Protocol of the Session on February 21, 2002

Der designierte Präsident des neuen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ist auch deswegen zurückgetreten, weil Probleme beim Nürnberger Privatlabor zu lange unter der Decke gehalten wurden. Auch hier gibt es einen Briefwechsel.

(Glück (CSU): Herr Dürr, Sie wissen ganz genau, dass es um Wasserproben gegangen ist!)

Ich weiß überhaupt nichts genau. Ich habe Minister Sinner gefragt, und er hätte mir antworten können. Das hat er nicht getan.

(Lachen bei der CSU – Lebhafte Zurufe von der CSU – Glück (CSU): Das ist Ihnen in der Ausschusssitzung gesagt worden! – Unruhe)

Genau das zeigt das Vertuschen. Ich glaube nichts mehr, was mir gesagt wird; ich glaube nur dann etwas, wenn es mir schriftlich vorliegt.

(Fortgesetzte Zurufe von der CSU – Unruhe)

Zurück zum Landesamt: Auch hier gibt es einen Briefwechsel. Schon im August letzten Jahres hat die Regierung von Mittelfranken genau die Probleme angemahnt, die jetzt zur Schließung der Labore geführt haben. Man wies das Ministerium unter anderem darauf hin, dass nachts lediglich technische Kräfte im Labor arbeiteten, aber keine verantwortliche Aufsicht da war. Die Prüfprotokolle wurden von den Verantwortlichen nachträglich unterschrieben, wenn sie am Morgen in die Labore gekommen sind. Auch hier gab es keinerlei Konsequenzen.

Die gesamte Kontrolle in Bayern ist völlig falsch strukturiert. Eine Hand weiß nicht, was die andere tut, siehe das Beispiel der Testprotokolle aus Westheim. Man hätte erkennen können, dass sie aus einem nicht zugelasse

nen Labor stammten. Herr Minister, Sie haben sich im Ausschuss damit herausgeredet, dass das Protokoll nur der amtliche Tierarzt, also kein Beamter, wie Sie sagten, unterzeichnet habe. Aber genau das ist die staatliche Kontrolle, die Sie selbst organisiert haben. Sie haben dafür gesorgt, dass die Aufgaben nicht auf eine Hand, sondern auf verschiedene Hände aufgeteilt wurden, die nichts voneinander wissen. Das ist Ihre Verantwortung.

Sie haben auch zu verantworten, dass die unteren Kontrollorgane, also diejenigen, die vor Ort kontrollieren, nicht qualifiziert genug arbeiten können. Die Fachleute des LUA Nord haben sofort festgestellt, was die Überprüfung in dem Nürnberger Labor vorher nicht feststellen konnte, weil man dafür blind war. Herstellervorschriften wurden missachtet; positive Ergebnisse wurden so lange nachgetestet, bis die Ergebnisse negativ waren, anstatt Proben zur immunhistologischen Nachprüfung beim Landesuntersuchungsamt einzureichen.

Auch Ihr Krisenmanagement war miserabel. Dafür nur ein Beispiel: Nachdem das illegale Labor aufgeflogen war, hat es über drei Wochen gedauert, bis das Ministerium die Firma Südfleisch informiert hat und das noch vorhandene Fleisch sicherstellen ließ. Und da machen Sie Frau Künast im gleichen Atemzug Vorwürfe. Fassen Sie sich doch erst einmal an die eigene Nase. Man kommt zu vernünftigen Kontrollen, indem man die Fehler im eigenen Hause behebt, anstatt auf andere irgendwo in der Welt zu zeigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach drei Wochen und vier Tagen haben Sie schließlich das Bundesministerium unterrichtet. Alle anderen notwendigen Aktionen haben noch länger gedauert. Der Lizenzentzug für das Labor, die Überprüfung der übrigen Labore, die Klärung der Frage, was mit dem sichergestellten Fleisch passieren soll – zu jedem Schritt mussten Sie gezwungen werden, entweder von uns oder von der Bundesministerin.

(Widerspruch bei der CSU)

Herr Minister, genauso handlungsunfähig zeigen Sie sich, wenn es um die Neuorganisation der staatlichen Kontrolle geht. Da gibt es nichts als Ankündigungen. Herr Minister, bis heute haben Sie es nicht geschafft, den noch verbliebenen, korrekt arbeitenden Laboren Planungssicherheit zu geben.

Diese Labore testen jetzt unter absolut erschwerten Bedingungen. Sie mussten ihr Personal kurzfristig aufstocken, ohne zu wissen, wie es weitergeht. Sie wissen nicht einmal, wie viel Geld sie pro Test bekommen, weil das Ministerium monatelang mit den Auszahlungen in Verzug ist und weil Sie jetzt schon angekündigt haben, dass die Zuschüsse herabgesetzt werden. Die Labore testen und wissen nicht, was es kosten wird. Sie aber haben schon vor Wochen angekündigt, dass die Kontrolle ausschließlich in staatlicher Verantwortung gemacht werden soll. Aber Sie sagen bis heute nicht, wie. Wie schaut die neue staatliche Verantwortung aus? Darüber haben wir bis heute nichts gehört.

Im Oktober haben Sie großartig die Neugründung des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit angekündigt. Dieses LGL soll seit 1. Januar offiziell arbeiten. Aber das LGL gibt es nur auf dem Papier. Das LGL hat wie gesagt keine Organisationsstrukturen, und jetzt hat es nicht einmal mehr einen designierten Präsideten. Der anerkannte Wissenschaftler Helge Burow hat nämlich das Handtuch geschmissen, nachdem er seine fachlich begründeten Vorschläge nicht umsetzen durfte. So wollte er zum Beispiel die staatliche Kontrolle künftig aus einer Hand organisiert haben, das LGL sollte die Dienst- und Fachvorgesetzte der amtlichen Tierärzte vor Ort werden. Vor ungefähr sechs Wochen hat er sich dagegen gewehrt, als Sie die Laborkapazitäten abbauen wollten, genau die Laborkapazitäten, die Sie heute wieder aufstocken, ja verdoppeln wollen. Damals, vor sechs Wochen, wollten Sie sie abbauen. Wo wollen Sie denn jetzt hin, Herr Minister?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber fachliche Überlegungen haben offensichtlich weder beim Personal noch bei der Neuorganisation eine wichtige Rolle gespielt, und das hat sich Herr Burow nicht länger bieten lassen.

Aber es fehlt nicht nur der Präsident, es fehlt das ganze Landesamt. Sie hatten im Oktober angekündigt, dass sich das neue Landesamt als Ansprechpartner für Bürgerinnen und Bürger verstehen werde. Sie haben gesagt: „Während die Landesuntersuchungsämter bisher eher im Verborgenen gewirkt haben, wirkt das Landesamt nach außen.“ Wer allerdings diesen Ansprechpartner irgendwo sucht – im Telefonverzeichnis oder im Internet –, wird schnell feststellen, dass das Landesamt noch verborgener wirkt.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das gibt es überhaupt nicht, weder im Internet noch in Wirklichkeit. Das neue Landesamt existiert noch nicht einmal virtuell, sondern nur in Ihren Ankündigungen.

Die traurigste aller Ihrer Ankündigungen, Herr Minister, aber war Ihre Behauptung, Ihr Ministerium sei lobbyfest. Schon bei der ersten Bewährungsprobe haben Sie den Elchtest nicht bestanden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind umgefallen wie alle Minister vor Ihnen. Zugegeben, der Elch war diesmal größer, es war sozusagen der größte aller in Bayern denkbaren Elche, nämlich der Ministerpräsident.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Güller (SPD) – Oh!-Rufe von der CSU)

Aber umgefallen sind Sie schon selber, Herr Minister. Im Landwirtschaftsausschuss haben Sie noch am 23. Januar erklärt, dass jedes ausschließlich in Westheim getestete Fleisch nicht in den Verkehr gebracht werde. Das sei kein bloßer Formverstoß, sondern habe

durchaus materielle Bedeutung. – Das war der Standard, den Sie selber gesetzt haben – das hat niemand verlangt –, Ihr Standard, zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger Sicherheit zu garantieren. Das haben Sie gesagt und Sie haben standhaft verkündet, damals noch wirklich standhaft, beim Verbraucherschutz könne es keine Kompromisse geben. Da könne man jetzt nicht versuchen zu handeln, haben Sie gesagt. Von dieser konsequenten Haltung werde Ihr Ministerium nicht abrücken, haben Sie gesagt, Herr Minister. Das war wirklich respektabel, Herr Minister.

Aber ein paar Tage später sind Sie plötzlich filzweich umgefallen, und diese siebte Sünde, die nehme ich Ihnen persönlich übel, denn bis dahin hatte ich an Ihren ernsthaften Willen, lobbyfest zu handeln, geglaubt. Ich hatte nicht daran geglaubt, dass Sie es schaffen können, aber ich habe geglaubt, dass Sie es schaffen wollen.

Aber nach besagter Krisensitzung in der Staatskanzlei haben Sie eine Kehrtwende um 180 Grad hingelegt und haben noch behauptet, das sei auch das, was Sie ursprünglich gewollt hätten. Dann hat die Künast Ihnen eine auf den Deckel gegeben, hat die 180 Grad wieder umgedreht, und dann haben Sie auch wieder gesagt: Das ist das, was ich will.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wird Ihnen da nicht schwindlig, Herr Minister?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Warum lassen sich bayerische Minister immer wieder zu Erfüllungsgehilfen der Agrarlobby machen? – Weil diese Agrarlobby ein fester Bestandteil Ihrer Partei ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Es gibt eine ganze Menge personelle und strukturelle Verflechtungen mit allen, die in der Lebensmittelproduktion handfeste wirtschaftliche Interessen vertreten, bis hinein ins Parlament und mitten in die Staatskanzlei.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Herr Zimmermann hat nur für Krankenhäuser gesorgt!)

Der Ministerpräsident selber ist in Bayern der oberste Lobbyist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oh!-Rufe von der CSU)

Deshalb wird auch Ihre Entlassung, Herr Minister, nichts an den katastrophalen bayerischen Strukturen ändern – im Gegenteil vermutlich. Aber nach Ihren sieben Sündenfällen ist sie unvermeidlich.

Herr Sinner – Herr Minister Sinner –, anders als beispielsweise Ihr Kollege Miller hatten Sie sich bisher nicht als verlängerter Arm der Agrarlobby in der Staatsregierung begriffen. Aber andere haben Sie so verstanden,

allen voran der Ministerpräsident. Sein Motte heißt: Es muss sich was ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist. Dafür hat er Sie geholt. Der Ministerpräsident hat Sie vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Darauf haben wir schon bei Ihrer Einsetzung hingewiesen. Sie sollten der Agrarlobby und der Regierungspolitik des Ministerpräsidenten, die sich dieser Lobby verpflichtet weiß, den Pelz waschen, ohne sie nass zu machen. Ein ehrlicher Wille alleine reicht da eben nicht weit, Herr Minister.

Jetzt, nach Ihrem Umfaller, nachdem Sie sich vor aller Augen der Lobby beugen mussten, sind Sie auch als Feigenblatt unbrauchbar geworden. Unter den bayerischen Bedingungen konnten Sie Ihre Ziele gar nicht erreichen. Das einzugestehen wäre ehrenvoll. Treten Sie also lieber freiwillig zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe bei der CSU – Zurufe von der CSU: Dürr, dürrer, Dr. Dürr!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Starzmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mikro!)

Ich bemühe mich, ein bisschen leiser zu reden, weil dann alle anderen auch leiser sind.

Gestatten Sie mir folgende Vorbemerkung: Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass bei dieser Debatte der Ministerpräsident anwesend ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oh!-Rufe von der CSU)

Es ist zwar heute einmal gesagt worden, er habe ein Wirtschaftsgespräch.