Ich erinnere Sie, Herr Ministerpräsident, an Ihre eigene Regierungserklärung vom 4. Februar 1998 hier in diesem Hause. Damals haben Sie die Föderalisierung der Sozialversicherungssysteme zu Ihrem politischen Programm erhoben. Nach Ihren Vorstellungen – nur um Sie daran zu erinnern – sollten die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in der Höhe erhoben werden, wie die jeweilige Arbeitslosenrate in den einzelnen Bundesländern gewesen wäre. Das hätte dazu geführt, dass die Menschen in den Ländern besonders hohe Belastungen verkraften müssten, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist.
Gestern hat man Sie in „Phönix“ bei einer Wahlkampfkundgebung der CDU in Magdeburg sehen können, übrigens zu einer Zeit, als hier eine Plenarsitzung des Bayerischen Landtags stattgefunden hat. Auch das ist ein bemerkenswerter Vorgang.
(Glück (CSU): Glauben Sie denn, Herr Schröder hat damals in Niedersachsen im Landtag an einer Plenarsitzung teilgenommen! – Unruhe bei der CSU)
Herr Kollege Glück, gut dass Sie danach fragen. Kollege Glück fragt, ob der damalige Ministerpräsident Schröder zu einem Zeitpunkt, als er Kanzlerkandidat war, im Niedersächsischen Landtag präsent war. Wir haben auf diese Frage gewartet und haben uns beim Landtagsamt in Niedersachsen erkundigt. Er war bis auf zweimal – einmal war er auf einer USA-Reise und einmal bei einer Ministerpräsidentenkonferenz – bei jeder Sitzung des Niedersächsischen Landtags anwesend. Bei jeder, Herr Kollege Glück!
So sieht das aus. Der bayerische Ministerpräsident aber entschuldigt sich noch nicht einmal, wenn er bei Plenarsitzungen fehlt und an Wahlkampfveranstaltungen der Union teilnimmt. Wenn er bei Sitzungen der Ministerpräsidentenkonferenz ist, dann ist er selbstverständlich für Sitzungen hier entschuldigt ist. Er ist aber gewählter Ministerpräsident Bayerns, dafür wollen ihn die Bürgerinnen und Bürger Bayerns auch arbeiten sehen. Dafür wird er auch bezahlt, nicht aber für Wahlkampfauftritte anderswo.
Abgesehen davon ist Herr Stoiber auch Abgeordneter dieses Hauses und wird auch dafür entlohnt. Nach unserem Abgeordnetengesetz besteht eine gewisse Verpflichtung, hier als Abgeordneter tätig zu sein.
Ich komme auf Ostdeutschland zurück. Es ist nur schade, dass Sie, Herr Stoiber, in bayerischen Bierzelten anders reden als auf ostdeutschen Marktplätzen. Das ist wirklich schade, denn da gibt es große Unterschiede.
Hier in Bayern schimpfen Sie darüber, dass zu viel Geld in die neuen Bundesländer fließt. Dort aber laufen Sie in Spendierhosen herum und versprechen immer neue Milliarden-Programme. Auch das muss man den Menschen in Bayern und in Ostdeutschland sagen.
Sie haben in Ihrer Regierungserklärung das Thema Zuwanderung angesprochen. Dabei haben Sie flugs unwahre Behauptungen aufgestellt.
Ihre unwahre Behauptung lautet: Mit dem Zuwanderungsgesetz würden Tür und Tor aufgemacht, damit Hunderttausende von Ausländern in unser Land hereinströmen könnten.
(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Und so ein Mann nennt sich christlich! – Frau Dr. Baumann (SPD): Da sollte man das „Christlich“ aus dem Namen streichen!)
Das wird von Ihnen einfach behauptet. Sie stellen das wissentlich falsch dar. Das tun Sie aus einem einzigen Grund: Sie wollen das Thema Ausländer in diesem Wahlkampf haben. Das ist der einzige Grund, und deshalb nehmen Sie es mit der Wahrheit nicht so genau.
Sie sagen, wir müssten die Integrationskraft unseres Landes im Auge behalten. Das ist richtig. Sie sagen, wir müssten die ausländischen Menschen, die zu uns gekommen sind, besser integrieren. Das ist richtig. Sie sagen, die ausländischen Kinder und Jugendliche müssten besser Deutsch können. Das ist richtig. In den letzten Jahren haben wir versucht, alles das in Bayern zu verbessern. Wir haben Ihnen jahrelang Vorschläge unterbreitet, wie man die Integration der bei uns lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger konkret verbessern könnte. Sie wollten das alles nicht wissen. Sie haben das alles jahrelang abgelehnt.
Für das Zuwanderungsgesetz der Bundesregierung gibt es eine breite Zustimmung, weil zwei entscheidende Punkte gut berücksichtigt sind: erstens die Erfüllung humanitärer Verpflichtungen unseres Landes und zweitens die gezielte Öffnung für qualifizierte Arbeitskräfte unter Berücksichtigung der Integrationskraft unseres Landes. Ihr demagogischer Versuch, deutsche Arbeitslose gegen ausländische Arbeitnehmer in Stellung zu bringen, ist unanständig, und er ist auch unchristlich.
Nach dieser Regierungserklärung sollten Sie zum Beichten gehen. Im Übrigen ist der Versuch auch gerade gegenüber der bayerischen Wirtschaft ökonomisch verantwortungslos. Mit Schreiben vom 22. März dieses Jahres hat uns der Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Bayerischen Handwerkskammer, unser Parlamentskollege Traublinger, das Positionspapier des bayerischen Handwerks zur Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms Bayern übersandt. Dort wird gefordert, den Abschnitt Arbeitsmarktfachkräfte um folgende Sätze zu ergänzen – Zitat Herr Kollege Traublinger:
Die Entwicklung der Bevölkerung in Bayern und die absehbare Orientierung des Nachwuchses lässt die Tendenz erkennen, dass sich zunehmend ein Mangel an Fachkräften, insbesondere im gewerblichen Bereich, abzeichnet. Finden die Betriebe nicht entsprechende Fachkräfte im Inland, so sind alle Potenziale auszuschöpfen, den Fachkräftemangel
Wollen Sie allen Ernstes den Unternehmen im Großraum München, dessen Wachstum entscheidend dazu beiträgt, dass es vergleichsweise gute Durchschnittszahlen in Bayern bei der Arbeitslosigkeit gibt, tatsächlich sagen: Wenn ihr nicht in der Lage seid, die offenen Stellen mit händeringend gesuchten Kräften zu besetzen, müsst ihr eben auf die Besetzung dieser Stellen und auf das damit verbundene Wirtschaftswachstum verzichten. Wollen Sie das wirklich sagen?
Wollen Sie denen wirklich sagen: Mein Wahlkampfauftritt, mein Wahlkampfthema ist mir wichtiger als die berechtigten Anliegen der bayerischen Wirtschaft und der bayerischen Bevölkerung? Wollen Sie das wirklich?
Ein wirklich wirtschaftskompetenter Ministerpräsident, Herr Kollege Dr. Beckstein, wüsste, dass Bayern seine unbestrittenen wirtschaftlichen Erfolge nicht zuletzt den Menschen verdankt, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu uns nach Bayern gekommen sind.
Kein Wunder, Herr Dr. Stoiber, dass Ihnen Roland Berger als Ihr Wunsch-Wirtschaftsminister postwendend einen Korb gegeben hat. Kein Wunder!
Dabei ist die wirtschaftliche Situation Bayerns gewiss nicht schlecht. Wer würde das bestreiten? – Auch ich anerkenne ausdrücklich, dass Bayern eine gute ökonomische Basis hat. Wir hatten es leichter beim Strukturwandel – wenig Kohle, wenig Stahl, keine Werften. Wir hatten es leichter, weil der Bund kräftig mitgeholfen hat und die anderen Bundesländer übrigens auch.
Sie verschweigen zum Beispiel, Herr Kollege Glück, dass 40% der Forschungsförderung des Bundes zu uns nach Bayern kommt.
Wir hatten es auch leichter, weil wir fast 5 Milliarden e Privatisierungserlöse zur Verfügung hatten. Natürlich macht das die Entwicklung des Landes leichter und besser. Ich bestreite das nicht.