Protocol of the Session on November 27, 2007

Es liegt keine weitere Wortmeldung vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.

Ich schlage vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik als federführendem Ausschuss zu überweisen. – Damit besteht Einverständnis. Das ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Abstimmung über Anträge etc., die gemäß § 59 Abs. 7 der Geschäftsordnung nicht einzeln beraten werden

Hinsichtlich der jeweiligen Abstimmungsgrundlagen mit den einzelnen Voten der Fraktionen verweise ich auf die Ihnen vorliegende Liste.

(siehe Anlage 1)

Wer mit der Übernahme seines Abstimmungsverhaltens bzw. dem jeweiligen Abstimmungsverhalten seiner Fraktion entsprechend der aufgelegten Liste einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Niemand. Stimmenthaltungen? – Auch niemand. Dann ist so beschlossen. Damit übernimmt der Landtag diese Voten.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5, 6 und 7 einschließlich der Änderungsanträge zur gemeinsamen Beratung auf:

Gesetzentwurf der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Regelung des Jugendstrafvollzugs im Freistaat Bayern (BayJStVollzG) (Drs. 15/7334) – Zweite Lesung –

Gesetzentwurf der Abg. Franz Maget, Franz Schindler, Bärbel Narnhammer u. a. u. Frakt. (SPD) zur Regelung des Jugendstrafvollzuges (Bayeri- sches Jugendstrafvollzugsgesetz – BayJugStVollzG) (Drs. 15/7566) – Zweite Lesung –

Gesetzentwurf der Staatsregierung über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung (Bayerisches Straf- vollzugsgesetz – BayStVollzG) (Drs. 15/8101) – Zweite Lesung –

hierzu:

Änderungsantrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drs. 15/8253)

Änderungsantrag der Abg. Franz Schindler, Bärbel Narnhammer, Florian Ritter u. a. (SPD) (Drs. 15/8485)

Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von 15 Minuten je Fraktion vereinbart.

Erste Rednerin ist Frau Kollegin Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Das ist ein historischer Augenblick, auf den ich gern verzichtet hätte und der weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Gerne hätte ich auch auf die historische Chance verzichtet, in bayerischer Länderkompetenz etwas für den Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug ändern zu müssen.

Wir erinnern uns: Die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug wurde nicht deshalb in die Hände der Länder übergeben, weil es Sinn gemacht hätte. Vielmehr wurde die Zuständigkeit vom Bund auf die Länder verlagert, weil der Strafvollzug zum Spielball im föderalistischen Gezerre geworden ist, einer Föderalismusdebatte, die bis heute die wirklich wichtigen Fragen nicht geklärt hat, zum Beispiel die Finanzausstattung von Bund und Ländern.

Mit in den Sog dieser föderalen Machtspielchen geriet auch der Jugendstrafvollzug, der zwar so heißt, nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend dem Urteil vom 31.05. von der Zielsetzung her aber etwas anderes ist und anders auszugestalten ist als der Erwachsenenstrafvollzug.

Es wurde – so deute ich die vorliegende Gesetzesinitiative der Bayerischen Staatsregierung – aus Angst, die eigene ideologisch unbewegliche Fraktion zu überfordern und vielleicht auch die Wählerklientel der CSU mit etwas zu belästigen, das nicht so einfach zu regeln ist, die Chance vertan, den Strafvollzug nach wirklich neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen – seien es die Erkenntnisse von Professor Kühnel, von Bernd-Rüdeger Sonnen, Professor Maelicke, Professor Streng oder Professor Pfeiffer; es gibt zig andere – in einer Reform voranzubringen.

Alle Instrumente, die sich durchaus als positiv gezeigt haben, wie zum Beispiel Wohngruppenvollzug, offener Vollzug, Resozialisierung durch Entlassungsvorbereitung, fallen aus unserer Sicht – auch wenn Sie nicht müde werden, das Gegenteil zu behaupten – unter den Tisch. Was andernorts Sinn macht und auch praktiziert wird, ist in Bayern ideologisch nicht gewollt.

Sie machen nur in einem Punkt Zugeständnisse; das sind die Sozialtherapien. Für die Ausweitung derselben muss man Sie wirklich loben, und das tue ich auch gerne. Nur werden diese nicht ihre volle Wirkung entfalten können, wenn gleichzeitig der Strafvollzug so bleibt, wie er ist, das heißt, unterbesetzt mit Personal und weg von den Instrumenten, die sich als gut erwiesen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Übrigen wird die Debatte zum Strafvollzug mit den üblichen Klischees und Vorurteilen im Gepäck geführt. Sie werden das nicht zuletzt wieder am Donnerstag erleben, wenn es um die Verlängerung von Strafzeiten, von Haftzeiten für Heranwachsende geht. Ich weiß aber – das wissen Sie im Grunde genommen auch –, dass Klischees und Vorurteile noch nie dazu geeignet waren, eine Sachentscheidung zu begründen. Das war noch nie sonderlich hilfreich.

Was es in der vorliegenden Debatte wirklich gebraucht hätte, wären mutige Entscheidungen gewesen. In diesem Zusammenhang zitiere ich den Fachverband der Evangelischen Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe in Bayern: Es braucht als politischer Entscheidungsträger eine gehörige Portion Mut, Entschlossenheit und Standfestigkeit, sich im höchstsensiblen Bereich der Kriminalpolitik gegen den heftigen Wind nach restriktiveren Strafen, Gesetzen oder Strafvollzugsgesetzen zu stellen. Fachliche Argumente gibt es zuhauf. – So die Evangelische Straffälligenhilfe in Bayern. Ich möchte ergänzen: Die CSU müsste die fachlichen Argumente eigentlich nur zur Kenntnis nehmen und praktizieren.

Wir haben leider für dieses wirklich wichtige Gesetzespaket nur 15 Minuten, sodass ich gerade einmal an zwei kleinen Beispielen darlegen kann, weshalb ich glaube, dass man mit Klischees arbeitet und nicht ganz sauber argumentiert. Das ist zum Beispiel die immer wiederkehrende Behauptung, der Jugendstrafvollzug müsse hart und repressiv ausgestaltet sein, weil die Kriminalität und Brutalität zunähmen. Beides ist falsch. Das heißt nicht, dass im Strafvollzug alles Honigschlecken ist und dass wir nicht sehr schwierige Gruppen, eine schwierige Klientel hätten. Nicht in Ordnung ist, in dieser vereinfachenden Form immer wieder diese Behauptung aufzustellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

So stellt zum Beispiel der zweite periodische Sicherheitsbericht der Bundesregierung, der ja von unabhängigen Wissenschaftlern, Vertretern von Bundesbehörden und der Kriminologischen Zentralstelle erstellt wird, fest, dass weder die Justizdaten noch die Dunkelfeldstudien Anhaltspunkte für diese Annahmen geben. Trotzdem ver

breitet die CSU diese Fehleinschätzung, um ihren repressiven Stil zu begründen.

Fehleinschätzung Nummer zwei: Es werden immer wieder wichtige Instrumente, wie zum Beispiel Ausgang, Urlaub, Resozialisierungsbemühungen im offenen Vollzug oder pädagogische Maßnahmen, als Sozialromantik abgetan. Strafe muss spürbar sein. Das sage ich auch, Disziplinierungen sind selbstverständlich notwendig. Nur muss man auch immer wieder hinsehen und überprüfen, welche anderen Maßnahmen – durchaus auch die der Belohnung – letztendlich dafür sorgen, dass es weniger Rückfalltäterinnen und Rückfalltäter gibt. Man muss sich auch mit diesen Erkenntnissen auseinandersetzen.

Ich möchte, gerade wenn es um Ausgang oder um Urlaub geht, darauf hinweisen, dass Jugendliche den Entzug von Freiheit – weil sie nämlich ein anderes Zeitgefühl haben – viel stärker als Strafe wahrnehmen und anders wahrnehmen, als es zum Beispiel Erwachsene tun. Zudem ist bei Ihnen das Bedürfnis nach Kontakt mit Angehörigen oder auch mit Dritten, denen sie sich zugeordnet fühlen, sehr viel ausgeprägter als bei Erwachsenen. Die Angst in der neuen Situation Strafvollzug ist zudem bei Jugendlichen ebenfalls stärker ausgeprägt. Je länger jedoch Jugendliche einsitzen, umso stärker wird der Gewöhnungseffekt. Das sind alles psychologische Bedingungen, die man aus unserer Sicht mit bedenken muss, wenn wir im Strafvollzug, was die Resozialisierung und den Rückfall anbelangt, wirklich erfolgreich sein wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vollzugslockerungen, wie ich sie eben schon genannt habe, sind deswegen enorm wichtig. Es sollte aber auch im bayerischen Strafvollzug möglich sein, ganz neue Wege zu beschreiten, wie das beispielsweise in BadenWürttemberg gemacht wird. Man kann sich dort das Projekt von „Prisma“ anschauen, das auch von sehr konservativen Kräften befördert wird.

Auch das Verfassungsgericht hat vorgeschlagen, dass man diese Möglichkeit eröffnet. Wir finden allerdings im Gesetzentwurf der Staatsregierung, was die Möglichkeit der Teilnahme an solch wirklich progressiven Modellprojekten anbelangt, gar nichts.

Bereits diese beiden kleinen Beispiele – die Liste ließe sich wirklich zwei Stunden lang diskutieren; wir könnten die Liste sehr lang machen – zeigen, wie unendlich weit weg Sie von Forschung und Lehre und damit von der Realität sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihnen ist es anscheinend völlig egal, was die Deutsche Vereinigung der Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen auflistet. Ich denke etwa an den Vorschlag, den Jugendstrafvollzug in einem eigenen Gesetz auf den Weg zu bringen. Das ist nur ein Beispiel. Die kritisieren sehr viel, aber das ist ein Beispiel.

Ihnen scheint beim Verfassen Ihres Gesetzentwurfes völlig egal zu sein, was der Deutsche Juristinnenbund zum Beispiel zur Umkehrung des Vollzugsziels sagt. Sie haben die Sicherheit vor die Resozialisierung gesetzt.

(Staatsministerin Dr. Beate Merk: Nein!)

Sie behaupten zwar, das sei gleichwertig zu verstehen. Es erschließt sich mir trotzdem bis zum heutigen Tag nicht, warum Sie dann die Umstellung vorgenommen haben. Das ist nicht notwendig gewesen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihnen ist auch egal, was der Juristinnenbund zum Opferschutz ausführt. Ihnen ist anscheinend auch völlig egal, was die Bundesvereinigung der Anstaltsleiter und Anstaltsleiterinnen fordert, nämlich die strikte Einzelunterbringung, wie sie in Nordrhein-Westfalen im Gesetzentwurf vorgesehen ist. Nun gibt es sicherlich bauliche Bedingungen.

(Zuruf der Staatsministerin Dr. Beate Merk)

Sie sind dann dran, und wir können dann vielleicht auch noch in eine zweite Runde der Auseinandersetzung gehen. Aber wir haben das schon so oft diskutiert. Wir werden da nicht zusammenkommen, Frau Justizministerin. Lesen Sie doch mal die Papiere von den Anstaltsleitern und Anstaltsleiterinnen. Ich nehme an, Sie haben sie gelesen. Trotzdem sagen Sie, das stimmt alles nicht, was ich hier erzähle. Es ist wirklich teilweise sinnlos.

Man kann ja, wenn es bauliche Probleme gibt und die finanziellen Möglichkeiten beschränkt sind, eine Übergangsregelung finden, wie die Anstaltsleiter sie vorgeschlagen haben. Die finden wir aber nicht bei Ihnen. Sie eröffnen mit Ihrem Gesetzentwurf, gerade was das Erwachsenenstrafrecht anbelangt, sogar die Möglichkeit einer Einzelunterbringung bis zu acht Personen.

Auch auf den bayerischen Datenschutzbeauftragten und dessen Forderungen sind Sie noch in keiner Debatte eingegangen. Vielleicht hören wir heute etwas dazu. Herr Dr. Betzl klagt nämlich, dass seine datenschutzrechtlichen Forderungen nicht berücksichtigt worden seien. In diesen Forderungen geht es nicht um Täterschutz, sondern da geht es darum, wie man den Kontakt zu Angehörigen oder den Kontakt mit Anwälten oder anderem Personal schützt. Seine Darlegungen haben Sie vom Tisch gewischt ebenso wie die Einwände des Fachausschusses Straffälligenhilfe der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Sie glauben immer noch – unabhängig von den Therapieplätzen, wo ich auch sehr gespannt bin, wie die sich finanziell im Nachtragshaushalt niederschlagen werden – an das Märchen, an das auch der CDU-Justizminister Banzer und die FDP in Hessen so gerne glauben, dass die Selbstheilung jugendlicher Straftäter beinahe ausschließlich durch konsequente Intervention stattfindet. Weil in Hessen eine hohe Rückfallquote von 78 % besteht – die ist in Bayern auch nicht sehr viel besser –, glaubt man, durch diese konsequente Intervention etwas an der Rückfallquote zu ändern. Gleichwohl

wissen wir, dass diese konsequente Intervention bereits in den USA an ihre Grenzen geraten ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vorsichtig wird also mit der Sozialtherapie begonnen. Ich vermisse aber die begleitenden Maßnahmen im Strafvollzug selbst. Wir fordern Sie auf: Setzen Sie sowohl im Jugendstrafvollzug als auch im Erwachsenenstrafvollzug stattdessen auf bessere Betreuung. Ändern Sie zuallererst den miserablen Schlüssel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich weiß, auch hier sind Personalaufstockungen vorgesehen. Wir werden sehen, wie die am Ende nach Ihren Vorstellungen finanziert werden. Ich erinnere nur daran: Ein Arzt kommt auf 264 Strafgefangene, ein Psychologe auf 197 Strafgefangene, ein Lehrer auf 242 Strafgefangene und ein Sozialpädagoge auf 91 Strafgefangene. Hier müssen Sie etwas verändern, hier haben Sie versprochen, etwas zu ändern, wir werden überprüfen, ob Sie etwas ändern.