Protocol of the Session on July 16, 2008

(Beifall bei der SPD – Ernst Weidenbusch (CSU): Dann ist’s ja gut!)

Es geht ausschließlich um die bereits 1953 diskutierte und später auch in der Rechtsprechung mehrfach hin- und hergewälzte Frage, ob ein Uniformierungsverbot in der konkreten Form, wie es in dem Versammlungsgesetz von 1953 steht, die richtige Reaktion auf diese Erscheinung ist, ob es dort überhaupt systematisch hinpasst und ob es an dieser Stelle verfassungsgemäß ist oder nicht. Nur um diese Frage geht es, aber nicht um die Grundsatzfrage. Ich will keine braunen Stiefel mehr marschieren sehen, auch keine schwarzen, keine weißen und sonst auch keine. Da sind wir uns doch wohl einig.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf daran erinnern, dass wir unseren Änderungsantrag genau darauf abgestellt und vorgeschlagen haben, Artikel 7 Absatz 3 zu streichen, das ist unsystematisch und passt dort nicht hin. Im Übrigen entspricht es auch der herrschenden Meinung bei den Sachverständigen, die bei uns waren, dass diese Vorschrift im Gesetzentwurf der Staatsregierung dort jedenfalls unsystematisch ist und nicht hingehört. Das war auch der Grund, warum Sie unseren Änderungsantrag hierzu zunächst abgelehnt und dann selber eingebracht haben. Sie wollen doch auch, dass das an dieser Stelle gestrichen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Teil der Abgeordneten war bereits 1953 der Auffassung, dass ein Uniformierungsverbot nicht in ein Versammlungsgesetz gehört, sondern, wenn überhaupt, dann in das Strafrecht. Sie schlagen nun vor, es in das Landesstraf- und

Es geht hier nicht darum, so wie Kollege Obermeier ausgeführt hat, das Versammlungswesen weiter zu privilegieren, sondern es geht darum, anzuerkennen, dass die Menschen ein Recht haben, auf die Straße zu gehen, sich eine Meinung zu bilden und sich zu äußern, ohne dass eine Staatsregierung oder ein Parlament ihnen das genehmigen muss. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – En- gelbert Kupka (CSU): Auch die Nazis?)

Auch die Nazis. Daran muss sich der vorliegende Gesetzentwurf messen lassen.

Ich will noch kurz auf die Geschichte eingehen. Seit 1871 ist das Versammlungsrecht in der Zuständigkeit des Gesamtstaats. Die Reichsverfassung von 1871 hat zwar den Kompetenztitel „Versammlungsrecht“ nicht explizit dem Reich zugewiesen, und zwar deshalb, weil das Versammlungsrecht nach damals herrschendem Verständnis ein Teil des Vereinsrechts war, das der Beaufsichtigung seitens des Reiches und der Gesetzgebung derselben unterlag. Hintergrund war, dass man damals den süddeutschen Ländern nicht über den Weg getraut hat. Deswegen sollte die Zuständigkeit beim Reich sein. Die Weimarer Reichsverfassung sprach dann ausdrücklich davon, dass dem Reich die ausschließliche Gesetzgebung über das Versammlungswesen zustehe. Auch der Parlamentarische Rat hat an diese Tradition angeknüpft und dem Bund durch die Zuweisung der konkurrierenden Gesetzgebung für das Versammlungsrecht eine maßgebliche Gestaltungsmacht über dieses Rechtsgebiet eingeräumt. Der Bund hat in der Folgezeit mit dem Gesetz über Versammlungen und Aufzüge von 1953 von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht.

Meine Damen und Herren, weil wir jetzt dabei sind, in wenigen Monaten und unter Zeitdruck – weil wir nur noch bis morgen Sitzungen haben – ein Bayerisches Versammlungsgesetz zu machen, möchte ich daran erinnern, dass es vom Referentenentwurf des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge des Bundes bis zur Verabschiedung des Gesetzes immerhin drei Jahre gedauert hat. Drei Jahre lang hat man sich damals in der Bundesrepublik Deutschland Zeit genommen, das jetzt so häufig kritisierte Gesetz zu formulieren.

(Zuruf des Abgeordneten Ernst Weidenbusch (CSU))

Man hat damals mit der Überschrift „Versammlungsordnungsgesetz“ begonnen und die Entwürfe mehrfach verändert, bis letztlich das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge beschlossen worden ist. Die Meinungen über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes waren im Bundestag damals geteilt;

Das war nicht einstimmig. Ich darf daran erinnern, dass die Sozialdemokraten 1953 gegen das Gesetz gestimmt haben. Ihr Sprecher hat damals erklärt, der Entwurf gehe über das notwendige Maß hinaus. Der Versammlungsleiter werde erheblich überfordert; die Strafbestimmungen des Gesetzes seien geeignet, die freie Meinungsäußerung in starkem Maße einzuschränken, und im Übrigen hätten

das Versammlungsrecht auf die Bundesländer ist in der ersten Runde der Diskussion wieder aufgegeben worden. Die Frage hat in der öffentlichen Diskussion um die Föderalismusreform fast keine Rolle gespielt. Bei der Expertenanhörung im Bundestag haben sich nur zwei Sachverständige dazu geäußert. Ich zitiere Professor Battis, der auch bei unserer Anhörung zum Versammlungsrecht hier im Landtag war. Er führt aus:

Die Übertragung der Kompetenzen für das Versammlungsrecht auf die Länder ist nicht sinnvoll. Das geltende Versammlungsrecht ist im Wesentlichen ein Flickwerk aus Richterrecht, geschaffen vom Bundesverfassungsgericht. Der Bundesgesetzgeber versucht gelegentlich mehr recht als schlecht, die nicht immer widerspruchsfreien Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Würde den Ländern diese Kompetenz übertragen, wäre eine weitere Zersplitterung zu erwarten. Geboten ist eine konzeptionelle Neuordnung des Versammlungsrechts durch den Bund, wobei dieser, wie jeder andere Gesetzgeber auch, maßgeblich dirigiert würde durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben.

Ein weiterer Sachverständiger, nämlich Prof. Baldus, hat vor dem Deutschen Bundestag ausgeführt:

Die Übertragung des Versammlungsrechts in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder birgt die Gefahr eines besonders brisanten Konfliktfeldes, wenn etwa in ähnlich gelagerten Fällen die Berufung auf die Versammlungsfreiheit in dem einen Bundesland gebilligt und bejaht, in den anderen Bundesländern jedoch in stärkerem Maße relativiert oder gar zurückgewiesen werden sollte. Die starke grundrechtliche Durchformung des Versammlungsrechts sei aber doch Garant einer bundeseinheitlichen Gewährleistung der Versammlungsfreiheit auch für den Fall, dass das Versammlungsrecht in Zukunft in die Zuständigkeit der Länder überführt werden sollte.

Im Standardkommentar zum Versammlungsgesetz heißt es zu dieser Frage:

Wie bei der in 16 Bundesländern möglicherweise zu erwartenden unterschiedlichen Regelung des Versammlungsrechts die gesamtstaatliche Rechtseinheit beim Vollzug des Versammlungsrechts unter Maßgabe des hohen Rangs der Versammlungsfreiheit und der dazu ergangenen Rechtsprechung gewahrt bleiben kann, ist eine offene Frage.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Diskussion ist vorbei und erledigt. Ich stehe hier und sage, ich bedaure, dass es so gekommen ist. Man kann das aber auch anders sehen. Ich verstehe und bin dafür, dass dann, wenn die Kompetenz da ist, ob man sie wollte oder nicht, sie auch in Anspruch genommen wird, sodass wir uns in der Tat nicht dafür zu rechtfertigen brauchen, dass ein Bayerisches Versammlungsgesetz erlassen werden soll.

Verordnungsgesetz aufzunehmen. Die diesbezügliche Gesetzgebung des Bundestages hatte damals aber nur theoretische Bedeutung, wie sie im Übrigen auch später überwiegend theoretische Bedeutung hatte, damals aber ganz sicher, weil nämlich das Tragen von Uniformen sowieso durch Besatzungsrecht verboten war.

Ich will noch aus einem Bericht aus der „Zeit“ vom 14.05.1953 zur Beschlussfassung über das Gesetz zitieren. Dort ist geschrieben worden: „Dass es bei der weit verbreiteten Neigung zur politischen Intoleranz „– 1953 –„ ein vorbeugendes FDJ- oder neue SA-Störtrupps abschreckendes Versammlungsgesetz geben soll, könnte man begrüßen, bestünde nicht bei unserem Hange zur Gründlichkeit die Gefahr, dass bei der Anwendung des Gesetzes das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.“

(Beifall bei der SPD)

Klingt ganz aktuell, ist aber 55 Jahre alt.

Das Gesetz, meine Damen und Herren, ist in den folgenden Jahrzehnten immer wieder geändert worden, ganz gravierend im Jahr 1985 durch die Einfügung des Verbots der Vermummung oder der passiven Bewaffnung und durch die Einfügung des § 15 Absatz 2 des Versammlungsgesetzes im März 2005, wonach eine Versammlung oder ein Aufzug insbesondere dann verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden kann, wenn erstens die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert und zweitens nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.

Konkret ist in dem Gesetz damals das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin genannt worden. Andere Orte und deren Abgrenzung könnten durch Landesrecht bestimmt werden. Deswegen ist es bedauerlich, dass sich der Landtag dieses Themas seit Jahren nicht angenommen hat.

(Beifall bei der SPD)

Es ist bedauerlich, dass ein Antrag der SPD-Fraktion wegen des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg jahrelang in der Schublade lag, nicht behandelt wurde, und jetzt, nachdem Sie mit Ihrer Mehrheit im Ausschuss beschlossen haben, wir erlassen ein neues Versammlungsgesetz, sagen Sie, der Antrag habe sich erledigt. Die Art und Weise, wie Sie mit der Problematik umgehen, ist schon beschämend.

Eine von verschiedenen Seiten insbesondere wegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, im Speziellen im sogenannten Brokdorf-Beschluss von 1985, für erforderlich gehaltene Gesamtrevision des Bundesversammlungsrechts ist leider nur bis zu einem Referentenentwurf gediehen. Die von der Föderalismuskommission vorgeschlagene Übertragung der Kompetenz für

Regelungen, gegen die durchaus verfassungsrechtliche Bedenken geäußert würden. Ich meine insbesondere das allgemeine Uniformierungsverbot in Artikel 7 Absatz 3, das weder hinreichend bestimmt, noch verhältnismäßig erscheint. Das ist die Argumentation von 1953, und das ist die Argumentation von mir von vor drei Monaten, von vor zwei Monaten, von vor vier Wochen und auch wieder von heute. Nur Sie bestreiten es. Herr Prof. Heckmann ist meiner Meinung. Er geht auch auf die Erweiterung der Generalklausel um die Rechte Dritter ein, die im Entwurf so begründet wird, dass die schutzwürdigen Drittrechte der Versammlungsfreiheit nicht gleichrangig sein müssen. Das haben Sie nun gestrichen, nachdem wir einen entsprechenden Antrag gestellt hatten.

(Beifall bei der SPD)

Den haben Sie abgelehnt. Dann hat es eine Woche gedauert, bis Sie selbst einen Änderungsantrag eingebracht haben, in dem Sie genau das Gleiche vorschlagen. Das wird in das Gesetz eingehen. Ich meine, solch ein Kasperletheater muss sich eine so große Fraktion nicht antun.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Prof. Heckmann führt weiterhin seine verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich der Erstreckung der Überwachungsbefugnisse auf weniger konfliktträchtige Versammlungen in geschlossenen Räumen aus; denn da bestehe nun einmal eine andere Situation als in der Öffentlichkeit. Man müsse die Überwachung dort vielleicht differenzierter regeln. Bravo, genauso ist es. Genau das ist auch die Argumentation des Landesbeauftragten für den Datenschutz, nämlich dass man gefälligst zwischen der Versammlung in geschlossenen Räumen – möglicherweise der nichtöffentlichen Versammlung in geschlossenen Räumen – und dem Aufzug auf der Autobahn, der Menschenkette und den Protesten gegen die CastorTransporte zu differenzieren habe.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das hat Herr Heckmann ausgeführt. Deswegen hat er seine Bedenken geäußert. Letztlich hat er Bedenken auch gegen den von ihm als Lex Wunsiedel bezeichneten Artikel 15 Absatz 2 Nummer 2 geäußert. Er hat argumentiert, dass hier das Terrain des Strafrechts betreten werde und das Land hierfür keine Gesetzgebungszuständigkeit habe. Also hat nicht nur die Opposition verfassungsrechtliche Bedenken geäußert – das wird man doch wohl dürfen; entscheiden müssen es andere –, sondern auch viele, sogar von Ihnen benannte Sachverständige.

Lassen Sie mich noch Folgendes sagen: Die Staatsregierung begründet ihren Entwurf im Wesentlichen damit, dass sich in den letzten Jahren tatsächliche und rechtliche Entwicklungen gezeigt hätten, denen das Versammlungsgesetz, das sich grundsätzlich nach Meinung der Staatsregierung – offensichtlich nicht nach Meinung der Kollegen Obermeier und Welnhofer – bewährt habe, nicht mehr in vollem Umfang Rechnung trage. Das seien in erster Linie rechtsextremistische Versammlungen. Zwar

Aber, meine Damen und Herren, klarstellen sollte man schon auch – weil es da offensichtlich unterschiedliche Interpretationen bei Ihnen gibt –: Wir sind nicht gezwungen, ein Bayerisches Versammlungsgesetz neu zu beschließen, weil das bisherige Bundesgesetz, so schlecht es in Einzelheiten auch sein mag, sich dennoch in der Praxis bewährt hat und weiter gilt, bis es durch Landesrecht ersetzt wird. Es droht also mitnichten ein rechtloser Zustand.

Wenn sich ein Land dazu entschließt, das Versammlungsrecht in eigener Kompetenz als Landesrecht zu regeln, gäbe es auch die Möglichkeit, das bestehende Bundesgesetz in Landesrecht zu übernehmen und Orte nach dem § 15 Satz 1 Nummer 1 des Versammlungsgesetzes zu bestimmen, wie es offensichtlich im Freistaat Sachsen beabsichtigt ist.

Die Staatsregierung hat sich für einen anderen Weg entschieden. Den kann man gehen. Das sage ich ausdrücklich. Ich sage aber auch: Wenn man den Weg gehen will, die eigentlich schon seit Jahren auf Bundesebene erforderliche Neukonzeption des Versammlungsrechts zu versuchen, dann muss man das auch sorgfältig machen.

(Beifall bei der SPD)

Dann darf man einen solchen Gesetzentwurf nicht nur von Kreisverwaltungsbehörden und Polizeipräsidenten schreiben lassen.

(Beifall bei der SPD)

Dann muss man einen intensiven Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften führen, insbesondere mit denen, die gelegentlich einmal auf die Straße gehen, und zwar nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie aufgrund der Verhältnisse, unter denen sie zu leiden haben, meinen, dazu gezwungen zu sein. Auch die hätte man mit einbeziehen müssen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wegen der hohen Bedeutung des Versammlungsrechts ist es völlig unangemessen, kurz vor Ende der Legislaturperiode ohne Anhörung von Verbänden ein Gesetz durch den Landtag zu peitschen, das weitreichende Auswirkungen auf die Versammlungsfreiheit hat und erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken beileibe nicht nur der Opposition begegnet.

Herr Kollege Obermeier ist nicht mehr da. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob er bei der Sachverständigenanhörung anwesend war. Wenn er nicht anwesend war, dann rate ich ihm und allen, die behaupten, es gebe keine verfassungsrechtlichen Bedenken, nachzulesen, was der von Ihnen benannte Sachverständige Prof. Dr. Heckmann von der Universität Passau bei der Anhörung ausgeführt hat. Er hat gesagt: Ich sehe mich gezwungen, Ihnen die Hinweise zu jenen verfassungsrechtlichen Risiken zu geben, die sich aus einer möglichen Unvereinbarkeit mit der Versammlungsfreiheit ergeben. – Dann hat er das im Einzelnen ausgeführt. Er hat gesagt, es gebe

Die Gefahren liegen doch ganz woanders. Bei Versammlungen und Aufzügen geht es immer auch um die kollektive Meinungsfreiheit, gelegentlich auch um Kunstfreiheit, Religionsfreiheit und Koalitionsfreiheit. Eine lebendige Demokratie ist auf die Kommunikation zwischen der im Staat organisierten Gesellschaft, ihren Gruppen und den Repräsentanten der öffentlichen Gewalt angewiesen. Deshalb sage ich noch einmal und mit Bedacht und auf die Gefahr hin, dass sich der Kollege Welnhofer wieder aufregt: Das Versammlungsrecht darf nicht als politische Waffe in der Hand der jeweiligen Mehrheit missbraucht werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das gilt immer und überall, das gilt auch im Jahr 2008 im Freistaat Bayern.

(Engelbert Kupka (CSU): Wem unterstellen Sie denn den Missbrauch?)