegt. Dieser wurde diesmal nicht in der „FAZ“, sondern im „Münchner Merkur“ vom 27. November 2004 zusammenfassend wie folgt wiedergegeben. Ich zitiere: „Bayern ist der deutsche Meister mit Verbesserungspotenzial“. Im Klartext heißt das, dass wir aus der Sicht dieser Initiative vorne sind.

Als Stärken werden für Bayern die bundesweit effektivsten Schulinvestitionen gesehen. Vor allem in technischen Berufen sei auch Nicht-Akademikern eine Weiterqualifikation in besonders bewährter Art und Weise möglich. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Sie führen immer wieder den Vergleich mit Ländern außerhalb Deutschlands an. In diesem Vergleich wird festgestellt, dass der Freistaat Bayern ohne Probleme Anschluss an die so genannten Führungs-Nationen im Pisa-Vergleich hat, nämlich an Finnland und Kanada. Besonders düster – so diese Studie – sehe es für Berlin, Bremen und Sachsen-Anhalt aus, die die Schlusslichter seien. Lieber Herr Kollege Pfaffmann, damit rückt der SPD-Antrag in ein völlig neues Licht.

Die deutsche Schule kann nur mittelmäßige Lernerfolge nachweisen. Die Folgerung lautet, dass Ihre Antragsbegründung schwach ist. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag in sich schon problematisch, auch wenn die Begründung nicht zum Antrag gehört. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Hinweise von Pisa nehmen wir in Bayern sehr ernst. Der Vergleich mit dem Bildungsland Finnland hinkt jedoch an allen Ecken und Enden. Wollen Sie vielleicht die Ausgaben für das Lehrpersonal um ein Drittel kürzen? Wollen Sie, dass 80 % der Schülerinnen und Schüler den Gymnasialabschluss erreichen, der das Papier nicht wert ist, auf dem er steht, weil nur 25 % über eine Hochschuleingangsprüfung tatsächlich den Zugang zur Hochschule schaffen?

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das stimmt doch gar nicht!)

Diese Entwertung einer Hochschulzugangsberechtigung ist mit uns in Bayern nicht zu machen. Da hilft auch kein Kopfschütteln. Wenn Sie Bayern mit Kanada vergleichen, wäre es hilfreich, sich einmal die dortigen Probleme zu Gemüte zu führen. Dort gibt es keine saubere berufliche Bildung und Probleme mit den Hochschulen. Wo eine gute Betreuungsrelation vorhanden ist, wird viel Geld aus Erdöl- und Rohstofferträgen herbeigezaubert und zur Verfügung gestellt. Das hätten wir in Bayern natürlich auch sehr gerne, aber unsere Erdölfelder sind leider nur eingeschränkt vorhanden. Das muss ich einfach feststellen.

Der Blick auf die Forschungsergebnisse und die Resultate ist sehr lohnend, wenn wir die Bildungsergebnisse vergleichen. Bayern hat nämlich in Augenhöhe mit BadenWürttemberg bei den Patentanmeldungen – zusammen mit Baden-Württemberg – genau die Hälfte der angemeldeten Patente von Deutschland zu verzeichnen. Wer dann noch behauptet, wir hätten einen Notstand oder das bayerische Schulsystem hätte keine Qualität, weiß nicht, wovon er spricht.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich fasse zusammen: Die Begründungen, die die Opposition anführt, sind sehr dünn. Wir wollen zukunftsfähige Lösungen. Ich gestehe zu, dass Sie Gutes wollen. Ich kann versichern, dass die CSU-Fraktion sehr wohl sieht, wo die Schulen der Schuh drückt und wo Handlungsbedarf besteht. Wir nehmen die Sorgen der Schulen sehr ernst.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Deshalb ziehen Sie 100 Lehrer bei den Hauptschulen ab!)