Protocol of the Session on December 11, 2007

(Glocke des Präsidenten)

Das ist eine Fall-Kontrollstudie, die ernsthaft durchgeführt wurde und auch einer ernsthaften Betrachtung von uns allen wert ist.

Das erste Ergebnis war, dass das Risiko für Kinder unter fünf Jahren, an Leukämie zu erkranken, an allen 16 Standorten signifikant erhöht ist. Dazu ein Zitat des Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz: „Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wohnortnähe und Erkrankungsrisiko ist damit für Deutschland eindeutig beantwortet.“ Diesen Zusammenhang gibt es also.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das zweite, auch sehr frappierende Ergebnis dieser Studie ist: Je näher Kinder an Atomkraftwerken wohnen, desto höher ist ihr Risiko, an Leukämie zu erkranken.

Die dritte Aussage – das haben Sie, Herr Kollege Kaul, vorher durchmengt – ist, dass die Studie aufgrund ihrer Anordnung keine Aussage über die Kausalität, also den ursächlichen Zusammenhang, zwischen Strahlung und Erkrankungen zulässt. Das lässt sie deswegen nicht zu, weil das gar nicht untersucht worden ist. Es wäre also unseriös, dies zu behaupten. Das war nicht Bestandteil der Studie. Seit Jahren gibt es aber viele Studien aus vielen Ländern, die alle in die gleiche Richtung gehen, die alle die gleichen Ergebnisse haben. Ich glaube, zuletzt gab es im Mai dieses Jahres eine Studie für das AKW Krümmel in Schleswig-Holstein, wo es auch seit Jahren Diskussionen gibt. Dies ist eine neue Studie aus der Ukraine, die diesen Zusammenhang auch herstellt.

Wir stellen also aufgrund dieser Tatsache fest, dass Kinder unter fünf Jahren, die in der Nähe eines Atomkraftwerkes in Deutschland, und zwar jedes Atomkraftwerkes in Deutschland, wohnen, einem höheren Risiko ausgesetzt sind, an Krebs zu erkranken. Die Konsequenz, die der zuständige Bundesminister Sigmar Gabriel daraus gezogen hat, das nämlich zunächst einmal schnell und unabhängig prüfen zu lassen, ist richtig. Eine weitere Forderung ist, die Forschung zu intensivieren, indem wir uns noch mehr damit beschäftigen, welche Wirkung ionisierende Strahlung auch in niedriger Dosis haben kann; denn nach dem derzeitigen Stand der Forschung liegt diese Strahlung unter dem gefährlichen Grenzwert. Die Frage ist aber, ob der derzeitige Stand tatsächlich richtig ist oder ob man nicht an dieser Stelle bisher geirrt hat.

Die nächste Frage lautet: Gibt es im Umkreis dieser Atomkraftwerke unter Umständen doch mehr Strahlung, oder gibt es dort andere Faktoren, die eine geringe Strahlung unter Umständen verstärken? Eine Frage muss natürlich auch lauten – das gehört auch zu ernsthafter wissenschaftlicher Forschung –: Gibt es unter Umständen auch standortunabhängige Faktoren, die dieses Auftreten erklären können; denn nur wenn ich auch dies prüfe, erhalte ich seriöse Ergebnisse.

Konkret für Bayern stellt sich die Frage: Haben wir denn rund um die Atomkraftwerke genügend Messpunkte, oder muss an dieser Stelle nachgebessert werden? Zum Beispiel gibt es auch in Niedersachsen Kritik in dieser Rich

tung. Dazu hätte ich gerne im Rahmen eines Berichtes der Staatsregierung eine Antwort, oder vielleicht kann Herr Staatssekretär Huber jetzt schon dazu Stellung nehmen.

Eine weitere Forderung ganz konkret für Bayern muss sein, die Arbeit des Bayerischen Krebsregisters zu intensivieren. Ich erinnere an dieser Stelle daran, dass es die SPD war, die jahrelang gefordert hat, ein flächendeckendes Krebsregister einzuführen.

(Beifall bei der SPD)

Wir könnten schon sehr viel weiter sein, wenn Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Mehrheitsfraktion, sich nicht auch an dieser Stelle so zögerlich verhalten hätten.

Wir brauchen in der Forschung Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern, aber auch mit anderen Staaten, und wir brauchen eine unabhängige, sorgfältige, ergebnisoffene und umfassende wissenschaftliche Befassung mit diesem Thema; denn eines muss doch klar sein, Kolleginnen und Kollegen: Auch wenn es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Strahlung und Erkrankungen nicht gibt, ist doch richtig, was das Expertengremium sagt, dass es zum Ersten nicht ausgeschlossen ist und dass es zum Zweiten auch wahrscheinlich ist, dass die Häufung damit in Zusammenhang steht. Deswegen muss alles unternommen werden, um sich diesen Dingen wissenschaftlich zu nähern. Kontraproduktiv sind alle Reaktionen, die versuchen, abzuwiegeln und herunterzuspielen

(Beifall bei der SPD)

und Tatsachen, die dort geschildert werden, nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, wie das zum Beispiel der Umweltminister aus Baden-Württemberg gemacht hat.

Die Stellungnahme aus dem Bundesumweltministerium, Herr Huber, geht auch in diese Richtung; sie beruft sich auf den derzeitigen wissenschaftlichen Stand. Sie werden mir aber auch recht geben: Wie oft hat die Wissenschaft, insbesondere die medizinische Wissenschaft in der Vergangenheit nicht schon geirrt? Das kann auch hier der Fall sein. Daher noch einmal der Appell, in dieser Richtung weiterzumachen. Wir von der SPD-Fraktion meinen, dass es keinen Grund zur Panik gibt, dass es aber einen ernsthaften Grund zu größtmöglicher objektiver, vorurteilsfreier Aufklärung gibt.

(Beifall bei der SPD)

In der Konsequenz muss endlich Schluss damit sein, dass aus diesem Hause von der Mehrheitsfraktion unaufhörlich die Diskussion über die Verlängerung der Restlaufzeiten und über die verstärkte erneute Nutzung der Atomenergie angefacht wird. Frau Kollegin Paulig, die CSU stimmt in Berlin nicht zu, sondern stellt die Anträge selbst. Die größte Gefahr kommt von hier. Die zweitgrößte Gefahr kommt von den neuen Freunden Merkel/Sarkozy, bei denen die Nutzung der Atomenergie jedes Mal auf der Agenda steht.

Nicht nur wegen der Vermutung einer erhöhten Leukämie-Rate bei Kindern in der näheren Umgebung von Kernkraftwerken, sondern auch wegen der schon sattsam bekannten Risiken dieser Technologie ist es an der Zeit, die Atomkraftwerke abzuschalten. Dies muss im Rahmen des von der rot-grünen Regierung unter einem Umweltminister der GRÜNEN beschlossenen Ausstiegsszenarios geschehen. Daran werden wir festhalten. Wir werden weiter darauf dringen, dass in Bayern die nötigen Konsequenzen aus dieser Studie gezogen werden.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Zimmermann.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Diese inmitten stehende Veröffentlichung einer epidemiologischen Studie muss meines Erachtens in aller Sachlichkeit und aller Ernsthaftigkeit einer Beurteilung unterzogen werden, um festzustellen, welche Schlüsse daraus abgeleitet werden können. Ich bin nicht der Auffassung, dass wir aufgrund dieses zusammenfassenden Berichts in dieser epidemiologischen Studie jetzt weitreichende Festlegungen beschließen sollten, die an grundlegende Fragen, zum Beispiel der Nutzung der Atomenergie, heranreichen.

Kolleginnen und Kollegen, diese Studie lässt solche Mutmaßungen nicht zu. Ich habe mit dieser Meinung auch denjenigen auf meiner Seite, der diese Studie in Auftrag gegeben hat, nämlich Herrn Bundesumweltminister Gabriel. Er kam nach der Vorlage dieser Studie ebenfalls zu dem Schluss, dass das Ergebnis überprüft werden müsse. Wem wurde der Auftrag zur Prüfung erteilt? – Der Strahlenschutzkommission.

Kolleginnen und Kollegen, hier ist eine Studie in Auftrag gegeben worden. Nach der Vorlage des Ergebnisses hat sich der Auftraggeber entschlossen, die Studie zu einer abschließenden Bewertung einer kompetenten Einrichtung, der Strahlenschutzkommission, zuzuleiten. Ich will damit die Angelegenheit nicht verniedlichen. Selbstverständlich ist eine Meldung, wonach in der Nähe von Atomkraftwerken verstärkt Erkrankungsformen, speziell im Kindesalter, auftreten, für Gesundheitspolitiker eine alarmierende Nachricht. Das ist keine Frage. Wir befinden uns aber bei der Beurteilung dieser Studie momentan in einem Stadium, das ernsthafte und vernünftige Schlussfolgerungen in keiner Weise zulässt.

Diese Aktuelle Stunde wurde mit den Worten „Kinderkrebs in der Umgebung von Atomkraftwerken – Bayern muss handeln!“ überschrieben. Diese Überschrift hat zwei Schwerpunkte. Zum einen wird davon ausgegangen, dass der genannte Kinderkrebs in der Nähe von Atomkraftwerken tatsächlich auftritt. Hier gibt es auch Statistiker, die zu einem anderen Ergebnis kommen. Ich habe mir heute Vormittag die Mühe gemacht und mich beim Tumor-Zentrum und den erfahrenen Menschen, die dort tätig sind, erkundigt, was dort von dieser Studie gehalten wird. Ich habe konkret nach Erkenntnissen aus Landshut, Gundremmingen usw. gefragt.

Diese Experten machen eine hervorragende Arbeit. Das Parlament unterstützt dieses Zentrum seit der letzten Legislaturperiode aufgrund einer weisen Entscheidung des Landesgesundheitsrates. Damals wurde – über einen kleinen Link des Landesgesundheitsrates, der damals noch großen Einfluss hatte – beschlossen, ein flächendeckendes bevölkerungsbezogenes Krebsregister einzuführen.

Kolleginnen und Kollegen, was will ich damit sagen? Die Leute im Tumor-Zentrum erhalten tagtäglich Meldungen von erkrankten und verstorbenen Patienten von Kliniken oder Hausärzten. Diese Leute können also unmittelbar vor Ort Feststellungen treffen. Ich habe diese Leute gefragt, ob sie die Aussage dieser Studie bestätigen können.

Ich will gar nicht erzählen, was mir dort von Wissenschaftlern und Professoren heute Vormittag berichtet wurde. Die Wissenschaftler haben mir erklärt, hier handle es sich um ein statistisches Problem, das erst einmal richtig aufgearbeitet werden müsste. Es wäre zum Beispiel zu prüfen, ob die Signifikanz gegeben sei. Ich habe darauf erklärt, dass ich heute Nachmittag nicht in die Aktuelle Stunde gehen und dort über die Signifikanz und statistische Wertigkeiten sprechen könnte. Ich wollte wissen, ob die bayerische Politik bei diesem Thema Handlungsbedarf hat oder ob Defizite in der Meldung von Krebserkrankungen bestehen.

Ich darf nur Folgendes anmerken: Wir führen das Krebsregister nicht unter dem Aspekt der Epidemiologie, sondern bevölkerungsbezogen, damit die Medizin aus Behandlungsarten, die bei einzelnen Krebserkrankungsformen eingesetzt werden, profitiert. Das ist ein äußerst vernünftiger Ansatz. Wir wollen nicht nur eine statistische Erhebung, sondern auch eine Darstellung moderner Erkenntnisse von Behandlungsmöglichkeiten von tumorös erkrankten Patienten.

Frau Kollegin Sonnenholzner, ich möchte an dieser Stelle den Ball aufgreifen. Wir stehen kurz vor der hundertprozentigen Umsetzung eines flächendeckenden bevölkerungsbezogenen Krebsregisters. Ich möchte von dieser Stelle aus an die Krankenkassen appellieren, die ihre damalige Verpflichtung nicht erfüllt haben, die finanziellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, dass dieses Register so schnell geschaffen werden kann, wie wir uns das in der vergangenen Legislaturperiode vorgestellt haben.

Kolleginnen und Kollegen, ich sehe mit Spannung der Bewertung dieser Studie durch die Strahlenschutzkommission des Bundes entgegen. Die Strahlenschutzkommission wird uns sicherlich ihren Abschlussbericht zuleiten, sodass wir im Ausschuss die Möglichkeit haben, darüber zu diskutieren.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Wörner.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte erstens darauf aufmerksam machen, dass der Gutachter seine Erkenntnisse auf den „derzeitigen Kenntnisstand“ stützt. Ich möchte zweitens darauf aufmerksam machen, dass Grenzwerte von Menschen gesetzt werden. Das bedeutet, sie sind genauso mit Fehlern behaftet wie andere Dinge, die von Menschen stammen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für problematisch, wenn von der CSU hier der Zwischenruf „Hätt’ ich, könnt’ ich.“ kommt. Ich frage Sie, ob Sie das auch den betroffenen Eltern sagen würden.

(Engelbert Kupka (CSU): Hören Sie doch auf! Ein bisschen mehr Sachlichkeit!)

Das würde mich wirklich einmal interessieren. Herr Kollege Kaul, Sie haben heute ausführlich darüber referiert, was in diesem Landtag zu diesem Thema schon alles gemacht worden ist. Ich erinnere mich, dass ich zu diesem Thema zwei Schriftliche Anfragen eingebracht habe. Was haben Sie mit Ihrer Mehrheit mit diesen Anfragen gemacht? – Sie haben sie verniedlicht, kleingeredet und heruntergeputzt. Sie haben immer wieder versucht, Gutachten zu erschüttern, weil sie nicht in Ihre ideologische Landschaft gepasst haben. Für Sie ist Kernenergie per se etwas Gutes.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Kern und das eigentliche Problem bei diesem Thema. Ich weiß, dass es für Sie immer schmerzhaft ist, wenn Sie daran erinnert werden. Vielleicht ziehen Sie aber endlich einmal daraus die richtigen Schlüsse. Sie sollten vorurteilsfrei an Gutachten herangehen und versuchen, diese nicht mit der eigenen Brille zu interpretieren, sondern sie als einen Versuch der Wissenschaft ansehen, Dinge zu durchleuchten, um uns neue Erkenntnisse zu geben. Sie sollten nicht von Haus aus sagen: Wir wissen nicht, ob das alles so richtig ist.

(Philipp Graf von und zu Lerchenfeld (CSU): Das hat der Bundesumweltminister auch gesagt!)

Mit Recht. Der Bundesumweltminister hat diese Studie nicht zerredet, sondern sie zu einer Analyse weitergegeben. Sie haben solche Studien zusammen mit dem Umweltministerium immer zerredet. Ich darf Sie daran erinnern, was Sie im Jahre 2002, am 24. Juni, bei einer Anfrage angestellt haben.

(Henning Kaul (CSU): Wer ist „Sie“? – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Die CSU-Fraktion!)

Sie im Umweltausschuss. Die CSU-Fraktion im Umweltausschuss hat das getan. Damals ging es um das gleiche Problem. Damals ging es um den 5-Kilometer-Nahbereich. Für Sie waren das damals zufällige Funde, die nicht signifikant sein könnten. So haben Sie das damals in einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage tituliert.

Da frage ich Sie ernsthaft: Wollen Sie bei dieser Linie bleiben? Darum geht es: Wir wollen sicherstellen, dass solche Dinge ernst genommen werden.

(Zuruf des Abgeordneten Henning Kaul (CSU))

Herr Kaul, ich verstehe Ihre Nervosität. Sie merken, dass Sie mit Ihrer verfehlten Politik möglicherweise großen Schaden an Menschen angerichtet haben. Darum müssen Sie sich vorhalten lassen, dass Sie seit Jahren versuchen, wissenschaftliche Ergebnisse aufgrund Ihrer ideologischen Prägung kleinzureden

(Henning Kaul (CSU): Schmarrn!)

und nicht fair zu hinterfragen, sondern so darzustellen, als sei das alles falsch. Das seien – so wörtlich – alles Zufallsfunde in Gundremmingen, in Ohu und in Grafenrheinfeld. Sie stellen mehr oder weniger alles, was auch nur in die Nähe von Kritik kommt, als falsch dar.

(Henning Kaul (CSU): Sie sollten die Protokolle nachlesen!)

Nehmen Sie Abstand von diesen Dingen, und wir können miteinander vernünftig damit umgehen. Nur darum geht es. Es geht darum, zu klären, was Wissenschaftler sagen, dass nämlich der derzeitige Kenntnisstand die Verbindung zwischen Nähe und Krebs nicht beweist. Noch nicht beweist, sage ich dazu. Wissen wir denn wirklich, was bei Kleinkindern vor sich geht? Wissen wir das wirklich gesichert? Ich meine, nein. Deswegen ist es wichtig, weiter zu forschen, um sicherzustellen, dass wir nicht in eine Falle laufen.