Protocol of the Session on May 12, 2004

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Marianne Schieder, Dr. Linus Förster und anderer und Fraktion (SPD) Lernmittelfreiheit (Drucksache 15/926)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lernmittelfreiheit erhalten (Drucksache 15/930)

(Johanna Werner-Muggendorfer: Unser Antrag ist der erste!)

Frau Kollegin, ich habe sie in der Reihenfolge aufgerufen.

(Unruhe)

Keine Aufregung. Ich will das Ganze nicht weiter verzögern. Herr Kollege Pfaffmann beginnt.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben einen Dringlichkeitsantrag eingereicht, die Lernmittelfreiheit zu erhalten. Ich bitte, dem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Tolle.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir haben einen Antrag gestellt, die Lernmittelfreiheit zu erhalten. Sie ist eine soziale Errungenschaft. Ich bitte um Zustimmung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Berta Schmid.

Ich beantrage für die CSU-Fraktion namentliche Abstimmung.

(Heiterkeit – Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Herr Kollege, es war doch absehbar, dass man auch so reagieren kann. Damit ist nur eines erreicht: dass jetzt in der Sache keine Debatte geführt wird.

(Unruhe)

Erneute Wortmeldung: Herr Kollege Pfaffmann, bitte.

Herr Präsident, vielen Dank. Eigentlich könnten wir jetzt über den Antrag, wie in unserer Fraktionssitzung be

schlossen, abstimmen; das wäre wunderbar. Ich rede aber auch gerne für das Protokoll.

(Sebastian Freiherr von Rotenhan (CSU): Ich höre zu, Herr Kollege!)

Ja, Herr Rotenhan, Sie hören zu. Lassen Sie sich überraschen -. Wir reden heute über die Absicht der Bayerischen Staatsregierung, die Lernmittelfreiheit abzuschaffen. Es geht hier um eine Größenordnung von 20 Millionen Euro. Dies ist ein weiterer Versuch, den Eltern und Kommunen in die Taschen zu greifen; das ist überhaupt keine Frage.

(Beifall bei der SPD)

Ich würde das den Kollegen von der CSU gerne sagen. Sie haben jede Berechtigung verloren, immer mit dem Finger nach Berlin zu zeigen; denn man kann sich keine größere Heuchelei vorstellen,

(Beifall bei der SPD)

als mit dem Finger nach Berlin zu zeigen und gleichzeitig hier im Hause in Bayern den Familien in die Tasche zu greifen. Das ist der Hintergrund Abschaffung der Lernmittelfreiheit, so wie es die CSU gerne hätte und es Frau Staatsministerin verkündet hat. Dabei wird die Abschaffung der Lernmittelfreiheit auch verbal verschleiert; denn die Rede ist von der Einführung von Büchergeld bis zu 50 Euro pro Kind. Doch es geht hier nicht um die Einführung eines Büchergeldes, sondern um die faktische Abschaffung der Lernmittelfreiheit, und genau das wollen Sie. Offensichtlich ist den Kolleginnen und Kollegen die Konsequenz dieser Abschaffung voll bewusst.

(Sebastian Freiherr von Rotenhan verlässt den Plenarsaal)

Jetzt geht auch noch der Letzte der CSU-Fraktion.

(Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich bitte jetzt, in das Protokoll aufzunehmen: Es ist wohl ein historischer Moment in diesem Freistaat, dass von der Zweidrittelmehrheit, vom Präsidium abgesehen, nicht ein einziger Abgeordneter

(Unruhe)

der CSU-Fraktion hier im Haus anwesend ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich stelle weiter fest, dass von der Staatsregierung hier nicht ein einziger Vertreter – auch kein Vertreter des Kultusministeriums – anwesend ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, obwohl es nicht unmittelbar in meine Zuständigkeit fällt, akzeptiere ich es

sofort, wenn Sie eine Unterbrechung der Sitzung beantragen, bis die Staatsregierung vertreten ist.

– Nein, das ist nicht mehr notwendig. Die Staatsregierung hat jetzt demonstriert, wie wichtig ihr das ist, indem sie zehn Minuten nach Sitzungsbeginn immer noch nicht da ist. Jetzt brauchen wir sie auch nicht mehr.

(Susann Biedefeld (SPD): Auch die Staatsregierung kennt die Tagesordnung!)

Wir können unsere Position auch so vertreten. Die Kollegen aus der Zweidrittelmehrheitsfraktion können das dann im Protokoll nachlesen.

Die Abschaffung der Lernmittelfreiheit hat mehrere Konsequenzen: Erstens, eine weitere Belastung der Kommunen. Herr Schneider, was passiert, wenn Eltern, die mehrere Kinder in die Schule schicken, das Büchergeld nicht mehr bezahlen können? Die Konsequenz ist doch klar: Die Kommunen werden das Büchergeld zahlen müssen; denn Sie gehen nicht so weit, die Kommunen von der Übernahme des Büchergeldes zu entlasten, wenn es die Eltern nicht mehr bezahlen können.

So weit gehen sie nicht. Seit Jahren weigern Sie sich mitzuhelfen, dass die Schulen in Sachen Lehr- und Lernmittel auf dem neuesten Stand sind. Ich erinnere an die Weigerung der CSU, die Schulen mit moderner Informations- und Kommunikationstechnologie auszustatten. Bis heute weigern Sie sich, hier mitzuhelfen. Die Kommunen müssen Milliardenbeträge zahlen, weil Sie nicht mitwirken wollen. Das war der erste Punkt.

Das geht weiter. Die Kommunen müssen Hunderte Millionen Euro für Lehrpersonalkosten zahlen, weil Sie sich weigern, Ihrer verfassungsgemäßen Pflicht nachzukommen. In dieser Tradition steht die Abschaffung der Lernmittelfreiheit. Auch das werden die Kommunen zahlen müssen. Sie sanieren den Staatshaushalt zulasten der Kommunen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist die eine Konsequenz, die daraus folgt. Ich behaupte deshalb, dass die CSU die kommunalfeindlichste Partei in Bayern ist und bleibt.

(Beifall bei der SPD – Susann Biedefeld (SPD): Absolut zutreffend!)

Die zweite Konsequenz: Mit der Abschaffung der Lernmittelfreiheit wird Bildung wieder vom Geldbeutel der Eltern abhängig gemacht. Sie nehmen in Kauf, dass Familien mit mehreren schulpflichtigen Kindern die Lernmittel zahlen müssen. Damit wird Bildung wieder vom Geldbeutel der Eltern abhängig gemacht. Auch diese Konsequenz kann nicht richtig sein.

Ich verweise auf die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vom 29. Januar 2003 – vor der Landtagswahl. Er hat gesagt, Familienpolitik sei auch im Jahr 2003 ein

Schwerpunkt bayerischer Politik. Dann hat er in diesem Hause den Wählerinnen und Wählern und den Familien in die Hand hinein versprochen: „Unsere Leistungen für Familien werden von jeglicher Einsparung ausgenommen.“ Dazu bleibt nur zu sagen: Versprochen – gebrochen. Man sollte keine Versprechungen machen, die man später nicht einhalten will. Die Abschaffung der Lernmittelfreiheit ist de facto eine Kürzung der Unterstützung für die Familien in diesem Lande, weil diese zahlen müssen. Wie ist diese Abschaffung mit der von der CSU-Fraktion in diesem Hause immer wieder beschworenen Unterstützung der Familien zu vereinbaren? – Das ist alles nur Geschwafel. In Wahrheit greifen Sie jeden Tag den Familien in den Geldbeutel. Das kann nicht unterstützt werden. Deshalb haben wir den Dringlichkeitsantrag eingebracht.

Die Familien, und vor allem die aus sozial schwachen Kreisen mit niedrigen Familieneinkommen und mehreren Kindern, müssen bereits schon sehr viel zahlen. Gemäß Berechnungen müssen Familien schon heute – trotz Lernmittelfreiheit – bis 350 Euro pro Kind und Schuljahr zahlen. Hinzu kommen die Kosten für Schulfahrten, seit neuestem die Kosten für den Mittagstisch der achtzügigen Gymnasien. Dazu kommen die Kosten für die Betreuung an den achtzügigen Gymnasien. All das lassen Sie die Familien zahlen, und obendrauf nehmen Sie ihnen auch noch die Zuschüsse für die Lernmittel. Trotzdem behaupten Sie immer wieder, die Familie sei das Wichtigste, was wir in Bayern haben. Eine solche Heuchelei ist überhaupt nicht zu überbieten.

(Beifall bei der SPD)

Mit der Absicht, die Lernmittelfreiheit abzuschaffen, schaffen Sie mit vollem Bewusst- sein wieder Schülerinnen und Schüler zweiter Klasse. Es ist unerträglich, dass Sie es durch die Abschaffung der Lernmittelfreiheit in Kauf nehmen, Schülerinnen und Schüler zweiter Klasse zu haben. Es wird die geben, die sich Bildung leisten und Büchergeld zahlen können, und die, die sich das nicht leisten können. Das kann nicht akzeptiert werden.