Protocol of the Session on December 11, 2001

die Verknüpfung der Lerninhalte, für das Üben und für die Vertiefung eingeräumt werden soll. Deswegen ist es mir schleierhaft,

(Frau Radermacher (SPD): Habe ich gerade begrüßt! Sie haben nicht zugehört, Herr Knauer!)

weshalb Sie mit dieser ollen Kamelle heute noch einmal kommen und wir das noch einmal beschließen sollen.

(Zurufe von der SPD)

Der jüngst in Kraft getretene Lehrplan für die Grundschule wird allenthalben gelobt. Hier sind wir auf dem richtigen Weg. Der neue Lehrplan für die sechsstufige Realschule berücksichtigt diese Vorgabe ebenso wie der in Vorbereitung befindliche Lehrplan für unsere Gymnasien. Wir haben den Schulversuch für die Unter- und Mittelstufe der Gymnasien kritisch begleitet und die Einstündigkeit der Fächer abgeschafft. Wir haben eine Reform der Lehrerbildung hier im Plenum vor wenigen Monaten verabschiedet und werden sehr genau auf deren zeitgerechte Umsetzung achten.

Wir liegen damit auf einer Wellenlänge auch mit dem Hamburger Staatsrat und Pisa-Beauftragten der Kultusministerkonferenz, Hermann Lange. Im Gegensatz zu Ihnen von der SPD fordert er nicht in erster Linie die Ganztagsschule. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 6. Dezember vertritt er die Ansicht: „Es wäre nichts gewonnen, wenn wir denselben Unterricht wie bisher veranstalten, nur jetzt über den ganzen Tag.“

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist vollkommen richtig! Ganz genau!)

Das zeigt Pisa, meine Damen und Herren,

(Frau Radermacher (SPD): Genauso ist es! – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Jetzt hat er ‚s kapiert!)

und deswegen, meine Damen und Herren, haben wir uns aufgemacht nach den Ergebnissen der Tims-Studie. Pisa wird zeigen, wie weit sich der Abstand vergrößert hat zwischen der Leistungsfähigkeit der bayerischen Schulen und der Leistungsfähigkeit der Schulen im Norden.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hört, hört! Das merken wir uns!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben angekündigt, Sie werden sich bei unserem Antrag enthalten. Das können wir bei Ihrem Antrag leider nicht tun;

(Zuruf des Abgeordneten Güller (SPD))

denn, meine Damen und Herren, dass Sie in der ersten Zeile lapidar feststellen, dass der bayerische Unterricht schlecht ist und neue Unterrichtsmethoden endlich umgesetzt werden sollen,

(Frau Radermacher (SPD): Wo steht denn das?)

macht deutlich, wie weit Sie von der Realität weg sind.

Meine Damen und Herren, die Unterrichtsmethoden, die Sie hier anführen, waren schon Ziele im Unterricht,

(Frau Radermacher (SPD): Aber sie sind nicht umgesetzt!)

als Kollege Irlinger und ich als Lehrkräfte an die Schulen gekommen sind. Mit Ihrer Aussage heute, in 20 Jahren habe sich an unseren Schulen nichts getan,

(Zuruf von der SPD: Das ist doch nicht zu fassen! – Frau Radermacher (SPD): Wer hat denn das gesagt? – Weiterer Zuruf von der SPD: Viel hat sich nicht getan!)

stellen Sie unsere Lehrer in ein ganz, ganz schlechtes Licht.

(Zurufe von der SPD)

Sie treffen hier überhaupt nicht die Schulwirklichkeit.

Meine Damen und Herren, Ihr Antrag enthält ein paar Dinge, die wir bereits beschlossen haben. Ihre Forderung nach mehr Durchlässigkeit zwischen den Schularten durch Wegfall der Notenhürden – und Frau Kollegin Radermacher, Sie haben es gerade noch einmal getan –, ist ein Relikt des gescheiterten Volksbegehrens und wird in der Masse von den Lehrkräften überhaupt nicht geteilt.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): In Bayern vielleicht nicht, aber in allen anderen Bundesländern!)

Die Forderung nach einem verpflichtenden und kostenfreien Kindergartenjahr ist familien- und finanzpolitisch so weitreichend, dass hierüber nicht in einem Hopplahopp-Verfahren entschieden werden kann.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie graben die Schulautonomie wieder aus. Ich habe noch Ihre Redebeiträge aus den vergangenen Jahren im Ohr. Ihnen geht es nicht um Mitwirkungsmöglichkeiten, Ihnen geht es um Autonomie im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wollen, dass Schulen einen Teil der Unterrichtsinhalte selbst festlegen. Das entspricht zwar dem Geist der Achtundsechziger, aber überhaupt nicht den Notwendigkeiten einer mobilen Gesellschaft.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der SPD: Ach Gott, Herr Knauer!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, sich mit uns ganz gezielt, meinetwegen auch in einer Parlamentsdebatte, über die bayerische Schule dann zu unterhalten, wenn die länderspezifischen Ergebnisse vorliegen. Das ist der richtige Zeitpunkt, dann können wir konkret auch unsere Maßnahmen, die wir in den letzten Jahren eingeleitet haben, auf den Prüfstand stellen. Wir sind und waren immer dazu bereit, die Leistungsfähigkeit unserer Schulen auch durch landeseinheitliche Tests zu überprüfen. Wir haben den Mut dazu. In anderen Ländern ist dieser Mut sehr gering.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Münzel.

Frau Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Ergebnisse des weltweit größten Schülertests Pisa zeigen sehr deutlich, dass die Staatsregierung mit ihrer frühen Auslese und der Ablehnung der Ganztagsschule bildungspolitisch auf dem Holzweg ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Pisa-Studie zeigt aber auch, dass wir GRÜNEN dagegen mit unserer Forderung „Selbst ist die Schule“, mit der Forderung, den Schulen die Entscheidung über ihre personellen und finanziellen Ressourcen zu überlassen,

(Willi Müller (CSU): Vielleicht ist Nordrhein-Westfalen auf dem Holzweg!)

goldrichtig liegen und lagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie Letzteres aussehen kann und wie erfolgreich dieses Konzept ist, konnte man am 6. Dezember in der „Zeit“ lesen, in der das Beispiel Schweden gebracht wurde, das zu den Ländern an der Spitze zählt. Darin wird eine Schulleiterin zitiert, die sagt: „Wir können entscheiden, ob wir mehr in die Lehrerfortbildung, in die Individualisierung des Unterrichts oder in eine neue Küche investieren.“ Hiervon sind wir noch weit entfernt; denn die CSU und die Staatsregierung haben lange geschlafen. Mittlerweile sprechen sie zwar von mehr Eigenständigkeit, aber richtig loslassen will die Staatsregierung die Schulen doch nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viel Kraft und Geld wurde dagegen mit der Einführung der sechsstufigen Realschule vergeudet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Einführung der sechsstufigen Realschule war und bleibt ein Fehler. Dies zeigt sich gerade vor dem Hintergrund der Studie. Viel Geld wurde ausgegeben, übrigens bedenkenlos auch das Geld der Kommunen, um ein System zu verschärfen, das den Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern keine gerechten Bildungschancen einräumt, aber – das ist das Dramatische daran – auch nicht dazu geeignet ist, Spitzenleistungen zu fördern. Die R 6 mag zwar für sich gesehen ein Erfolg sein, wenn man als Erfolgsmaßstab die Anzahl der Schülerinnen und Schüler heranzieht, die in diese Schule gehen wollen – gesamtgesellschaftlich erweist sich die frühe Auslese aber als schädlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es nicht so traurig wäre, Frau Ministerin, fände ich es direkt witzig, dass im „Handelsblatt“ jetzt ein Artikel von Ihnen steht: Wir brauchen keine Systemfrage, sondern besseren Unterricht. Ich zitiere, Frau Ministerin: „Systemunterschiede können Unterschiede in der Schülerleistung nicht erklären. Ich sage klipp und klar: Strukturdebatten gehören der Vergangenheit an.“ Ich frage Sie, Frau Ministerin, warum Sie die sechsstufige Realschule durchgeboxt haben, wenn die sechsstufige Realschule und eine Änderung der Schulstruktur nicht zu einer Leistungsverbesserung, weder am unteren noch am oberen Ende, beitragen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Alarmsignale, dass in Bayern nicht alles rosig ist, gab es schon früher. Auch Herr Glück sieht dies so, wenn er sagt: Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass bei uns alles besser ist. Ein Blick in die Vergangenheit muss also schon gestattet sein. Erinnern Sie sich noch an den Bericht zur sozialen Lage in Bayern, den sogenannten

Armutsbericht? Erinnern Sie sich noch daran, dass der Bericht damals zurückgehalten wurde, weil der damalige Kultusminister Zehetmair nicht zulassen wollte, die Zustände in Bayern mit dem Begriff Bildungsarmut zu bezeichnen? Erinnern Sie sich noch daran, dass der einzige Beitrag der Staatsregierung aufgrund dieser Ergebnisse war, sich gegen den Begriff Bildungsarmut zu wehren? Erinnern Sie sich noch daran, dass alle damaligen parlamentarischen Initiativen, die Bildungsarmut in Bayern abzubauen, von eben dieser Staatsregierung abgelehnt wurden?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Weitere Alarmsignale kamen von der Tims-Studie. Auch in dieser Studie wurde deutlich, dass die Leistungen von Schülerinnen und Schülern aus Ländern, die ihre Kinder länger gemeinsam zur Schule gehen lassen, besser sind als die deutschen Schülerinnen und Schüler. Was machte die Staatsregierung? – Sie führte unverdrossen die R 6 ein und vergeudete Energie mit den ständigen Wiederholungen, dass die bayerischen Schülerinnen und Schüler besser seien als diejenigen anderer Bundesländer. Hat dies unseren bayerischen Schülerinnen und Schülern einen Deut weiter geholfen? – Nein. Die Staatsregierung hätte ihre Kraft in die Verbesserung der bildungspolitischen Situation stecken sollen, statt Abwehrkämpfe zu veranstalten.

Was macht jetzt Ministerpräsident Stoiber? – Er sieht die Ursache in den faulen Schülerinnen und Schülern. Ich frage Sie: Wer hat denn die Hausaufgaben nicht gemacht? Ministerpräsident Stoiber war es doch, der den Schülerinnen und Schülern nicht die Rahmenbedingungen gab, die diese brauchen, um Spitzenleistungen zu bringen und um herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen. Den FC Bayern München lässt er doch auch nicht auf einem Bolzplatz spielen. Den Schulen aber hat er das Wasser abgegraben – ich nenne nur die Kienbaum-Maßnahmen. Was er jetzt noch sagt, finde ich geradezu infam und schäbig: Die große Zahl türkischer Schüler sei ein Grund für das schlechte Abschneiden. Unter den Schwächsten unserer Gesellschaft wird ein Sündenbock gesucht. Das ist schäbig und infam.