Protocol of the Session on July 21, 2004

Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich noch erinnern, wie groß das Geschrei seitens der Staatsministerin war, als dieses Programm aufgelegt wurde: Das wäre eine Einmischung in die Bildungshoheit der Länder. Das ist eine versteckte Zurückweisung von 600 Millionen Euro an Investitionshilfen für dieses Land. Sie können sich doch nicht hier hinstellen und sagen: Nur wir in Bayern tun etwas, und die anderen sind schuld, wenn es schlecht geht. Nehmen Sie die 600 Millionen Euro, die die Bundesregierung für Bayerns Schulen bereitstellt, legen Sie selbst entsprechend Geld drauf, dann könnte es auch in Bayern mit den Schulen besser werden – Sie wollen das aber nicht. Das zum ersten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Zum zweiten. Es ist immer wieder interessant, wie selektiv und wie tendenziös die Pisa-Studie ausgelegt wird. Es ist richtig, Herr Schneider, dass die Klassengröße nicht in einem wissenschaftlichen Zusammenhang mit der Qualität steht. Sie sollten aber auch bei der Wahrheit bleiben: Es ist auch nicht das Gegenteil bewiesen. Alle Pisa-Siegerländer haben nun einmal kleinere Klassen, Herr Schneider. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Sie gehen an die Maximalgrenze, die die Pisa-Verfasser mit 30 festgelegt haben. An vielen Schulen liegen Sie weit über dieser Grenze. Sie stellen sich aber immer wieder hier hin und sagen, wir sollen nicht alles schlechtreden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sollen wir denn frohlocken,

(Zurufe von der CSU: Ja!)

dass wir im Ländervergleich in Bayern die größten Klassen haben? Sollen wir frohlocken,

(Markus Sackmann (CSU): Täglich, stündlich!)

dass wir das selektivste Schulsystem aller Länder, den höchsten Unterrichtsausfall und den größten Leistungsdruck haben? Sollen wir frohlocken, dass Sie die Kommunen bei der Schulträgerschaft völlig allein lassen? Das kann doch von der Opposition wirklich nicht verlangt werden. Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Sie entlassen 2000 Lehrerinnen und Lehrer in die Arbeitslosigkeit, stellen sich aber hier hin und reden alles schön. Das kann doch nicht wahr sein. Machen Sie Ihre Hausaufgaben, anstatt hier die Wahrheit zu verschweigen. Dann kämen wir vielleicht auch weiter.

(Beifall bei der SPD)

Zu Wort hat sich Frau Staatsministerin Hohlmeier gemeldet. Bitte schön, Frau Staatsministerin.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zu der angeblich so schlechten Anstellungsquote. Ich glaube, in vielen SPD- und grün-regierten Ländern wäre man glücklich, wenn man, wie wir,

(Beifall bei der CSU)

immerhin 91 % aller Bewerber für das Hauptschullehreramt anstellen kann.

(Zuruf von der (CSU): Die würden frohlocken!)

Selbst bei der Grundschule sind wir bei 58 %. Wir haben eine wesentlich bessere Anstellungsquote als in vielen anderen Ländern Deutschlands. Wir befinden uns aber in einer Zeit, in der wir nicht immer nur das Optimum bieten können. Ich gebe dem Kollegen Waschler Recht, wenn er sagt: Wenn die finanziellen Bedingungen durch eklatante Fehlentscheidungen auf Seiten des Bundes auch bei den Ländern und bei den Kommunen schlechter werden, dann kann der Freistaat Bayern nicht so tun, als wäre er in einem wunderbaren Paradies, in dem man alles bieten könnte. Das ist nun einmal heutzutage nicht mehr so. Wir müssen mit den Finanzen vernünftig und für die Schülerinnen und Schüler verantwortlich umgehen.

Ich möchte Herrn Pfaffmann etwas sehr deutlich sagen. Die Behauptung, dass alle Pisa-Länder, die vorne lagen, kleinere Klassen haben, ist schlichtweg falsch.

Herr Kollege Pfaffmann, lesen Sie das bitte noch einmal nach. Das gilt vielleicht für Finnland. Es gibt aber andere Länder, die vor uns sind, die ebenso große Klassen, wenn nicht sogar größere Klassen haben. Die Klassengröße allein ist nicht der Maßstab, sondern die Qualität des Unterrichts, die Zusammensetzung der Schülerschaft und die Art und Weise der Umsetzung des Unterrichts. Selbstverständlich wünschen wir uns alle kleinere Klassen. Das ist doch völlig klar. Kleinere Klassen sollten jedoch nicht dadurch erkauft werden, dass Unterricht verringert, Stundentafeln gekürzt oder Unterricht nicht mehr erteilt wird. Ich muss Ihnen offen sagen: Da bekenne ich mich lieber zu einer ehrlichen, klaren und offenen Politik, bei der es auch einmal die eine oder andere größere Klasse gibt.

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Pfaffmann? – Bitte, Herr Kollege.

Frau Staatsministerin, könnten Sie vielleicht die Länder benennen, die größere Klassen haben und im internationalen Vergleich der PisaStudie – nicht in der Pisa-E-Studie – trotzdem vorne dabei waren? Könnten Sie uns vielleicht zwei Beispiele nennen?

Bitte, Frau Staatsministerin.

Herr Kollege Pfaffmann, Korea ist zum Beispiel ein Land, in dem die Klassenstärken nicht allzu klein sind. Auch in unserer direkten Nachbarschaft, in Tschechien, sind die Klassen nicht sehr klein, sondern weisen zum Teil 40 und 42 Schüler auf. Herr Professor Baumert hat ausgeführt, dass sich auch in anderen Ländern erwiesen hat, dass nicht die Klassengröße, sondern die Qualität des Unterrichts, die Art und Weise der Vermittlung und viele andere Faktoren der entscheidende Maßstab sind.

(Beifall bei der CSU)

Ich möchte außerdem mit dem 4-Milliarden-Märchen aufräumen. Wir wollten, dass der Bund den Ländern ordnungsgemäß 4 Milliarden Euro in die eigene Verantwortung gibt. Der Bund zahlt nur ein paar Räume, wir und die Kommunen bezahlen jedoch komplett alle Personalkosten und tragen die Betriebskosten.

(Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bund sollte den Ländern endlich diese finanziellen Mittel zur Verfügung stellen und die genannten 4 Milliarden Euro an uns geben, anstatt zu versuchen, irgendwo einen kleinen Zügel anzulegen. Es wäre wesentlich klüger gewesen, alle Länder, unabhängig davon, wer sie regiert, hätten dieses Geld für das gesamte Schulwesen erhalten. Dann wäre es für viele Länder wesentlich leichter gewesen.

(Beifall bei der CSU)

Kolleginnen und Kollegen! Damit ist die Aussprache geschlossen. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1466, das ist der Antrag der SPD-Fraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – Das ist die CSU-Fraktion. Wer enthält sich der Stimme? – Keine Stimmenthaltung. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1542, das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD. Wer ist dagegen? Das ist die CSU-Fraktion. Wer enthält sich der Stimme? – Keine Stimmenthaltung. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich rufe zur gemeinsamen Behandlung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kritische Begleitung der Reform der bayerischen Staatsverwaltung (Verwaltungsstrukturreform) durch Landtag und Obersten Rechnungshof (Drucksache 15/1467)

sowie den nachgezogenen

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Christa Naaß und anderer und Fraktion (SPD) Verwaltungsreform nicht am Parlament vorbei – die CSU-Fraktion ist nicht das Parlament (Drucksache 15/1543)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Zunächst erteile ich Frau Kollegin Bause das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit Ministerpräsident Dr. Stoiber in seiner Regierungserklärung im November festgestellt hat, dass das größte Problem Bayerns in der überbordenden Bürokratie und der Reformunfähigkeit liegt, seit er also festgestellt hat, dass das größte Problem Bayerns genau die Politik ist, die die CSU seit Jahren betreibt, überschlägt sich die Staatskanzlei mit Reformrhetorik und Reformerlassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Genauso manisch, wie Sie jahrelang das Geld zum Fenster hinaus geworfen und Vorschriften über Vorschriften erlassen haben, gerieren Sie sich nun beim Einsparen und beim Streichen von Vorschriften.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir erleben im Landtag seit Monaten immer das gleiche Muster: Es wird nicht lange nachgedacht, großmäulig

werden Maßnahmen angekündigt, die Betroffenen werden nicht einbezogen, bei der Umsetzung wird hektisch und dilettantisch verfahren, und schließlich müssen Sie zurückrudern, weil die Unzulänglichkeiten doch nicht länger überdeckt werden können. Am Ende gilt die kleinste Bewegung in der Sache als riesige Heldentat. Dann geht das ganze Chaos wieder von vorne los.

Vor kurzem war zu lesen, dass CSUler behaupten, „die Beamten versauen uns den ganzen Haushalt.“ Ich muss Ihnen sagen, das ist eine bodenlose Unverschämtheit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die Verantwortung dafür, dass unser Staatsapparat so groß ist, dass unsere Bürokratie überbordet und der Personalaufwand bei den Haushaltskosten so hoch ist, tragen Sie von der CSU und nicht die Beamten, auf deren Rücken Sie die Schuld abwälzen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun zu den Show-Effekten: Ich habe mit Interesse gelesen, dass Herr Huber gestern im Kabinett seine Zwischenbilanz verkündet hat und seine bisherigen Schritte als Erfolg bezeichnet. Er rühmt sich, ein Einsparpotenzial von insgesamt rund 2000 Stellen erreicht zu haben, verschweigt dabei jedoch – sicherlich nicht ohne Zufall –, dass diese 2000 Stellen in zehn Jahren eingespart werden sollen. Ich möchte das einmal zum Gesamtstellenplan bezüglich der staatlichen Bediensteten ins Verhältnis setzen: Insgesamt haben wir dort 300 000 Stellen. Selbst wenn man das genannte Einsparpotenzial von 2000 Stellen in zehn Jahren nur quantitativ sieht, wie das Herr Huber offenbar tut, muss ich feststellen: Dieses Ergebnis ist ziemlich jämmerlich und kläglich. Der Löwe hat gebrüllt, aber es ist nur ein kleiner Muckser herausgekommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der kopflose Aktionismus, den wir bei den notwendigen Reformen seit Monaten erleben, schadet den Reformen, die wir in Bayern in der Tat bräuchten. Sie haben diese Reformen all die Jahre nicht angepackt, sondern verhindert und ausgesessen. Die Art und Weise, wie Sie heute glauben, Reformen angehen zu müssen, bewirkt das Gegenteil dessen, was nötig wäre: Sie stoßen die Betroffenen vor den Kopf und zerstören deren Motivation. Sie müssten die Kompetenz in den einzelnen Apparaten nutzen. Die Leute wissen nämlich sehr genau, wo der Hund begraben liegt, wo unnötige Doppelarbeit geleistet wird und wo sinnvolle Einsparungen und Effizienzgewinne erzielt werden könnten. Herr Huber, Sie stoßen stattdessen die Betroffenen vor den Kopf und machen sie zu Sündenböcken Ihrer eigenen Politik.

Vor drei Tagen konnte ich eine Äußerung des Ministerpräsidenten in der „Bild am Sonntag“ lesen. Herr Stoiber hat dort zu den Reformen zum Besten gegeben: „Die Vorsitzenden von CDU und CSU wären schlecht beraten, ohne Debatte alle Antworten von oben vorzugeben.“ Da kann ich nur sagen: Bravo, Herr Stoiber. Das ist eine gute Idee. Damit hat er seiner Co-Vorsitzenden in der CDU einen Tritt vors Schienbein gegeben. Er hat allerdings nicht bedacht,

dass er damit auch seinen eigenen Regierungsstil verurteilt; denn genau das wird in Bayern praktiziert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Bayern regieren die Staatskanzlei und Herr Stoiber spätestens seit der letzten Landtagswahl – seit die CSU die Zweidrittel-Mehrheit erreicht hat – noch zentralistischer, noch eigenmächtiger und noch selbstherrlicher als bisher.