Protocol of the Session on November 27, 2007

Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, Dr. Thomas Beyer, Dr. Hildegard Kronawitter u. a. u. Frakt. (SPD) Bayern, aber gerechter Gute Arbeit für Bayern – Mindestlohn für gute Arbeit (Drs. 15/8872)

Ich eröffne die Aussprache und weise darauf hin: fünf Minuten Redezeit pro Fraktion. Erste Wortmeldung, Frau Kollegin Steiger.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Es ist höchste Zeit für Mindestlöhne. Wir haben dies schon vielfach diskutiert. Ich kann Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, gleich mit einem Zitat von Norbert Blüm auf dieses Thema einstimmen.

(Unruhe)

Er hat deutlich gesagt: Beim Mindestlohn ist es schon längst nicht mehr die Frage, ob, sondern nur noch die Frage, wann.

(Fortgesetzte Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Inzwischen haben 21von 27 Staaten der Europäischen Union Mindestlöhne. Ich frage Sie ernsthaft: Können sich 21 EU-Staaten in dieser Frage irren? – Ist in 21 Staaten der Europäischen Union das geschehen, was Sie jedes Mal, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, als Szenario an die Wand malen, dass nämlich Mindestlöhne Arbeitsplätze kosten, dass sie Schwarzarbeit fördern und dass Firmen abwandern? – Es gibt keine empirische Untersuchung, durch die dieses Szenario bestätigt wird. Im Gegenteil: Mindestlöhne sorgen für Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Die Low Pay Commission in Großbritannien, die nun wirklich eine lange Erfahrung hat, hat sogar eine Beschäftigungszunahme konstatiert.

(Engelbert Kupka (CSU): Die ist so niedrig, dass sie keine Rolle spielt!)

Das ist nicht wahr, Herr Kollege Kupka, das stimmt überhaupt nicht.

(Engelbert Kupka (CSU): Freilich ist es wahr!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sollten sich damit wirklich auseinandersetzen und das nachlesen. Sie sollten sich die Tabellen anschauen,

(Beifall bei der SPD)

bevor Sie hier etwas in die Debatte werfen, was nicht stimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, spätestens dann, wenn die EU-weite Öffnung der Arbeitsmärkte kommt – wann das ist, ist abzusehen –, kommt auch auf den deutschen Arbeitsmarkt zu, dass wir einen flächendeckenden Mindestlohn brauchen. Spätestens dann

muss er eingeführt sein. Dann heißt es: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.

(Beifall bei der SPD)

Das ist eine ganz simple Formel, Herr Kollege Kupka: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Es gibt das gute Beispiel im Baugewerbe, ein gutes Beispiel bei den Gebäudereinigern. Das wollten auch die verantwortungsvollen Arbeitgeber haben. Lohndumping geht zulasten aller. Wir sehen das am Beispiel der Postdienste, wo Sie sich nach wie vor sperren und wo Frau Kanzlerin Merkel wortbrüchig geworden ist. So war es. Während die Deutsche Post AG 11,80 Euro pro Stunde zahlt, liegt der durchschnittliche Stundenlohn der neuen Briefdienstleister in Ostdeutschland bei 5,90 Euro, in Westdeutschland bei 7 Euro. Es gibt auch in Westdeutschland Unternehmen, die nur noch 4 Euro Grundlohn und einen zusätzlichen Akkordzuschlag von ein paar Cent pro ausgetragenem Stück zahlen. Solche Billiglöhne kommen den Kunden aber nur vermeintlich zugute; denn wenn Menschen, die zu Dumpinglöhnen arbeiten, davon nicht leben können, haben sie Anspruch auf aufstockende Hilfe. Das hat Frau Ministerin Stewens selbst gesagt: Da gibt es einen Anspruch. Es kann aber nicht sein, dass der Steuerzahler dann die Billiglöhne und damit die Unternehmer subventioniert. Dadurch, dass sie sich einem durchgängigen Mindestlohn und der Ausweitung des Entsendegesetzes im Postbereich verweigern, werden Sie zu Lobbyisten des Springer-Verlags und der Otto-Gruppe. Das muss man Ihnen sagen.

(Beifall bei der SPD)

Die Einkommensschere geht weiter auseinander. Wir haben zweieinhalb Millionen Menschen, die in Vollzeit im Armutslohnbereich beschäftigt sind. 500 000 erhalten ergänzende SGB-II-Hilfen. Dumpinglöhne schaden der Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben, die faire Löhne zahlen. Das können wir so nicht wollen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt auch Tariflöhne in Bayern, die bei 4, 5 oder 6 Euro liegen. Das sind keine gering qualifizierten Arbeitsplätze. 60 % der Niedriglohnbezieher haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Das muss man sich vor Augen halten. Wir haben deshalb den vorliegenden Dringlichkeitsantrag gestellt, mit dem wir die Staatsregierung auffordern, die Initiative des Bundeslandes Rheinland-Pfalz im Bundesrat zur Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes zu unterstützen; denn nur so kommen wir ein Stück weiter. Billige Löhne sind letztendlich viel zu teuer. Wir haben weniger Einnahmen in den Sozialkassen, wir haben weniger Einnahmen bei den Steuern; das engt den Spielraum für staatliches Handeln und für Investitionen ein. Das können wir uns schlichtweg nicht erlauben. Wir können nicht hinnehmen, dass einige wenige sehr gut an Billiglöhnen verdienen,

(Beifall bei der SPD)

während alle anderen dafür die Zeche zahlen müssen. Deshalb unser Antrag.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Pongratz.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion beantragt, dass der Landtag die Staatsregierung auffordern soll, die Initiative des Bundeslandes Rheinland-Pfalz im Bundesrat – Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns – zu unterstützen. Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion befindet sich in dieser Hinsicht leider auf einem Irrweg.

(Unruhe bei der SPD)

Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns würde Hunderttausende einfacher Arbeitsplätze im Niedriglohnsegment vernichten.

(Unruhe bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Hans-Joachim Werner (SPD))

Bereits in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass die überproportional angehobenen oder gänzlich gestrichenen unteren Tariflohngruppen nicht unwesentlich zum dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei gering qualifizierten Arbeitnehmern beigetragen haben. Ein gesetzlicher Mindestlohn hätte einen ähnlichen Effekt. Ein Verlust unzähliger Arbeitsplätze wäre die Folge. Wir können und dürfen es nicht zulassen, dass durch die Einführung eines Mindestlohnes die ohnehin geringe Chance für wenig Qualifizierte, eine Arbeit zu finden, noch weiter gemindert wird.

(Christa Steiger (SPD): Und was passiert in 21 Ländern der Europäischen Union?)

Liebe Kollegin, Sie haben auf das Ausland verwiesen. Die Situation im Ausland ist aber, gerade im Hinblick auf die Lohnnebenkosten und die Flexibilität des Arbeitsmarktes, nicht vergleichbar.

Ich empfehle dem Plenum, und da sind wir uns mit den Ausschüssen einig – ob das der federführende Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, der Sozialausschuss oder der Haushaltsausschuss ist –, Ihren Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der CSU – Christa Steiger (SPD): Nur die Mitglieder der CSU in diesen Ausschüssen!)

Frau Kollegin, vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Hallitzky.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schere zwischen Spitzeneinkommen und Niedriglöhnen hat sich in Deutschland weiter geöffnet als in den meisten Industrieländern. Das ist nicht nur eine Aussage von mir, sondern dies ist vor allem eine Aussage der OECD. Die OECD empfiehlt deshalb als Konsequenz: Mindestlöhne. Die „Süddeutsche Zeitung“ titelt: „Der Lohn der Arbeit reicht immer seltener“ – mittlerweile müssen 1,3 Millionen Menschen Hartz IV beziehen, weil der Arbeitslohn nicht zum Überleben reicht. Tendenz: stark steigend“. Das zeigt: Wir haben in Deutschland im unteren Segment eine dramatische Lohnspirale nach unten. Unser Land muss deshalb schnell zu einer verbindlichen Regelung über Mindestlöhne kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, führen bei Mindestlöhnen immer vier Scheinargumente an. Das erste Scheinargument lautet: Mindestlöhne vernichten Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Es ist aber so, dass fast alle empirischen Untersuchungen zeigen: In allen EU-Staaten, in denen es Mindestlöhne gibt, kosten diese keine Arbeitsplätze. Dabei liegen die Mindestlöhne in diesen Staaten in der Regel über dem von den Gewerkschaften angestrebten und von der CSU verteufelten Betrag von 7,50 Euro pro Stunde. Das sollte jeder Sozialpolitiker und jede Sozialpolitikerin, liebe Frau Kollegin Pongratz, zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das ist eine empirisch nachprüfbare Aussage, die nicht durch theoretisches Gerede außer Kraft gesetzt wird.

Das zweite falsche Argument lautet, wir hätten im Gegensatz zu den EU-Ländern mit Mindestlöhnen eine funktionierende Tarifautonomie.

(Christa Steiger (SPD): Haben wir nicht!)

Tatsache ist jedoch, dass genau dort die Schutzwirkung der Tarifabschlüsse versagt, wo wir gesetzliche Mindestlöhne brauchen und einfordern, entweder, weil die Tariflöhne keinen ausreichenden Schutz gegen Armutslöhne bieten können, oder, weil es überhaupt keine Tarifbindung für die Betroffenen gibt. Das ist anders als in den skandinavischen Ländern, die keine gesetzlichen Mindestlöhne kennen. Diese Länder haben stattdessen flächendeckend wirksame Tarifverträge. Alle EU-Staaten, liebe Frau Pongratz, bis auf Zypern und Deutschland, haben entweder Mindestlöhne oder eine tarifvertraglich vollständige Deckungsrate. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass lediglich die Zyprer und die CSU in Europa wüssten, wie es geht, während alle anderen wirtschaftspolitische Idioten sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das dritte falsche Argument: Deutschland hat einen Schutz vor sittenwidrigen Löhnen, weil durch Richterrecht Sittenwidrigkeit verhindert wird. Das gilt aber nur

dann, wenn die Löhne 30 % unter dem Normalmaß sind. Das gilt aber nicht, wenn das Normalmaß, wie es derzeit geschieht, langsam nach unten trudelt. Wenn ein Tariflohn bei 3,20 Euro liegt, dann sind 2,50 Euro nicht sittenwidrig. Auch dieses Argument stimmt also nicht.

Das vierte falsche Argument lautet, wir hätten mit dem Arbeitslosengeld II faktisch schon einen gesetzlichen Mindestlohn. Das stimmt nicht! – Tatsache ist vielmehr, dass der Empfang des Arbeitslosengeldes II eine Bedürftigkeitsprüfung voraussetzt und weder bei eigenem Vermögen noch bei Doppelverdienern einen Schutz vor Dumping-Löhnen bietet. Beim Arbeitslosengeld II handelt es sich außerdem um einen Sozialtransfer und nicht um ein Entgelt für geleistete Arbeit. Die Arbeitnehmer wollen aber keine Almosen, sondern sie wollen eine faire Bezahlung für ihre Arbeit.

Schließlich führt die Absicherung durch Hartz IV, und das ist wirtschaftspolitisch eine verheerende Entwicklung, Frau Pongratz, dazu, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber im Niedriglohnsegment ihre Lohnkosten zum Teil auf den Staat überwälzen können. Es ist also geradezu eine „Belohnung“ für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit einem schlechten Charakter, die sich hiermit Wettbewerbsvorteile gegenüber jenen Unternehmen verschaffen, die angemessene und anständige Löhne bezahlen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Der ehrliche Arbeitgeber ist der Dumme, das ist das Ergebnis Ihrer Politik!

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der rechten Seite des Hohen Hauses: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Die von Ihnen regelmäßig feilgebotenen ökonomischen Kritikversuche an Mindestlöhnen sind blanker Unsinn.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)